Das HDZ NRW in Bad Oeynhausen hat eine neue Klinikdirektorin: Prof. Susanne Reger-Tan. Wir haben mit ihr und Geschäftsführerin Dr. Karin Overlack gesprochen.
Frau Dr. Overlack, seit einiger Zeit sind Fächer der "sprechenden Medizin" wie Diabetologie und Endokrinologie durch Schließung von Kliniken in Forschung, Lehre und Versorgung unterrepräsentiert, Aus- und Weiterbildungsplätze fehlen. Ihnen ist es gelungen, genau diesen Lehrstuhl an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) nachzubesetzen, die klinische Versorgung am Standort Bad Oeynhausen zu erhalten. Wie aufwendig war das? Welche Schritte mussten gegangen werden?
Dr. Karin Overlack: Der Erhalt des Lehrstuhls für Diabetologie und Endokrinologie stand zum Glück zu keinem Zeitpunkt zur Debatte. Dies sicherlich auch vor dem Hintergrund, dass das HDZ NRW die mit Abstand größte universitäre Diabetologie in Deutschland betreibt und Prof. Tschöpe bewiesen hat, dass die Abteilung auch wissenschaftlich hochproduktiv ist. Die Diabetologie konnte damit einen spürbaren Beitrag zum Output der RUB leisten. Allerdings sind akademische Neuberufungen immer aufwendig – wir brauchen ja einen Dreiklang aus Forschung, Lehre und Krankenversorgung und die erste Geige bei der Einstellung spielt in diesem Fall nicht die Klinik-Geschäftsführung, sondern die Universität: Die geeignetsten Bewerber halten vor der Berufungskommission so genannte Probevorträge, zusätzlich werden von externen Experten vergleichende Gutachten zur Beurteilung der wissenschaftlichen Expertise eingeholt. Ganz am Ende nach vielen Monaten erteilt der Rektor einen Ruf, es schließen sich dann "nur noch" Vertragsverhandlungen an. An diesem Berufungsverfahren war die Komplexität sogar noch etwas höher. Erstmals gehörte auch ein Vertreter der Universität Bielefeld mit zur Berufungskommission. Seit Mai 2021 sind alle an die RUB berufenen Professoren des HDZ NRW auch Mitglieder der Universität Bielefeld und nehmen dort Verpflichtungen in Forschung und Lehre wahr.
Als ausgewiesene Expertin für Hormone und Stoffwechsel sind Sie, Frau Prof. Reger-Tan, dem Ruf der Universitätsprofessur für das Fach "Innere Medizin, Diabetologie und Endokrinologie" gefolgt. Seit Oktober 2024 sind Sie Klinikdirektorin am HDZ NRW. Erste Neuerung: Aus Diabeteszentrum wird Klinik für Diabetologie und Endokrinologie, vor dem Hintergrund der Komplexität von Krankheits- und Behandlungsspektrum. Was ist Ihnen wichtig? Welche Schwerpunkte möchten Sie setzen?
Univ.-Prof. Dr. Susanne Reger-Tan: Ich freue mich sehr, das Vertrauen erhalten zu haben, dieses wunderschöne Fach in Forschung, Lehre und Versorgung an solch einem starken Haus und in gleich zwei medizinischen Fakultäten vertreten und mitgestalten zu dürfen. Strukturell kämpfen wir derzeit um das Überleben des Fachs. Wir erleben aber gerade sehr innovative Zeiten im Bereich der Diabetologie, wobei wir strategisch den richtigen Weg gehen: weg vom eindimensionalen Blick auf Glukosekontrolle hin zu einem ganzheitlichen Behandlungskonzept und zur Präzisionsmedizin. Ich möchte klinisch-wissenschaftlich die Integration eines digitalisierten Diabetesmanagements in die Krankenhausversorgung weiter vorantreiben, interdisziplinär die Stärken des Hauses nutzen und den inhaltlichen Fokus auf den Kardiometabolismus richten. In der Lehre und klinischen Weiter- und Ausbildung wollen wir Studierenden und angehenden Fachärztinnen und Fachärzten die Diabetologie, aber auch die Endokrinologie ans Herz legen. Traditionell arbeiten wir als Diabetesteam und sprechendes Fach ganz selbstverständlich interdisziplinär und transversal – diese Facette der zwischenmenschlichen Interaktion muss als entscheidender Erfolgs- und Zufriedenheitsfaktor aufrechterhalten werden.
Links: Univ.-Prof. Dr. med. Susanne Reger-TanDirektorin der Klinik für Diabetologie und Endokrinologie, Herz- und Diabeteszentrum NRW, Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum, Medizinische Fakultät OWL (Universität Bielefeld), Bad Oeynhausen. Rechts: Dr. med. Karin OverlackGeschäftsführerin Herz- und Diabeteszentrum NRW, Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum, Medizinische Fakultät OWL (Universität Bielefeld), Bad Oeynhausen.
Digitalisierung in der Diabetologie ist ein Thema, das mit Ihnen verknüpft wird. Sie haben in Essen das Projekt SmartDiabetesCare initiiert, um Patientinnen und Patienten mit der Nebendiagnose Diabetes frühzeitig zu identifizieren. Zudem engagieren Sie sich in der Kommission Digitalisierung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Nur mal angenommen, Sie könnten sich ein Szenario in der Diabetologie mit maximaler Unterstützung durch technische Tools wünschen: Wie sähe das aus?
Reger-Tan: Etwa jeder vierte Mensch im Krankenhaus ist von Diabetes betroffen und die Diagnose beeinträchtigt relevant den Krankheitsverlauf während des stationären Aufenthalts und darüber hinaus. Deshalb besteht die dringende Notwendigkeit, den Diabetes auch als Nebendiagnose systematisch zu adressieren. Was würde man sich wünschen? Die DDG empfiehlt schon lange ein systematisches Diabetes-Screening, darüber hinaus sind CGM-Integration in die Krankenhausversorgung, elektronische Insulinanordnung, Datenteilung zwischen Klinik und ambulantem Sektor zentrale Aspekte. Es fallen mir viele existierende und noch zu entwickelnde Tools ein, wichtiger ist aber sicher das Potential: Die Anwendung digitaler Technologie erlaubt uns nicht nur im eigenen Zentrum eine optimierte Versorgung, sondern eröffnet auch die Möglichkeit, als universitärer Maximalversorger überregionale Koordinierungsfunktion auszuüben. Das bedeutet: Wir können anderen Häusern unsere Expertise anbieten und so bei der Versorgung der vielen Menschen mit Diabetes, die stationär behandelt werden müssen, unterstützen.
Aktuell ist der Druck auf Geschäftsführungen von Kliniken immens, Frau Dr. Overlack. Wir leben in unruhigen Zeiten. Kaum ein Tag ohne Forderung zur Nachbesserung beim Krankenhaus-Versorgungs-Verbesserungs-Gesetz (KHVVG) vergeht. Kliniken fürchten um ihre Existenz, immer mehr Häuser schließen die Pforten. Das Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW) als universitäre Einrichtung ist in der komfortablen Situation, als Maximalversorger hochspezialisiert zu sein. Wird es Einschnitte geben? Was folgt aus dem KHVVG für die Region?
Overlack: Die Situation ist leider bei weitem nicht so komfortabel, wie man annehmen könnte. Eigentlich möchte das KHVVG Zentralisierung und Spezialisierung vorantreiben, viele Punkte sind aber nicht bis zum Ende durchdekliniert. Gerade für hochspezialisierte Fachkliniken ist bislang nicht abschließend klar, welche Rolle sie spielen sollen und können. Diabetologie kommt z.B. in der vom Gesetz angedachten Logik für Fachkliniken gar nicht vor! Und die aktuell definierten strukturellen Hürden für die Leistungsgruppe Diabetologie und Endokrinologie sind so hoch, dass viele andere unstrittig hochpotente Diabeteskliniken diese Hürden nicht überspringen können. Trotzdem erwarten wir für das HDZ NRW, dass wir unser derzeitiges Leistungsspektrum weiter betreiben und sogar ausbauen können, z.B. an der Schnittstelle zur für die Diabetologie wichtigen Gefäßchirurgie. Was uns großes Kopfzerbrechen bereitet ist die Frage, wie Leistungszuwachs durch Zentralisierung gerade bei überregional tätigen Versorgern überhaupt abgebildet werden kann. Aktuell gehe ich davon aus, dass wir schmerzhafte finanzielle Abschläge für die Versorgung zusätzlicher Fälle hinnehmen müssen und sich diese ironischerweise "Vorhaltebudget" nennen.
Ich erwarte durch das KHVVG deutschlandweit spürbare Einschnitte bei der Versorgung einer alternden und kränker werdenden Bevölkerung. Die Menschen werden zwar dem Grunde nach spezialisierter versorgt, aber letztlich wird in diesen Genuss nur ein Teil der Patienten kommen. Andere werden vermutlich abgewiesen, weil die künftige Finanzierung eine Versorgung wirtschaftlich verbietet und zudem die Infrastrukturen in den verbleibenden Häusern für ein deutliches Mehr an Patienten ad hoc gar nicht ausreicht.
Abschließend noch eine Frage an Sie beide. Der Bundesverband Klinischer Diabetes-Einrichtungen (BVKD) vertritt die Interessen von rund 120 Diabetes-Kliniken in Deutschland. Sie gehören zum Vorstand des BVKD. Welche Möglichkeiten der Unterstützung gibt es für die Mitgliedseinrichtungen? Was sind die größten Herausforderungen, um eine qualitativ hochwertige Versorgung im stationären Bereich sicherzustellen?
Overlack: Wir haben in der Tat aktuell viel zu tun. Ich würde fast behaupten, unsere größte Herausforderung ist die aktuelle Bundesgesundheitspolitik. Als BVKD stehen wir ja vollkommen hinter deren Zielen von Zentralisierung und Strukturbereinigung, sehen aber, dass die Ziele drohen verfehlt zu werden. Wir versuchen derzeit, die KHVV-Gesetzgebung sehr engmaschig zu begleiten, analysieren die Situation unserer Mitgliedseinrichtungen und machen diese auf bevorstehende Probleme aufmerksam. Und wir versuchen massiv, unsere Erkenntnisse auch in der breiten Öffentlichkeit und der Politik präsent zu machen und damit möglichst – auch gemeinsam mit der DDG und dem VDBD – eine künftig hochwertige spezialisierte stationäre Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Diabetes zu sichern.
Reger-Tan: Ich schließe mich dieser Ansicht an. Unsere Hauptaufgabe liegt derzeit in der aufmerksamen Beobachtung der KHVVG-Entwürfe und raschen "Übersetzung" – sprich: Welche Implikationen ergeben sich aus einem Gesetz, das für ein zukünftig tragfähiges Gesundheitssystem die Reformation der gesamten Krankenhauslandschaft einleitet, konkret für die stationäre Diabetologie? Beispielsweise ist eine Besonderheit und eigentliche Stärke unseres Fachs die Multiprofessionalität des Diabetesteams, das eben nicht nur aus spezialisierten Ärztinnen und Ärzten oder Pflegenden besteht. Zum Team gehören auch Professionen wie Diabetes- und Ernährungsberatung, Psychologie, Wundversorgung und Podologie. Eine schmerzhafte Erkenntnis der "diabetologischen Übersetzung" vom KHVVG ist leider, dass genau diese wertvollen Berufsgruppen in den Vorhaltekosten nicht berücksichtigt werden. Auf diesen Missstand muss hingewiesen werden, um die Chance einer Korrektur oder sinnhaften Ergänzung wahrzunehmen.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Overlack und Frau Prof. Reger-Tan.
Interview: Redaktion
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (11) Seite 42-44