Die kontinuierliche Glukosemessung mit Real–Time–Messgeräten (kurz: CGM) ist für insulinpflichtige Diabetiker Kassenleistung. Diese Regelung gilt seit September 2016 – mit dem Inkrafttreten des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Seither werden viele Menschen mit Diabetes ohne Probleme mit der CGM und den dafür notwendigen Sensoren versorgt. Einige Krankenkassen verzichten bei der Kostenübernahme sogar komplett auf die Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Anders sieht die Situation in Bayern und Hessen aus.

CGM-Beschluss schuf Klarheit bei der Kostenübernahme
Mit der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom Juni 2016, die im September in Kraft trat, folgte der G-BA der Empfehlung seines Unterausschusses Methodenbewertung, der eine Kostenübernahme befürwortete.

Der Beschluss gilt für alle insulinpflichtigen Patienten mit Diabetes mellitus unter intensivierter Insulinbehandlung - "insbesondere, wenn sie geschult sind (…) und die Therapieziele nicht erreicht werden können".

Diese Entscheidung gilt unter Diabetesexperten bis heute als wichtiger Meilenstein in der Therapie des Diabetes mellitus und als "Segen" für die Patienten". Denn sie erleichtert Diabetikern unter Insulintherapie die Teilhabe an Bildung und Arbeit und bringt ihnen ein großes Stück Lebensqualität, vor allem auch für die betroffenen Kinder.CGM- Systeme ermöglichen die Überwachung der Glukoseänderungen im Körper rund um die Uhr. Sie bestehen aus einem Sensor, der im Unterhautfettgewebe liegt. Alle fünf Minuten wird ein Messwert des Gewebezuckers drahtlos an einen Empfänger übermittelt, der diese Werte in Echtzeit aufnimmt und anzeigt.

Ändert sich die Stoffwechsellage und sinken oder steigen die Glukosewerte unterhalb oder oberhalb von vorgegebenen Grenzwerten, wird automatisch Alarm ausgelöst und der Patient entsprechend informiert.

Vor dem G-BA-Beschluss wurden die Kosten für ein CGM-System nur in Einzelfällen übernommen, etwa im Fall einer Schwangerschaft oder bei häufigen Unterzuckerungen. Diese Kostenübernahmen waren vielfach von rechtlichen Auseinandersetzungen begleitet, die bis vor das Bundessozialgericht führten. Der G-BA-Beschluss hat hier Klarheit geschaffen.

Der G-BA-Beschluss legt klar fest: CGM-Systeme im ambulanten Bereich können für Diabetiker mit einer intensivierten Insulintherapie (Pen oder Pumpe) von den Kassen verordnet werden, wenn das zwischen Patient und Arzt vereinbarte Therapieziel nicht erreicht wird. Dies gilt für Typ-1- und Typ-2-Diabetes.

Probleme haben hier seit längerem allerdings Diabetiker in Bayern und Hessen, wenn sie dort ein CGM-System bei ihrer zuständigen Krankenkasse beantragen. "Die Ablehnungen beziehen sich dabei immer auf eine negative Empfehlung des MDK", erklärt Sabine Westermann vom Rechtsberatungsnetz des Deutschen Diabetiker Bundes (DDB), was für sie in keinem Punkt nachvollziehbar ist.

Heute weiß man: Durch die CGM lassen sich Blutglukoseselbstmessungen verringern und die Stoffwechsellage langfristig verbessern, ohne dass dabei das Risiko schwerer Unterzuckerungen in Kauf genommen werden muss. Dies gilt vor allem dann, wenn die festgelegten individuellen Therapieziele zur Stoffwechseleinstellung ohne CGM-Nutzung nicht erreicht werden können. Mit Hilfe der kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung kann die Blutzuckereinstellung bei Diabetikern, die auf eine intensivierte Insulintherapie angewiesen sind, also deutlich verbessert werden. Denn selbst häufige Blutglukoseselbstmessungen mittels Teststreifen reichen manchmal nicht aus, um gefährliche Unter- oder Überzuckerungen zu vermeiden.

So weit die Fakten. Doch der MDK in Bayern und Hessen hält Diabetikern immer wieder vor, dass "aussagekräftige Unterlagen" seitens des Antragsstellers, also des Patienten, fehlen würden, die der Medizinische Dienst der Krankenversicherung zur Begutachtung benötige, um über eine Antragstellung entscheiden zu können.

Als Argument wird hier vor allem ins Feld geführt, dass Blutzuckertagebücher nicht "ordnungsgemäß" geführt worden seien. Häufig behauptet der MDK auch, dass die Stellungnahmen des behandelnden Diabetologen, die der Patient eingereicht hat, nicht die erforderlichen Informationen, wie Angaben über das angestrebte Therapieziel, enthielten. Daraus leitet der Medizinische Dienst dann ab, dass ein CGM-System gar nicht notwendig ist. "Viele Kassen übernehmen diese Empfehlung leider unkritisch", erklärt Westermann.

Mit diesem brisanten Thema hat sich auch das Sozialgericht Nürnberg in seinem Urteil vom 26. Januar 2017 (Aktenzeichen: S 11 KR 138/13, hier online abrufbar) auseinandergesetzt, das sich auf den MDK Bayern bezieht.

Auch hier hatte die Krankenkasse in einem jahrelangen Rechtsstreit die Versorgung eines Typ-1-Diabetikers mit einem CGM-Gerät abgelehnt, obwohl die kontinuierliche Glukosemessung längst per G-BA-Beschluss in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse aufgenommen worden war.

Gestörte Hypo-Wahrnehmung – trotzdem kein CGM?

Der MDK kritisierte in diesem Fall, dass der Diabetiker, der mit seinem Anliegen bis vors Sozialgericht zog, angeblich eine "unzureichende Therapiedokumentation" vorgelegt habe. Die beklagte Kasse berief sich hier auf den MDK Bayern und vertrat den Standpunkt, dass trotz der unstrittig vorliegenden Hypoglykämiewahrnehmungsstörung des Patienten bei "adäquater Dokumentation und bei entsprechend häufigen BZ-Kontrollen mit adäquater Therapieanpassung eine Verbesserung der Stoffwechseleinstellung mit Reduktion der Hypoglykämien erreicht werden könne".

Die Wahrnehmungsstörung war nach Aussage des behandelnden Diabetologen aufgrund der langen, 28-jährigen Diabetesdauer aufgetreten. Der Vorteil der CGM hierbei: Sie misst über einen Sensor kontinuierlich den Glukosegehalt in der interstitiellen Flüssigkeit des Unterhautfettgewebes – z.B. am Bauch – und sendet die Werte an ein kleines, tragbares Empfangsgerätt. Auf dessen Display kann der Diabetes-patient jederzeit den aktuellen Glukosewert sowie den momentanen Trend ablesen und so rechtzeitig durch Nahrungsaufnahme oder Insulingabe einer Stoffwechselentgleisung entgegensteuern.

Mit den individuell einstellbaren Alarmmeldungen am CGM-Gerät, die vor Über- oder Unterzuckerungen warnen, ist zudem eine rechtzeitige Reaktion möglich, wie Anpassung der Insulindosis oder der Konsum entsprechender Kohlenhydrate.

Von den technischen Raffinessen moderner CGM-Systeme zeigte sich der MDK Bayern unbeeindruckt und gab stattdessen eine absurde Empfehlung: die Blutzuckerwerte des Patienten zu erhöhen, um seine Hypoglkämiewahrnehmung zu verbessern. Aber ohne zu bedenken, dass der Typ-1-Diabetiker, bei dem bereits eine diabetische Retinopathie vorlag, eine Verschlechterung seiner Sehkraft somit riskiert – nur um Hypos zu vermeiden.

Das Sozialgericht Nürnberg widersprach jedoch ausdrücklich den Ausführungen der Kasse, die sich auf die Stellungnahmen des MDK Bayern bezogen hatte. Da die Diagnose einer schwere Hypoglykämiewahrnehmungsstörung unstreitig war, konnten nach Ansicht des Gerichts aus weiteren Bluzuckerdokumentationen ohnhin keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden.

Das Sozialgericht stellte außerdem klar, dass die CGM – neben der Krankenbehandlung – aufgrund ihrer Warnfunktion vor Unterzuckerungen auch dem Behindertenausgleich und der Vorbeugung weiterer Behinderungen des Patienten diene.

Kasse muss CGM zahlen

Die Kasse wurde dazu verurteilt, den klagenden Diabetespatienten mit einem kontinuierlichen Glukosemonitoring-System (Dexcom G4 bzw. G5 Starterset) – neben dem erforderlichen Zubehör und dem notwendigen laufenden Verbrauchsmaterial – zu versorgen.

Von dieser deutlichen Entscheidung des Sozialgerichts Nürnberg sind die Medizinischen Dienste in Bayern und Hessen offenbar unbeeindruckt – und legen sich bei der CGM-Verordnung weiter quer.

Unsinniger Konsensus

In einem relativ neuen Papier – dem sog. "Konsensus zur Indikationsstellung für Kontinuierliche Interstitielle Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten" des MDK und der Fachkommission Diabetes in Bayern (FKDB) vom August 2017 – stellen sie sogar unangemessen hohe Anforderungen an Patienten, deren Diabetologe ihnen ein CGM-System verschrieben hat. Der G-BA-Beschluss sieht diese Forderungen aber gar nicht vor (vgl. hier). So soll der Patient ein Blutzuckerprotokoll über mindestens 4 Wochen mit mindestens 4 Messungen pro Tag vorlegen. "Zur Beurteilung der Zielerreichung, also des therapeutischen Nutzens" sei es zudem "sinnvoll, einen Beurteilungszeitraum nach circa 6 Monaten heranzuziehen", heißt es weiter.

"Da der G-BA-Beschluss die Verordnung eines CGM ausschließlich den entsprechend qualifizierten Ärzten vorbehält, ist weder bei einer Erstverordnung noch bei einer Folgeverordnung ersichtlich, wieso der Diabetiker weiterhin detaillierte Blutzuckerdokumentationen vorlegen soll", kritisiert Rechtsanwältin Westermann.

Erprobungsphase? G-BA braucht sie nicht!

Erhebliche Bedenken hat sie auch bei der angedachten "Erprobungsphase" über 6 Monate. Nach den "Tragenden Gründen" der G-BA-Entscheidung vom 16. Juni 2016 wurde genau diese, seitens des GKV-Spitzenverbands vorgeschlagene Erprobungsphase der CGM – mit anschließender Überprüfung der Zielerreichung – nicht weiterverfolgt und sogar gestrichen (vgl. Seite 43 ff. der Tragenden Gründe, hier online abrufbar ).

Warum der Konsens nun ausgerechnet diese 6-monatige Probezeit nun enthält, ist für Sabine Westermann nicht nachvollziehbar. "Eine Erprobungsphase mit anschließender Nachprüfung regelmäßig ausschließlich nach Aktenlage durch den MDK durchzuführen, ist nicht erforderlich und führt nur zu unsinnigem bürokratischen Aufwand für den Patienten sowie dem behandelnden Arzt." Eine zusätzliche Verpflichtung des Patienten, einen Erfolg gegenüber dem MDK bzw. der Kasse nachzuweisen, sei deshalb ausdrücklich abzulehnen.

Genau diese mehrmonatige Erprobungsphase führt auch bei der Insulinpumpenverordnung immer wieder zu Problemen. "Wird die Kostenübernahme für die Pumpe mangels angeblicher Zielerreichung abgelehnt, folgt für den Diabetiker ein Widerspruchsverfahren, in dem er sich umfangreich rechtfertigen muss, wieso er weiterhin darauf angewiesen ist", berichtet die Anwältin. Ähnliche Erfahrungen mit der Erprobungsphase bei der CGM seien auch künftig zu befürchten. "Wir haben hier die Erfahrung gemacht, dass den Diabetikern durchaus vorgehalten wird, noch zu viele niedrige oder zu viele hohe Werte erreicht zu haben, auch wenn es mit einer CGM zu keinen schweren Hypoglykämien mit Fremdhilfe mehr gekommen ist."

Sabine Westermann kommt zu dem Schluss: Weder der MDK Bayern noch die FKDB sind dafür zuständig, den Beschluss des G-BA zur CGM ‚nachzuschärfen’".



Autorin: Angela Monecke
Redaktion Diabetes-Forum, Kirchheim-Verlag
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2018; 30 (1/2) Seite 6-8