Im Vorfeld des jährlichen Kongresses der EASD findet der FEND-Kongress statt. Zum Auftakt der diesjährigen Tagung stellte sich die schwedische Diabetesberaterinnen-Association vor. Claudia Leippert war mit dabei und berichtet aus der schwedischen Hauptstadt.
Unmittelbar vor dem EASD in Stockholm fand wie immer der FEND-Kongress statt. Das Auftaktreferat wurde traditionellerweise aus dem Gastgeberland gestaltet. Die schwedische Diabetesberaterinnen-Association stellte sich und ihre Arbeit vor. Der Verband ist unter anderem Mitglied im Lenkungsausschuss des schwedischen Diabetesregisters (Behandler und Patienten stellen den Lenkungsausschuss) und die referierende schwedische Kollegin konnte zeigen, dass durch das nationale Register tatsächlich die Diabetesversorgung verbessert wurde.
In Schweden sind über 90% der Patienten registriert und alle erhobenen Daten sind öffentlich einsehbar. Wenn in Deutschland ein nationaler Diabetesplan etabliert wird, was zu hoffen ist, sollten die Diabetesberatungsberufe, so wie in Schweden, als Mitglied in der Steuerungsgruppe aufgenommen werden.
Barrieren in der Diabetikerbetreuung
Es folgte ein sehr interessantes, wissenschaftliches Programm. Zwei Vorträge werden in diesem Artikel näher vorgestellt. Frau Khalida Ismail aus London hatte den interessanten Titel "Diabetes Nursing and Psychological Care – a perfect marriage?"
Sie selbst ist Professorin für Psychiatrie und Medizin am King´s College in London. Sie arbeitete in ihrem Vortrag die psychologischen Barrieren heraus, die zwischen Behandlern und Diabetespatienten, aber auch Barrieren, die isoliert bei Patienten betreffend des Selbstmanagements auftreten können. Die Evidenz wächst, dass psychologischer Support hilfreich ist, die Patienten in ihrem Selbstmanagement zu unterstützen, die patienteneigenen Fähigkeiten für das Selbstmanagement zu verbessern und das Selbstverstrauen der Betroffenen zu stärken.
Zielorientierter Kommunikationsstil im Fokus
Sie stellte dann die Frage, wie dieser Support denn genau aussehe und wer genau dafür zuständig sei? Die Experten auf dem Gebiet (Psychologen, Psychiater, Psychotherapeuten) sind nur beschränkt verfügbar, meist unerschwinglich teuer, wenn die Kosten selber getragen werden müssen und oft kommt noch dazu, dass kein oder nur ungenügendes Diabeteswissen vorhanden ist.
Frau Ismail stellte weiter die Frage, ob denn Diabetes Nurses ein Teil des integrierten psychologischen Supports anbieten können und fokussierte sich dann auf das Motivational Interviewing (MI) oder Motivierende Gesprächsführung. Die Evidenz für die Effektivität ist hierbei umstritten, jedoch sind sich die Experten einig, dass diese psychologisch unterlegte Gesprächstechnik hilfreich in der Diabetestherapie und -beratung ist. MI ist ein Gesprächsmodell, dem das Menschenbild zu Grunde liegt, dass der Mensch per se nicht unmotiviert, sondern ambivalent ist.
MI ist ein auf Zusammenarbeit ausgelegter zielorientierter Kommunikationsstil mit besonderem Augenmerk auf eine veränderungsorientierte Sprache. Es wurde entwickelt, um die persönliche Motivation und Selbstverpflichtung auf ein bestimmtes Ziel hin zu stärken. Es untersucht und ruft die eigenen Beweggründe der Person für eine Veränderung hervor und findet in einer Atmosphäre der Akzeptanz und des fürsorglichen Mitfühlens statt und kann daher in Therapiegesprächen gut verwendet werden.
Motivierende Gesprächsführung
Frau Ismail befasste sich dann mit dem Prozess, wie Diabetes Nurses in dieser Gesprächstechnik trainiert werden/sie anwenden können und stellte eine multizentrische RCT aus 2008 vor, in der an 344 Patienten mit DMT1 (HbA1c 8-15%) gezeigt wurde, dass eine MI-Intervention kombiniert mit Standard- Diabetestherapie und –beratung durch Diabetes Nurses im Vergleich zu "nur Standard- Therapie" eine Verbesserung des HbA1c erfolgte. Sie betonte, dass Diabetes Nurses durchaus eine gewisse Resistenz gegenüber eines MI-Trainings zeigten.
Das Argument der befragten Diabetes Nurses war "ich weiß das alles" – aber Frau Ismail stellte fest, dass trotz des Wissens um die Gesprächstechnik keine strukturierte Anwendung des MI stattfand. Sie schloss mit der Feststellung, dass Diabetes Nurses durch ihre Patientennähe sehr gut platziert sind und nach einem entsprechenden Training MI effektiv zum Nutzen der Patienten anwenden können. Um eine Umsetzung dessen zu starten, sollten organisatorische, finanzielle und Standes-Barrieren überwunden werden.
Der VDBD wird in 2016 Seminare zu Motivierender Gesprächsführung anbieten.
Lernen mit dem Patienten
Ein anderer Vortrag, der die Diabetesberatungs- und Schulungsprofis interessierte, kam aus Istanbul, Türkei von Assoc. Prof. Seyda Özcan. Sie sprach über das Thema "Diabetesschulung – Kontroversen in der Effektivität". Diabetesschulung und Patientenedukation existieren seit Beginn des 20. Jahrhunderts und gewannen seit den 60iger Jahren deutlich an Anerkennung.
In den letzten Jahren veränderten sich die Schulungsprogramme von "Lehre für den Patienten" zu" Lernen mit dem Patienten" – die Botschaft für Patienten und Behandler heißt nicht "Compliance", sondern "Adhärenz" und eine "informed shared decision making"-Philosphie hat (zumindest theoretisch) im Schulungsalltag Einzug gehalten. Wissen und Kenntnis der Situation sind wichtig, reichen aber nicht aus, um eine notwendige Verhaltensanpassung und –änderung zu vollziehen.
Diabetes individuell therapieren und schulen
In einem systematischen Review mit 72 Studien aus früheren Zeiten und 21 Studien aus jüngerer Zeit zeigte Frau Özcan, dass die Schulungsprogramme alle für eine kurze Beobachtungsdauer einen Effekt haben, jedoch fand sie keine Langzeitbeobachtungen. Dies bezeichnete sie als Mangel, obgleich sie auch darauf hinwies, dass Diabetes fast wie ein Prozess im Leben zu sehen sei und jeweils individuell, je nach Stadium und Situation, therapiert und geschult werden muss.
Insofern relativiert sie ihre vorangegangene Aussage selbst etwas. Sie wies darauf hin, dass in den untersuchten Studien kein Hinweis auf Kosteneffektivität zu finden sei und die wissenschaftliche Güte der Studien teilweise nicht hoch angesiedelt werden konnte. Auch fand sie in den untersuchten Publikationen keinen Hinweis auf die Qualität der Schulung und der Schulenden.
Der FEND-Kongress ist nicht nur ein wissenschaftlicher, informativer Kongress und Treffpunkt der europäischen Diabetesberaterinnen-Szene, nennenswert neu innerhalb der Industrieausstellung befand sich dieses Jahr eine innovative Unterwäschendesignerin, die Unterwäsche für Pumpenpatienten herstellt. Diese spezielle Wäsche für Männer, Frauen und Kinder enthält diverse, sichere Fächer zur Unterbringung von Insulinpumpen.
Gastgeber 2016: München
Nächstes Jahr wird der FEND am 9. und 10. September in München stattfinden. Vielleicht werden 2016 deutsche Diabetesberater/innen die internationale Szene bereichern können.
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2015; 27 (11) Seite 28-30
