Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom brauchen ganz spezielle Schuhe, damit Wunden heilen können bzw. erst gar nicht entstehen. Dr. Johannes Huber kritisiert das bisher gehandhabte System, in dem die Patienten und deren Wohl nicht im Mittelpunkt stehen.

Patienten mit einem Diabetischen Fußsyndrom müssen, wenn sie den ärztlichen Empfehlungen folgen, einen Spagat vollbringen. Als Diabetiker wird ihnen geraten, möglichst viel körperliche Bewegung in ihren Alltag einzubauen, als Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom sollen sie betroffene Stellen möglichst vor einer schädlichen Überbelastung insbesondere vor Druckspitzen schützen.

Der Autor, der selbst eine Diabetes-Fußambulanz betreut, versucht genau die Probleme aufzuzeigen, mit welchen der Patient konfrontiert wird, wenn er versucht die ärztlichen Empfehlungen umzusetzen und dabei weiterhin ein normales Sozialleben zu führen. Er versucht dabei die Patientenperspektive mehr in den Vordergrund zu rücken, der sich plötzlich in einem bürokratischen System wiederfindet, in welchem zwar auf Vorträgen häufig eine Lebensnähe versprochen wird, die der Patient in der Realität aber oft nicht findet.

Ziel des Artikels ist, einerseits Beteiligte zum Nachdenken anzuregen und andererseits Verhaltensweisen des Patienten erklärbarer zu machen, für die es häufig gute Gründe aus Patientensicht gibt.

Dr. med. Thomas Werner, Dr. med. Johannes Huber – BVKD

Sie müssen Ihre Schuhe tragen, sonst heilt das Geschwür nicht ab!" oder "Sie müssen die Schuhe tragen, damit Ihr Geschwür nicht wieder entsteht". Diese Sätze kennen sowohl Patienten als auch Behandler, wenn es um den diabetischen Fuß geht nur zur gut. Doch würden wir diese Empfehlungen denn selber umsetzen?

Betroffenenperspektive deutlich mehr in den Fokus rücken

Dieser Artikel handelt von den Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung unserer Empfehlungen und soll einerseits Patienten zu verstehen geben, dass der Arzt sich sehr wohl all der Nachteile bewusst ist, die mit dem "richtigen" Schuhwerk verbunden sind, andererseits auch die beteiligten Behandler zum Reflektieren anregen möchte über das, was sie als etwas Selbstverständliches erachten, die Empfehlungen zur Schuhversorgung von Patienten mit diabetischem Fußsyndrom bzw. die praktischen Umsetzungsbestimmungen der Krankenkassen.

"Diese müssen ja stimmen", weil sie "von oben", d.h. Krankenkassen, Schuhmacherinnung, ärztlicher Fachgesellschaft, vorgegeben wurden. Und die Beteiligten "da oben" haben alle sicherlich dabei versucht, für sie wichtige Aspekte herauszuarbeiten insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt des großen Ganzen in der Schuhversorgung des diabetischen Fußsyndroms. Diese ist in Deutschland sicherlich deutlich besser, als in fast allen anderen Ländern Europas.

Es soll dabei betont werden, dass z.B. die AG-Fuß schon sehr viel Gutes in den letzten Jahren für die Patienten erreicht hat, doch naturgemäß hat ein Patient meist andere Vorstellungen über Prioritäten als es ein Arzt, ein Schuhmacher oder eine Krankenkasse hat. Diese verschiedenen Beteiligten haben häufig völlig unterschiedliche Vorstellungen über die Schuhversorgung und auch darüber, was es bedeutet mit den offiziell verordneten und gelieferten Schuhen seinen Lebensalltag zu bestreiten. Dabei gibt es sehr unterschiedliche Beteiligte mit sehr unterschiedlichen Interessen, die doch (offiziell) eigentlich alle das Gleiche wollen, das Beste für den Patienten!

Dieser Artikel ist keine Anklage gegen Beteiligte im System, er versucht nur, die Betroffenenperspektive deutlich mehr in den Fokus zu rücken und mit einem kindlich neugierig hinterfragenden Ansatz unser Versorgungssystem zu beleuchten. Der Einfachheit halber befasst er sich mit der endgültigen Schuhversorgung und nicht mit der Interimsversorgung, bei der es mindestens genauso viel zu schreiben gäbe.

Im Mittelpunkt sollten die Patienten stehen!

Im Mittelpunkt steht der Patient oder sollte er stehen? Er hatte ein Geschwür welches hauptsächlich durch eine Nervenstörung (Polyneuropathie) bedingt oder mitbedingt ist. Gemäß den Empfehlungen der AG- Fuß (Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß in der Deutschen Diabetes Gesellschaft) soll nun eine dauerhafte Schuhversorgung erfolgen, d.h. ein Diabetesschutzschuh oder je nach Fußverformung auch eine Höherversorgung z.B. orthopädischer Maßschuh.

Doch welches sind denn die richtigen Schuhe für den Patienten mit einer Polyneuropathie mit oder ohne Fußverformung? Die einfache Antwort lautet: "gemäß den Empfehlungen der AG-Fuß" welche von Schuhmachern und Ärzten entwickelt wurden.

Doch so einfach die Antwort klingt, so schwierig ist die Umsetzung in der Praxis für den betroffenen Patienten. Denn Schuhe dienen eben nicht nur der Fortbewegung, sie sind vielmehr auch ein Teil des äußeren Erscheinungsbildes einer Person. Als gutes Beispiel dient hier z.B. die britische Premierministerin Theresa May deren Schuhauswahl z.B. im Leopardenlook immer wieder eine Schlagzeile wert ist.

Aus Sicht des Patienten ist, abgesehen von dem Ziel der Druckentlastung, die Praxistauglichkeit der Schuhversorgung in ihren Abläufen und im Resultat häufig nur bedingt gegeben. Viele der Vorschläge für den Patienten und bürokratische Hindernisse sind nur für jemanden begreifbar, der in dem System arbeitet. Spricht man mit fachfremden Menschen so beginnen diese, bei den Antworten die die meisten Patienten von vielen Beteiligten im System bekommen, zumindest teilweise am Verstand der Verantwortlichen und Beteiligten (zu Recht?) zu zweifeln.

SGB: „Ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung“

In § 139 Abs. 2 Sozialgesetzbuch V ist definiert wie das Hilfsmittel (also der oder die Schuhe) sein muss: "Soweit dies zur Gewährleistung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung erforderlich ist sind im Hilfsmittelverzeichnis indikations- oder einsatzbezogen besondere Qualitätsanforderungen für Hilfsmittel festzulegen".

Doch was bedeutet nun in der Realität eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung? Und wie wirken sich die Qualitätsanforderungen an das Hilfsmittel, also den Schuh, in der Patientenrealität aus? Wir beginnen mit dem Patienten: Er wünscht sich normalerweise einen bequemen, gut aussehenden leichten Schuh. Der dann natürlich auch noch dafür sorgen soll, dass die Füsse heil bleiben, das Ulcus also nicht erneut entsteht. Also geht der Patient los um die entsprechenden Schuhe in einem Fachgeschäft anzuprobieren und zu besorgen, das Rezept hat er ja vom Arzt bekommen.

Doch die Realität ist häufig, dass er keine oder nur eine sehr geringe Auswahl an Schuhen in seiner Größe für seine Fußform vorfindet in denen er dann auch noch deutlich anders läuft als er es bisher kennt. Zudem ist die spezielle Einlegesohle (diabetesadaptierte Fußbettung) noch nicht hergestellt und vermittelt am Ende ein anderes Tragegefühl als beim Anprobieren.

Keiner von uns Fußgesunden würde in einen Schuhladen gehen und sagen: " Ich hätte gerne einen Schuh, der schwerer ist als mein bisheriger, bei dem ich keine große Auswahl an vorrätigen Modellen habe, ich ggf. unsicherer laufe und wenn ich ihn regelmäßig trage auch noch Schmerzen am Körper bekomme", doch dies passiert häufig einem Patienten, der sich an unsere Schuhempfehlungen hält.

Komplizierte und unkomfortable Beschaffung orthopädischer Schuhe

Aufgrund der Neuropathie wird er in fast jedem Schuh, den wir ihm empfehlen (ausgenommen dabei häufig knöchelhohe Schuhe) unsicherer Laufen, als in seinen bisherigen Schuhen oder nur in Strümpfen. Grund hierfür ist häufig die gewünschte Druckreduktion der Druckmaxima welche auf die Knochen wirken. Diese Druckmaxima geben aber dem Patienten die Rückmeldung bezüglich seines Standes.

Reduzieren wir diese, so nehmen wir ihm häufig diese Rückmeldung und er fühlt sich unsicherer. Denn bei sehr vielen Patienten ist zwar die Schmerzwahrnehmung deutlich reduziert, sie nehmen aber sehr wohl noch den Druck auf den Knochen wahr und haben so einen Rückmeldung bezüglich ihres Ganges und Standes. Die Patienten laufen nun "wie auf Moos". Für sie gefühlt ist dies häufig eine Verschlechterung.

Wenn wir dem Patienten einen Diabetesschutzschuh verordnen, so hat er nur selten die Möglichkeit diesen sofort im Geschäft anzuprobieren wie in einem normalen Schuhgeschäft, häufig müssen die Schuhe erst bestellt werden, und da die Schuhmacher auch Wirtschaftsunternehmen sind, wird die Lust der Schuhmacher 5 verschiedene Modelle in 3 Größen zu bestellen nur sehr gering ausgeprägt sein.

Doch wer von uns kauft denn Schuhe nur aus dem Katalog ohne sie anzuprobieren? Nun kommt dann noch die Abrollsohle ins Spiel die wir sehr häufig den Patienten empfehlen, und die normalerweise Bestandteil der Schuhversorgung mit einem Diabetesschutzschuh ist. Diese hat zwar in der Druckreduktion sehr wohl ihre Berechtigung, doch mit dieser verändert sich fast immer das Gangbild komplett und die Patienten bekommen häufig orthopädische Probleme vorwiegend Schmerzen im LWS Bereich.

Welche Versorgung ist wirklich „ausreichend“?

Empfehlen wir nun der Patient soll die Schuhe nur langsam "eintragen" so stellt der kritische Patient sofort die Frage, welche Schuhe soll er denn den Rest des Tages tragen? Wir Ärzte haben ihm doch gesagt, er müsse immer eine Druckentlastung unter dem Fuß tragen und jetzt sagen wir zu ihm, die Schuhe bitte nur stundenweise tragen, wo bleibt da die Glaubwürdigkeit? Also noch 4 Wochen die Verband/ Therapieschuhe die sowieso schon nach 4 Wochen Tragedauer fast auseinandergefallen sind?

Bei der Frage nach der Schuhversorgung stellt sich zudem nun eine der Kardinalfragen: Woher weiß denn der Therapeut sowie der Schuhmacher welche Versorgung wirklich "ausreichend" bezüglich der Druckentlastung ist? Hierzu gibt es leider nur wenige Studien ohne klare Schwellenwerte. Eine Insohlendruckmessung (d.h. es wird der tatsächliche Druck der auf die Fußsohle in dem angefertigten Schuh lastet gemessen) in verschiedenen Schuhen auf verschiedenen Bodenbelägen wäre hier vorzuschlagen, doch wer zahlt diese? Bisher niemand. Ganz davon zu schweigen, dass kein Insohlenmeßgerät (unseres Wissens) derzeit in der Lage ist Druckmessungen von 10 oder 20 Minuten am Stück aufzuzeichnen.

Spätestens hier kommt nun die Frage des Patienten auf, warum selbst Spielzeug oder Kinderschuhe mit leuchtenden Dioden versehen sind, die auf Druck oder Bewegung reagieren, dies aber in der High-Tech-Medizin nicht möglich ist, sondern wir gefühlt in den 80ern oder 90ern verblieben sind? Die Antwort die wir bisher immer geben ist recht einfach und zugleich deprimierend: "weil es nicht gezahlt wird". Daher gibt es keinen Markt und niemand hat ein Interesse daran.

Vorgaben der Kassen

Würde der Patient mit einem Turnschuh eines Discounters für 30 Euro dieselbe Druckentlastung erreichen wie mit einem teuren Schuh bzw. eine ausreichende Druckentlastung für den Patienten erreicht werden, so würde dieser Schuh nicht vergütet, weil er den Vorgaben der Krankenkassen nicht entspricht! Zudem weiß der Patient gar nicht wie hoch die Druckentlastung ist, da gar keine Druckmessung mit diesem Schuh durchgeführt wird weil es nicht vergütet wird.

Den Patienten interessieren aber primär all die Vorgaben nicht, sondern ihn interessiert das Ergebnis! Und wenn der ehrliche Patient dem guten Therapeuten der die Wahrheit des Patienten aushält erzählt welche Schuhe er alle benutzt, wundert sich dieser nicht selten, mit welchen Turnschuhen die der Patient sich gekauft hat welch guten Ergebnisse erzielt werden können.

Der gute Schuhmacher steckt häufig in einem Dilemma (wie in der Zwischenzeit auch der gute Arzt). Er übt eine Kunst aus! Der Schuhmacher übt die Handwerkskunst aus und der Arzt die Heilkunst. Doch dies braucht Zeit! Aber eigentlich sehen die Politik und die Versicherer eine Industrialisierung der Medizin vor mit immer weniger Zeit und immer mehr Computern und Digitalisierung (zumindest in der Verwaltung der Patientendaten und Bürokratie).

Der Gedanke der dahinter steht ist der, wenn ich z.B. ein Auto wie einen Porsche Cayenne oder VW Golf immer gleich bauen kann oder auch ein Flugzeug gleich bauen kann und damit Kosten einspare, dann muss das doch auch in der Behandlung des Menschen möglich sein! Gegenargumente werden nicht zugelassen weil nicht sein kann was nicht sein darf! Dumm nur, dass die Menschen Individuen sind und normalerweise kein Fuß einem anderen direkt gleicht und auch 2 Patienten mit einem Ulcus an derselben Stelle je nach Gewicht und individuellem Leben (Rentner im Pflegeheim versus voll im Berufsleben stehende Erzieherin oder Arbeiter) völlig andere Schuhe benötigen!

Optimal: Druckentlastung, ansprechende Optik, geringes Gewicht

So lange wir nicht klar artikulieren, dass der Mensch eben nicht vergleichbar ist mit einem Industriewerkstück, werden wir unseren Patienten, insbesondere den chronisch Kranken und auch uns selbst in unserem Tun nicht gerecht! Da helfen uns auch keine Checklisten! Hier wünscht man sich den Schuhmacher als Handwerkskünstler, denn nur er wäre in der Lage hier die optimale Lösung aus Druckentlastung, ansprechender Optik und möglichst geringem Gewicht zu finden.

Doch dies kann er nicht, da er nicht für das Ergebnis (die deutlich reduzierte max. Druckbelastung) bezahlt wird, sondern für die Erfüllung von Vorgaben (Abrollsohle, Hausschuhe immer hinten geschlossen bzw. mit einem Riemen, zudem nur "ausreichende" Druckentlastung) die dann zwar häufig eine deutliche Druckreduktion zu Folge haben, dies aber unter der Inkaufnahme eines sehr hohen Gewichts, das häufig 2 bis 4 mal mehr ist, als das eines normalen Turnschuhs sowie einer Optik die häufig nur als ansprechend von Personen empfunden wird, die ein Faible für Militärstiefel haben.

Das heißt der Patient wird hier häufig noch optisch stigmatisiert. Zudem stellt sich die Frage, kommt der Arzt dem Grundsatz "primum non nocere" (dem Patienten nicht schaden) nach? Ist ein Schuh, der schwer ist, Rückenschmerzen verursacht und bei älteren Menschen durch das Gewicht und die Abrollsohle ggf. das Sturzrisiko erhöht, wirklich das, was wir uns für unsere Patienten wünschen?

Bedürfnisse werden nicht berücksichtigt

Nun die Anzahl der Schuhe: Richtet sich diese wirklich nach den Bedürfnissen? Die Spannbreite des Süd- und Ostdeutschen Klimas läßt eine Spannbreite von ein- bis zweistelligen Minusgraden bis Plusgraden um die 30° zu. Wer von den Lesern hat für diese Spannbreite denn ein Paar Schuhe? Denn das zweite ist ja nur ein Wechselpaar, mit welchem im Idealfall täglich gewechselt wird, damit sich das Leder am anderen Tag erholen kann. Wenn in Fortbildungen durch mich regelmäßig gefragt wird, wer in einem Jahr nur zwei Paar Straßenschuhe, ein Paar Hausschuhe und sonst nichts nutzt, so habe ich noch nie eine Person sich melden sehen.

Warum dann dies das ist, was unseren Patienten zusteht, konnte ich bisher noch keinem neuen Mitglied der Berufsgruppen, die am diabetischen Fuß arbeiten, plausibel machen, geschweige denn Patienten oder gar Leuten, die nicht vom Fach sind! D.h. eigentlich müssen wir alle davon ausgehen, dass der Großteil der Patienten mindestens ab und zu noch andere Schuhe nutzt oder nutzen muss oder auch in Strümpfen oder barfuß läuft.

Als weiteres Ärgernis kommen dann noch weitere Vorschriften der Krankenkassen hinzu. "Bewegung ist sehr wichtig beim Diabetes" heißt es in allen Schulungen und Artikeln, doch wie sieht das in der Realität aus? Wir machen also den "Faktencheck" wie es in einer Fernsehsendung so schön heißt. Wird z.B. ein orthopädischer Badeschuh oder ein orthopädischer Turnschuh verordnet verlangen Krankenkassen regelmäßig eine Bescheinigung über die Teilnahme an einer Rehasportgruppe! Sie geben vor, dies sei notwendig für eine Genehmigung.

Spätestens nun bekommt der im System arbeitende einen erhöhten Blutdruck und der nicht im System arbeitende wartet auf die "versteckte Kamera" denn solch eine im wahrsten Sinne des Wortes unglaubliche Argumentation kann sich nun wirklich kein normal denkender Mensch ausgedacht haben, dass Pat. die eine diabetische Schuhversorgung mit Turn- oder Badeschuhen benötigen sich nur in der Rehasportgruppe bewegen dürfen!

Anrecht auf Sportschuhe nur in Rehasportgruppen

Mein vollster Respekt gilt Menschen die sich trotz einer offensichtlichen Stigmatisierung (z.B. durch orthopädische Schuhe) durch eine Krankheit trotzdem zur Bewegung, häufig in der Öffentlichkeit, begeben, sei es im Schwimmbad, oder im Park unter all den dort sehr gesundheitsbewussten Joggern und Freizeitsportlern und sich dabei häufig auch nicht so angenehmen Blicken aussetzen.

Warum ich als Schwimmer oder Besucher eines Fitneßstudios oder auch auf einem Trimmdichpfad nur dann Anrecht auf einen Sport- oder Badeschuh haben soll, wenn ich dies in der Rehasportgruppe mache ist nicht nachvollziehbar! Auch durch langes Nachdenken gelingt hier keine logische Argumentation!

In der Praxis würde das bedeuten, ich sage meinen Patienten täglich im Wald auf einem befestigten Weg 2 x 30 Minuten spazieren zu gehen, das hält die Krankenkasse für Gift, dagegen einmal in der Woche Rehasport, ja das ist richtig gesund für sie. Würde dies stimmen, so müssten sämtliche Schulungsprogramme für Diabetiker umgeschrieben werden! Warum ein Patient dann fast immer ins Widerspruchsverfahren gezwungen wird und er hoffen muss, dass er einen im Sozialrecht erfahrenen Arzt hat, der ihm in seiner Freizeit ein Attest schreibt ist für einen normal denkenden Menschen nicht nachvollziehbar.

Zuletzt ist rein ergebnisorientiert anzumerken, dass ein Schuh der nicht getragen wird keinem Einzigen im System nützt. Dem Patienten nicht der sein erneutes Ulcus bekommt, dem Arzt nicht, der das Krankheitsbild nicht kostendeckend behandelt und dies mit einem frustrierenden Ergebnis, der Krankenkasse nicht, die deutlich mehr Geld für Wundauflagen und Krankenhausaufenthalte ausgibt und dem Schuhmacher nicht, der keine "Folgeaufträge" durch abgetragene Schuhe erhält.

Was wäre denn die Utopie?

  • Die Schuhversorgung müsste ergebnisorientiert sein und dabei ausreichend vergütet genauso wie die Gespräche, mit denen dem Patienten die Sinnhaftigkeit der Schuhversorgung vermittelt wird!
  • Der Schuhmacher erhält einen Betrag "X", mit welchem er einen guten Schuh herstellt der die drei Ziele verfolgt: Gute Druckentlastung, leichtes Gewicht, schöne Optik!
  • Die Anzahl der Schuhe richtet sich nach den Bedürfnissen, d.h. mindestens 3 - 4 Paar Strassenschuhe, wenn der Patient sich dies wünscht. Stellen Sie sich vor, wie sich eine Frau fühlt, die im Sommer mit einem Rock ins Theater will und Schuhe anziehen muss, die gleichzeitig die richtigen Schuhe sein sollen für Schneematsch und -1 Grad Celcius?
  • Insohlenmessungen über 10 Minuten auf unterschiedlichen Belägen müssten Standard sein. Denn woher bekommt der Schuhmacher denn die Information ob sein Schuh auf geteerter Straße in Bezug auf die Druckentlastung ein Traum ist, leider aber auf Kopfsteinpflaster oder Treppen nicht so gut funktioniert.
  • Die Krankenkassen müssten aufhören, in unterschiedlichen Budgets zu denken. So lange nicht begriffen wird, dass ein Schuh für 800 Euro, der Krankenkasse eine Krankenhauseinweisung und/oder 40 Wundauflagen einsparen kann, sinnvoll eingesetzt ist, selbst wenn dann das Budget für die Schuhe höher ist als letztes Jahr, wird es hier kein Fortkommen geben.
  • Der Arzt müsste die Zeit vergütet bekommen, in welcher er mit dem Patienten spricht. Er macht, zwar anders bezeichnet, aber vom Inhalt her eine Verhaltenstherapie mit dem Patienten. Dies mit dem Ziel, dass der Patient der zuvor die falschen Schuhe anzog nun die richtigen anzieht. Dies muss auch vergütet werden.
  • Der Arzt müsste im Umkehrschluss die finanzielle Belastung des Gesamtsystems im Auge haben. Bei Patienten, die auch die optimalsten Schuhe nicht tragen wollen und damit wieder ein nicht verschließbares Rezidiv des Ulcus auftritt, dürften keine teuren Wundauflagen oder teuren Schuhe verordnet werden. Dieses Problem müsste mit dem Patienten offen kommuniziert werden. Es dürfte nur eine billige Standardversorgung verordnet werden, damit man auch in Sachen begrenzter Ressourcen möglichst zielgerichtet arbeiten kann.

Kommentar des Autors
Ich verstehe jeden Patienten der große Probleme hat, die Empfehlungen des Arztes und Vorgaben der Krankenkasse umzusetzen, denn diese sind wie sie praktisch angewendet werden häufig realitätsfern und diskriminieren teilweise den Patienten. Es wird ihm zudem erschwert am normalen Sozialleben/ Berufsleben teilzunehmen. Zudem gehen wir dabei sehr wenig auf die Persönlichkeit der Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom ein, die häufig einen klaren Willen haben wie die Dinge zu laufen haben und denen es dabei schwer fällt, einen völlig anderen Denkansatz in ihre Denkweise zu übernehmen.

Wir sollten ehrlicher zu den Patienten sein! Wir sollten Ihnen ehrlich sagen, dass wir Ihnen eine Schuhversorgung vorschlagen, die wir selbst (vermutlich) mäßig häufig oder selten, auf jeden Fall auf Anhieb nicht immer tragen würden, wir dies aber von ihnen verlangen! Wir sollten den Patienten sagen, dass das große Problem der Polyneuropathie zwar auf der körperlichen, also somatischen Ebene (fehlende Schmerzempfindung) liegt. Die Lösung liegt aber auf der Ebene der Psyche/des Verstehens und Fühlens. Dies, so lange es noch keine Möglichkeiten technischer Art gibt, die Schmerzwahrnehmung wieder für den Patienten herzustellen.

Wenn der Patient sich wieder als Ganzes begreift, eine positive Einstellung zu seinem geplagten Fuß entwickelt und er ein besseres Körpergefühl erlernt, fällt die Therapie deutlich einfacher, wie wir in unserer Sprechstunde sehr gut erfahren konnten. Die Zeit, den Patienten das ausführlich und klar und immer wieder zu sagen, wird aber nicht bezahlt. Es kann aber kein tragbares System sein, wenn sich deshalb nur Idealisten diese Zeit nehmen und dies wirtschaftlich nur machen können, wenn sie andere Krankheitsbilder wie das Diabetische Fußsyndrom behandeln, die ertragreich sind, oder der Patient eine solche Aufklärung selbst zahlen würde.


Autor: Dr. Johannes Huber
Schriftführer BVKD
Städtisches Klinikum Karlsruhe
huber@die-diabetes-kliniken.de

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2018; 30 (9) Seite 48-53