Das Aus der Ampelkoalition bedeutet auch das Aus vieler Gesetzesentwürfe, die zu diesem Zeitpunkt im parlamentarischen Verfahren waren. Zwar bleibt der Bundestag bis zur seiner voraussichtlichen Auflösung Ende des Jahres prinzipiell arbeitsfähig, aber den verbleibenden Regierungsparteien fehlt die Mehrheit im Parlament. So ist unwahrscheinlich, dass die Opposition Gesetzesvorhaben auf den letzten Metern unterstützen wird – einige wichtige Regulierungen vielleicht ausgenommen.

Obwohl das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) bereits vom Bundestag verabschiedet worden ist, haben sich durch das Ende der Ampelkoalition auch die Vorzeichen für die Krankenhausreform geändert. Am 22. November 2024 wird sich gezeigt haben, ob der Bundesrat das Gesetz in seiner jetzigen Form hat passieren lassen oder ob er den Vermittlungsausschuss angerufen hat, um weitere Änderungen an dem Gesetz einzubringen. Im letzteren Fall könnte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angesichts fehlender Mehrheiten im Bundestag kaum mehr auf einen Kompromiss vor den Neuwahlen im Februar 2025 hoffen.

Zwar hatte sich der Gesundheitsausschuss des Bundesrates auf seiner Sitzung am 6. November 2024 gegen eine Anrufung des Vermittlungsausschusses ausgesprochen, aber im Gesundheitsausschuss der Länderkammer besteht paritätisches Stimmrecht, d.h. jedes Bundesland hat eine Stimme. Im Plenum des Bundesrates hingegen sind die Stimmen nach Einwohnergröße gewichtet und bevölkerungsreiche Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen oder Bayern können sechs Stimmen in die Waagschale legen im Unterschied beispielsweise zu Bremen oder Mecklenburg-Vorpommern mit jeweils drei Stimmen.

Pro Vermittlungsausschuss

In dieser politisch angespannten Situation forderte die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) nach einer Sondersitzung des Präsidiums am 10. November die Bundesländer auf, den Vermittlungsausschuss in jedem Fall anzurufen und die Möglichkeit eines Scheiterns in Kauf zu nehmen. Laut DKG sind die Kliniken in einer schwierigen Situation. Eigentlich sei eine Krankenhausreform überfällig, aber das KHVVG in seiner jetzigen Form würde aus Sicht der DKG die Versorgungsrealität in Deutschland nicht verbessern und den Kliniken nicht nützen. Optimisten unter den Akteuren hoffen, dass im Vermittlungsverfahren kurzfristig ein breiter Konsens zwischen den demokratischen Parteien im Bundesrat und im Bundestag gelingt, um notwendige Änderungen zu vereinbaren und durch das Parlament verabschieden zu lassen. Andernfalls muss aufgrund des Diskontinuitätsprinzips der Gesetzgebungsprozess nach den Neuwahlen von vorn beginnen.

Bei einem Scheitern des KHVVG gilt ein Neustart unter einer neuen Regierung und mit einem neuen Bundestag als wahrscheinlich, zumal die Diskussionen nicht bei Null beginnen müssten und auf Vorarbeiten aufgesetzt werden könnte. Ob das auch für das GVSG gilt und in welcher Form, bleibt abzuwarten.

Anhörung zum GVSG

Doch hört man schon dieser Tage von Mitgliedern der größten Oppositionspartei, dass man nach den Neuwahlen mit einer neuen Regierung und einem neuen Parlament ja nicht von vorn beginnen müsse. Daher ist es nach wie vor wichtig, sich mit den Inhalten der Gesetzesentwürfe auseinanderzusetzen. Das sah man auch im Gesundheitsausschuss des Bundestages so und führte die für den 13. November angesetzte Anhörung von Sachverständigen durch. Die Liste der Sachverständigen war sehr umfangreich und reichte vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband über Gemeinsamen Bundesausschuss, Spitzenverband der Heilmittelerbringer bis hin zur Bundesärztekammer und Bundespsychotherapeutenkammer.

Deutlicher Fokus der Fragen der Bundestagsabgeordneten und Antworten der Sachverständigen lag auf der Entbudgetierung für Hausärzte. Nicht nur die Bundesärztekammer und der Hausärztinnen- und Hausärzteverband betonten die Notwendigkeit, die Budgetierung aufzuheben. Professor Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung des Gesundheitswesens, appellierte ebenfalls die aus seiner Sicht längst überfällige Entbudgetierung zu ermöglichen. Bei einer Verschiebung in die nächste Legislaturperiode würden Regelungen frühestens 2026, wenn nicht erst 2027 in Kraft treten – mit erheblichen negativen Folgen für die hausärztliche Versorgung.

Nicht alle Sachverständigen teilten diese Auffassung, so gab der Vertreter des GKV-Spitzenverbandes zu bedenken, dass er keinen relevanten Beitrag einer Entbudgetierung zur einer Verbesserung der Versorgung im ländlichen Raum erkennen könne. Der Bund Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) warnte sogar vor einer Entbudgetierung. Kostendämpfung sei das Gebot der Stunde, weil Sozialbeiträge bereits auf einem hohen Niveau sind und eine weitere Belastung des Faktors Arbeit vermieden sollte.

Der Spitzenverband der Fachärzte wiederum forderte eine Entbudgetierung auch für seine Berufsgruppe, um Wartelistenmedizin und Überbeanspruchung der klinischen Versorgung entgegenzuwirken.

EU-Konferenz zu Public Health
Übrigens die Ungleichheit von Gesundheitschancen wird auch auf europäischer Ebene thematisiert, insbesondere weil sich diese Ungleichheit in Krisenzeit verschärft. Auf der Europäischen Public Health Konferenz vom 11.-15. November 2024 in Lissabon, mit dem epischen Titel: „Auf den Wellen der europäischen öffentlichen Gesundheit segeln: ein Meer der Innovation erkunden“, appellierte die EU-Kommission an die Mitgliedsstaaten, ihre Innovationsfähigkeit zu stärken, um den öffentlichen Gesundheitssektor zukunftsfähig aufzustellen. Es geht um die Resilienz der Gesundheitssysteme, nicht nur in Krisenzeiten. Alle europäischen Staaten stehen mehr oder weniger vor denselben Herausforderungen: wie lässt sich ein flächendeckender, gerechter Zugang zu medizinischer und pflegerischer Versorgung angesichts steigender Gesundheitskosten bei gleichzeitig angespannten Haushaltslagen organisieren und gewährleisten. Die Europäische Kommission setzt auf Innovation, sei es im Bereich von Künstlicher Intelligenz oder im Bereich der Biotechnologie.

Gefährdung von DSP gebannt?

Auch der Bundesverband der niedergelassenen Diabetologen (BVND) war zur Anhörung eingeladen und unterstrich in seinem Statement, dass die Neuregelung zur Chronikerpauschale in der jetzigen Form die Existenz von Diabetologischen Schwerpunktpraxen (DSP) und damit die Versorgung von Menschen mit Diabetes gefährdet. Laut Simulationsrechnungen des BVND würde das für DSP im Durchschnitt und in Abhängigkeit von den regional verhandelten Disease-Management-Programmen (DMP) 15 bis 20 Prozent Verlust des Gesamthonorars bedeuten, in manchen Fällen sogar bis zu 40 Prozent. Er führte weiter aus, dass die Fallführung bei Diabetes Typ 1, Gestationsdiabetes und komplexen Fällen von Diabetes Typ 2 den DSP obliegt. Als Versorgungsebene zwischen den Hausärzt:innen und Kliniken, kann niemand die Aufgaben von DSP übernehmen, zumal im klinischen Setting Diabetesexpertise in den vergangenen Jahren weiter abgebaut worden ist.

Unbeliebtes GHG

Kommt das GVSG in dieser Legislaturperiode nicht mehr, mag das Problem für DSP vorerst gebannt sein, sollten Teile verabschiedet werden oder das Gesetz in der nächsten Legislaturperiode wieder aufgegriffen werden, war es umso wichtiger auf die Problematik für Diabetologische Schwerpunktpraxen aufmerksam zu machen und eine Korrektur des Gesetzestextes einzufordern.

Im Unterschied zu vielen Maßnahmen des GVSG hatten die Bestimmungen des GHG nur wenige Befürworter. Statt Sekundärprävention durch Medikamentierung sprachen sich Kritiker des GHG für Maßnahmen der Primärprävention und den Ansatz "Health in all policies" aus. Das fanden auch die Teilnehmenden der 29. IKK Plattform für Gesundheit, die unter dem Motto "Medikamentierung versus Prävention" am 12. November 2024 dem GHG gewidmet war.

Professor Dr. Dr. Thomas Gerlinger, Gesundheitswissenschaftler an der Universität Bielefeld, betonte in seinem Vortrag, dass fast alle großen Volkskrankheiten, wie z.B. Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen als soziales Problem zu definieren sind, das nicht allein medikamentös gelöst werden kann. Die Studienlage sei eindeutig: Gesundheit bzw. Krankheitshäufigkeit ist abhängig von drei Faktoren: Bildungsstatus, Beschäftigungsstatus und Einkommen.

Die soziale Ungleichheit von Gesundheitschancen schlage sich auch in einer erheblich geringeren sowie erheblich geringer gesunden Lebenserwartung nieder. Zudem haben Menschen mit geringerem Sozialstatus oftmals eine hohe Belastung, z.B. infolge ungesunder Arbeitsbedingungen. Gleichzeitig verfügen sie häufig über weniger Ressourcen. Darunter sind nicht nur finanzielle Möglichkeiten zu verstehen, sondern auch persönliche Eigenschaften, wie beispielsweise Gesundheitskompetenz, Selbstbewusstsein oder die Fähigkeit zur Selbstorganisation. Ein Präventionsansatz, der auf einer rein individuellen Verhaltensänderung beruht, sei nicht nachhaltig. Dafür führte der Gesundheitswissenschaftler zwei Gründe an: 1. Vulnerable Gruppen werden in unterdurchschnittlichen Maße erreicht und 2. haben vulnerable Gruppen aufgrund widriger Lebensumstände bzw. weniger Ressourcen größere Schwierigkeiten, Erlerntes im Alltag aufrechtzuerhalten. Daher laute der Leitgedanke einer modernen Gesundheitsförderung: Ressourcensteigerung und Belastungssenkung müssen ineinandergreifen. Aus Sicht von Prof. Gerlinger fehlt dem Entwurf zum GHG genau dieses Verständnis der sozialen und strukturellen Ursachen von chronischen Erkrankungen und ein Fokus auf vulnerable Gruppen sowie ein realistischer Blick auf die Grenzen von Individualprävention und Früherkennung.

Gesetzeskater

Nicht wenige mögen erleichtert sein, dass das unbeliebte GHG dem Bruch der Ampelkoalition zum Opfer fallen könnte. Laut Berliner Gerüchteküche sind auch Mitarbeiter:innen des Robert-Koch-Instituts (RKI) nicht traurig, dass das Schicksal des ebenfalls ungeliebten Gesetzes, mit dem die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung und Teile des RKI in das neu zu etablierende Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) überführt werden sollten, ebenfalls ungewiss ist.

Klarheit wünschen sich sicherlich auch diejenigen, bei denen eher Enttäuschung eingekehrt ist, dass aufgrund des Ende der Ampelkoalition die bisherigen Diskussionen und Arbeiten vergebens gewesen sein könnten und notwendige Regulierungen frühestens im Laufe des nächsten Jahres – wenn überhaupt – wieder auf die politische Agenda genommen werden.

Beispiel Pflegekompetenzgesetz: Nicht nur aus Sicht der Pflege wäre es wünschenswert, dass die neue Regierung dieses Themas ohne weitere Verzögerungen weiter vorantreibt. Auch der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe (VDBD) und die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) müssten daran ein Interesse haben. Denn in dem Entwurf des Pflegekompetenzgesetzes werden erstmalig die für die erweiterten heilkundlichen Kompetenzen der Pflegefachpersonen nach § 37 Absatz 2 Satz 2 des Pflegeberufegesetzes erforderlichen Qualifikationen u.a. für die diabetische Stoffwechsellage beschrieben. Erfreulich ist, dass hierfür auch qualifizierte (Fach-)Weiterbildungen, u.a. von Fachgesellschaften und explizit die Weiterbildung zur/zum Diabetesberater:in DDG einbezogen werden.

Soweit der Stand der Dinge am 15. November 2024 – weihnachtliche Überraschungen nicht ausgeschlossen.


Autorin:
© privat
Dr. Gottlobe Fabisch
Berlin


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (12) Seite 6-8