Wussten Sie, dass Metformin verboten wird?" Dieser oder ähnlichen Fragen von Seiten der Patienten sehe ich mich seit dem Frühjahr 2025 häufiger ausgesetzt. Sie auch? Anfangs hielt ich es für einen zeitlich gut platzierten Aprilscherz, aber die Häufigkeit nahm doch stetig zu. Konnte es sein, dass das beste Pferd im Stall lahmte und aus dem Verkehr gezogen wurde? So recherchierte ich das Phänomen und stieß auf eine mir bislang unbekannte Person namens Karl. Also eigentlich ist es gar keine Person, sondern die Abkürzung für "Kommunale Abwasserrichtlinie" der EU (2024/3019), die zum 1. 1. 2025 in Kraft getreten ist. Sie soll die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor den Gefahren unbehandelten Abwassers schützen. Einverstanden. Sie verpflichtet daher die Gemeinden Europas, Rückstände von Arzneimitteln (und Kosmetika) im Abwasser, sogenannte Mikroschadstoffe, möglichst vollständig zu entfernen. Metformin wird nach Einnahme leider völlig unverändert vom Körper ausgeschieden und ist ein solcher "Schadstoff", wie andere gängige Wirkstoffe wie Amoxicillin oder Tamoxifen auch.
Zur Entfernung des Metformins sind unsere Kläranlagen landauf, landab aber nicht in der Lage und müssten mit einer zusätzlichen, vierten Reinigungsstufe aufgerüstet werden. Das kostet einen zweistelligen Milliardenbetrag. Und das ist wie immer der springende Punkt: Wer zahlt die Zeche? Karl, also die Richtlinie, verpflichtet die Hersteller, sich daran finanziell zu beteiligen, was diese vehement abweisen. Sie zeigen mit dem Finger auf die Patienten, die Patienten auf die Kommunen und die wiederum auf die Hersteller.
Metformin ist ein Generikum ohne Patentschutz, kostet pro Tag nur 20 Cent für eine Tagesration und wird mit geringer Gewinnmarge für 2.9 Millionen Deutsche tagtäglich hergestellt. Die Preise sind festgelegt und können nicht beliebig von den Herstellern erhöht werden. Deshalb gibt es praktisch nur noch einen einzigen großen und vier kleine Produzenten. Ein Ausfall könnte gravierende Folgen für die Versorgung haben, die Zahl der dann insulinpflichtigen Patienten würde mit Sicherheit steigen. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2015 würden die Abwassergebühren durch Modernisierung der Infrastruktur pro Kopf um 15 Euro steigen. Heute wäre der errechnete Betrag sicher höher. Es handelt sich also scheinbar um einen klassischen Zielkonflikt: Umwelt oder Gesundheit? In Wahrheit müssen wir uns fragen, wieviel Geld wir in Zeiten begrenzter Ressourcen für unsere Gesundheit und unsere Umwelt am Ende des Tages auszugeben bereit sind. Ohne finanzielle Belastungen jedes Einzelnen wird es nicht gehen. Die Prioritäten müssen sich dahingehend ändern. Die Hersteller der Kosmetika können mit Karl gut leben. Steigen die Kosten, so werden die Preise eben erhöht – basta.
Aber auch die Arzneimittelhersteller müssen sich an der Vermeidung von Abfallstoffen beteiligen. Erinnern Sie sich noch? Bis 2004 stellte ein großer dänischer Insulinproduzent den Patienten in Deutschland Sammelcontainer zur kostenlosen Rücksendung von Plastikpens zur Verfügung, dann wurde das Programm aus Kostengründen beendet. Vor 2004 nutzten viele eben aber auch noch die guten alten Insulinpatronen im wiederverwendbaren Pen. Mittlerweile aber werden 800 Millionen Plastikpens jährlich weltweit zu Müll, 77 % davon ist Plastikmüll. Die gleiche Firma unternimmt nun aber seit 2021 in Dänemark und England mit den Programmen "Returpen" und "PenCycle" eine Wiederaufnahme der Initiative, welche unter dem Namen "ReMed" seit kurzem auch bei uns – zumindest in Berlin und Rheinland-Pfalz – mit Partnerapotheken wieder anläuft. Geht doch. Ein amerikanischer Hersteller von Patch-Pumpen hat 2024 sein weltweites "Eco"-Programm zur kostenlosen Rücksendung benutzter Pods ins Leben gerufen und verspricht diese zu recyceln. Genaue Zahlen dazu gibt es leider nicht.
Ich habe in meinem Alltag seit längerem begonnen, mehr Menschen mit Insulintherapie für die Smart-Pen-Idee zu begeistern, von der ich zutiefst überzeugt bin. Sie erlaubt nicht nur die Vermeidung großer Plastikmengen, sondern gibt völlig neue Einblicke in den Alltag unserer Patienten, die zu einer deutlich verbesserten Kommunikation und Ergebnisqualität führen. Umweltschutz und Gesundheit sind keine Widersprüche, sondern zwei Seiten der gleichen Medaille. Dabei ist eigentlich Karl der lahme Gaul: sie soll erst bis 2045 (!) abgeschlossen sein.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (5) Seite 5
