Künftig können sich gesetzlich Versicherte mit einem Diabetischen Fußsyndrom (DFS) vor einer Amputation eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung einholen. Dies hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) vergangene Woche entschieden.¹ Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) lobt diesen ersten auf Freiwilligkeit basierenden Schritt, der den rund 250.000 Patientinnen und Patienten, die jährlich an einem DFS erkranken, in vielen Fällen eine Amputation erspart.

Menschen mit Diabetes mellitus haben ein 30-fach höheres Risiko für Amputationen. Kommt es zu einem Verlust großer Gliedmaßen (Major-Amputation), liegt die Fünf-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit der Betroffenen bei nur etwa 50 Prozent – vergleichbar mit einigen bösartigen Tumorerkrankungen. Umso wichtiger ist es, Amputationen bei einem DFS zu vermeiden, die Mobilität der Betroffenen zu erhalten und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

„Wir begrüßen daher die Entscheidung des G-BA zur unabhängigen Zweitmeinung vor einer drohenden Amputation, hätten uns hier aber gewünscht, dass dies nicht auf freiwilliger Basis, sondern verbindlich eingeführt wird“, sagt DDG Präsidentin Professor Dr. med. Monika Kellerer. Darüber hinaus gelte es nun zu prüfen, wie es nun systematisch umgesetzt werden kann, sodass auch Patientinnen und Patienten aus ländlichen Regionen davon profitieren können.

Telemedizin könnte Versorgungsqualität für ländliche Regionen sichern

Der aktuelle Beschluss kann nur dann zu grundlegenden Veränderungen führen, wenn die Zweitmeinung durch ein Gutachten von Experten entsteht, die auf diesem Gebiet viele Erfahrungen haben. „Das DFS ist ein hochkomplexes Krankheitsbild, das möglichst durch ein multidisziplinäres Team aus Diabetologen, Gefäßchirurgen und Orthopäden sowie der Integration der nichtärztlichen Assistenzberufe behandelt werden sollte“, betont Professor Dr. med. Ralf Lobmann, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft „Diabetischer Fuß“ der DDG. Behandelnde Ärzte und ihre Patienten sollten sich daher an zertifizierte Einrichtungen wenden. Mit ihrer Expertise lassen sich Amputationen nachweislich deutlich reduzieren: „Während die Rate von Major-Amputationen in solchen spezialisierten Zentren bei 3,1 Prozent liegt, beläuft sich die Quote in der Allgemeinversorgung auf zehn bis zwanzig Prozent“, erläutert Lobmann.

Das liege auch an der Expertise für alternative Behandlungsmethoden wie gefäßchirurgische Eingriffe. An dieser Stelle könne die Telemedizin die Versorgung grundlegend verbessern. „Die Versorgungsqualität wäre damit flächendeckend gesichert – auch für Patienten aus ländlichen Regionen.“ Seit Jahren setzt sich die DDG für ein telemedizinisches Zweitmeinungskonsil ein, das mit der aktuellen G-BA-Entscheidung mehr Wirkkraft erhalten könnte – vorausgesetzt diese wird systematisch in das Verfahren eingebunden.

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Trendwende in der Versorgung des Diabetischen Fußsyndroms in Deutschland?

Der Ärztliche Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie am Klinikum Stuttgart erkennt eine Trendwende in der Versorgung des DFS in Deutschland: „Unsere langjährigen Appelle, die präventiven und fußerhaltenden Maßnahmen in der Patientenversorgung mehr in den Fokus zu rücken, tragen nun erste Früchte“, begrüßt Lobmann die Entwicklung.

Ende 2019 hat der G-BA entschieden, dass die Wundbehandlung mit Vakuumversiegelungstherapie auch in der ambulanten Versorgung Kassenleistung wird.² Damit profitieren nun auch gesetzlich Krankenversicherte von einer erweiterten, modernen Wundversorgung.

Im Februar entschied der G-BA zugunsten einer Erweiterung der Verordnungsfähigkeit von medizinischer Fußpflege.³ Bisher konnten diese Therapie nur Patienten mit einem DFS und der Gefahr auf unumkehrbare Folgeschädigungen der Füße in Anspruch nehmen.

Ab dem 1. Juli 2020 kann die Podologische Therapie auch dann bereits erfolgen, wenn Schädigungen am Fuß als Folge einer sensiblen oder sensomotorischen Neuropathie vorliegen. „Diese und die aktuelle Entscheidung zur Zweitmeinung sind sehr wirkungsvolle und wichtige Maßnahmen, die dabei helfen, die noch zu hohe Amputationsrate in Deutschland zu senken“, so Lobmann.

(Ökonomische) Fehlanreize für Amputationen müssen abgeschafft werden

Doch mit den aktuellen Beschlüssen sei es noch nicht getan. „Unklar bleibt, wie die zeitnahe Zweitmeinung erfolgen soll, da die Fragestellung nach einer Major-Amputation immer dringlich und maximal innerhalb von 36 Stunden zu klären ist“, gibt Lobmann zu bedenken. Da dies gerade im ländlichen Raum und in Flächenländern ein Problem sein kann, wurde in einem Projekt der DDG und AG „Diabetischer Fuß“ eine digitale, telemedizinische Plattform bereits in Baden Württemberg evaluiert.

Die DDG fordert darüber hinaus, eine Amputation nur dann voll zu vergüten, wenn eine externe Zweitmeinung vorliegt. „Der aktuelle Beschluss ermöglicht es dem Patienten zwar, sich eine zweite Meinung einzuholen. Macht er davon jedoch nicht Gebrauch, kann es weiterhin zu unnötigen Amputationen kommen“, führt Lobmann aus. Darüber hinaus kritisiert er den Stellenwert der Gliedmaßen-erhaltenden Medizin in Deutschland im Vergütungssystem. „Bislang ist es hierzulande ökonomisch attraktiver, eine Amputation durchzuführen, als Zeit und Ressourcen in den Erhalt der Extremität zu investieren.“ Diese Fehlanreize gelte es abzuschaffen.

Bereits seit Jahren setzt sich die DDG für ein unabhängiges, verbindliches Zweitmeinungsverfahren vor Amputationen und für eine interdisziplinäre Versorgung dieser Patientinnen und Patienten ein. Sie zertifiziert ambulante und stationäre Einrichtungen. Eine Liste der zertifizierten Einrichtungen finden Sie hier.

Literatur
1. G-BA: „Amputation beim Diabetischen Fußsyndrom: Patientinnen und Patienten können ärztliche Zweitmeinung zur empfohlenen Operation einholen“ https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen/858/
2. G-BA: Erweiterung der Verordnungsfähigkeit für medizinische Fußpflege https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen/844/
3. G-BA: Wundbehandlung mit Vakuumversiegelungs-therapie wird auch in der ambulanten Versorgung Kassenleistung https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen/831/

Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)