Die Corona-Pandemie hat auch die Diabeteswelt weiter fest im Griff. Nicht nur, was Veranstaltungsformate angeht – in Präsenz, virtuell oder als Hybrid –, sondern auch in Sachen Gesundheit. Denn die Pandemie hat viele Menschen dicker und bewegungsloser gemacht.

Diabetes und Adipositas – gemeinsam durch dick und dünn“, so das Motto der Diabetes Herbsttagung 2021, die im November von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) als gemeinsame Hybridveranstaltung in Wiesbaden ausgerichtet wurde.

Adipositas – wachsendes Problem

Die Zahlen sprechen für sich: Etwa zwei Drittel der Männer und Frauen in Deutschland sind zu dick, rund ein Viertel leidet unter krankhaftem Übergewicht (Adipositas). Und der Trend zum Dicksein hat sich in der Pandemie noch verstärkt: 39 Prozent der Deutschen bringen seither im Schnitt 5,6 Kilogramm mehr auf die Waage, Menschen mit Adipositas sind sogar um 7,2 Kilogramm schwerer, berichtete Prof. Dr. Sebastian M. Meyhöfer, Tagungspräsident der DAG.

Adipöse Menschen erkranken auch sechs- bis zehnmal so häufig an Typ-2-Diabetes wie Normalgewichtige und haben mit Folgekomplikationen wie Fett­leber­erkrankungen, Bluthochdruck und/oder Herz- und Gefäßerkrankungen zu kämpfen, so der Experte. Starkes Übergewicht gilt außerdem als Risikofaktor für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf.

Forderungen an die Politik

Schon lange versuchen die Fachgesellschaften deshalb, durch politische Forderungen – Besteuerung ungesunder Lebensmittel, verbindliche Qualitätsstandards für die Kita- und Schulverpflegung, Verbot von an Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Lebensmittel und Getränke – das Adipositasproblem einzudämmen. Ein neues strukturiertes Behandlungsprogamm bei starkem Übergewicht, das Disease-Management-Programm (DMP) Adipositas, soll künftig die Versorgung und die Behandlung mit unterschiedlichen Ansätzen und verschiedenen Berufsgruppen über alle Sektoren der Gesundheitsversorgung ermöglichen.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) steckt seit August in der Detailarbeit zur Entwicklung dieses Programms. Das Gremium hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) damit beauftragt, die medizinischen Leitlinien zur Dia­gnostik und Behandlung von Adipositas zu recherchieren und zu bewerten – dies nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder und Jugendliche.

Stigmatisierung von Diabetes und Adipositas

Die fehlende Motivation vieler Übergewichtiger zur Lifestyle-Änderung, gescheiterte „Diätversuchen“, die frustrieren und eine häufig spürbare, gesellschaftliche Stigmatisierung – die psychosozialen und gesundheitspolitischen Aspekte der beiden Erkrankungen Diabetes und Adipositas seien bedeutsam, sagte der DDG-Tagungspräsident Prof. Dr. Werner Kern. Depressionen sind bei Menschen mit Diabetes doppelt so häufig wie bei gesunden Personen zu finden. Susan Clever, Psychologin an der Diabetespraxis Hamburg-Blankenese, sprach hier von einer „Wechselwirkung der beiden Erkrankungen“: bei fehlender Behandlung beeinflussten sich beide Krankheitsbilder im Verlauf gegenseitig – dies negativ – oder eine Erkrankung bedinge sogar die andere.

Schädigende Abnehmtricks, wie etwa der Versuch, auf das Insulinspritzen zu verzichten, um die Gewichtsabnahme anzukurbeln (Insulinpurging) – seien eine Gefahr für die Betroffenen, bei der sich ihr „psychischer und körperlicher Zustand stetig verschlechtere“, warnte sie. Bei einer „Binge-Eating-Störung“ wiederum käme es zu wiederkehrenden Essanfällen. Solche Essstörungen könnten lebensgefährlich sein. Clever fordert deshalb: „Jede psychische Komorbidität bei Diabetes und Adipositas bedarf einer begleitenden psychotherapeutischen Behandlung durch Fachpersonal, das mit den Spezifika von Stoffwechselerkrankungen vertraut ist.“

Viele junge Typ-1er schlecht eingestellt

Fast alle Kinder und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes nutzten heute kontinuierliche Glukose-Messsysteme (CGM), nationale und internationale Therapieziele (vgl. Leitlinien) würden trotzdem nicht flächendeckend erreicht, so der DDG-Präsident Prof. Dr. Andreas Neu (siehe Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2021). „Die Mehrzahl der von uns betreuten Kinder und Jugendlichen mit Diabetes zeigt Stoffwechselergebnisse, die deutlich hinter den gesteckten Zielen zurückbleiben.“

Hier nannte er drei Verbesserungsansätze: eine bessere Inklusion chronisch kranker Kinder (Schulgesundheitsfachkräfte an Grundschulen), die Anpassung der Vergütung (Zusatzentgelt für vulnerable Gruppen) und ein ausreichend dichtes Netz an psychotherapeutischen Angeboten.


Autorin:
Angela Monecke
Redaktionsbüro Angela Monecke
Kopenhagener Str. 74, 10437 Berlin


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2021; 33 (12) Seite 6-7