Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert, München, gilt als der Wegbereiter der Diabetologie in Deutschland. Am 22. Februar feierte der Diabetes-Experte seinen 90. Geburtstag. Rund um das Jubiläum gab es Ende Februar in München die Pressekonferenz „Insulintherapie gestern und heute“ sowie das Jubiläums-Symposium „50 Jahre Forschergruppe Diabetes & 90 Jahre Hellmut Mehnert“.

Die Geschichte des Insulins beginnt eigentlich nicht 1921, sondern früher", so Prof. Hellmut Mehnert, "denn sowohl ein Deutscher vor dem 1. Weltkrieg als auch ein Rumäne im 1. Weltkrieg hatten das Insulin in injizierbarer Form in der Hand, aber nicht den entscheidenden Schritt gemacht." Wobei der Deutsche Georg Ludwig Zülzer es schon Patienten gegeben hatte, diese aber "so merkwürdige Zustände bekamen wie Zittrigkeit, Heißhunger, Schwäche und Herzklopfen".

Hypoglykämien verkannt: „Teufelszeug!“

Zülzer durfte laut Mehnert mit diesem "Teufelszeug"nicht mehr weiterarbeiten, man vermutete eine Fremdeiweißreaktion – "und zum Schaden von Hunderttausenden Diabetikern in aller Welt wurden die diesbezüglichen Bemühungen dann in Deutschland eingestellt." Natürlich hätte eine Blutzuckerbestimmung Aufschluss geben können über die beschriebenen Symptome der Unterzuckerung, "aber vor dem 1. Weltkrieg wurde zur Bestimmung eines einzelnen Blutzuckerwertes ein Viertelliter Blut benötigt – so dass ein Blutzuckertagesprofil nicht mit dem Leben vereinbar war".

Der Rest ist gut bekannt – 1921 entdeckten ein kanadischer Orthopäde und ein kanadischer Medizinstudent, "ein merkwürdiges Gespann", in den Semesterferien das Insulin und brachten es in injizierbare Form: Frederick G. Banting und Charles Best.

Humaner als Humaninsulin

Mehnert zeichnete den Weg "des Wundermittels Insulin, wie ich es gerne nenne", von den ersten Depot-Insulinen über die gereinigten Insuline bis hin zur genetischen Synthese des Humaninsulins und den Insulinanaloga. "Zwei Dinge während und nach dem 2. Weltkrieg waren entscheidend in Sachen Nachschub bzw. Mangel an Insulin", so Prof. Hellmut Mehnert: Zum einen waren es neben Hoechst verschiedene Firmen, auch kleine Firmen wie Hormonchemie, die Insulin herstellten und in Verkehr brachten. "Der zweite und wichtigere Grund war, dass es übergewichtige Typ-2-Diabetiker, die – wenn sie insulinbedürftig werden – sehr viel Insulin benötigen, es praktisch gar nicht gab in der Zeit."

Mit den Analoginsulinen zeichnete sich, so Mehnert, ein gewaltiger Fortschritt ab: "Die Analoga ahmen bestimmte Eigenschaften des Insulins nach – und können das besser als das Humaninsulin. Ich sage deshalb gerne, dass die Analoginsuline in letzter Konsequenz humaner sind als das Humaninsulin." Genau gesagt: Sie ahmen die körpereigene Insulinsekretion nach; im Falle der kurzwirksamen Analoga wirken diese sogar schneller und kürzer als das Normalinsulin. Und im Falle der Basal-Insulinanaloga zeigen selbige ein flaches Wirkprofil, ahmen damit eine Basalsekretion besser nach – mit weniger Hypoglykämie-Risiko und weniger Risiko zur Gewichtszunahme.

Mit Weltrekord
  • Prof. Hellmut Mehnert beschrieb 1958 als Erster eine kombinierte Tablettentherapie (damals Sulfonylharnstoffe und Biguanide).
  • Mehnert führte 1967 in München die weltweit größte Früherfassungs-Aktion durch. Es wurden 7 000 Diabetiker frisch entdeckt.
  • Mehnert benannte zuerst das "Wohlstandssyndrom" (später Syndrom X oder Metabolisches Syndrom).
  • Hervorzuheben ist, dass es Mehnert und Mitstreitern (wie Dr. Barbara Hillebrand †) gelang, die Sterblichkeitsrate der Neugeborenen diabetischer Mütter dramatisch zu senken: "Wir stellten einen Weltrekord auf: 300 Entbindungen ohne diabetesbezogenen Kindsverlust!"

Über viele Jahre gut mit BOT

Für viele Menschen mit Typ-2-Diabetes, die mit oralen Antidiabetika keine ausreichend gute Blutzuckereinstellung mehr erreichen, gibt es "die BOT, sprich die basalunterstützte orale Therapie: eine Therapie, bei der die oralen Antidiabetika beibehalten werden, unterstützt von etwas langwirkendem Basalinsulin". Patienten können damit über viele Jahre gut leben; dem Fortschreiten des Defizits der körpereigenen Insulinsekretion begegnet man dann laut Mehnert immer wieder mit einer Erhöhung des Basalinsulins. Freilich werde aus dieser Art BOT irgendwann eine "fast intensivierte Insulintherapie".

Ein anderes Konzept nennt Mehnert die ISI – incretin supported insulin therapy: Zusätzlich zum Insulin wird ein GLP-1-Rezeptor-Agonist einmal wöchentlich gespritzt: "Das bedeutet, dass die Insulindosis reduziert werden kann und dass der Stoffwechsel auch stabiler ist, weil diese Patienten an Gewicht abnehmen und dadurch der insulinresistenzfördernde Faktor der Adipositas minimiert wird."

"Insulin ist eines der wenigen, ich glaube sogar das einzige Medikament, das in seiner Wirksamkeit sich nicht nur gehalten hat in der Diabetestherapie, sondern sogar an Bedeutung noch zunimmt." Wer seinem Patienten Insulin verordnet, gerade auch alten Menschen, "der soll bitte nicht sagen: ‚Sie müssen Insulin spritzen!‘ Sondern angesichts der vielen Patienten, die davon Nutzen haben, sollte man sagen: ‚Sie dürfen Insulin spritzen!‘"

Entwicklung der Insuline: „gigantischen Verbesserungen“

Laut Prof. Petra-Maria Schumm-Draeger, München, verwenden wir jährlich 16 Mrd. €, sprich 10 % der GKV-Gesamtausgaben, für den Typ-2-Diabetes: "Das ist eine stolze Zahl", so Schumm-Draeger, wohlgemerkt: "Diese hohen Kosten hängen nicht mit Medikamenten zusammen – seien es orale Antidiabetika oder Insuline, sondern der allergrößte Teil dieses Kostenaufkommens ist zurückzuführen auf die Diagnostik und Behandlung der diabetesassoziierten Folgeerkrankungen. Wenn wir früher mit guten Medikamenten und zielsicher behandeln, könnten wir hier eine erhebliche Verbesserung erzielen – aber vor allem eine Verbesserung der Lebensqualität unserer Patienten!"

Schnellwirksame Insuline, kurzwirksame und langwirksame Insuline, NPH-Insuline: Schumm-Draeger zeigte anhand der Wirkprofile der Insuline "die gigantischen Verbesserungen durch die immer weitere Entwicklung der Insuline" – aber auch bestehende Unzulänglichkeiten und Barrieren der Insulintherapie wie Hypoglykämie-Risiko oder Risiko der Gewichtszunahme. Anforderungen an eine moderne Insulintherapie sind z. B. basale Insulinversorgung, zu den Mahlzeiten zeitgerechte Versorgung, minimale Nebenwirkungen der Präparate und ein Wirkprofil möglichst nahe dem Gesunden.

Ein Quantensprung bei den Basalinsulinen war laut Schumm-Draeger schon die Einführung des Basalanaloginsulins Insulin glargin 100 E/ml (Lantus). Für die Weiterentwicklung zu Insulin glargin 300 E/ml (Toujeo) zeigte Schumm-Draeger eine Metaanalyse randomisierter Studien bei Typ-2-Diabetes hinsichtlich nächtlicher Unterzuckerungen – mit nochmals eindeutiger Absenkung sowie auch weniger Hypoglykämien über den gesamten Tagesverlauf: "Das uns schon als ideal erscheinende Insulin glargin 100 E/ml wird also noch einmal überboten." Dies bedeute eine höhere Behandlungssicherheit.



Autor: Günter Nuber
Redaktion Diabetes-Forum, Kirchheim-Verlag
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2018; 30 (4) Seite 32-33