Rund 20 Millionen Menschen in Deutschland sind übergewichtig oder adipös. Nicht nur, dass der Alltag mit reichlich Masse alles andere als leicht ist, auch die Kosten im Gesundheitssystem drohen zu explodieren. Doch was kann Betroffenen wirklich helfen, dieses unliebsame, meist über Jahre angelegte Übel erfolgreich zu bewältigen? Diabetes-Forum-Redakteurin Kirsten Metternich ist Diätassistentin und kennt das Problem aus ihrer langjährigen, praktischen Erfahrung in Kliniken und Krankenhäusern.

Auf der Herbsttagung der DDG in Düsseldorf ging es auch ums Thema Gewicht. Eins war schnell klar: Abnehmen ist schwer. Wenn es leicht wäre, gäbe es keine weltweite Epidemie. Wer seinen Kilos auf Dauer verlieren möchte, braucht einen starken Willen. Gefolgt von unbändiger Disziplin, Mut zum temporären Scheitern und Weitermachen, sowie der Bereitschaft sein Leben auf Dauer zu verändern. Denn sonst ist jede Aktion über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt.

Es nutzt auch nichts, in jedem Frühjahr eine neue Trenddiät auszuprobieren. So unsexy es klingt: Es klappt nur, wenn weniger gegessen als verbraucht wird und sich bestenfalls regelmäßig dazu bewegt wird.

Radikale Diäten: große Verlockung, wenig Erfolg

Wie heißt es so schön in aktuellen Kuren, die bundesweit in Fitness-Studios empfohlen werden: Sechs bis acht Kilo in zwei Monaten. Völlig ungesund und mehr Stress für den Körper, als alles andere. Hinzu kommt, dass diese Kurse meist auf einer derart starken Reduktion der Kohlenhydrate beruhen, dass Diabetes-Medikamente völlig neu angepasst werden müssten und der Blutzucker aus der Balance geraten kann.

Und was ist nach den avisierten acht Wochen? Hier handelt es sich eindeutig um eine Crash-Diät, von der abzuraten ist. Doch schnelle, gut sichtbare Erfolge motivieren bekanntermaßen. Kein Wunder also, dass solch radikale Diäten eine große Verlockung ausüben. Jedoch die Empfehlungen und Leitlinien von Fachgesellschaften in aller Welt warnen: Wer rasant abspeckt, nimmt durch den gefürchteten Jo-Jo-Effekt meist wieder zu. Wie schnell das geht, wird aktuell kontrovers diskutiert.

Laut aktueller Studienlage kommen die Wissenschaftler Professor Anja Bosy-Westphal vom Institut für Ernährungsmedizin der Uni Hohenheim und Professor Manfred James Müller vom Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel zu dem Ergebnis, dass der propagierte, unmittelbare oder langfristige Erfolg einer langsamen Gewichtsabnahme wissenschaftlich nicht ausreichend gesichert ist. Neuere Studien belegten vielmehr, dass der Jo-Jo-Effekt unabhängig vom Tempo der Diät ist.

Abnehmtempo stets individuell festlegen

Deshalb weisen die beiden Wissenschaftler zugleich auf ungünstige gesundheitliche Auswirkungen einer überproportional schnellen Gewichtsabnahme hin. Sie gehe mit einem erhöhten Risiko für Gallenblasenentzündung und Gallenkoliken einher. Auch der vermehrte Verlust an Magermasse, also fettfreier Körpermasse, wird begünstigt. Und das wiederum ist ein Risiko für eine erneute Gewichtszunahme.

Die bislang weitgehend anerkannte Faustregel, wonach ein Energiedefizit von 3.500 Kilokalorien pro Woche zur Abnahme von einem Pfund führt, ist im Einzelfall sehr ungenau, so die Ernährungswissenschaftler. Das optimale Abnehmtempo sollte demnach individueller betrachtet werden. Faktoren wie Alter und Größe, Gewicht und Anteil der Fettmasse, körperliche Aktivitäten, Anzahl gemachter Diäten, Energie- und Salzaufnahme spielen dabei eine wichtige Rolle. Letztlich tickt jeder Mensch anders und jeder Körper reagiert unterschiedlich auf eine Veränderung der Tagesenergiemenge.

Wer mit Erfolg abnimmt braucht Zeit, viel Zeit

Das Angebot vermeintlich erfolgreich und problemlos mal eben lästige Kilos loszuwerden, ist groß. Anbieter aus Fitness-Studios, Apotheken, Diätzentren, Online-Portalen, Apps oder in der Arztpraxis haben einiges im Angebot.

Bevor ein Programm ins Repertoire aufgenommen wird, sollten folgende Punkte abgefragt werden: wie lange dauert das Programm? Welche Möglichkeiten der Nachsorge gibt es? Welche Kosten kommen auf Patienten zu? Wie sieht die Lebensmittelauswahl aus? Werden bestimmte Produkte vom Speiseplan gestrichen? Müssen zusätzlich Präparate wie Spritzen in Anspruch genommen werden? Auf welchen wissenschaftlichen Gesichtspunkten basiert das Programm? Ist es mit Diabetes vereinbar? Welche Rolle spielen regelmäßige Bewegung und Selbstbeobachtung dabei?

Im Grunde genommen lässt sich ein seriöses Ernährungsprogramm auf wenige Punkte zusammenfassen: Keine Supplemente, Spritzen oder spezielle Lebensmittel sind nötig. Das Konzept basiert auf den Empfehlungen der führenden Fachgesellschaften wie Deutsche Gesellschafft für Ernährung, Deutsche Diabetes und Deutsche Adipositas Gesellschaft. Die Kosten sind im moderaten Rahmen.

Das Konzept ist als langfristig, mit entsprechender Nachbetreuung angelegt. Alle Lebensmittel sind erlaubt, hiermit soll ein neues Essverhalten erlernt werden. Regelmäßige Alltagsbewegung gehört zum Programm, ebenso wie die Selbstreflexion. Die empfehlenswerte Gewichtsabnahme liegt - innerhalb von sechs bis zwölf Monaten - bei einem Body Mass Index (BMI) von 25 bis 35 bei fünf Prozent des Ausgangsgewichts. Ab einem BMI von 35 aufwärts bei zehn Prozent des ursprünglichen Gewichts.

Low-Fat und Low-Carb sind möglich

Früher setzte man alles daran so wenig Fett wie möglich zu essen, um erfolgreich abzunehmen. Heute heißt es bei vielen jedoch, dass sie besonders auf Kohlenhydrate verzichten. Sie werden weitläufig als Übel für Adipositas angesehen. Doch auch hier ist es wichtig, in der Beratung mehr auf Individualität zu setzen. Was nutzt es einem Patienten, der gerne Brot und Nudeln isst und lieber auf Fleisch verzichtet, auf einmal auf Low-Carb umzusteigen?

Untersuchungen zeigten schon vor Jahren, dass eine Low-Carb-Lebensweise, wenn sie richtig praktiziert wird, teurer im Vergleich zur Low-Fat-Ernährung ist. Auch das gilt es in der Beratung zu berücksichtigen. Ist das Budget des Patienten eher niedrig, wird es auf Dauer schwer sein, eine Low-Carb-Diät beizubehalten.

Unterschiede minimal

"Untersuchungen haben gezeigt, dass Low-Carb und Low-Fat nach sechs und zwölf Monaten zur vergleichbaren Gewichtsabnahme führten", erklärte Professor Hans Hauner, vom Else Kröner Fresenius Zentrum für Ernährungstherapie der Universität München: "Die Unterschiede der Gewichtsreduktion zwischen verschiedenen Kostformen, sprich Low-Fat und Low- Carb, sind minimal. Für die Praxis ist viel wichtiger, dass Betroffene die Ernährungsform wählen, die gut zu ihrem Alltag passt, mit der sie sich gut fühlen und sie dauerhaft praktizieren können."

Lediglich bestimmte Situationen, beispielsweise zur Vorbereitung auf eine Operation oder Stärkung der Motivation können, unter ärztlicher Aufsicht, Formulardiäten sinnvoll machen, erklärt der Münchener Ernährungsmediziner. Sie liefern im Schnitt 800 bis 1200 Kilokalorien täglich und sollten lediglich innerhalb eines begrenzten Zeitrahmens angewandt werden.

Was heißt das für die Beratung?

Fragen Sie Ihren Patienten ob er tatsächlich abnehmen will und ob er bereit ist, dafür mindestens ein Jahr einzuplanen. Allein das gibt bereits Aufschluss darüber, dass es wirklich funktionieren kann. Wichtig ist auch die Frage, auf was er keinesfalls verzichten möchte und was er bereit ist zu ändern. Denn viele Menschen verbinden mit Diät jeglichen Verzicht und extreme Einschränkung. Geben Sie klare, gut verständliche Tipps. Diese gilt es in der ersten Woche umzusetzen. So lässt sich Stück für Stück etwas ändern.

Wichtig ist zudem die Stärkung und Motivation der Patienten. Insbesondere dann, wenn das Gewicht stagniert oder der Patient andere Sorgen hat und Abnehmen aktuell mehr in den Hintergrund rückt. Individualität ist der Schlüssel zum Erfolg, nicht jedoch Trenddiäten, die unrealistische Versprechen sowieso nicht halten können.

Schwerpunkt „Ernährung“


Autorin: Kirsten Metternich
Diatassistentin/DKL, DGE
Hildeboldstraße 5
50226 Frechen-Königsdorf
Tel.: 02234 /91 65 41

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2016; 28 (4) Seite 14-17