Die technologische Entwicklung, beispielsweise im Bereich der Informationstechnologie oder der Biotechnologie und Gentechnik, war in den letzten Jahrzehnten atemberaubend. Auch im Bereich der Diabetes-Technologie (DT) hat sich die Entwicklung rasant vollzogen. Details dazu lesen Sie hier.

Menschen mit Diabetes (MmD) und auch Diabetes-Experten fragen sich, warum sich die Verfügbarkeit moderner Technologien nicht automatisch in der Medizintechnik niederschlägt. Sie empfinden eine Kluft zwischen Hochtechnologie und DT. Die Entwicklung und Vermarktung eines Produkts ist jedoch eine immer größere Herausforderung. Je höher die allgemeine Verbreitung und damit die Amortisation der Investitionen ist, desto schneller kann diese Herausforderung gemeistert werden. Generell ist es notwendig, die vielfältigen Schritte von der Idee eines Produkts bis zu seiner Anwendung beim Menschen zu verstehen.

Rasante Entwicklung der Technologie im Allgemeinen und auch der DT im Speziellen

In den letzten Jahrzehnten haben wir in vielen Bereichen der Technologie eine rasante Entwicklung erlebt. Ein Symbol dafür sind Smartphones, die vor 20 Jahren noch unvorstellbar waren. In den 1990er Jahren gab es die ersten großen, sperrigen, ortsunabhängigen Telefone. 1994 kam das erste Smartphone von IBM (entwickelt 1992) auf den Markt, ein Telefon mit Touchscreen und Kalenderfunktion, das jedoch rund 1 kg wog. 2007 begann mit dem iPhone von Apple eine atemberaubende Entwicklung mit ständig neuen Geräten. Die heutigen Smartphones sind Minicomputer, die neben vielen anderen Funktionen zum Telefonieren genutzt werden können, über einen Internetzugang, eine hochauflösende Kamera und diverse Gesundheitsanwendungen verfügen und mit denen sich eine unüberschaubare Anzahl von Apps herunterladen lässt, die uns begleiten und in fast jeder Situation unseres Lebens Datenzugriff bieten.

Dieses Beispiel zeigt zwei Dinge: Erstens erscheint uns die Entwicklung schneller, als sie tatsächlich war. Wenn man genau hinschaut, ist der Zeitraum von 1992 bis 2007 länger, als er uns heute erscheint. Und zweitens war es die ständige Hinzufügung von Innovationen zum Smartphone, die uns die Entwicklung auch so schnell erscheinen lässt. Allein bei Apple hat dies bis heute zu 49 Geräteversionen in 17 Generationen geführt (aktuell ist dies bei Apple das iPhone-17).

Auch die Entwicklung der DT schritt rasant voran. Die ersten Insulinpens standen für MmD Mitte der 1980er Jahre zur Verfügung (1983: der MADI-Pen aus Tschechien, 1984: Novo-Pen 1 von Novo-Nordisk). Bis zu diesem Zeitpunkt und noch eine Weile danach musste eine Spritze aus einer 10 ml Flasche befüllt werden, um Insulin subkutan zu injizieren. Die ersten Geräte zur Blutzuckermessung gab es bereits vor etwa 40 oder 50 Jahren, aber sie waren groß und für den ständigen Gebrauch unter Alltagsbedingungen nicht geeignet. Außerdem war für die Messung ein Blutvolumen von mehreren Mikrolitern erforderlich (z. B. mit dem Ames Eyetone 1970), und die Messqualität war begrenzt. Die selten verwendeten Insulinpumpen hatten die Größe einer kleinen Pralinenschachtel, in die eine montierte Insulinspritze eingesetzt wurde (z. B. Mill Hill Infuser 1976). Betrachtet man den heutigen Stand der Technik mit Systemen zur kontinuierlichen Glukoseüberwachung (CGM), Smart Pens, Insulinpumpen und Systemen zur automatisierten Insulindosierung (AID), die eine automatische Anpassung der basalen Insulinabgabe und der Korrekturtboli in Abhängigkeit von den aktuellen Glukosewerten ermöglichen, dann kann diese Entwicklung durchaus als rasant bezeichnet werden.

Nachfolgend soll aufgezeigt werden, welch ein langwieriger und komplexer Weg zu betreiten ist, um von einer guten Idee zu einem für MmD verfügbaren Produkt zu gelangen.

Wahrnehmung des Fortschritts

Verständlicherweise gehen die Entwicklungen im Bereich DT den MmD oft zu langsam. Man denke nur an die "Looper-Community", in der sich MmD zusammenfanden, welche sich AID-Systeme (sogenannte OpenAPS) selbst bauten, indem sie Insulinpumpen teilweise "hackten", mit einem CGM koppelten und beide über einen selbst entwickelten Algorithmus verbanden.Sie beschrieben diese Herangehensweise auch mit "#WeAreNotWaiting", also "Wir warten nicht". Nun ist aber z.B. ein Smartphone ein reines Konsumprodukt, und die Schritte, die in den letzten 20 Jahren unternommen wurden, um es auf den aktuellen Stand zu bringen, sind wirklich beeindruckend. Bei Medizinprodukten für die Diabetes-Therapie geht es hingegen darum, diabetesbedingte Leiden zu reduzieren, MmD von vielen täglichen Belastungen zu befreien und ihre Lebensqualität zu verbessern. Die Wünsche von diesen Betroffenen hinsichtlich der technischen Entwicklung sind konkret und weitreichend. Angesichts der Geschwindigkeit der allgemeinen technischen Entwicklung ist es verständlich, dass die Erwartungen auch bezüglich der Technologie hoch sind, die ihr Leben vereinfachen kann. Dies kann aber bei Medizinprodukten nicht adäquat umgesetzt werden.

Hinter einer Aktivität, wie sie durch die "Looper" aufkam, stand zweifellos eine gewisse Kritik an der Industrie, die aus Sicht dieser MmD ihre Wünsche nicht schnell genug umsetzte. Der Einwand dagegen lautet unter anderem, dass für eine zuverlässige Steuerung der Insulinabgabe eine entsprechend präzise Glukosemessung erforderlich ist. Dies war erst ab 2012/13 der Fall, obwohl CGM-Systeme grundsätzlich bereits seit 1999 verfügbar waren. Darüber hinaus war die Entwicklung von AID-Systemen bei Unternehmen wie MiniMed (Medtronic) bereits bei der Gründung des Unternehmens eine Vision.

Dieses Beispiel zeigt, dass die Erwartungen an die Entwicklung von DT höher sind als das beobachtete Entwicklungstempo. Die Orientierung an den schnelleren Fortschritten in einigen Bereichen der Konsumgüterindustrie tut ihr Übriges. Was sind also die Hürden für eine schnellere Verfügbarkeit von DT?

Welche Schritte bestimmen den Aufwand und die Entwicklungsgeschwindigkeit von DT?

Bevor ein Produkt auf den Markt kommt, müssen verschiedene, teilweise sehr umfangreiche Schritte bewältigt werden. Dies ist generell immer der Fall, jedoch wird dies bei Medizinprodukten noch komplexer und damit auch zeitaufwändiger. Generell sind klinische Studien Voraussetzung für die behördliche Zulassung eines Medizinprodukts , da Sicherheitsgarantien für dessen erfolgreiche Anwendung gegeben werden müssen. Einige dieser Entwicklungsschritte sind sehr schwierig und verlängern folglich die Entwicklungszeit.

Am Anfang steht immer eine Idee. Sie kann im Rahmen eines Auftrags an die Forschungsabteilung eines Unternehmens entstehen, aber auch aus einer bestehenden Lösung resultieren, die nicht die gewünschten Eigenschaften aufweist. Manchmal entstehen Ideen spontan und sind nicht selten der Beginn einer großen technischen Innovation. Wenn dann ein cooler Denker am Werk ist, können übergreifende Lösungen entstehen. Wer hätte gedacht, dass ein Computer ohne große Speichermedien, ohne direkten Zugriff über eine Schnittstelle (z. B. USB) von den Verbrauchern akzeptiert werden würde? Steve Jobs dachte jedoch an das Internet und schuf das iPad.

Was auf eine erste Idee folgen muss, ist die Ausarbeitung des Projekts. Wenn wir der Idee als Maßstab für den Aufwand die Zahl 1 zuweisen, dann kostet die Projektbearbeitung mindestens das Zehnfache an Aufwand. Dazu gehören Skizzen für ein Gerät, die Prüfung der Patentliteratur, Überlegungen zu den zu verwendenden Materialien und deren Umweltverträglickeit, die Frage nach Fertigprodukten, die in ein eigenes Gerät integriert werden könnten, und eine Literaturrecherche, nicht nur zum Thema, sondern auch um mögliche Kooperationspartner zu finden. In dieser Phase werden sicherlich erste Versuche mit einem Testgerät durchgeführt, um zu sehen, ob das, was man sich vorgestellt hat, im Prinzip funktioniert. Ein Beispiel hierfür ist ein nicht-invasiv messendes Blutzuckermessgerät, das eine physikalische Methode nutzt, beispielsweise die Absorption von Infrarotlicht. Man sucht eine entsprechende Lichtquelle und einen Lichtsensor und ermittelt im Absorptionsspektrum die Signale, die dem Glukosewert zuzuordnen sind. Man wird jedoch auch feststellen, dass das Glukosesignal durch Störgrößen überlagert ist, und versuchen, das Glukosesignal herauszufiltern. Der Aufwand hat sich somit um einen weiteren Faktor 10 erhöht.

Im nächsten Schritt wird ein funktionsfähiges Muster, ein Prototyp, erstellt. Dieser weist viele Eigenschaften des Endprodukts auf, insbesondere hinsichtlich der Funktionalität. Bei Messgeräten betrifft dies die Messmethode, möglicherweise die Sensorelektroden, die Sicherstellung der Betriebsspannung (falls erforderlich) oder bei Insulinpumpen den Mikromotor und das Feingetriebe. Ideen für das Design werden ebenso berücksichtigt wie diese Überlegungen zur Funktionalität. Darüber hinaus betrifft dies die Software und die Datenübertragung. Es folgt die erste Geräteserie, die sogenannte Pilotserie, mit der weitere Tests durchgeführt werden. Auch hier ist der Aufwand um das 10- bis 50-fache höher als in der vorherigen Phase.

Das Produkt muss getestet werden. Dabei treten mehrere Aspekte auf. Bei CGM-Systemen ist beispielsweise einerseits die Qualität der Messung wichtig. Aus heutiger Sicht sind Messwertabweichungen von weniger als 10 % gegenüber einer Referenzmessung anzustreben. Andererseits spielte zu Beginn der Anwendung der Nachweis der Sicherheit und Wirksamkeit von CGM eine Rolle, wenn Menschen mit Diabetes es zum managen ihrer Therapie einsetzten. Zu diesem Zweck mussten zahlreiche klinische Studien belegen, dass die Anwender davon profitieren. Dies musste durch eine Verbesserung der Stoffwechselkontrolle (besserer HbA1c, weniger hypoglykämische Ereignisse, Zunahme der Zeit im Zielbereich (TIR), Abnahme der Zeit über (TAR) und unter (TBR) dem Zielbereich) und/oder eine Verbesserung der Lebensqualität nachgewiesen werden. Dieser zweite Aspekt war auch für die Zulassung von CGM-Systemen durch die Kostenträger wichtig. Dies gilt jedoch auch für andere Diabetes-Technologieprodukte, wenn sie zu einer neuen Therapieform führen, z. B. Insulinpumpen, bei denen durch die Kopplung mit CGM eine sensorunterstützte Pumpentherapie entsteht, oder die Insulinabgabe automatisiert wird (AID-Systeme). Weitere Beispiele sind CGM-gestützte SmartPens oder als digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) geplante Apps.

In dieser Phase sind viele Entwicklungen gescheitert. Hier einige Beispiele:

1. Mehrfach, zuletzt über Google, wurde eine Kontaktlinse angekündigt, mit welcher der Glukosegehalt im Augenwasser gemessen werden sollte. Aufgrund der mangelnden Messgenauigkeit und auch weil es schwierig ist, eine Kontaktlinse immer 24 Stunden am Tag zu tragen, was bedeutet, dass die Glukosemessung nicht durchgängig gewährleistet werden kann, wurden die Bemühungen eingestellt.2. Anfang der 2000er Jahre stellte das amerikanische Unternehmen Sensys Medical ein System zur unblutigen Messung von Glukose auf Basis der Absorption von Infrarotlicht (Nahinfrarot) vor. Die Labormessungen waren optimistisch, wenn der Glukosesensor gut kalibriert worden war. Als das Gerät bei Probanden mit Diabetes angewendet wurde, zeigte es eine zufriedenstellende Messqualität, wenn ein Mitarbeiter des Unternehmens die Messungen durchführte. Wurde die Testperson durch eine Studienkrankenschwester unterstützt (ohne den Mitarbeiter der Herstellerfirma), so waren die Ergebnisse deutlich schlechter. Regelrecht mangelhaft war die Messgenauigkeit, wenn die Testperson die Messung allein durchführen musste. Das Problem war, dass der Druck des Fingers auf das Testfeld, die Beschaffenheit der Fingerspitze usw. die Messung erheblich beeinflusste.3. Das Schweizer Unternehmen Pendragon sorgte Anfang der 2000er Jahre mit einem ebenfalls nicht-invasiven Glukosemesssystem namens "Pendra" für Aufsehen. Es bestimmte die Glukosekonzentration anhand der Leitfähigkeit in der Umgebung der Körperzellen. Nach umfangreicher Kalibrierung waren die Messergebnisse manchmal sehr gut, aber sie waren für ein und dieselbe Testperson an einem anderen Tag nicht gleich, also nicht reproduzierbar. Aufgrund verschiedener anderer Einflüsse (Luftfeuchtigkeit, Temperatur usw.) war nie klar, wann die Messung genau und wann sie ungenau war. Gleichzeitig hatte das Unternehmen bereits die CE-Kennzeichnung erhalten, mit der Vermarktung begonnen und sich sogar auf den Börsengang vorbereitet.

Es gibt zahlreiche ähnliche Beispiele, darunter viele Insulinpumpenprojekte, die zeigen, wie komplex und kostspielig eine erfolgreiche Entwicklung sein kann. Dies erhöht den Aufwand sicherlich um das 10- bis 50-fache.

Entscheidender Schritt: Fertigung

Der entscheidende nächste Schritt ist die Entwicklung der Technologie zur Fertigung der Systeme. Dazu gehört die Installation von Produktionsanlagen und Teststrecken. Wenn eine Großserienfertigung des Produkts vorgesehen ist, wird das Zusammenspiel eines Komplexes von Anlagen entscheidend. Dazu gehören auch die Personen, die für die Anlagen verantwortlich sind. Ein Beispiel aus der Mikroelektronikindustrie veranschaulicht dies: Wenn ein neues Technologieniveau angestrebt wird (z. B. Speicherschaltungen mit 50 Gbit), beträgt die Ausbeute zu Beginn nur wenige Prozent. Nach etwa zwei Jahren liegt sie dann bei über 80 %, obwohl sich an Technologie, Anlagen, Materialien oder Hilfsstoffen nichts geändert hat. Der Grund für die höhere Ausbeute ist die Erfahrungskurve des Gesamtprozesses. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Technologie umfangreiche gesetzliche Anforderungen erfüllen muss. Dazu gehören Aspekte des Arbeitsschutzes, der Sicherheit, des Umweltschutzes usw. Der Aufwand erhöht sich somit noch einmal um mindestens den Faktor 1000 (im Vergleich zur Idee hat sich der Aufwand nun bereits um mehrere zehn Millionen Mal erhöht).

Finaler Schritt: Zulassung

Sind all diese Hürden genommen, müssen die Produkte noch zugelassen werden. Eine CE-Kennzeichnung war noch relativ einfach zu erhalten. Die seit 2021 geltende Europäische Medizinprodukteverordnung (MDR) stellt nun aber eine deutlich höhere Hürde dar. In Deutschland besteht beispielsweise die grundsätzliche Notwendigkeit, den Kostenträgern, insbesondere dem Zentralverband der gesetzlichen Krankenkassen (SV-GKV), nachzuweisen, dass eine mit dieser Technologie durchgeführte Therapie für die Patienten von Nutzen ist. Handelt es sich um eine neue Form der Therapieunterstützung, wie vor ca. 10 Jahren bei CGM oder gar um Therapiesteuerung wie beim AID, dann müssen schlüssige Studien mit evidenten Ergebnissen vorgelegt werden. Bestehen Zweifel, wird die Angelegenheit an den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) verwiesen, der die Studien dann häufig vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) überprüfen lässt. Dieses akzeptiert nur Aussagen aus randomisierten, kontrollierten Studien über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten. Solche Studien liefern in der Regel gute Belege, sind jedoch zeitaufwändig und sehr kostenintensiv. Auch hier steigt der Gesamtaufwand. Hier ein Beispiel, das zeigt, wie lange ein solcher Prozess dauern kann:

Einer der Autoren, damals wissenschaftlicher Leiter der Firma Medtronic Diabetes Deutschland, diskutierte im Februar 2007 erstmals mit dem SV GKV über die Zulassung von CGM für den täglichen Gebrauch durch Menschen mit Diabetes. Die ersten CGM-Systeme mit Anzeige der aktuellen Glukosewerte standen zu dem Zeitpunkt zur Verfügung und auch erste randomisierte, kontrollierte Studien existierten (z.B. die GuardControl-Studie). Es folgten zahlreiche Studien, die diesem Ausschuss wiederholt vorgelegt wurden. Der SV GKV wandte sich an die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). In ihrer Arbeitsgruppe Diabetes-Technologie (AGDT) wurden die positiven Belege für den Einsatz von CGM in einer Grundlagenpublikation zusammengefasst. Darauf folgte schließlich die Bewertung der Belege durch das IQWiG und dessen positive Entscheidung. Nach verschiedenen Anhörungen wurde CGM schließlich im Juni 2016 für intensiviert insulinbehandelte Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes zugelassen. Diese Beschreibung eines mehr als neun Jahre dauernden Zulassungsprozesses für eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode ist nicht als Kritik an den Behörden zu verstehen. Insbesondere die Bereitstellung der erforderlichen Evidenz war langwierig. Auch hatten die Unternehmen mit CGM-Systemen nicht immer eine einheitliche Sicht auf die Anwendungsbereiche der Methode, und auch unter den Ärzten herrschte nicht immer Einigkeit. All dies ist normal. Es zeigt jedoch, wie ein solcher Zulassungsprozess die Verfügbarkeit innovativer Produkte um Jahre verzögern kann. Wenn man also den Aufwand anhand der beschriebenen Reihe der Herausforderungen zusammenzählt, so erhöht sich dieser von der Idee (Faktor 1) bis zum fertigen Produkt um den Faktor von 100 Millionen und mehr.

Kostenerstattung

Nachdem Diabetes-Technologieprodukte zugelassen sind, müssen sie noch vom Hersteller und/oder seinen Handelspartnern vermarktet werden. Sowohl die Diabetes-Teams als auch die MmD müssen davon überzeugt sein, dass ihre Verwendung ihnen einen erheblichen Vorteil bringt. Dies erkennen sie nur, wenn nicht nur die Diabeteseinstellung verbessert wird, sondern sich auch das Diabetesmanagement im Alltag vereinfacht. Nur dann werden sich die Produkte durchsetzen und den wirtschaftlichen Erfolg des Herstellers sichern.

Leider ohne Erfolg

Ein bedauerliches Beispiel ist die GlucoWatch des amerikanischen Unternehmens Cygnus. Dabei handelte es sich um eine Uhr mit zwei Elektroden und einem Pad an der Unterseite. Das Pad enthielt ein Enzym (Glucoseoxidase) zur Umwandlung und Messung von Glucose, vergleichbar mit einem Teststreifen. Über die Elektroden floss ein Ionenstrom durch die Haut, wodurch Flüssigkeit aus dem Gewebe, die ebenfalls Glucose enthielt, gesammelt und zur anderen Elektrode transportiert wurde. Die Glukosemenge wurde auf dem Pad gemessen. Der Nachteil war, dass ein Pad nur bis zu 12 Stunden messen konnte, zuvor jedoch eine Einlaufzeit von 2 Stunden erforderlich war. Außerdem traten bei vielen Anwendern Stromspuren auf der Haut auf. Obwohl das Unternehmen eine Vielzahl von Studien vorlegen konnte und bereits 2002 als erstes CGM-System zur Anzeige aktueller Glukosewerte die Marktzulassung erhielt, blieb der kommerzielle Erfolg aus. Die GlucoWatch verschwand wieder vom Markt.

Als positives Beispiel können die AID-Systeme angeführt werden. Die Anpassung der Basalinsulinabgabe an den Glukosespiegel des Anwenders sorgt in den meisten Fällen dafür, dass die morgendlichen Glukosewerte im euglykämischen Bereich liegen. Auch tagsüber liegen die Glukosewerte in der Regel innerhalb des Zielbereichs (TIR), für den Glukosewerte zwischen 70 und 180 mg/dl (3,9 bis 10,0 mmol/l) als normal angesehen werden. Anwender solcher Systeme verbringen sehr oft mehr als 70 % TIR, was bei jeder anderen Therapieform enorme Anstrengungen erfordern würde (häufige Überwachung des Blutzuckerspiegels, Verabreichung von Korrekturdosen bei zu hohen Blutzuckerwerten, Beachtung des Risikos einer Hypoglykämie) und daher im weiteren Sinne kaum zu erreichen ist. AID-Systeme, insbesondere solche mit automatischen Korrekturdosen, übernehmen dies, ohne dass der MmD eingreifen muss. Er wird entlastet und zusätzlich werden die die Zielglukosewerte weitgehend erreicht.

Zusammenfassung

Die Vielzahl notwendiger Schritte bei der Entwicklung von Diabetes-Technologieprodukten, die dann tatsächlich für MmD verfügbar sind, stellen eine Herausforderung dar. Handelt es sich dabei um Innovationen, also Produkte, die zum ersten Mal in dieser Art entwickelt werden, dann steigen die Herausforderungen auf ein extremes Niveau. Nur fortschrittliche Unternehmen mit ihrer großen Kapitalbasis oder in Partnerschaft mit anderen Unternehmen oder Investoren können die notwendigen Entscheidungen treffen und den Entwicklungsprozess abschließen. Es ist gut, dass dieser Mut in einigen Unternehmen vorhanden ist, die auch in Zukunft neue Produkte anbieten werden. Schließlich gibt es noch viel Entwicklungspotenzial. Allerdings müssen sich auch die Zulassungsverfahren an die Geschwindigkeit der Innovationen anpassen, was bei weitem noch nicht der Fall ist.


Autoren:
© privat
Andreas Thomas (PhD)
An der Elbaue 12, 01796 Pirna

© Mike Fuchs
Lutz Heinemann (PhD)
Science Consulting in Diabetes, Geranienweg 7a, 41564 Kaarst


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (5) Seite 28-33