Eine Gruppe von Diabetologen bildet die diaXperts, die sich z. B. in Projekte der Berlin-Chemie AG einbringen und sich zu Workshops treffen. Zuletzt wurde in Berlin über Digitalisierung gesprochen; ein weiteres Thema war die Optimierung der Insulintherapie.

"Die Digitalisierung hat zwei Seiten. Die eine ist: super Sache! Und die andere: Verdammt, geht das schnell!" – so fasste Professor Bernhard Kulzer, Bad Mergentheim, zusammen, was wohl viele denken, die in der Diabetologie arbeiten.

Zusammen mit den beiden Diabetologen Dr. Jens Kröger, Hamburg, und Dr. Hansjörg Mühlen, Duisburg, stellte er einige Erkenntnisse aus dem Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes (DuT) vor.

„Wir sollten nicht alles an der Digitalisierung als bedrohlich ansehen – sonst kann man gar nichts mehr machen“, Dr. Jens Kröger, Mitglied im Zukunftsboard Diabetes (zd).

"Ich glaube, die Digitalisierung wird uns letztendlich zufriedener machen", sagte Kröger – und teilt damit die Meinung vieler, wie die im Rahmen des DuT entstandene Umfrage unter über 400 diabetologisch tätigen Ärzten zeigt: Fast 80 Prozent haben eine positive Einstellung zur Digitalisierung in der Diabetologie. Und für Dr. Hansjörg Mühlen ist klar: "Die Digitalisierung wird die Begegnung mit den Patienten verändern."

Projekt ViDiKi: Telemedizin in der Praxis

Ein ganz praktisches Beispiel dafür ist ViDiKi – die Virtuelle Diabetesambulanz für Kinder und Jugendliche, von der die Kinderdiabetologin Dr. Simone von Sengbusch, Lübeck, berichtete. ViDiKi ist eine 36-monatige Studie, in der Telemedizin erprobt wird und die somit unter die E-Health-Angebote fällt. Untersucht wird, ob die monatliche telemedizinische Beratung von Familien, deren Kind ein CGM-Gerät nutzt, umsetzbar ist und wie effektiv diese Art von Beratung sein kann.

Bei "ViDiKi" werden Familien per Video von Diabetologinnen wie Dr. Simone von Sengbusch beraten.

Wichtige Themen: Datenschutz und Datensicherheit. Die CGM-Daten werden als PDF gesendet; dafür gibt es ein Verschlüsselungsprogramm. Für das Arzt-Video-Portal erhalten die Teilnehmer zudem eine sechsstellige TAN, mit der sie sich zum Termin mit dem Diabetologen einwählen können. In diesem Termin werden die PDF-Dateien besprochen. Die Besprechung der CGM- und Pumpendaten findet mindestens alle vier Wochen zusätzlich zum Ambulanztermin statt.

Dabei bleiben die Diabetologen aus der Ambulanz aber die "Haupt"-Diabetologen, die nach jedem Telemedizin-Termin eine Rückmeldung bekommen. Zudem müssen die Kinder und Jugendlichen mindestens einmal pro Quartal in die Ambulanz kommen. Die Video-Termine sollen also die normale Betreuung nur ergänzen (erfahren Sie hier mehr über das Projekt).

Die Zufriedenheit mit dieser Art der Betreuung "ist extrem gut", berichtet Simone von Sengbusch. Die Patienten und ihre Familien sehen die Besprechung der Werte per Video als "Heimspiel" an und fühlen sich sicher, weil sie von zu Hause aus agieren können. Ein weiterer Pluspunkt sei die Zeitersparnis.

Workshop "Telemedizin in der Praxis"

Kurz darauf war Dr. Simone von Sengbusch im Workshop "Telemedizin in der Praxis" von Prof. Kulzer anwesend und konnte eingehender befragt werden. Im Dialog wurde deutlich, dass es essentiell ist, bei telemedizinischen Beratungsformaten auch die Patienten in die Verantwortung zu nehmen, indem sie z. B. mit schon aufbereiteten Daten in die Beratung kommen.

Ein Knackpunkt – das klang immer wieder an – ist die Bezahlung/Abrechenbarkeit von telemedizinischen Beratungen. Dafür werde eine Gesetzgebung gebraucht, die die virtuelle Beratung der Beratung vor Ort gleichstellt, so Kulzer. Dass es diese bis jetzt nicht gibt, treibt viele Workshop-Teilnehmer um – sie fürchten, von den Kostenträgern ausgenutzt zu werden. Auch müssten die technischen Voraussetzungen gestellt werden – sich darum zu kümmern, sei keine ärztliche Tätigkeit.

Beratung am Bildschirm – wird das für Diabetologinnen und Patienten bald ganz normal sein? Eine große Frage: Wie wird die Leistung abgerechnet?

Für welche Patientengruppen sind telemedizinische Angebote geeignet? Hier wurde im Workshop gedacht an: Ersteinschätzung bei Patienten mit diabetischem Fuß-Syndrom, Telekonzil zwischen Ärzten zum diabetischen Fuß, Prävention für Menschen z. B. mit Adipositas, Frauen mit Gestationsdiabetes, Menschen mit Diabetes und leichteren psychischen Problemen, immobile Menschen, junge Diabetiker, für die der Übergang zum Erwachsenendiabetologen schwierig ist.

Nach den Händen schauen

Dieses Jahr zu Gast bei den diaXperts war Professor Sandro Gentile, Neapel, der über technische Neuerungen in der Insulintherapie forscht. Er stellte eine von ihm geleitete randomisierte, offene, vergleichende Crossover-Studie vor, bei der die glykämische Kontrolle unter Anwendung von Lispro 200 E/ml KwikPen (Liprolog 200 E/ml; Abkürzung: L200 KP) verglichen wurde mit der glykämischen Kontrolle unter Lispro 100 E/ml Kwikpen (Liprolog 100 E/ml; Abkürzung: L100 KP).

L200 KP ist doppelt so hoch konzentriert wie das herkömmliche L100 KP und wird für Patienten mit erhöhtem Insulinbedarf empfohlen (Bedarf von mehr als 20 Einheiten an schnell wirksamem Insulin pro Tag).

Weitere Informationen zur Studie zur Verabreichung von hochkonzentriertem Insulin erhalten Sie im Interview mit Prof. Dr. Sandro Gentile.

Der Beobachtungszeitraum lag bei 12 Wochen, teilgenommen haben 126 Menschen mit Typ-2-Diabetes. Als sekundärer Endpunkt wurden die Patientenwünsche bezüglich der Durchführung der Insulintherapie und der Handhabung des L200 KP untersucht. Interessant ist, dass die Patienten vor Beginn der Studie auf Vorliegen einer Cheiroarthropathie ("Stiff-Hand-Syndrome"/"Limited Joint Mobility Syndrome") untersucht worden waren. Fast die Hälfte der 126 Teilnehmer (48,4 Prozent) war davon betroffen.

Nach einer vierwöchigen strukturierten Schulung zur Insulininjektionstechnik wurden die Patienten randomisiert und je zur Hälfte auf hochkonzentriertes L200 KP oder L100 KP eingestellt. Nach 12 Wochen wurden sie für weitere 12 Wochen auf die jeweils andere Lispro-Konzentration umgestellt (Crossover). Zum Studienende beantworteten die Patienten einen Fragebogen u. a. zu ihren Vorlieben hinsichtlich einer der beiden Insulinzubereitungen.

Niedrigere Werte bei höherer Konzentration

Im Ergebnis wurde unter der Behandlung mit L200 KP eine signifikante Verbesserung von Nüchternglukose, HbA1c-Wert, der Rate schwerer oder leichter Hypoglykämien und eine Verminderung der Dosis an schnellwirksamem Insulinanalogon beobachtet, während unter dem Standard L100 KP keine signifikante Veränderung dieser Parameter zur Baseline beobachtet wurde. Darüber hinaus hatten die Patienten weniger Probleme beim Injektionsvorgang unter L200 KP.

Die Forschergruppe um Professor Gentile schloss daraus, dass die besseren metabolischen Ergebnisse unter L200 KP auf die leichtere Kolbengängigkeit, das geringere Injektionsvolumen und die kürzere Dauer des Injektionsvorgangs zurückzuführen sein könnten – also insgesamt auf eine effektivere Injektion der gesamten Insulinmenge.

Empfohlen wird, die Überprüfung auf Cheiroarthropathie im Zuge der Verordnung einer Insulintherapie als Standardpraxis zu übernehmen, um einen Insulinpen auswählen zu können, der den motorischen Fähigkeiten des Patienten entspricht.



Autorin: Nicole Finkenauer
Redaktion Diabetes-Forum
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2019; 31 (4) Seite 26-27