Schätzungen zufolge leiden junge Frauen mit Typ-1-Diabetes etwa doppelt so oft wie stoffwechselgesunde Altersgenossinnen an einer Essstörung. Circa jede dritte junge Diabetes-Patientin ist davon betroffen. Verbreitet sind dabei vor allem Bulimie und „Insulin-Purging“, ein bewusster Insulinverzicht, um abzunehmen. Unerkannt und unbehandelt können schwere Stoffwechselentgleisungen und Folgeschäden an Organen wie Herz, Augen, Nieren oder Nerven die Folge sein.

Die Autoimmunerkrankung Diabetes Typ 1 tritt vor allem im Kindes- und Jugendalter auf. Das eigene Immunsystem greift die körpereigene Insulinproduktion in der Bauchspeicheldrüse an und zerstört die insulinproduzierenden Zellen. Das Hormon Insulin ist für den Transport des mit der Nahrung aufgenommenen Zuckers aus dem Blut in die Muskel- und Fettzellen verantwortlich. Ein absoluter Insulinmangel führt daher zu einem starken Blutzuckeranstieg bei gleichzeitiger Unterversorgung der Körperzellen. Ein Symptom für Diabetes Typ 1 ist Gewichtsverlust.

Ketoazidotisches Koma durch bewussten Insulin-Verzicht

„Ich wollte abnehmen und erinnerte mich daran, dass ich vor der Diabetes-Diagnose Gewicht verloren hatte. Also verringerte ich absichtlich meine Insulingaben und der gewünschte Effekt trat ein“, sagt die 28-jährige Bloggerin Lisa Schütte (www.lisabetes.de, www.blood-sugar-lounge.de). Dieses „Insulin-Purging“ ist bei essgestörten Frauen mit Diabetes typisch. Sie spritzen sich bewusst weniger Insulin als nötig oder stellen die Insulingaben zeitweise ganz ein: Die Nieren spülen die mit der Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate über den Urin aus dem Körper, weshalb diese Bulimie-Form auch „Erbrechen über die Nieren“ genannt wird. „Man denkt, man hat es unter Kontrolle, aber das ist nicht der Fall!“ Bei Lisa Schütte war ein ketoazidotisches Koma die Folge, zwei Wochen verbrachte sie auf der Intensivstation. „Vorher hatte ich auch schon länger meinen Blutzucker nicht mehr gemessen oder die Werte dokumentiert“, so die Studentin.

Im Kirchheim-Shop:

Diabetes bei Jugendlichen: Ein Behandlungs- und Schulungsprogramm

Schulungsmaterial für Diabetesteams mit didaktischem Leitfaden, Curriculum und USB-Stick mit Schulungsmaterialien
K. Lange; 3. Auflage 2017; 99,00 €
zum Kirchheim-Shop

Vertrauenspersonen im sozialen Umfeld sind wichtig

Ursachen für ihr Verhalten seien unter anderem mangelnde Akzeptanz der Erkrankung und Selbstwertprobleme gewesen, erklärt Lisa Schütte: „Als Betroffene muss man sich ständig mit dem Diabetes auseinandersetzen: Ernährung, Insulintherapie, Blutzuckereinstellung und damit verbundene Arztbesuche gehören plötzlich zum Leben. Sind die Werte trotz Einhalten der Therapie schlecht oder nimmt man zu, löst das Frust und Schuldgefühle aus.“

Die schwere Stoffwechselentgleisung mit Krankenhausaufenthalt war der Wendepunkt in ihrem Leben: „Heute schiebe ich den Diabetes nicht mehr beiseite. Dabei haben mir eine Psychotherapie und die Unterstützung meiner Familie und meines Partners sehr geholfen.“ Sie rät Menschen mit Diabetes, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, Vertrauenspersonen in ihrem Umfeld anzusprechen, seien es der Diabetologe, Familie oder Freunde.

Podcast
Lisa Schütte berichtet nun in der neuen Podcast-Reihe „Blutzucker“ der gemeinnützigen Organisation diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe über ihre Erfahrungen mit der „Diabulimie“. Im Mittelpunkt jeder Podcast-Episode, die im Wochenrhythmus veröffentlich werden, stehen Interviews mit Menschen mit Diabetes Typ 1 und Typ 2, darunter Kinder, junge und alte Menschen. Die einzelnen Folgen der kostenlosen Audio-Serie sind unter www.diabetesde.org/podcast abrufbar. Dort finden Interessierte neben allen bereits veröffentlichten Podcasts auch Hintergrundinformationen und weiterführende Links zu den angesprochenen Themen.

Literatur
Goebel-Fabbri AE., Diabetes and eating disorders. J Diabetes Sci Technol 2008; 2: 530–532.
Petrak F., Herpertz S., Handbuch Psychodiabetologie, Springer Verlag 2013.
S2-Leitlinie „Psychosoziales und Diabetes“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft“.
Herpertz S., Essstörungen bei Diabetes mellitus, Diabetes aktuell 2014; 12 (8): 350–353.
Merwin R. M. et. al.: Momentary Predictors of Insulin Restriction Among Adults With Type 1 Diabetes and Eating Disorder Symptomatology, Diabetes Care 2015 Nov; 38(11): 2025-2032. Bächle C. et.al.: Disordered eating and insulin restriction in youths receiving intensified insulin treatment: Results from a nationwide population-based study, Int J Eat Disord. 2016 Feb;49(2):191-6.

Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Diabetes Hilfe (diabetesDE)