Seit nunmehr dreieinhalb Jahrzehnten gibt es in Deutschland Gruppenschulungsprogramme für Diabetes-Patienten. Diabetes-Forum-Chefredakteur Dr. Martin Lederle zieht ein positives Resümee.
Sie alle, die in der Versorgung von Patienten mit Diabetes mellitus tätig sind, tun es: Gruppenschulungen durchführen. Wir wissen, gut gemachte Gruppenschulungen sind ein sehr wirksames "Behandlungswerkzeug", um Patienten zu "empowern". Empowerment bezeichnet dabei sowohl den Prozess der Selbstbemächtigung als auch die professionelle Unterstützung der Menschen, ihr Gefühl der Macht- und Einflusslosigkeit zu überwinden.
Pilotprojekt für Typ-1-Diabetiker 1978 in Düsseldorf
Die Arbeitsgruppe von Prof. Michael Berger startete 1978 in Düsseldorf mit einem strukturierten Schulungs- und Behandlungsprogramm für Patienten mit Typ-1-Diabetes zur Durchführung einer intensivierten Insulintherapie; das Programm dauerte von montags bis freitags und wurde unter stationären Bedingungen durchgeführt.
In den folgenden Jahren publizierte die Düsseldorfer Gruppe viele Daten über die gute Wirksamkeit dieser Behandlungsmaßnahme. In den folgenden Jahren wurde über die Arbeitsgemeinschaft für Strukturierte Diabetestherapie (ASD; gegründet 1992) diese "5-Tage-Schulung" an vielen Krankenhäusern in Deutschland etabliert.
Ende der 1980er Jahre: Typ-2-Schulungsprogramm folgt
Von der Düsseldorfer Arbeitsgruppe wurde Ende der 1980er Jahre auch das Behandlungs- und Schulungsprogramm für Typ-2-Diabetiker ohne Insulinbehandlung entwickelt. Mit der Diabetesvereinbarung, die zum 1. Juli 1991 zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und zunächst den Ersatzkassen abgeschlossen wurde, war die Voraussetzung geschaffen, um allen Patienten mit Typ-2-Diabetes in Deutschland dieses Programm anbieten zu können.
Dazu eine Verlautbarung vom 11. April 1991 aus dem Deutschen Ärzteblatt:"Das didaktisch gut aufgebaute Programm wurde vorab in 700 Praxen mit großem Erfolg wissenschaftlich erprobt. Dabei zeigte sich, dass die Diabetes-Patienten durch die Teilnahme an der Gruppenschulung mithelfen konnten, die drei wesentlichen Ziele der Diabetes-Behandlung zu erreichen: 1. Vermeidung des diabetischen Komas und der diabetesbedingten Fußkomplikationen; 2. Symptomfreiheit hinsichtlich der diabetesbedingten Symptome; 3. Vermeidung der diabetesbedingten Gefäßkomplikationen..."
"Mehr Diabetes Selbstmanagement für Typ 2"
Ich selbst war ab November 1991 in vielen Fortbildungsseminaren für Ärzte und deren Teams als Referent tätig, um dieses erste "ZI-Programm" bundesweit bekannt zu machen. In den folgenden Jahren haben sehr viele Patienten mit Typ-2-Diabetes an diesen ambulant durchgeführten ZI-Programmen teilgenommen. Sie setzen in erster Linie auf Wissensvermittlung: Wenn der Patient die Zusammenhänge verstanden hat, dann wird er so "vernünftig" sein und das für ihn medizinisch Sinnvolle auch zu tun.
Das Bessere ist bekanntlich der Feind des Guten. So war es eine logische Konsequenz, dass dieser Ansatz weiterentwickelt wurde: 2001 präsentierte das Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim mit "Mehr Diabetes Selbstmanagement für Typ 2" = MEDIAS 2 ein neues Programm für die Gruppenschulung, das neben der Wissensvermittlung Dinge wie Erarbeitung persönlicher Ziele und Identifizierung von Barrieren zur Selbstbehandlung etc. beinhaltet.
Wirksames Behandlungswerkzeug durch Gruppendynamik
Ich schätze die Gruppenschulung sehr als wirksames "Behandlungswerkzeug": durch die Prozesse, die in der Gruppe ablaufen und die in der Regel nicht planbar sind bzw. nicht vorher gesehen werden können, werden bei den Patienten häufig Entwicklungen in Gang gesetzt, die in einem 4-Augen-Gespräch nie ausgelöst werden.
Wir haben in Ahaus die Schulung für Patienten mit Typ-1-Diabetes bzw. für Patienten, die eine Insulinpumpentherapie durchführen auf eine ambulante ganztätige Kompaktschulung von montags bis donnerstags umgestellt. Durch die vorhandene Infrastruktur können die Teilnehmer zusammen mit der Schulungskraft z. B. gemeinsam frühstücken bzw. zum Mittagessen gehen. In diesen 4 Tagen entwickelt sich eine Gruppendynamik, die von den Patienten sehr positiv bewertet wird. Die wichtigste Aufgabe der Schulungskräfte dabei ist nicht so sehr die Wissensvermittlung, sondern die Moderation der Schulungsgruppe.
Gut gemachte Gruppenschulung wirkt.
von Dr. Martin Lederle
Diabetes-Forum-Chefredakteur
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2015; 27 (7/8) Seite 5
