Endlich politisch gegen den Anstieg von Adipositas und Diabetes vorgehen. Das forderten zum wiederholten Male die Experten der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), diesmal bei der DDG- Jahrespressekonferenz 2021, die im März virtuell stattfand.

Die Fakten sind seit langem bekannt: Stark übergewichtige Menschen entwickeln 6 bis 10 mal so häufig einen Typ-2-Diabetes wie normalgewichtige Personen, täglich erkranken mehr als 1000 Menschen neu an Diabetes, fast jeder fünfte Todesfall hängt mit einer Diabeteserkrankung zusammen.

Die Nationale Diabetes-Strategie (NDS) war im Juli 2020 durch einen Beschluss des Bundestags endlich auf den Weg gebracht worden – mit dem Auftrag an die Bundesregierung, zügig die in dem Papier geforderten Maßnahmen umzusetzen. „Es war ein jahrelanges zähes Ringen und Kämpfen, dass diese Strategie mal an den Start geht“, so Kellerer. Ein „großes Kapitel“ der NDS nehme die Prävention von Adipositas und Diabetes ein.

Gezielte Maßnahmen sollen ergriffen werden, um übergewichtige und adipöse Menschen möglichst frühzeitig zu erreichen. Starkes Übergewicht ist in Deutschland – anders als in den meisten europäischen Staaten und bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – jedoch noch nicht als Erkrankung anerkannt.

DMP Adipositas: gute Sache!

Als „Lichtblick“ bei der Umsetzung der NDS bezeichnete Kellerer deshalb den Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG). Das Bundesgesundheitsministerium plant hier, zur Entwicklung eines neuen Disease-Management-Programms (DMP) Adipositas den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zu beauftragen. Dieser Auftrag an das Gremium dürfte denn auch den Weg in die Regelversorgung frei machen.

DMP Typ 2 als Vorbild

Die DDG-Präsidentin dazu: „Damit wäre in der Tat ein wichtiger Baustein der NDS adressiert, denn im Rahmen eines solchen DMP hätten Menschen mit Adipositas die Möglichkeit einer kontinuierlichen, strukturierten, qualitätsgesicherten Versorgung und Behandlung in einem multimodalen und multiprofessionellen Behandlungssetting über alle Sektoren der Versorgung im Gesundheitssystem hinweg.“

Bereits bei den DMP Typ-2-Diabetes würde man seit vielen Jahren gute transsektorale Strukturen und multiprofessionelle Behandlungsteams vorhalten, die auch für ein DMP Adipositas optimal genutzt werden könnten, erläuterte sie.

Im Rahmen der Diabetes-Strategie wird die Bundesregierung zu mehreren Maßnahmen rund um Adipositas angehalten: die Prävention und die Versorgungsforschung zu Adipositas und Diabetes deutlich vorantreiben, bei der Bundesärztekammer darauf hinwirken, dass Adipositas in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung verstärkt berücksichtigt wird und eine individuelle mulitmodale und interdisziplinäre Versorgung von Menschen mit Adipositas zu Lasten der Krankenkassen ermöglichen.

Die DDG begrüße zwar diese wesentlichen Elemente der NDS, die geforderte zügige Initiierung sei bisher jedoch nicht erkennbar. „Wir hätten uns deutlich mehr Tatendrang und Tempo gewünscht“, so Kellerer. „Gerade im Kapitel der Prävention bleibt der Antrag schwammig.“

Verarbeitete Lebensmittel: die Hälfte weniger Zucker!

Als effektive Prävention von Adipositas und Diabetes sieht die DDG u.a. die signifikante Reduktion des Zuckergehalts von verarbeiteten Lebensmitteln um 50 Prozent, das Werbeverbot für ungesunde Produkte an Kinder und die Besteuerung stark zuckerhaltiger Erfrischungsgetränke. All diese Forderungen – übrigens alles auch Empfehlungen der WHO – seien bei uns noch immer nicht umgesetzt, kritisierte Prof. Dr. Monika Kellerer.

In Deutschland habe man stattdessen auf eine freiwillige Zuckerreduktion durch die Hersteller gesetzt, was der DDG von vornherein nicht weit genug ging. Produkte für Kinder enthielten deshalb weiterhin oft die höchsten Zuckeranteile.

Neue Erkenntnisse zu COVID-19 und Diabetes

Im Jahr 2 der Corona-Pandemie durfte ein Thema natürlich nicht fehlen: COVID-19 und Diabetes. Doch was weiß man heute über Risiken und Auswirkungen der Pandemie für Menschen mit Diabetes? Eines ist Fakt: Allein das Vorliegen eines Diabetes entscheidet nicht allein über den Verlauf einer COVID-19-Erkrankung.

Dass der Diabetes auch mit vielen diabetesbedingten Komplikationen einhergeht, ist bekannt. Dazu zählen Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen, aber auch starkes Übergewicht, das bei Typ-2-Diabetes deutlich häufiger auftrtritt. Die Gefahr, bei einer SARS-CoV-2-Virusinfektion einen ungünstigen Krankheitsverlauf zu nehmen, erhöhe sich dadurch, sagte Prof. Dr. Wolfgang Rathmann vom Institut für Biometrie und Epidemiologie am DeutschenDiabetes-Zentrum (DDZ), Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung an der Heinrich-Heine-Universiät Düsseldorf. Der Diabetes Typ 2 betreffe auch meist ältere Patienten – ein weiterer Risikofaktor für einen schweren Verlauf.

Virtuelle Jahrespressekonferenz der DDG mit Themen wie COVID-19 und Diabetes und einem neuen DMP Adipositas.

Ist der Glukosestoffwechsel zudem ungenügend eingestellt, verschlechtert dies die Prognose zusätzlich. Neue Studien haben gezeigt, dass Diabetespatienten mit einem konstant normalen oder nur leicht erhöhten Blutglukosewert während eines COVID-bedingten Klinikaufenthalts ein sehr viel geringeres Sterberisiko hatten als Patienten mit schlechten Werten. Interessant: „Überhöhte Blutglukosewerte waren auch bei Menschen ohne zuvor bekannten Diabetes ein Risikofaktor für schwere oder sogar tödliche COVIDVerläufe“, so Rathmann.

Die Messung des Nüchtern-Blutzuckers und die Verlaufskontrolle seien daher bei allen stationären COVID-19-Patienten zu empfehlen – auch wenn kein Diabetes bekannt sei, sagte der Forscher. „Der Zusammenhang zwischen der Blutglukoseeinstellung und dem Verlauf einer COVID-19-Erkrankung macht deutlich, wie wichtig Prävention und Früherkennung eines Diabetes Typ 2 gerade während der Pandemie sind“, betonte nochmals Monika Kellerer.

Die Früherkennung habe in der ersten Phase der Corona-Pandemie jedoch besonders gelitten – eine der indirekten Folgen des Lockdowns im Frühjahr 2020, Davon betroffen waren auch Typ-1-Diabetes-Patienten. Offenbar habe sich die Erstdiagnose des Typ 1 bei Kindern und Jugendlichen verzögert, so Rathmann. Ein wesentlich größerer Anteil von ihnen wies daher schon bei der Diagnose schwere Blutzuckerentgleisungen auf.

Warnsignale erkennen!

„Eltern und Personen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, sind aufgefordert, Warnsignale einer Diabetesmanifestation wie gesteigerten Durst, Harndrang und Müdigkeit ernst zu nehmen“, riet er.


Autorin:
Angela Monecke
Redaktionsbüro Angela Monecke
Kopenhagener Str. 74, 10437 Berlin


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2021; 33 (4) Seite 6-7