2021 soll sie laut Koalitionsvertrag kommen: die elektronische Patientenakte (ePA). Beim Hauptstadtkongress 2019 im Mai in Berlin diskutierten Experten über die neue Akte, vor allem über deren Probleme beim Datenschutz.

Alle medizinischen Daten auf einen Blick – Röntgenbilder, Blut- oder Herzwerte –, sämtliche Diagnosen, Behandlungsberichte und Impfungen: Diese Informationen soll der Patient auf der neuen Karte speichern können. Bis spätestens 2021 müssen die Kassen ihren Versicherten die Akten anbieten.

Die Patienten wiederum sollen möglichst bald digitale Angebote wie die ePA flächendeckend nutzen können. Das Bundesgesundheitsministerium hat deshalb die Apotheken (bis März 2020) und die Krankenhäuser (bis März 2021) dazu verpflichtet, sich an die Telematik-Infrastruktur anzuschließen.

Die ePA in der Diskussion (v.l.): Dr. Gottfried Ludewig, Christian Korff, Dr. Nils Hellrung, Dr. Thomas Kriedel, Dr. Andrea Grebe und Frank Miachalak.

Unbegrenzte Einblicke in die Patientendaten?

Die ePA ist ein Mammutprojekt, das im E-Health-Gesetz von 2015 gesetzlich verankert wurde. Immer wieder hagelt es Kritik an der neuen Akte, vor allem hinsichtlich der Datenschutz-Bestimmungen. Beim diesjährigen Hauptstadtkongress bestätigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die jüngsten kritischen Töne der Medien an dem Projekt: Ab 2021 könne man noch nicht für jeden Arzt individuell festlegen, welche Inhalte der Patientenakte zur Ansicht freigegeben sind.

Zum Start der Karte ist es demnach technisch nicht möglich, dass der Patient selber entscheidet, welche Informationen der Akte für welchen Arzt, Apotheker oder Therapeuten einsehbar sind. Spahn blieb dennoch dabei, dass die Entscheidungshoheit beim Patient liege, "welcher Arzt Einblick in seine Patientenakte" hätte.

Verunsicherte Patienten, enges Zeitfenster

Frank Michalak, Vorstand der AOK Nordost, sorgt sich hier um das Vertrauen des Versicherten in die Akte: "Der Patient muss Herr seiner Daten bleiben." Dass er bislang nicht selbst bestimmen könne, welche Informationen er freigibt und stattdessen die ganze Akte für alle einsehbar sei, sieht er "sehr, sehr kritisch". Auch kritisierte er die Schnelligkeit bei der Einführung: "Die Zeitschiene ist sehr herausfordernd."

Dr. Gottfried Ludewig leitet seit 2018 die Abteilung Digitalisierung und Innovation im Bundesgesundheitsministerium und betonte:"Der Patient bleibt zu 100 Prozent Herr seiner Daten." Die Entscheidung liege bei ihm, welches Dokument er in die Akte stellt und ob überhaupt. Er könne jedes Dokument auch jederzeit wieder löschen. Und er entscheide auch: Welchen Arzt lasse ich in meine Akte schauen, welchen nicht.

Was er jedoch in der ersten Stufe und zum Start der neuen Akte aus technischen Gründen noch nicht könne: das einzelne Dokument für Arzt A, B oder C individuell zur Einsicht auswählen.

Hier blickte Ludewig kurz nach Österreich: 93 Prozent der Patienten würden dort schon eine solche Akte nutzen – seit 2014 wurde diese schrittweise eingeführt. Interessant sei auch: 99,9 % der Dokumente in der elektronischen Gesundheitsakte hätten die österreichischen Patienten für ale Ärzte freigegeben.

Das Berliner Modell

"Wir sehen digitale Transformation als ein strategisches Handlungsfeld", sagte Dr. Andrea Grebe, Vorsitzende der Geschäftsführung des Vivantes Netzwerk für Gesundheit in Berlin. Vor drei Jahren beschritten Vivantes, die AOK Nordost und die Sana Kliniken neue Wege in der E-Health-Versorgung.

Das Ziel: In einem gemeinsamen digitalen Gesundheitsnetzwerk digitale Anwendungen sektorübergreifend zu nutzen. Der Patient soll in diesem Netzwerk über seine Medikationspläne, Untersuchungsergebnisse und andere Gesundheitsdaten selbst digital verfügen. So können sich auch seine behandelnden Ärzte schneller ein genaues Bild von ihm machen und damit Über-, Unter- und Fehlbehandlungen vermeiden.

ePA für Schwangere

Im Juli 2018 brachte das Netzwerk die elektronische Patientenakte in die Praxis – in vier Berliner Geburtskliniken. Mehrere Kliniken und Medizinische Versorgungszentren in Berlin hatten sich schon zuvor dem Netzwerk angeschlossen. Werdende Mütter können jetzt per Datenupload ihren Mutterpass, Berichte zu früheren Geburten und Ergebnisse ambulanter Vorsorgeuntersuchungen ihren Ärzten digital vorlegen.

Umgekehrt kann die Klinik strukturierte Dokumente (etwa Ultraschall, Laborbefund und Entlassbrief) in die Akte laden. Durch die digitale Patientenakte lassen sich so Doppeluntersuchungen vermeiden. Der Informationsfluss wird verkürzt.

Für Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), war der große Durchbruch der ePA vor 2 Jahren: Unter Moderation des BMG einigten sich alle Beteiligten auf eine Arbeitsteilung bei der Patientenakte.

Die ePa besteht aus 3 Teilen: Die Vorgaben für Technik und Sicherheit kommen von der "vielgescholtenen" gematik, der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte, erklärte Kriedel. Darüber hinaus gehe es um die Frage: Welche Daten sind – neben den medizinischen – zusätzlich in der Patientenakte vorgesehen. Ein weiterer Bereich: die medizinischen Daten, die immer wieder Probleme machten, weil die Dateninformationen derzeit noch nicht standardisiert seien, so Kriedel.

KBV soll Standards setzen

Für die Lösung dieses Problems ist die KBV zuständig. Laut eines Änderungsantrags zum Terminservice- und Versorgungsgesetz wurde der Kassenärztlichen Bundesvereinigung die Verantwortung für die sog. semantische und syntaktische Interoperabilität der ePA übertragen.

Diese Entscheidung sorgte seitens der IT-Branche für Kritik. Dass die KBV als Experte für die Patientenversorung die Standards für die elektronische Patientenakte festlegen soll, sei laut Kriedel nur folgerichtig. "Wir sind mit Hochdruck dran", erklärte er. Doch mit 35 Akteuren – allein in diesem Bereich – einen Konsens zu erzielen, bleibe eben schwierig.



Autorin: Angela Monecke
Redaktionsbüro Angela Monecke
Kopenhagener Str. 74
10437 Berlin

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2019; 31 (6) Seite 6-7