Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz haben einen bisher unbekannten Mechanismus zur Regulation der Blutgefäßfunktion entdeckt: Sie fanden heraus, dass das Protein Tubulin-folding cofactor E einen wesentlichen Faktor für die Funktion der Blutgefäßinnenhaut darstellt. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse bieten einen neuartigen Ansatz für die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Endotheldysfunktion: Protein TBCE spielt entscheidende Rolle

Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems stellen weltweit die häufigste Todesursache dar. Kennzeichnend für diese kardiovaskulären Erkrankungen ist eine Funktionsstörung der Blutgefäßinnenhaut (Endotheldysfunktion). Eine Arbeitsgruppe um Univ.-Prof. Dr. Philip Wenzel, Stellvertretender Direktor der Kardiologie I im Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz, entdeckte nun, dass das Protein Tubulin-folding cofactor E (TBCE) eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der Endotheldysfunktion spielt. TBCE gehört zu den Proteinen, die wichtig sind, um den Zellen Struktur und Form zu geben und damit die normale Funktionsweise ermöglichen.

Die Forscher konnten zeigen, dass ein Mangel oder eine Mutation des Proteins TBCE zu einer Stressreaktion in der Gefäßwand führt. Betroffen ist dabei das endoplasmatische Retikulum. Der vaskuläre Stress geht unter anderem mit einer Entzündungsreaktion und einer vermehrten Gefäßsteifigkeit einher. Aus Vorstudien war bekannt, dass TUDCA (Tauroursodeoxycholic acid; Tauroursodeoxycholsäure) Stressreaktionen im endoplasmatischen Retikulum unterbinden kann. Im Rahmen der Mainzer Studie verbesserte sich die Endothelfunktion im Tiermodell durch eine gezielte pharmakologische Therapie mit TUDCA, auch wenn das Protein TBCE defekt war.

Gutenberg-Gesundheitsstudie lieferte wichtige Daten

Die ersten Hinweise auf den jetzt neu entdeckten Mechanismus zur Regulation der Blutgefäßfunktion ergab die Auswertung von genetischen Daten aus der Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS). In der Studie der Universitätsmedizin Mainz werden seit rund 14 Jahren Daten zu Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Bevölkerung der Rhein-Main-Region gesammelt und zusammen mit molekularbiologischen Messungen erfasst. „Es ist faszinierend zu sehen, dass die GHS in der Lage ist, diese Informationen zu liefern“, berichtet Univ.-Prof. Dr. Philip Wenzel.

Mechanismus könnte medikamentös beeinflussbar sein

„Durch unser experimentelles Know-how war es darüber hinaus möglich, aus den komplexen Daten eine bisher unbekannte Funktionsweise herauszuarbeiten. Unsere Forschungsergebnisse zu TBCE liefern vielversprechende Hinweise, dass dieser Mechanismus medikamentös beeinflusst werden kann, um die Gefäßfunktion bei den betroffenen Patienten zu verbessern. Dies ist insbesondere deshalb von großer Bedeutung, weil die bisherige Therapie der Endotheldysfunktion mit Vitaminen oder Spurenelementen nur unzureichende Erfolge zeigt“, erläutert Professor Wenzel. Die Studie der Mainzer Forscher wurde jetzt im „European Heart Journal“ veröffentlicht.

„Die aktuell publizierte Arbeit zeigt das Potential, am Biotechnologie-Standort Mainz mit strategischem Einsatz von Forschungsmitteln wichtige Erkenntnisse zu gewinnen, die einen unmittelbaren Vorteil für die Gesundheitsfürsorge der Menschen haben können“, betont Univ.-Prof. Dr. Thomas Münzel, Direktor der Kardiologie I im Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz.

Die Studie „Tubulin-folding cofactor E deficiency promotes vascular dysfunction by increased endoplasmic reticulum stress“ wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Boehringer Ingelheim Stiftung unterstützt.


Literatur
Efentakis P, Molitor M, Kossmann S, Bochenek ML, Wild J, Lagrange J, Finger S, Jung R, Karbach S, Schäfer K, Schulz A, Wild P, Münzel T, Wenzel P. Tubulin-folding cofactor E deficiency promotes vascular dysfunction by increased endoplasmic reticulum stress. Eur Heart J. 2021 Jun 16:ehab222. Online ahead of print. PMID: 34132336 DOI: https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab222

Quelle: Pressemitteilung der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz