Claudia Walter hat beim Diabetes Kongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft die Fortbildung für Diabetesberaterinnen und -assistentinnen besucht. Hier ihr Bericht aus Hamburg.

Da der Evangelische Kirchentag und die offizielle Eröffnung des Lutherjahres in Berlin zur gleichen Zeit wie die 52. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft stattfinden sollte, war ein Ortswechsel für den Diabetes Kongress nach Hamburg notwendig geworden. Die Stadt an der Elbe erwies sich als hervorragenden Gastgeber, zumal die Hansestadt neben den bereits bekannten Wahrzeichen nun auch mit dem neuen Prestigegebäude, der Elbphilharmonie, viel zu bieten hat.

Zu den knapp 7.000 Teilnehmern zählten wiederum zahlreiche Diabetesassistentinnen und –beraterinnen, für die die Fortbildung am Samstagvormittag eine gute Möglichkeit darstellt, einen kompakten, berufsbezogenen Überblick über aktuelle Themen zu erhalten. Wie in den vergangenen Jahren spannte das Programm einen weiten Bogen von politischen Ansätzen der DDG über rechtlich abgesicherte Zuständigkeiten in der Beratung zu praktischen Anleitungen bei der Beurteilung von CGM-Kurven, es wurde die Therapie des Gestationsdiabetes, ebenso beleuchtet wie die sinnvolle Betreuung alter Menschen mit Diabetes.

DDG-Präsident machte den Start

Der neue Präsident der DDG, Professor Dr. Dirk Müller-Wieland, war auch diesjähriger Tagungspräsident. Er zeigte in seinem Vortrag die Themen auf, um die er sich in seiner Amtszeit besonders kümmern möchte. Ihm ist es ein wichtiges Anliegen, die Erkrankung an Diabetes nicht zu bagatellisieren. Wenn jemand einen Herzinfarkt erleidet, wird er bedauert, bei der Diagnose Diabetes mellitus heißt es eher, er war schon immer sehr stark.

Zu den Wegen einer guten Versorgung in der Zukunft gehören für ihn ein Fortbestand bzw. eine Zunahme der klinischen Lehrstühle, um für die angehenden Ärzte eine fundierte Ausbildung in der Diabetologie zu gewährleisten. Dem Nachwuchs möchte er bessere berufliche Perspektiven aufzeigen, dazu wurde während des Kongresses eine neue AG "Nachwuchs in der DDG" gegründet. Auch er will sich dafür einsetzen, dass bundesweit der Beruf der Diabetesberatung staatlich anerkannt wird. Außerdem sieht er in der Digitalisierung eine große Chance für die verbesserte Betreuung der Patienten in der Zukunft.

Eine Million Euro für gesundheitliche Aufklärung

Der noch bis Ende Juni 2017 amtierende Geschäftsführer der deutschen Diabetes Gesellschaft, Dr. Dieter Garlichs, berichtete über die verschiedenen Projekte und Initiativen zur Prävention des Typ-2-Diabetes. Im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft wurde 2015 eine nationale Strategie zur Reduktion von Salz, Zucker und Fett erarbeitet.

Allerdings stehen dem Etat der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ein 100facher Mehrbetrag der Werbung für Lebensmittelindustrie entgegen, ebenso für die Süßwarenindustrie im Gegensatz zur Werbung für Obst und Gemüse, eine Million Euro hat die gesundheitliche Aufklärung im Tabakbereich zur Verfügung, 267 Mio € steckt die Tabakindustrie in Werbung, Marketing und Sponsoring. In der frühen Primärprävention, die von 20 medizinischen Fachgesellschaften gefordert wird, sieht der Redner die einzige Chance, Adipositas und Typ-2-Diabetes zu verhindern.

Um Kinder in Schule und Kita zu erreichen, sollte täglich eine Stunde Bewegung auf dem Stundenplan stehen. Die Kultusminister aller Länder befürworten die Verbesserung der Schulkost, es wird aber den Schulen überlassen, dieser Empfehlung Folge zu leisten. Gesunde Lebensmittel sollten von der MwSt. befreit, adipogene dagegen mit der vollen MwSt. von 19 % belegt werden. So konnten z.B. Preiserhöhungen bewirken, dass die Anzahl der jugendlichen Raucher in 10 Jahren halbiert wurde.

Andere Länder sind Vorreiter mit der Zucker-Fett-Steuer: In Frankreich, Finnland, Mexico werden Softdrinks höher besteuert, in Großbritannien sollen diese Steuern ab 2018 gelten. Auch die Städte Berkeley in Californien und Philadelphia im Staat Pennsylvania verlangen mehr Geld für die zuckerhaltigen Getränke. In Ungarn werden auf Zucker und Salz mehr Steuern erhoben, in Mexico auf kalorienhaltige Lebensmittel. Gesundheit zu fördern und Verhältnisse zu ändern, lautet die Forderung von Dr. Garlichs.

Aktueller Stand der Delegationsvereinbarungen

Dr. Nicola Haller, Vorstandsvorsitzende des VDBD, informierte über den aktuellen Stand der Delegationsvereinbarungen. Im gängigen Praxisalltag unterliegt die Anpassung der Insulindosis und die Erstellung der Insulinschemata aber häufig der Diabetesberaterin, aus rechtlicher Sicht ist dies aber an eine schriftliche Vereinbarung gebunden. In der detaillierten Stellenbeschreibung müssten die individuelle aktuelle Kompetenz und die Befugnisse dargelegt werden.

Bei Schulung und Beratung muss der zuständige Arzt zur Klärung der adäquaten Umsetzung der von ihm verordneten Therapie in "Rufnähe" verfügbar sein. In einer Delegationsvereinbarung sollen die Tätigkeitsbereiche für die Diabetesberaterinnen offiziell dargestellt werden und damit eine Sicherstellung und Abgrenzung der Befugnisse aufzeigen. Es wurde in Aussicht gestellt, dass bei der DDG-Herbsttagung 2017 ein umfassender Leistungskatalog zur Verfügung stünde, der bis dahin gemeinsam mit DDG, VDBD, BVND und dem Ausschuss Qualitätssicherung, Schulung und Weiterbildung erarbeitet werden soll.

Bei der anschließenden TED-Abfrage stimmten 92 % der Teilnehmer für eine notwendige Delegationsvereinbarung, 63 % gaben an, bisher ohne schriftliche Stellenbeschreibung zu arbeiten. Dies muss aber nach den aktuellen rechtlichen Gegebenheiten geändert werden.

Neue Schulungsprogramme

Über neue Schulungsprogramme berichtete, wie in den vergangenen Jahren, Professor Bernhard Kulzer aus Bad Mergentheim. BOT leben (basal unterstützte orale Therapie) ist ein von der DGG anerkanntes Ergänzungsprogramm zu einer strukturierten Schulung, das in vier Modulen Patienten beim Beginn einer Insulintherapie über die Grundlagen zum Thema Diabetes, die Instruktion in die Insulininjektion, über Anzeichen und Vermeidung von Unterzuckerungen, sowie die Integrierung der Therapie in den Alltag unterstützen soll.

FLASH ist ein strukturiertes Schulungs- und Behandlungsprogramm für Anwender des Flash-Glukose-Messsystems, das aus 4 Schulungseinheiten zu je 90 Minuten besteht. Es ist produktneutral, d.h. nicht ausschließlich für den FreeStyleLibre einsetzbar. Die Zertifizierung durch BVA und DDG wird angestrebt, ebenso die Erstattungsfähigkeit. Die Schulung in dieses System ist vor allem für den Patienten wichtig, um das Potenzial von FGM ausnützen zu können und den positiven Umgang mit der Fülle an möglichen Informationen zu erlernen, ohne überfordert zu sein.

Dass Beratung und Schulung nicht nur wichtige Grundpfeiler in der Betreuung der Diabetespatienten in unserem Land sind, wurde durch den Vergleich mit anderen europäischen Ländern klar, über den B. Kulzer referierte. Die European Coalition for Diabetes (ECD), zu der EURADIA, Alliance for European Diabetes Research, FEND, Foundation of European Nurses in Diabetes, IDF Europe, International Diabetes Federation und PCDE, Primary Care Diabetes Europe, gehören, wurde gegründet mit dem Ziel der gemeinsamen Arbeit für Menschen mit Diabetes in Europa.

Blick über den Tellerand: Schulung und Beratung in anderen europäischen Ländern

Es konnte gezeigt werden, dass in sechs europäischen Ländern Diabetesschulung und -beratung eine wesentliche Rolle spielen, dazu zählen neben Deutschland unsere Nachbarn in Dänemark, Holland und Österreich, sowie in Norwegen und Schweden. In Belgien, Finnland, Italien, Polen, Schweiz, Tschechische Republik, Ungarn, UK wird zwar der Schulung und Beratung große Bedeutung zugesprochen, allerdings gibt es deutliche Defizite in der allgemeinen Versorgung.

In Frankreich und anderen acht europäischen Ländern scheitert die Umsetzung der Schulung durch fehlende Ressourcen, so ist die Rolle der Diabetesberaterin bzw. Diabetes Nurse häufig nicht geklärt. In anderen Ländern sind zwar nationale Diabetes-Programme und Leitlinien festgelegt, die Diabetesschulung wird auf Grund von mangelnden Versorgungsstrukturen nicht durchgeführt. In 70% der Länder wird zwar für Patienten mit neu diagnostiziertem Diabetes eine Schulung empfohlen, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht durchgeführt.

In ganz Europa sind es vor allem Krankenschwestern, die Diabetespatienten beraten und betreuen, deren Status und Ausbildung sehr unterschiedlich sind. Nur in 19 von 47 Ländern wird die Diabetesberatung als Spezialgebiet anerkannt, in 21 Ländern ist die Diabetesbehandlung Teil der Ausbildung zur Krankenschwester, oft erfolgt die "Ausbildung" in der Praxis am Arbeitsplatz in den Kliniken bzw. Diabetesabteilungen.

Österreich schult Menschen mit Typ-1-Diabetes vor allem im stationären Bereich, Typ-2-Diabetes primär bei den niedergelassenen Allgemeinmedizinern oder Internisten. Es stehen verschiedene Schulungsprogramme zur Verfügung wie adaptierte ZI-Programme, Conversation Maps oder "Therapie Aktiv" für Typ-2 mit oder ohne Insulin und Programme von Bad Mergentheim.

Großbritannien hat zwei eigene Schulungsprogramme, DAFNE (Dose Adjustment For Normal Eating) für Erwachsene mit Typ-1 und DESMOND (Diabetes Education and Self Management for Ongoing and Newly Diagnosed) für Typ-2, das sind Gruppenprogramme mit unterschiedlicher Schulungsdauer.

In Holland wird ein weltweit erstes web-basiertes Schulungsprogramm angeboten, DIEP (The Diabetes Interactive Education Programme). Im Gegensatz zu vielen europäischen Ländern kann die Schulungssituation in Deutschland als sehr fortschrittlich und innovativ bezeichnet werden. Die Weiterbildung zur DiabetesassistentIn und –beraterIn sind hier als vorbildlich zu bezeichnen.

Analyse von CGM-Profilen: „Makro“- und „Mikroblick“

Zur Beurteilung von CGM-Profilen empfiehlt Dr. Andreas Thomas zwei unterschiedliche Sichtweisen, als "Makroblick bezeichnet er z.B. die Übersicht über besondere Episoden, im "Mikroblick" werden einzelne Profile betrachtet. Er hält die Festlegung von sinnvollen Alarmeinstellungen für wesentlich. Außerdem spielen die Glukosestabilität und das Glukoseniveau bei der Analyse der Profile eine wichtige Rolle.

Der Stabilitätsindex ist eng gekoppelt an Unterzuckerungen. Die Betrachtung der Glukosemuster ist nur in Bezug auf Probleme bei der Stoffwechseleinstellung von Bedeutung. Die MiniMedAcademia bietet ein Flussschema an zum Erkennen, Erlernen und Verstehen von CGM-Profilen.

Kostenlose CGM-Geräte für Kinder mit Diabetes

Die als Kinderdiabetes-Lotsin für Schleswig-Holstein bekannte Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck, Dr. Simone von Sengbusch, berichtete auf sehr lebhafte und emotionale Art über ihre Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und deren Eltern. Aus ihrer Sicht sollten alle betroffenen Kinder in Deutschland kosten- und problemlos CGM-Geräte erhalten zur besseren und sichereren Behandlung des Diabetes.

Geriatrische Patienten: Bewegung halbiert Mortalität

Dr. Jürgen Wernecke ist Chefarzt an der Medizinisch Geriatrischen Klinik und Klinik für Diabetologie am Diakonie-Klinikum in Hamburg. Am Beginn seines Vortrages zum Thema, was bei Diabetes im Alter anders ist, stand eine Einteilung: Kalendarisch ältere, nicht-geriatrische Patienten, die funktionell unabhängig sind, an zweiter Stelle sind hilfsbedürftige, geriatrische Patienten mit leichten Handicaps, sie sind funktionell leicht abhängig.

Es folgen hilflose, geriatrische Patienten mit schwersten Handicaps, sie sind funktionell stark abhängig. Am Ende stehen Palliativ-Patienten, darunter versteht man Menschen in der Sterbephase. Die Einteilung in go–slow go–no go sollte nicht mehr verwendet werden.

Als Therapieziel steht bei geriatrischen Patienten ein HbA1C zwischen 7 und 8, das entspricht einem BZ zwischen 150 und 180 mg/dl, darüber treten mehr Diabetes bezogene Symptome auf, darunter ist das Hypoglykämierisiko erhöht. Es konnte gezeigt werden, dass bei bewegungsaktiven Frauen im Alter zwischen 70 und 75 Jahren die Mortalität halbiert werden konnte, dass bei bewegungsfreudigen, im Durchschnitt 78- jährigen Menschen , abhängig vom Bewegungspensum, nach 9 Jahren das Hirnvolumen deutlich höher war, das Demenzrisiko nach 13 Jahren halbierte sich.

Der Referent bemängelte, dass in der Regel Insulin zu wenig und zu spät eingesetzt würde, er nannte das "Insulinresistenz" sowohl beim Patienten als auch beim Behandler. Er sieht die Insulintherapie als Anabolikum im Alter, dadurch würde die Gewichtsabnahme verlangsamt, die Wundheilung verbessert, die Lebensqualität könnte sich erhöhen, und es würden weniger Hypo- und Hyperglykämien auftreten. Als Fähigkeit zur Initiierung der Insulintherapie bei alten Menschen erwähnte er den bekannten Geldzähltest.

Besonders gravierende Problematik: Fußsyndrom im Alter

Eine besonders gravierende Problematik nannte er das DFS im Alter, das wesentlich häufiger auftrete, oftmals unterschätzt würde und mit schwerwiegenden Folgen einherginge. Er machte darauf aufmerksam, dass die Patienten nicht nur orthopädische Schuhe sondern auch entsprechende Hausschuhe für kurze Wege benötigten. Für ihn sollte die Behandlung des Menschen mit Diabetes im Alter kein therapeutischer Nihilismus darstellen.

Deshalb gilt es, individuelle, aber klare Therapieziele festzulegen, die Patienten zu Bewegung im möglichen Umfang zu ermuntern, eine Malnutrition zu verhindern, orale Medikamente niedrig dosiert einzusetzen, unter Berücksichtigung der Kontraindikationen, frühzeitig mit einer Insulintherapie zu beginnen, an Therapie und Prophylaxe von funktionellen Diabetesschäden wie Erblindung, Nierenversagen , diabetisches Fußsyndrom zu denken und Hypertonie und Depression zu behandeln, ohne die Menschen zu übertherapieren.

Register: Diabetes und Schwangerschaft

Dr. Heinke Adamczewski aus Köln betreut viele Schwangere in ihrer diabetologischen Schwerpunktpraxis (DSP). Sie präsentierte Daten eines Registers Diabetes und Schwangerschaft, das von 42 DSP erstellt wurde. Für 2015 wurden 3584 Schwangere mit GDM erfasst. Adipositas nimmt bei Schwangeren in den letzten Jahren weltweit zu. Sie erhöht das Risiko für große Babys (LGA). Die Empfehlungen für die Gewichtszunahme ab einem BMI vor der Schwangerschaft von >30 kg/m² sollte im 2. und 3. Trimenon 5 – 9 kg pro Woche nicht überschreiten, der Kalorienbedarf liegt bei ≤ 20 kcal/kg KG.

Das verlangt nach einer intensiven Ernährungsberatung während der Schwangerschaft. Die Betreuung von Schwangeren mit Diabetes kann nur in enger Kooperation mit Gynäkologen/Geburtshelfer, Diabetologen und Diabetesberaterin gelingen. Als Hilfe für eine rasche und lückenlose Kommunikation zwischen allen Behandlern gibt es einen standardisierten Einlegebogen für den Mutterpass.



Autorin: Claudia Walter
Diabetesberaterin DDG,
Landenwiesenstraße 59, 90482 Nürnberg
Tel.: 09 11/5 04 86 99

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2017; 29 (7/8) Seite 42-45