Wer sich zu Gesundheitsthemen informieren möchte, tut das heute ganz selbstverständlich auch im Internet: 96% der Deutschen konsultieren „Dr. Google“ bei Gesundheitsfragen, 53% mindestens einmal pro Monat, jeder Sechste sogar wöchentlich. Gleichzeitig tun sich zwei Drittel der Nutzer nach eigenen Angaben schwer damit zu erkennen, wie verlässlich die aufgerufenen Informationen sind. Fast jeder Dritte verschweigt seinem Arzt, dass er sich bereits im Internet informiert hat. Diese Zahlen der Bertelsmann-Stiftung zeigen das Potenzial, aber auch die Probleme der neuen Informationswege auf.

Die Gesundheitskompetenz der Patienten gilt heute als wichtige Stellschraube in der Medizin. „Wer in dieser Hinsicht kompetent ist, muss seltener im Krankenhaus behandelt werden und verfügt in bestimmten Fällen sogar über eine geringere Sterblichkeit“, sagt Professor Dr. med. Friedrich Ihler, Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde der Ludwig-Maximilians-Universität München, im Vorfeld einer Pressekonferenz anlässlich der 90. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC) am 28. Mai 2019 in Berlin. Diese Kompetenz umfasst beispielsweise die Fähigkeit, Beipackzettel für Medikamente und dort beschriebene Verhaltensanweisungen richtig zu interpretieren, aber auch, Werbebotschaften und die Zuverlässigkeit von Informationen zu erkennen.

Qualität der meisten Webseiten im Netz lässt zu wünschen übrig

Am Beispiel des Morbus Menière – einer Erkrankung des Innenohrs, die zu anfallartigem Schwindel führen kann und oft von Hörstörungen und Tinnitus begleitet wird – hat Professor Ihler daher die Qualität von Gesundheitsinformationen im Internet überprüft. „Die Diagnose und Therapie des Morbus Menière ist komplex, entsprechend hoch ist der Informationsbedarf der Betroffenen“, erläutert der Experte. Unter den ersten 30 Webseiten, die Google zum Suchbegriff „Morbus Meniere“ auflistete, fanden Professor Ihler und seine Kollegen 14 von elektronischen Medien und weitere sieben von Unternehmen, die Medizinprodukte herstellen. Bei lediglich sechs Seiten waren Ärzte oder Krankenhäuser die Urheber. „Diese Seiten tauchten zudem erst ab Position 12 der Ergebnisliste auf“, sagt Professor Ihler – das sei insofern bedenklich, als Nutzer in aller Regel nur die ersten zehn Treffer weiterverfolgten.

Die Qualität der 30 untersuchten Seiten ließ insgesamt zu wünschen übrig: Auf der sogenannten DISCERN-Bewertungsskala für Patienteninformationen im Internet erreichten sie im Schnitt nur 2,5 von fünf Punkten. Zudem verfügte nur jede zehnte Seite über ein HON-Zertifikat, erfüllte also die von der Stiftung Health on the Net (HON) formulierten Vorgaben bezüglich Transparenz, Datenschutz für die Nutzer, wissenschaftlicher Belegbarkeit von Behauptungen und Offenlegung der Finanzierung. Außerdem müssen laut HON-Kodex redaktionelle Inhalte klar von Werbung abgegrenzt und die Qualifikation der Verfasser erkennbar sein. Sechs der 30 Seiten enthielten außerdem Falschinformationen.

Autonomie- und Informationsbedürfnis der Patienten anerkennen

„Man muss davon ausgehen, dass autonome Patientenentscheidungen nicht allein auf der Basis von Web-Informationen möglich sind“, folgert Professor Ihler. Diese müssten immer von einem Arzt gewichtet und für den Einzelfall interpretiert werden. Da Patienten ihre Internet-Recherche nur selten von sich aus ansprechen, sei es Aufgabe des Arztes, gezielt nach Vorinformationen zu fragen und auf diese einzugehen. In jedem Fall verändere das Internet das Arzt-Patient-Verhältnis: „Gut informierte Patienten fordern eine stärkere Beteiligung an medizinischen Entscheidungen ein“, sagt der Experte.

Ein Arzt, der das Autonomie- und Informationsbedürfnis der Patienten anerkenne und unterstütze, könne das Vertrauensverhältnis aber sogar stärken. Dazu gehöre es, dem Patienten nicht von der Internet-Recherche abzuraten, sondern ihm verlässliche Web-Seiten als Quelle an die Hand zu geben. Sorge, dass das Internet dem Arzt den Rang abläuft, hat Professor Ihler nicht: Bei Befragungen von Patienten wurde bisher letztlich noch immer der behandelnde Arzt als wichtigste Informationsquelle genannt.


Literatur
F Ihler, M Canis: Die Rolle des Internets für Gesundheitsinformationen in der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Laryngo-Rhino-Otol 2019; 98(S 01): S290–S333 DOI: 10.1055/a-0801-2585
F Ihler, BG Weiß, M Canis, JL Spiegel: Charakterisierung und Bewertung von deutschsprachigen Patienteninformationen im Internet zu Morbus Menière. Laryngo-Rhino-Otol 2019; 98(S 02): S174 DOI: 10.1055/s-0039-1686179
Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.): Das Internet: Auch Ihr Ratgeber für Gesundheitsfragen? Bevölkerungsumfrage zur Suche von Gesundheitsinformationen im Internet und zur Reaktion der Ärzte. 1. Auflage 2018, 32 Seiten (PDF). DOI 10.11586/2017052

Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. (DGHNO-KHC)