"Spezielle Psychotherapie bei Diabetes" heißt eine neue Weiterbildung, die in die Muster-Weiterbildungsordnung der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) aufgenommen wurde. Für diesen wichtigen Baustein im Diabetes-Management hat sich die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) stark gemacht. Kompetente psychologische Hilfe für Diabetiker fehlt leider häufig, kritisiert Prof. Dr. Dipl.-Psych. Bernhard Kulzer aus Bad Mergentheim im Interview.

Wie kam es zu dieser wichtigen Ergänzung für Menschen mit Diabetes?

Experten der DDG und der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie haben sich für diese Weiterbildung seit langem eingesetzt. Die Vorlage dazu bilden der Fachpsychologe Diabetes (DDG) und die erste Weiterbildungsordnung der Psychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz zum Thema Psychodiabetologie. Die Weiterbildung zum Fachpsychologen können wir nicht eins zu eins auf die Regelungen der Psychotherapeuten für Diabetes übertragen.

Warum nicht?

Diese Kollegen haben ja alle eigene Praxen und können nicht einfach so für 2 Jahre im Diabetesbereich arbeiten. Die Frage für uns war: Wie können wir die Berufsgruppe erreichen, die letztendlich die Psychotherapie im ambulanten Bereich abdeckt? Und die gesetzlich verpflichtet ist, die psychotherapeutische Versorgung in Deutschland sicherzustellen. Wie kann man die Psychotherapeuten im Diabetesbereich weiterbilden?

Wie lief dieses Prozedere ab?

Erstmalig hatte die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz in Kooperation mit dem Verein, der AG Diabetes und Psychologie, eine Ausbildung angeboten. Für kurze Zeit konnten die Kollegen der anderen Kammern Mitglied in Rheinland-Pfalz werden, und den entsprechenden Titel erwerben. Das geht jetzt aber nicht mehr. Besonders die Weiterbildung ist Ländersache und kann nur von den entsprechenden Landespsychotherapeutenkammern durchgeführt werden. Die Bundespsychotherapeutenkammer bildet mit der Muster-Weiterbildungsordnung den Rahmen für die einzelnen Weiterbildungsordnungen der Länder.

Und das ging alles so einfach?

Nein. Das war ein langjähriger Prozess innerhalb der Psychotherapeutenkammern, ob es eine spezielle Weiterbildung auch für körperliche Erkrankungen geben soll. Aber erfreulicherweise hat die BPtK dann mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen, dass die "Spezielle Psychotherapie bei Diabetes" als einzige körperliche Erkrankung in die Muster-Weiterbildungsordnung aufgenommen wurde.

Wie geht es jetzt weiter, was die Umsetzung in den Ländern betrifft?

An der Muster-Weiterbildungsordnung sollen sich die Länderkammern orientieren, damit die Abschlüsse vergleichbar sind. Unsere Aufgabe ist es jetzt, diese Weiterbildung in den Ländern zu forcieren. In jedem Bundesland muss eine Weiterbildungsstätte konzipiert werden – mit Weiterbildungsbeauftragten, um das Ganze dann tatsächlich in die Breite zu bringen. Besonders wichtig ist hier: Es gab und gibt einen ganz engen Schulterschluss zwischen der DDG und den Landestherapeutenkammern. Für die Erweiterung der Muster-Weiterbildungsordnung der Psychologischen Psychotherapeuten hat die Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, wie erwähnt, lange gekämpft und wurde stark von Diabetologen und Endokrinologen unterstützt.

Welche inhaltlichen Unterschiede gibt es zum Fachpsychologen Diabetes (DDG)?

Derzeit gibt es in Deutschland 171 Fachpsychologen DDG und 55 Psychodiabetologen, die diesen Titel von der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz erhalten haben. Die wichtigste Unterscheidung zum Fachpsychologen DDG ist, dass diese Weiterbildung ähnlich konzipiert wurde wie die des Diabetologen DDG: Ein Psychologe muss als Voraussetzung für die Weiterbildung zum Fachpsychologen 2 Jahre in Vollzeit oder 4 Jahre in Teilzeit bereits in einer Institution gearbeitet haben, die Diabetespatienten behandelt. Bei den Psychodiabetologen können wir das, wie eingangs erklärt, nicht fordern, weil das unrealistisch wäre. Sie müssten ja ihren normalen Praxisbetrieb dafür aufgeben. Deshalb haben wir gesagt: Sie müssen sich in einer mindestens 1,5-jährigen Weiterbildung die Kompetenzen aneignen, die für eine Psychotherapie mit Menschen mit Diabetes notwendig sind.

Was heißt das genau?

Die Anforderungen der Weiterbildung orientieren sich ja nicht nur an der älteren DDG Fortbildung, sondern auch an der seit 2004 bestehenden Weiterbildungsordnung der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz. Die nun beschlossene Ergänzung der Muster-Weiterbildungsordnung umfasst eine mindestens 18-monatige Zusatzweiterbildung für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit Theorievermittlung, 180 Behandlungsstunden unter Supervision und eine Hospitation in einer Einrichtung, die auf diabetologische Behandlungen spezialisiert ist. Wir denken, dass dies bei den Teilnehmern zu einer hohen Expertise in Sachen Diabetes führt.

Diabetesexperten sprechen ja seit langem von einem enormen Versorgungsbedarf, was die psychologische Betreuung von Diabetikern angeht. Wie schlimm ist die Situation?

Man geht davon aus, dass zwischen 15 und 25 Prozent aller Patienten eine psychische Komorbidität wie Depressionen, Ängste, Essprobleme aufweist. Betrachtet man die Leitlinien und die Erfahrungen aus der Praxis, lässt sich erkennen, dass sich unterm Strich die Prognose des Diabetes deutlich verschlechtert, wenn der Patient zusätzlich noch eine psychische Erkrankung hat. Wir wissen zudem, dass die Prognose des Patienten schlechter wird, wenn eine Depression oder Ängste vorliegen, weil dies mit einem erhöhten und oft lange andauernden psychischen Stress einhergeht. Dies wiederum führt dazu, dass in den Blutgefäßen inflammatorische Prozesse aktiviert und verstärkt werden. Dieser Dauerstress wirkt wie ein Brandbeschleuniger, schädigt die Gefäße und begünstigt diabetische Folgeerkrankungen. Das erklärt auch, warum Patienten mit Depressionen eine deutlich reduzierte Lebenserwartung haben – im Vergleich zu Menschen mit Diabetes ohne Depression.

Welche konkreten Auswirkungen hat die psychische Erkrankung auf das Diabetes-Management?

Auf der Verhaltensebene zeigt sich, dass sich die Patienten nicht mehr so um ihren Diabetes kümmern können, was in der Regel auch die Diabeteseinstellung verschlechtert. Aber allein weil sich psychische Erkrankungen auch auf die Organfunktionen auswirken, sollte man sie bei Diabetes sehr ernst nehmen und frühzeitig behandeln.

Der Diabetespatient wird in der Regel ambulant vom Hausarzt oder vom Diabetologen betreut. Wo genau soll hier die neue Weiterbildung implementiert werden?

Derzeit existiert ja in ambulanten Einrichtungen so gut wie keine psychologische Betreuung bei Diabetes. Es gibt die Schwerpunktpraxis und es gibt den Hausarzt. Wird ein psychisches Problem vermutet, machen diese bislang in der Regel das, was sie meistens in solch einem Fall machen: Den Patienten zu einem Psychotherapeuten oder Psychologen schicken. Dieser weiß vom Diabetes aber meist relativ wenig oder gar nichts. Menschen, die psychische Probleme wegen des Diabetes haben, fühlen sich dort also nicht sehr gut verstanden und in Bezug auf den Diabetes unterstützt.

Der Therapeut muss aber die Zusammenhänge des Diabetes kennen und auch über die neuen Diabetes-Technologien Bescheid wissen, und warum die Belastungen des Diabetes irgendwann zu Depressionen führen können. Deshalb wollen wir ausgebildete Psychotherapeuten, die niedergelassen sind, weiterbilden. Damit wir irgendwann sagen können: Es gibt einen Schwerpunkt Diabetes, wie schon einen Schwerpunkt Neuropsychologie nach Schlaganfall. So kann der Hausarzt oder die Schwerpunktpraxis den Patienten künftig zu dem Psychotherapeuten überweisen, der sich mit Diabetes auch auskennt.



Das Interview führte Angela Monecke
Redaktion Diabetes-Forum, Kirchheim-Verlag
Kaiserstraße 41, 55116 Mainz
Tel.: 06131/96070-0, Fax: 06131/9607090

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2017; 29 (10) Seite 6-8