Abkürzungen können auch hinderlich sein, z.B. KI für "künstliche Intelligenz". Alle reden darüber, viele nutzen es im Alltag, aber wenigen ist transparent wie sie funktioniert. War der alte "Renner-Schieber" in meiner Schublade schon KI oder erst die heutigen "selbstlernenden" Algorithmen eines AID? Der in diesem Jahr verstorbene Vorreiter der modernen Diabetologie in Deutschland, Rolf Renner (R.R.) sammelte für den Schieber Basalraten optimal eingestellter Typ-1-Diabetiker. Optimal bedeutete damals beste Ergebnisse nach Expertenmeinung (selbstredend R.R.) mit kapillärer Glukosemessung, CGM war noch nicht geboren. Die Statistiker nutzten dann eine handelsübliche Software, um die 24-h-Basalratenprofile in Form einer "glatten" Kurve darzustellen. Ein Sponsor der Industrie zur Produktion einer Hardware ("Schieber") war schnell gefunden und fürderhin nutzten Generationen von Diabetesteams dieses clevere Werkzeug. Ich würde dies vielleicht eher als ein Beispiel besonderer "emotionaler" Intelligenz bezeichnen, hatte doch hier eine charismatische Person diesen Prozess initiiert, geleitet und seine Therapieerfahrungen in ein Stück Kunststoff gegossen – also keine KI.

KI bedient sich des "Maschinenlernens", die es nur Computern erlaubt Aufgaben zu lösen, die nicht unmittelbar über eine mathematische Gleichung zu ermitteln sind. Hätte der "Rennerschieber" optimierte Basalraten für Mondphasen, Zyklusschwankungen oder Feiertage berücksichtigt, so wäre er einer künstlichen Intelligenz sehr nahe gekommen. Voraussetzung für heutige KI war die Entwicklung enormer Speicher- und Rechenkapazitäten zur Berücksichtigung vielfältigster Therapiesituationen. Sprechen Sie doch mal mit einem Ihrer "Looper" über die vielen Faktoren, die er selbständig einstellt, um sein AID zu steuern – es wird Ihnen schwindlig. KI ist das also eigentlich noch nicht, denn der "Looper" steuert selbst. Erst wenn diese DIY-Einstellungen an einen Rechner übergeben werden um dies autonom minütlich anzupassen und wiederkehrende Muster zu berücksichtigen haben wir die bequeme KI-Situation: Tagesdosis Insulin und Gewicht eintippen und los geht´s mit der Pumpentherapie im Plug-and-Play Modus!

Das "Maschinenlernen" kann auf drei verschiedene Arten passieren: supervidiertes oder nicht supervidiertes Lernen, sowie Lernen durch Verstärkung. Supervidiertes Lernen nutzt mathematische Modelle die mit fixen Kategorien oder Gleichungen arbeitet, z.B. die Anpassung der Basalrate auf Grund kurzfristiger Änderungen der Glukose. Nicht supervidiertes Lernen wiederum nutzt Ähnlichkeiten in Datensätzen, die nicht unmittelbar in einem kurzfristigen zeitlichen Zusammenhang stehen, z.B. Tag-Nacht-Schwankungen des Insulinbedarfs. Lernen durch Verstärkung lässt Bewertungen von Kategorien in die Steuerung einfließen, z.B. die Empfindung der Schwere einer Hypoglykämie bei einem bestimmten Schwellenwert. Die Rechenleistung unserer PCs wurde früher durch immer bessere Software gesteigert, der Flaschenhals war die teure Hardware. Neuere Chips und Speichermedien erlauben die effektive Verlagerung von Softwareaufgaben in die Hardware. Die Grundlage für das Maschinenlernen war die Programmierung neuronaler Netze in den 1990er Jahren, die aus vielen Knoten bestehen. Jeder Knoten kann dabei mehr oder wenig aktiviert werden, dies erlaubt den Vergleich von digitalen Mustern. Durch Nutzung von Kodierungen für Zeit und Bedeutung eines Ereignisses (z.B. Blutglukose) können so z.B. Muster für das Risiko schwerer Hypoglykämien in Annäherung berechnet werden. Einem menschlichen Gehirn ist dies nur eingeschränkt möglich, da wir uns eben nicht an alle Ereignisse erinnern können.

Ich denke, dass wir als Behandler uns nicht stressen sollten, um über alle Details der unterliegenden Soft- und Hardware der Hilfsmittel Bescheid wissen zu müssen, aber die praktischen Möglichkeiten und Grenzen der Systeme im Alltag sollten wir kennen. Jeder Patient bringt andere Voraussetzungen mit diese Regeln einzuhalten. Wir sind der Lotse, nicht der Techniker, um unsere Patienten durch die zunehmend unübersichtlichen Gefilde der elektronischen Hilfsmittel zu navigieren. Hierzu benötigen wir im Prinzip nur eins: Neugier. Ich lerne am meisten von meinen Patienten. Nobody is perfect.


Autor:
© privat
Dr. Bernd Liesenfeld
Chefredakteur


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (12) Seite 5