Der Bundestag hat den Weg für Vorhaltepauschalen zur Krankenhausfinanzierung freigemacht. Die DDG mahnt schon mal, dass diese Pauschalen auch kostendeckend sein müssen – sonst drohe ein weiterer Abbau der sprechenden Medizin.
Der Deutsche Bundestag ist Gesundheitsminister Karl Lauterbach gefolgt und hat den Sprung ins kalte Wasser der Krankenhausreform gewagt. Mit 373 zu 285 Stimmen verabschiedete das Parlament am 17. Oktober das handlich benannte Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG). Nun kann der Minister hoffen, dass die Groß-Reform wie geplant mit Beginn des neuen Jahres in Kraft tritt. Die Kritiker dagegen setzen ihre Hoffnung auf den Bundesrat, der sich voraussichtlich Ende November mit dem Gesetz beschäftigen wird und mit Anrufung des Vermittlungsausschusses eine weitere Runde an Änderungen starten könnte.
Zu den Kritikern zählt die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Anlässlich der Lesung des KHVVG im Deutschen Bundestag wandte sie sich mit deutlichen Worten gegen die geplante Reform. Sie sieht in den aktuellen Plänen keine Perspektive für die zukünftige Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung. "Bestehende Strukturen werden schlecht geredet, zudem bietet die Krankenhausreform kein umfassendes neues Konzept, um die medizinisch notwendige Diabetesversorgung der etwa jährlich drei Millionen Klinikpatienten mit Diabetes zukünftig sicherzustellen", warnte DDG-Präsident Prof. Dr. med. Andreas Fritsche.
Ein zentraler Kritikpunkt der Fachgesellschaft ist die fehlende Klarheit zur Finanzierung der Weiterbildung und Qualifikation von Personal, ohne die es perspektivisch keine qualitativ auskömmliche Versorgung geben kann. "Die Reform nimmt sich die Verbesserung der Krankenhausversorgung vor, doch ohne ausreichende Weiterbildungsmöglichkeiten wird dieses Ziel unerreichbar bleiben", so Fritsche. "Der Gesetzgeber muss Krankenhäusern adäquate finanzielle sowie personelle Ressourcen zugestehen, damit Weiterbildung keine Randerscheinung, sondern das Kernstück der Reform wird." Für die Diabetologie gehöre dann auch dazu, dass die fachärztliche Zusatzbezeichnung "Diabetologin/Diabetologe DDG" als Qualitätskriterium in der Leistungsgruppe "Endokrinologie/Diabetologie" verankert wird. Nur so könne eine einheitliche und leitliniengerechte Versorgung sichergestellt und dem steigenden Bedarf an Diabetesexpertise adäquat begegnet werden, um diabetesbedingte Komplikationen während eines Krankenhausaufenthaltes zu vermeiden.
Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) hatte sich nach der Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags Ende September zufrieden damit geäußert, dass ihr wiederholter Hinweis auf die negativen Auswirkungen der Krankenhausreform auf die ärztliche Weiterbildung offensichtlich Früchte getragen habe. "Die Abgeordneten gaben mit ihren Fragen zu verstehen, dass sie der ärztlichen Weiterbildung in der Reform die gebührende Beachtung schenken", so der Eindruck der Internisten. Laut Bundesärztekammer ist mit den letzten Änderungen am Gesetz nach dieser Anhörung ein Prüfauftrag für eine Berücksichtigung der ärztlichen Weiterbildung bei der Krankenhausvergütung vorgesehen. Die Kammer begrüßte dies, forderte aber zugleich in die Entwicklung der notwendigen Konzepte eng eingebunden zu werden, damit die dabei geplante Orientierung an der Qualität der Weiterbildung tatsächlich gelingt.
Die DDG erinnerte daran, dass Minister Lauterbach die Fallpauschalen in der Klinikfinanzierung vor 20 Jahren selbst mit eingeführt hat. Die nun versprochene und eigentlich unisono im Ansatz gelobte Abschaffung der Fallpauschalen unterbleibt mit dem Gesetz nach Meinung der Fachgesellschaft. "Die neu geschaffenen Vorhaltepauschalen sind hier nur ein Feigenblatt" monierte Fritsche. Ob die beschlossene Aufteilung in 40 Prozent Fallpauschalen und 60 Prozent Vorhaltepauschalen für das Fach Diabetologie passt, ist laut dem Diabetologen fraglich: "Die Vorhaltevergütung muss auskömmlich finanziert werden, vor allem für Fächer der Sprechenden Medizin wie der Diabetologie, die im bisherigen DRG-System unterfinanziert waren", fordert Fritsche. Dies gelte vor allem für die Personalbemessung und -planung für Mediziner sowie für die in der Diabetologie essenziellen Beratungsberufe. Die letzten Änderungen am Gesetzentwurf sollen laut Bundesärztekammer (BÄK) auch eine umfassende ärztliche Personalbemessung in die Reform integrieren. "Dies ist ausdrücklich zu begrüßen, denn die Personalausstattung ist der Dreh- und Angelpunkt für eine qualitativ hochwertige und verlässliche Patientenversorgung", betont sie. Die Bundesärztekammer hat nach eigenen Angaben mit der Entwicklung ihres ärztlichen Personalbemessungssystems (ÄPS-BÄK) die notwendigen Voraussetzungen für eine gesetzliche Verankerung geschaffen und hat angekündigt, den weiteren Einführungsprozess intensiv begleiten.
"Lernendes System" soll Diabetes im Blick behalten
Laut Fritsche wäre es außerdem notwendig, im Zuge des angekündigten Evaluationsauftrags immer auch zu prüfen, ob die Aufteilung zwischen Vorhalte- und Fallpauschalen noch so aktuell ist. "Hier nehmen wir die Regierungskoalition beim Wort, dass dies ein ‚lernendes System‘ ist. Denn immer mehr Menschen erkranken an Diabetes und dessen Folgeerkrankungen. Somit steigt auch der Bedarf einer kostendeckenden stationären Diabetesversorgung, die nur über Vorhaltepauschalen vernünftig funktioniert."
Die Klinikreform sei schon seit Jahren überfällig, die Eile im Gesetzgebungsendpurt kritisierte Fritsche aber. "Wenn allerdings wichtige Bausteine einer sorgenden und menschlichen Beziehungsmedizin vor lauter Ökonomisierung zu kurz kommen, wird dabei die Qualität der Versorgung leiden. Es ist besorgniserregend, dass die vom Bundesgesundheitsministerium zugesicherte Auswirkungsanalyse vor Gesetzesverabschiedung nicht mehr stattfinden wird. Wir wissen also nicht, ob und was die Reform für die Patientenversorgung und für Klinikpersonal wirklich bringt – ein Blindflug durch die kommenden Jahre", so Fritsche.
Der Abstimmung im Bundestag war eine hitzige Debatte vorausgegangen. Lauterbach hob die Bedeutung der Krankenhausreform hervor, die nach zweieinhalb Jahren Beratung verabschiedet werde und sprach von einer historischen Reform. Die Veränderungen seien überfällig und dringlich, denn der Krankenhaussektor befinde sich in der Krise. Zwar habe Deutschland die teuerste Krankenhausversorgung Europas, aber nicht die beste. Die Behandlungsqualität bei wichtigen Eingriffen wie Krebs sei mittelmäßig. Jedes dritte Bett stehe leer. Es gehe darum, eine moderne, qualitativ hochwertige Krankenhausversorgung zu schaffen. Er betonte: "Wir brauchen diese Reform, und zwar jetzt."
Einig nur über Reformbedarf
Für CDU/CSU gestand Tino Sorge zu, dass eine Struktur- und Finanzreform im Krankenhaussektor sinnvoll sei, allerdings sei die Herangehensweise "eine Farce". Er hielt Lauterbach vor, sich weder mit den Kliniken noch mit den Ländern ausreichend abgestimmt zu haben, die für die Krankenhausplanung zuständig sind. Er erinnerte daran, dass der Gesetzentwurf ursprünglich im Bundesrat zustimmungspflichtig sein sollte. Und er rügte auch, dass die versprochene Auswirkungsanalyse nicht vorliege. Es sei eine Frechheit, dass diese Analyse offenbar insbesondere der Opposition vorenthalten werde. Sorge mutmaßte, die jetzt geplante Reform werde nicht funktionieren. Gefährdet sei vor allem die Versorgung im ländlichen Raum. Zudem drehe sich in den Krankenhäusern das berüchtigte Hamsterrad weiter. Für die Unionsfraktion forderte er eine Übergangsfinanzierung, um ein unkontrolliertes Krankenhaussterben zu verhindern
In der namentlichen Abstimmung im Bundestag zeigte sich die Ampelkoaltition dann einig, außer je einer Nein-Stimme aus der SPD- und der FDP-Fraktion stimmten die Regierungsparteien ihrem Enwurf zu. Einige waren sich auch die Oppositionsparteien in ihrer Ablehnung; Enthaltungen gab es nur eine, un zwar des fraktionslosen Stefan Seidler vom Südschleswigschen Wählerverband.
Und die ambulante Praxis?
Einen auch für die Diabetologie wichtigen Punkte mahnte die Bundesärztekammer Anfang Oktober für die Gespräche über eine konsensfähige und umsetzbare Reform im verbleibenden parlamentarischen Verfahren an: "Dabei müssen auch die Auswirkungen der Krankenhausreform auf die ambulante Versorgung sorgfältig in den Blick genommen werden. Das gilt nicht zuletzt mit Blick auf die weiteren Absichten zur ambulanten Leistungserbringung durch Krankenhäuser. Sektorenverbindende Versorgung kann nur gelingen, wenn für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenhäuser faire Bedingungen gelten und die Versorgung im gegenseitigen Einvernehmen gemeinsam gestaltet wird", betonte die BÄK.
Laut Koaltitionsvertrag soll eigentlich die ambulante Versorgung gestärkt werden. "Das ist ja ohnehin eine Worthülse, die von vielen Gesundheitspolitikern seit vielen Jahren immer bemüht wird. Die Realität sieht leider komplett anders aus", beklagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Dr. med. Andreas Gassen. Ambulantisierung werde von den meisten offensichtlich nur dahingehend interpretiert wird, dass man Krankenhäuser für ambulante Leistungen öffnen will. "Das ist natürlich nicht das, was Ambulantisierung eigentlich bedeutet, sondern man würde ja normalerweise sagen, wir definieren Leistungen, die grundsätzlich ambulant zu erbringen sind. Und dann sollen bitte diejenigen die Leistung erbringen, die das können, wollen und dafür auch befähigt sind. Das werden im Einzelfall sicher auch mal Krankenhäuser sein können, aber natürlich in erster Linie ambulante bestehende Strukturen. Krankenhäuser sind per Definition eigentlich für stationäre Behandlungen gedacht", plädierte er für eine klare Aufgabentrennung.
Klagen drohen
Auch wenn die Klinikreform ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat kommen sollte, ist ruhiges Fahrwasser für die Neustrukturierung nicht erreicht: Einige Bundländer haben angekündigt, dass sie gegen die Krankenhausreform klagen werden. Die Krankenkassen haben Bedenken angemeldet aufgrund der Verpflichtung, in den Transformationsfonds einzuzahlen. Und die KBV hat eine EU-Beschwerde eingereicht, weil aus ihrer Sicht der Transformationsfonds eine deutliche Ungleichbehandlung von stationärem und ambulantem Bereich darstellt. Die Operation am offenen Krankenhaus-Herz wird also weitergehen.
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (11) Seite 6-8