Der Bundesverband klinischer Diabeteseinrichtungen – DIE Diabetes-Kliniken e.V. (BVKD) äußert sich hier zum Gesetzesentwurf zur Verbesserung der Versorgungsqualität im Krankenhaus und zur Reform der Vergütungsstrukturen (KHVVG).
Diabetes mellitus zählt zu den relevantesten Volkskrankheiten, die heute und in Zukunft zu bewältigen sind. Aktuell weisen jährlich etwa 3 Millionen Menschen, die einer Behandlung im Krankenhaus bedürfen, einen Diabetes als Nebendiagnose auf (1,2,3).
Hintergrund
Hinzu kommen jedes Jahr etwa 200 000 Patienten, die sich aufgrund der Stoffwechselerkrankung selbst als Hauptdiagnose in stationäre Therapie begeben (2).
85 Prozent der Menschen mit Hauptdiagnose Diabetes werden in diabetologisch nicht qualifizierten Kliniken versorgt (4). Zukünftig soll ein deutlich größerer Anteil der Hauptbehandlungen auf qualifizierte Einrichtungen konzentriert werden.
Weiterhin gilt es, auch die "Nebendiagnose" Diabetes adäquat mitzuversorgen. Diabetes als Begleiterkrankung wirkt sich ungünstig auf den Verlauf des Krankenhausaufenthaltes aus mit Erhöhung von Liegedauer, Komplikationsraten und finanzieller Belastung (5,6,7).
Eine große Anzahl Diabetes-betroffener Menschen im Krankenhaus ist in hoher Qualität zu versorgen. Zur adäquaten Adressierung der Nebendiagnose Diabetes sowie zur konzentrierten Versorgung der Hauptdiagnose Diabetes durch qualifizierte Einrichtungen stellen die systematische Digitalisierung und Vernetzung der Diabetologie einen möglichen Ansatz zur Sicherung der Versorgungsqualität dar (8,9).
Die aktuell geplante Krankenhausreform adressiert wichtige Punkte zur Sicherstellung der zukünftigen stationären Versorgung in Deutschland. Ihre wesentlichen Ziele werden vom BVKD vollumfänglich unterstützt.
1. Umkehr der Anreizsituation und Versorgungssicherung durch Vorhaltefinanzierung
2. Spezialisierung und Zentralisierung zur Verbesserung der Behandlungsqualität
3. Ambulantisierung des bislang im internationalen Vergleich hohen Anteils vollstationärer Behandlungsfälle
Die Reform der Krankenhausfinanzierung ist eng verknüpft mit einer lange überfälligen Reform der Krankenhausplanung – im ersten Aufschlag entlang der sog. NRW-Leistungsgruppen. Die Leistungsgruppe "komplexe Endokrinologie und Diabetologie" bietet hierbei die Chance, eine qualitativ hochwertige diabetologische Spezialversorgung an Zentren sicherzustellen. Dies entspräche einem Vorschlag des BVKD, die Anzahl der Krankenhäuser zur Versorgung von Patienten, die sich wegen Diabetes als Hauptdiagnose im Krankenhaus befinden, von aktuell knapp 1.500 auf knapp 200 Kliniken zu reduzieren (8). Um an diesen Zentren bzw. telemedizinisch über diese Zentren eine adäquate und bedarfsgerechte Versorgung aller Menschen mit Diabetes als Haupt- oder Nebendiagnose im Krankenhaus zu ermöglichen, ist es jedoch erforderlich, Strukturqualität nicht nur bezogen auf ärztliche Fachqualifikation und Geräteinfrastruktur, sondern insbesondere auch in Bezug auf das Fachpersonal der Diabetes-versierten Gesundheitsberufe (z.B. Diabetesberater:innen, Ernährungsberater:innen, Podo-log:innen, Psycholog:innen) vorzuhalten wie es spezialisierte und zertifizierte Diabeteszentren bereits tun.
Finanzierung der diabetes-spezifischen Vorhaltung existiert aktuell nicht
Die Vielzahl und Heterogenität der aktuellen Leistungserbringer in der DRG-Kalkulation verwässern die Sichtbarkeit dieser Infrastrukturkosten, so dass bislang eine finanzielle Sicherzustellung fehlt. Dieser systematische Fehler ist ein spezielles, bislang nicht adressiertes Problem von Querschnittsfächern. Fachabteilungen wie die allgemeine Innere Medizin, Chirurgie oder Geriatrie generieren die Mehrheit der diabetologischen Fallpauschalen, halten jedoch nicht die speziellen Infrastrukturen der Diabetologie vor, so dass die Kosten auch nicht Eingang in die Ermittlung der Höhe der Fallpauschalen finden können. Damit deckt "Vorhaltefinanzierung" in der spezialisierten Diabetologie die geforderte Vorhaltung von Strukturqualität nicht ab! Falls wie bisher unverändert keine angemessene Finanzierung des Fachpersonals im Rahmen der Krankenhausfinanzierung erfolgt, werden mittelfristig qualitätsgesicherte Strukturen zurückgehen und in unmittelbarer Konsequenz sich die bereits bestehenden Versorgungslücken für Menschen mit Diabetes in Deutschland weiter verschärfen.
Vorhaltefinanzierung muss spezialisierte Vorhaltung finanzieren und darf keine nur empirisch errechnete Abbildung des Ist-Zustands sein!
Bislang gibt es zur Lösung dieses Problems im aktuellen Gesetzesentwurf noch keinen Umsetzungsvorschlag. Aktuell federt Vorhaltevergütung nur eine (politisch gewünschte) Schrumpfung der Krankenhauslandschaft finanziell ab, sie läuft jedoch an zwei Stellen ins Leere:
1. Die geforderte Leistungszentralisierung wird in Wachstum der Zentren resultieren, die "Vorhalte-vergütung" bedeutet jedoch nichts anderes, als dass zusätzliche Leistungen pro Fall geringer vergütet werden, ähnlich alten Regelungen von Mehrerlösausgleich und Fixkostendegressions-abschlag (FDA). In dem aktuellen Gesetzesentwurf entfällt eine wichtige Regelung, die Wachstum an Zentren attraktiver als an kleinen Krankenhäusern gemacht hat, nämlich der Wegfall des FDAs bei ausgewiesenen Zentren. Damit wird der Wunsch nach Bündelung von Leistung im Sinne der Qualität finanziell grundsätzlich konterkariert.
2. Selbst ohne Wachstum sollte Vorhaltefinanzierung die Vorhaltung finanzieren. Künftig steht zu befürchten, dass mit Durchsetzung neuer Strukturanforderungen auch in anderen Leistungsgruppen, zusätzliche Strukturkosten ohne Refinanzierung bleiben, ganz zu schweigen von bereits jetzt existierenden gravierenden Lücken wie in der Diabetologie.
Strukturanforderungen und Vorhaltekosten sind in der Diabetologie aktuell ein finanzieller Widerspruch
Aus Sicht des BVKD müssen diese Punkte im Gesetzesentwurf Eingang finden. Hierzu kämen zwei Lösungsmöglichkeiten in Frage:
1. Kalkulation der Kosten für geforderte Strukturqualität, Abgleich mit der aktuellen Refinanzierung im DRG-System und manuelle Korrektur durch das InEk
Nachdem die Politik kein zusätzliches Geld zur Verfügung stellen wird und die Umsetzung aufwendig ist, erscheint das kein kurzfristig realistisches Szenario. Über die Zeit werden die Kosten Eingang in die DRG-Kalkulation nehmen, jedoch steht zu befürchten, dass nicht alle Krankenhäuser die Durststrecke bis dahin überleben können.
2. Generelle Abbildung von Ernährungs- und Diabetesberatung in den Pflegekosten analog zur Berufsgruppe der Hebammen
Hierbei handelt es sich um eine Hilfslösung, die ohne Umformung des Systems möglich ist. Allerdings berücksichtigt die Lösung nur einen Teil der bislang nicht abgebildeten Vorhaltekosten, wäre aber ein abfedernder Kompromiss bis die übrigen Kosten Eingang ins System gefunden haben. Zusätzlich muss sichergestellt werden, dass damit nicht zwei grundsätzlich verschiedene Strukturanforderungen – bedarfsgerechte Pflege einerseits sowie qualitätsorientierte Diabetesbetreuung andererseits – gegeneinander "aufgerechnet" werden. Eine klare Vorgabe in der Strukturqualität würde diese Gefahr vermeiden.
Die entstehenden Mehrkosten werden u.a. durch die konsequente Qualitätsorientierung und Konzentration der Versorgung auf qualifizierte Diabeteseinrichtungen refinanziert. Eine konsiliarische (telemedizinische) Mitbehandlung könnte perspektivisch regelhaft als Qualitätsstandard und Abrechnungsgrundlage für die betreffenden Patienten implementiert werden. Dazu ist eine Finanzierung der koordinierenden Aufgaben z.B. ggf. über die im Gesetzesentwurf sogenannten "Koordinierungs- und Vernetzungsaufgaben" denkbar. Hier müsste der Entwurf allerdings dahingehend ausdifferenziert werden, dass Diabeteszentren nicht nur Zugang zu einer Finanzierung regionaler Netzwerke haben, sondern die Koordinierung für die hochspezialisierten Querschnittsfächer auch innerhalb eines Krankenhauses möglich sein muss. Schließlich sollte auch die stationär-ambulant sektoren-übergreifende Versorgung gestärkt und digitale Patientenkontakte intensiviert werden. So könnten zukünftige Diabetes-Fachzentren etwa einen großen Teil der Patientenschulungen und -beratungen per Video erbringen. Durch Bündelung der Kompetenzen zwischen Kliniken und Praxen würden zudem Synergien in Bezug auf die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Diabetesversorgung erschlossen. Die konsequente Digitalisierung über alle Versorgungsebenen hinweg würde darüber hinaus wertvolle zeitliche Ressourcen des Fachpersonals schonen und zu einer signifikanten Steigerung des Patientennutzens beitragen.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (11) Seite 40-42