DFS: Die Thermografie, also das bildliche Sichtbarmachen von Temperaturverteilungen, kann ein leistungsfähiges Werkzeug zur Überwachung der Fußgesundheit sein. Insbesondere im Bereich der Versorgung von Patienten mit Diabetes mellitus und Risiken zur Entstehung eines Diabetischen Fußsyndroms (DFS) deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass eine häufige thermografische Beurteilung potenziell schwerwiegende Komplikationen verhindern kann.

Im Diabeteszentrum Bad Lauterberg wird seit Januar dieses Jahres ein neuartiges Gerät eingesetzt, welches es den behandelnden Ärzten ermöglicht, einfach und schnell ein Thermogramm vom Fuß der Patienten anzufertigen. Die Untersuchung wurde als Screening für Risikopatienten eingeführt. Sobald eine periphere Polyneuropathie diagnostiziert wird, es Hinweise auf eine periphere Durchblutungsstörung gibt oder andere Risikofaktoren vorliegen, wird routinemäßig ein Wärmebild der Fußsohle aufgenommen. Somit lassen sich pathologische Vorgänge an den Füßen der Patienten frühzeitig erfassen und vor dem Auftreten schwerwiegender Schäden entsprechende Behandlungen einleiten oder Hilfsmittelverordnungen ausstellen. Gerade in den Anfangsstadien der Erkrankungen können diese wegen ihrer geringgradigen klinischen Ausprägung bei den ärztlichen Untersuchungen leicht übersehen werden. Hierzu zählen neben Entzündungen auch in Scores nicht erfasste neuropathisch bedingte Veränderungen oder lokale Perfusionsstörungen durch eine Mikro- oder Makroangiopathie. Zusätzlich lassen sich Über- und Fehlbelastungen des Fußes im thermischen Bild erkennen. Dabei gibt es jeweils charakteristische Auffälligkeiten im Wärmebild (siehe zum Vergleich Abb1. Temperaturmuster gesunder Füße). Die hauptsächlichen charakteristischen Merkmale sind:

  1. Kontralaterale Asymmetrie. Ein gesundes Fußpaar zeichnet sich durch eine spiegelsymmetrische Temperaturverteilung aus. Studien mit fußgesunden Probanden haben ergeben, dass in 99% aller Fälle der kontralaterale Temperaturunterschied (also z.B. zwischen dem linken und dem rechten großen Zeh) über die gesamte Fußfläche durchweg kleiner als 1.8 °C ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein Unterschied von mehr als 1.8 °C – einige Studien benutzen einen Grenzwert von 2.2 °C – als ein Anzeichen für einen möglichen pathologischen Prozess angesehen werden kann.
  2. Zentralperipherer Temperaturgradient. Bei gesunden Füßen ist der Mittelfußbereich unter dem Spann in der Regel bis zu 7 °C wärmer als die peripheren plantaren Fußanteile. Die Ferse und insbesondere die Zehen sind physiologisch kälter. Fehlt dieser Temperaturgradient, ist er deutlich größer als 7 °C oder ist er sogar umgekehrt, ist dies ein klinisch auffälliger Befund.
  3. Sogenannte Hot-Spots. Dies sind kleinere und abgegrenzte Gebiete der Fußsohle, die sich deutlich, also mit mehreren Grad Celsius von dem sie umgebenden Hautgebiet abheben. Lokale Entzündungen sind eine häufige Ursache. Ist diese Entzündung auf eine Überbeanspruchung oder gar beginnende Zerstörung des subkutanen Gewebes zurückzuführen, kann es sich um ein beginnendes diabetisches Fußulkus handeln, dass auf der Oberfläche noch nicht zu sehen ist. Typisch wäre dies unter Hornhautschwielen zu finden.
  4. Kalte Gebiete. Im Gegensatz zu Hot-Spots sind kalte Gebiete oft ausgedehnter und deuten auf Perfusionsstörungen. Dabei kann sowohl eine Makro- oder Mikroangiopathie ursächlich sein.

Abb.1: Temperaturmuster gesunder Füße. (Copyright: P. Plassmann)

Schlussendlich handelt es sich bei allen diesen Indikatoren um Abweichungen von der normalen Temperaturverteilung des gesunden Fußes. Es ist dabei jedoch wichtig auf zwei grundsätzliche Einschränkungen der Thermographie hinzuweisen:

Die Thermographie, auf sich selbst gestellt, ist kein diagnostisches Werkzeug und darf als solches allein nicht zur Diagnose oder für Behandlungsentscheidungen eingesetzt werden. Der Grund dafür ist, dass Temperaturwerte und -muster der Haut im Wesentlichen eine Funktion des Blutflusses sind. Sie sind daher nicht spezifisch für eine bestimmte Krankheit oder Pathologie. Ein Hot-Spot am großen Zeh kann beispielsweise durch einen eingewachsenen Nagel, einen Fremdkörper, eine Fraktur oder durch schlecht angepasstes Schuhwerk verursacht werden. Thermographie kann lediglich normalerweise unsichtbare Vorgänge auffällig machen. Es bedarf dann des Wissens und der Erfahrung des behandelnden Arztes, diese Vorgänge in einem korrekten Zusammenhang zu setzen und zu interpretieren. Absolute Temperaturwerte sind von begrenzter Bedeutung in der Thermographie. Dies steht im Gegensatz zum Fieberthermometer, mit dem indirekt die Temperatur des Körperkerns bestimmt werden kann. Diese Temperatur wird bekanntermaßen vom Körper in einem eng begrenzten Intervall zwischen etwa 36 °C und 37 °C reguliert. Hauttemperatur hingegen, insbesondere in den peripheren Gebieten der Hände und Füße, ist hochgradig variabel und wird durch eine aktive Regelung an die jeweiligen Bedürfnisse des Körpers angepasst. Das normale Temperaturintervall kann daher durchaus 25 °C oder mehr betragen. Bei sehr kaltem Wetter ist es möglich, dass die Extremitäten auf einstellige Temperaturen auskühlen, ohne strukturelle Schäden zu entwickeln. Die Temperaturregulation wird durch eine große Anzahl interner und externer Parameter beeinflusst. Dazu zählen zum Beispiel die Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, körperliche Aktivität, Nikotin, Alkohol, Koffein und Kleidung. Es ist im täglichen klinischen Betrieb nicht möglich, alle diese Faktoren konstant und daher reproduzierbar zu halten.

Im Gegenteil: Es ist oftmals die Abwesenheit dieser aktiven Thermoregulation, beispielsweise bei fortgeschrittener Neuropathie des Fußes, die als auffällig zu bewerten ist. Die oben genannten charakteristischen Merkmale Asymmetrie, Gradient, Hot-Spots und kalte Gebiete sind daher zwar quantifizierbar, dies jedoch im Wesentlichen relativ zu anderen Hautgebieten und somit nicht absolut. Als solches sind diese Merkmale damit gegenüber den vielen, die Hauttemperatur beeinflussenden und variablen Parametern, wesentlich widerstandsfähiger.

Typische Beispiele für den Einsatz einer Thermographie

Fall 1:
Im ersten Fall handelt es sich um einen Patienten mit einer nachgewiesenen peripheren Polyneuropathie. Im Foto (A) sieht man eine gute Auflage der Füße auf der Messplatte. Im Bild der Thermografie sieht man keine Temperaturdifferenz zwischen beiden Fußsohlen (B). Allerdings gibt es keinen zentral-peripheren Temperaturgradienten. Dies passt gut mit der Diagnose periphere Polyneuropathie zusammen.

A: Füße auf der Messplatte.

B: Patient mit peripherer Polyneuropathie.

Fall 2 + Fall 3:
Im zweiten Fallbeispiel (C) sieht man zusätzlich eine deutliche Temperaturdifferenz zwischen den Füßen Diese beträgt etwa 2 °C (D). Ursache ist eine im MRT bestätigte aktivierte DNOAP links. Obwohl der dritte Fall ein ähnliches Thermografie-Bild aufweist, ist die Ursache der Temperaturdifferenz eine andere (E). In diesem Fall lag eine Fußphlegmone bei abszediertem Fußulkus vor.

C: Patient mit aktivierter DNOAP

D: Temperaturscala

E: Patient mit Fußphlegmone

Alle Abbildungen: Diabeteszentrum Bad Lauterberg

Beurteilung / Ausblick

Im Diabeteszentrum Bad Lauterberg wurden im ersten Quartal 2023 etwa 200 Risikopatienten thermografisch untersucht. Dazu wurde das Gerät "Podium Professional" der Firma Thermetrix Ltd. benutzt (Abb. 2). Das Verfahren lässt sich einfach durchführen und gut in den Krankenhausablauf integrieren. Der Zeitaufwand für das Personal, welches die Untersuchung durchführt, ist nach einer geringen Einübungszeit akzeptabel. Ebenso ist die Auswertung der erzeugten Bilder gut zu erlernen. Thermografie ist alltagstauglich.

Abb. 2: Für Thermografie benutztes Gerät: Podium, Thermetrix Ltd. (Copyright: Thermetrix)

Der Nutzen des Verfahrens besteht in der Erkennung von Risikopatienten. Alle im Diabeteszentrum thermografisch Untersuchten waren noch nicht mit einem DFS aufgefallen. Am häufigsten wurden dabei Patienten identifiziert, die wegen nicht angegebener Symptome im Neuropathie Symptome Score (NSS) keine sicher nachgewiesene periphere Polyneuropathie diagnostiziert bekommen hatten. Bei diesen wurde eine ergänzende Diagnostik eingeleitet. Durch Untersuchung der Suderomotorik ließ sich bis auf wenige Ausnahmen eine Polyneuropathie durch ein anerkanntes zweites Verfahren sichern. Durch entsprechende Schulungen konnte den Patienten eine spezielle Vorsorge, wie Hautpflege etc. vermittelt werden. Prinzipiell können bei diesen Patienten auch Hilfsmittel (Schutzschuhe) rezeptiert werden. Dies wurde im Arztbrief empfohlen. Sehr praktisch waren Beurteilungen von Patienten mit aktiver Diabetischer Neuroosteoarthropathie. Hier sind plantare Temperaturverläufe gut erfassbar und können aufwendige andere Untersuchungen ersetzen. Durch die Thermografie konnten Patienten mit spezifischen Fußproblemen entdeckt werden. Beispiele waren Pilzinfektionen der Füße oder orthopädische Fehlbelastungen. In einem Einzelfall wurde eine spezifische Perfusionsstörung detektiert, die nicht durch eine PAVK bedingt war. Gefährdete Stellen mit potenziellen "hot spots" fielen bereits in den ärztlichen Aufnahmeuntersuchungen auf und wurden einer entsprechenden Therapie zugeführt. Diese Patienten wurden im Diabeteszentrum Bad Lauterberg nicht thermografisch untersucht. Hier spielt sicherlich die Spezialisierung der Einrichtung eine Rolle. Die Aufnahmeuntersuchung schließt eine Beurteilung der Füße ein. Die Thermografie kann ihre Stärken besonders im ambulanten Bereich ausspielen. Sie könnte für ein häufiges Screening großer Patientengruppen eingesetzt werden, wo aufgrund beschränkter ärztlicher Kapazitäten bei bisher nicht mit einem Fußsyndrom auffälligen Patienten größere Untersuchungsintervalle üblich sind.


Autor:
Dr. med. Thomas Werner
Chefarzt im Diabeteszentrum Bad Lauterberg


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (6) Seite 46-48