Im Jahr 2000 ist das Gesetz über die Fallpauschalen verabschiedet worden. Welche Auswirkungen das heute hat, beschreibt Diabetes-Forum-Chefredakteur Dr. Bernd Liesenfeld.

Am späten Vormittag des 6.12.2022 kündete Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in der Bundespressekonferenz nach seiner Einschätzung nichts geringeres als eine revolutionäre Veränderung der deutschen Kliniklandschaft an. Er stellte die Überwindung des Fallpauschalensystems (DRG) für die stationäre Versorgung in Aussicht, die besonders kleinere Fachgebiete wie die Diabetologie in den letzten Jahren immer mehr aus den Krankenhäusern verschwinden ließ, da deren komplexe Leistungen sich in einem solchen ökonomisierten Modell nicht ausreichend wiedergefunden haben. Auch Kinderkliniken oder geburtshilfliche Abteilungen wurden aus gleichem Grund zunehmend ausgedünnt, obwohl sie der Daseinsvorsorge dienen.

Der immerwährende Zwang zur Steigerung der Fallzahlen und zur Verkürzung der Liegezeit war der Kern des Fallpauschalensystems. Das wurde zunehmend auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen, die nicht erst seit Corona den Kliniken immer häufiger den Rücken kehrten. Der Minister hatte im Jahr 2000 in beratender Funktion maßgeblich zur Verabschiedung des Gesetzes zur Einführung ebendieser Fallpauschalen beigetragen. Damals wurde das Gesetz ebenso als „revolutionär“ tituliert wie heute seine geplante Abschaffung. Wie will er das erreichen und was bedeutet das für die stationäre Diabetologie ?
Wesentliche Elemente der Reform sind das Stufen- sowie das Säulen-Modell. Nach dem Stufenmodell werden Kliniken einer lokalen, regionalen oder überregionalen Stufe zugeordnet, wobei die lokalen Kliniken eher die unmittelbar wohnortnahe Versorgung sichern. Klassische Diabeteskliniken dürften sich eher in den übergeordneten Stufen wiederfinden. Hier sind allerdings aufwendige Mindeststrukturvoraussetzungen für den ganzen Standort zu beachten. Das 2-Säulen-Modell bildet die Finanzierung ab: die erste Säule sind Vorhaltepauschalen, die zweite Säule die altbekannten Fallpauschalen. Die Kliniken sollen zukünftig in der Regel 40 % ihrer Erlöse als sogenannte Vorhaltekosten auch ohne tatsächliche Behandlungen erstattet bekommen, da für den Betrieb einer Klinik viele Kosten unabhängig vom Patientenaufkommen anfallen. Die restlichen 60% werden wie gehabt über Fallpauschalen abgerechnet. Das erhöht die Planungssicherheit für Klinken und verringert das Interesse, OP-Zahlen immer weiter zu steigern.

Noch muss der Minister die Ankündigung erst in ein Gesetz gießen, aber dem ersten Anschein nach will er dies ohne einen zusätzlichen Cent im System erreichen. Gelder umverteilen und die Profitgier von Klinikketten durch unbotmäßige Mengensteigerungen bei fraglichen Operationen und Behandlungen unterbinden? Klingt gut, das lukrative serielle Amputieren diabetischer Zehen soll kein Geschäftsmodell sein. Kinderkliniken werden gar 60 % ihrer Kosten als Daseinsvorsorge erhalten – das ist gut für die stationäre Kinderdiabetologie. Bei den Erwachsenen sind die Auswirkungen unklar. Zwar werden die Diabeteskliniken etwas weniger finanziellen Druck verspüren, jedoch sind die Kriterien zur Einstufung als „Diabetesklinik“ aktuell noch völlig unklar.

Auch der Minister weiß, dass die Qualität einer Behandlung sehr von der Struktur und dem Personal der Abteilungen abhängt und verweist ausdrücklich auf die nachgewiesene Qualität zertifizierter onkologischer Zentren mit guten Ergebnissen für die Patienten. Bis heute aber gibt es für die stationäre Diabetologie trotz der aufwendigen Zertifizierungen nie eine Belohnung für nachgewiesene Struktur- und Behandlungsqualität – ein Skandal und eine klassische Fehlsteuerung. Jede x-beliebige Klinik kann sich DMP-Krankenhaus für Diabetes nennen ohne irgendeine Qualität der Diabetesbehandlung nachzuweisen außer dem Vorhandensein einer Stimmgabel. Wir brauchen aber qualifizierte Einrichtungen für komplexe Fälle.

Ich hoffe, dass der Gesundheitsminister seiner Ankündigung Taten folgen lässt und die Erbringung stationärer diabetologischer Leistungen an verbindliche Qualitätskriterien wie Personal und Struktur einer Fachabteilung koppelt, wie sie die Fachverbände über viele Jahre entwickelt haben. Der Bundesverband Klinischer Diabeteseinrichtungen (BVKD) hat in diesem Journal im letzten Jahr ein Modell einer zentrumsbasierten stationären Diabetologie vorgestellt, das die Versorgung in diesem spezialisierten Fachbereich sichern kann. Die DDG hat ein Positionspapier zu den Mindestanforderungen der Diabetikerversorgung in den Kliniken formuliert. Alle Verbände sind jetzt aufgerufen, sich an der Diskussion um die Struktur der stationären Diabetologie zu beteiligen. Mit dieser Hilfe kann der so oft als „Ankündigungsminister“ gescholtene Lauterbach zum Konterrevolutionär mutieren und seine eigene Reform aus dem Jahr 2000 im positiven Sinne überwinden.


Autor:
Dr. Bernd Liesenfeld
Facharzt für Innere Medizin, Nephrologie, Diabetologie, Angiologie
Oberarzt
Abteilung Innere Medizin II


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (1/2) Seite 5