Glukosemessung Die Revolution in der Glukosemessung durch CGM-Systeme und das Flash Glukose Monitoring (FGM) hat nicht nur positive Folgen für die Diabeteswelt. Die klassische Blutzuckermessung etwa leidet gewaltig unter diesen Innovationen. Am Rande eines Pressegesprächs in Berlin blickte der VDGH-Vorstandschef Matthias Borst in die digitale Zukunft.

Laut Ihres Branchenbarometers 2018 sind die Diabetes-Schnelltests um 7 Prozent zurückgegangen. Ist die klassische Blutzuckermessung bald Geschichte?

Sie ist stark unter Druck. Seit 4 Jahren ist hier ein starker Rückgang zu verzeichnen. Das betrifft auch die großen Firmen. Die Verantwortlichen fragen sich natürlich: Was machen wir mit dem Bereich ‚Selbsttestung’? Ich sehe die Gefahr, dass sich große Firmen davon verabschieden – sofern sie nicht in kürzester Zeit eine Lösung parat haben. Das bedeutet in der Konsequenz, dass sich die Anbieterzahl in diesem Bereich reduzieren wird. Die Frage ist ja: Wie entwickelt sich das Ganze weiter?

Abbott hat mit seinem Freestyle Libre einfach den großen Wurf gemacht. Meine Hochachtung, was hier in der Forschung und in der Entwicklung geleistet wurde! Jetzt muss man abwarten, wie die Branche reagiert, und was das Ganze dann für eine Dynamik hinsichtlich zukunftsgerichteter Technologien hat.

Welche Chancen sehen Sie hier für die Unternehmen?

Aus reiner Branchensicht hat die ganze Entwicklung natürlich einen negativen Einfluss. Manches Unternehmen wird deshalb vermutlich mehr in den Bereich CGM gehen. Und es gibt weitere Firmen, die weniger im Hochfrequenzmessbereich agieren, aber gern dahin wollen. Da ist so viel in Bewegung.

Was halten Sie rein praktisch von der mehrmals täglichen Blutzuckerselbstmessung?

Wäre ich Diabetiker, würde ich mir auch viel lieber einen Sensor auf den Arm kleben, als mir 5 mal am Tag oder noch öfter in den Finger zu stechen. Ich habe selbst mal als ‚Diabetiker für eine Woche’ mit Pumpe gelebt und mir – statt Insulin – Kochsalzlösung zugeführt. Nur in dieser einen Woche als ‚Diabetespatient’ immer an die Blutzuckermessung denken zu müssen und diese durchzuführen, war schon ziemlich anstrengend.

Trotzdem: Es gibt noch einen Markt für die klassische Blutzuckermessung. Aber perspektivisch würde ich sagen: Die neuen Glukosemess-Systemen wie das Flash Glukose Monitoring könnten die Zukunft sein.

Was gibt es noch Neues auf dem digitalen Diabetesmarkt, Stichwort: Closed Loop – wie weit sind wir noch weg vom künstlichen Pankreas?

Seit vielen Jahren ist das Closed Loop in aller Munde. Die Frage ist: Wie definiert man es? Ein richtiger Closed Loop wäre ja schon, wenn eine implantierte Pumpe und das CGM alles alleine machen würden – siehe künstliches Pankreas. Das ist natürlich ein Traum. Ich habe ja schon 1991 mit meiner Arbeit im Diabetesbereich begonnen und diese ganze Entwicklung mit verfolgt. Heute gibt es auf jeden Fall große Schritte dahin.

Aber auch andere neue, digitale Technik ist interessant. Zum Beispiel der Smart-Pen, den ein Medizintecknikhersteller aus Potsdam entwickelt hat. Das Unternehmen konnte zeigen, dass sich mit diesem Insulinpen der HbA1c-Wert der Patienten signifikant reduzieren lässt. Denn es wurden damit Zusammenhänge im Glukoseverlauf deutlich, die der Patient sonst vielleicht nie in sein Tagebuch geschrieben hätte. Bei der Blutzuckermessung kann man aber ja generell schon seit langem Daten übertragen – auch an die Insulinpumpe.

Welche Auswirkungen hat die neue Technik auf das Diabetes-Management beim Arzt?

Was die Arbeit mit Diabetikern in Arztpraxen angeht, könnte ich mir für die Zukunft folgendes Szenario vorstellen: Es gibt eine Diabetesberaterin, die den Patienten per Rechner managt. Warum auch muss ein fitter, berufstätiger Typ-1- oder ein junger Typ-2-Patient extra einen Tag Urlaub nehmen, um zum Arzt zu fahren? Da könnte man doch auch sagen: Die Diabetesberaterin und der Diabetespatient sitzen sich virtuell am Computer gegenüber und schauen sich den Glukoseverlauf und die Insulindosis an. Und bei seinem Hausarzt lässt der Patient dann den HbA1c-Wert kontrollieren. Damit liegen alle wichtigen Informationen vor. Natürlich kann man eine Fußinspektion nicht virtuell machen. Aber eine solche Vorgehensweise würde sicherlich die Arztbesuche signifikant reduzieren. Dem Diabetespatienten wiederum würde das Ganze mehr Freiheit geben. Das sehe ich auch als die kleinen Schritte ins Closed Loop.

Und wie finden das Diabetesexperten?

Das Problem bei der ganzen Digitalisierung ist, dass die Ärzte hier teilweise keine Vergütung bekommen. Viele sagen auch: Ja, das ist die Zukunft – aber… Die Frage ist: Kann sich ein Arzt auf Dauer erlauben, eine Leistung zu erbringen, für die er nicht bezahlt wird? Sicher gibt es einige, die sagen: Das ist das Beste für meinen Patienten, das mache ich einfach. Aber die Mehrzahl wird das sicher nicht tun. Das ist schade.

Wie steht es denn um die technischen Voraussetzungen bei den Ärzten?

Diese fehlen leider häufig. Als die ersten Auslese-Softwares für die Blutzuckermessgeräte damals kamen, hatte der Arzt 10 Kabel auf dem Tisch für 10 verschiedene Geräte mit – übertrieben gesagt – 25 verschiedenen Software-Möglichkeiten. Durch die neuen Pumpen und Pens ist die Auswahl noch viel größer geworden. Die Industrie ist heute aber offen dafür, hier Standardisierungen zu erarbeiten.

Was sollte die Politik leisten?

Für mich ist ganz klar: Diabetes ist ein Tsunami, der sich leider auch nicht abflacht. Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, in denen man als Industrie die Chance hat, ausreichend in Forschung und Entwicklung zu investieren



Das Interview führte Angela Monecke
Redaktion Diabetes-Forum, Kirchheim-Verlag
Kaiserstraße 41, 55116 Mainz
Tel.: 06131/96070-0, Fax: 06131/9607090

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2018; 30 (3) Seite 26-27