Das neuartige Coronavirus hat in Diabetes-Schwerpunktpraxen und in Diabeteskliniken für reichlich Unruhe gesorgt. Die Organisation des Alltagsbetriebs musste neu strukturiert werden. Im Interview dazu sind Dr. Cosima Schramm sowie Dr. Thomas Werner.

Das folgende Interview fand per Telefonkonferenz statt. Die Fragen beantworten Dr. med. Cosima Schramm, Diabetologin in einer Schwerpunktpraxis in Jena (Thüringen), und Dr. Thomas Werner, Chefarzt des Diabeteszentrums Bad Lauterberg (Niedersachsen).


Was hat sich seit Beginn der Corona-Krise in Ihrem Alltag geändert?
Dr. Cosima Schramm:
Wir haben in der Schwerpunktpraxis ein Bestellsystem, das die Patienten eintaktet. Wir bestellen im Moment die Patienten nicht ab. Wir rufen sie 1-2 Tage vor dem geplanten Termin an und planen eine Telefon- oder Videosprechstunde. Die Videosprechstunde haben wir neu in unserer Praxis etabliert. Dank unserer Praxisverwaltungssoftware ist dies problemlos möglich gewesen. Wir halten dabei natürlich auch den Datenschutz ein, da alles über einen gesicherten Server läuft.

Von den Patienten werden beide Angebote dankbar angenommen. Sie sind froh, dass wir uns kümmern. Wobei die älteren Patienten lieber telefonieren. Für die jüngeren ist die Videosprechstunde kein technisches Problem. Rezepte schicken wir zu. Patienten mit akuten Problemen, z.B. Fußwunden, Stoffwechselentgleisungen oder Schwangere kommen in die Praxis.

Dr. Werner: Da wir in der Klinik häufig Patienten mit Folgeerkrankungen behandeln, beschäftigen sich derzeit viele mit grundlegenden Fragen. Einige haben Angst, dass sie an COVID19 sterben. Es ist nicht mehr ein abstraktes, entferntes Risiko. Keiner kann vorhersagen, wie die nächsten Wochen ablaufen. Diese Ungewissheit ist für viele Menschen schwer zu ertragen. Ich muss als Arzt ganz andere Gespräche führen. Auch im Tagesablauf beschäftigt man sich über viele Stunden mit dem Thema Coronavirus. Es gibt fast täglich Besprechungen im Hausvorstand oder im Hygieneteam über aktuelle Entwicklungen. Ständig ändern sich die Vorschriften.

Gibt es auch etwas Positives?
Werner:
Unbedingt. Ich freue mich, wie gut die Zusammenarbeit mit den Kollegen im Fußnetzwerk funktioniert. Mit unseren Fußchirurgen an der Uni in Göttingen oder mit unseren Angiologen im Weender Krankenhaus haben wir sehr kurzfristig über persönliche Kontakte Schwierigkeiten ausräumen können. Die Patientenversorgung ist trotz Corona sichergestellt. Auch die Umsicht und Ruhe der meisten Mitarbeiter in unserem Haus bei der Bewältigung bisher ungewohnter Probleme ist sehr positiv.

Schramm: Die Änderungen im Praxisalltag haben bewirkt, dass die Videosprechstunde angelaufen ist. Das hätten wir sonst nicht so schnell hinbekommen. Ein positiver Nebeneffekt ist auch, dass die Patienten plötzlich viel besser ihre Pumpen- und CGM-Daten hochladen und uns schicken können. Auch Typ 2 Diabetiker schaffen es plötzlich, BZ-Werte per mail oder Post zu schicken. Wir werten also telefonisch oder per Video die CGM- und Pumpendaten aus. Es wäre schön, wenn das auch nach Corona klappt.

Was war die größte Herausforderung?
Schramm:
Jeden Mittag machen wir eine Teambesprechung, zu der die aktuellen Neuerungen bekannt gegeben und Probleme diskutiert werden, es wird immer ein Protokoll geschrieben und an alle geschickt, damit auch die, die zu Hause sind, angeschlossen bleiben. So sieht es im Moment aus.

Werner: Ich bin mit der medizinischen Organisation eines Krankenhauses betraut. Wir müssen uns auf die Versorgung von an COVID19-Erkrankten einstellen. Das ist für Mitarbeiter einer auf Diabetesbehandlung spezialisierten Klinik eine völlig neue Herausforderung. Man muss Ängste nehmen, Abläufe festlegen. Und dann ändert sich die Situation fast täglich… Dienstpläne müssen wegen in Quarantäne befindlichem Personal ständig angepasst werden.

Was sind die häufigst gestellten Fragen?
Werner:
Bin ich ein Risikopatient? Das fragen auch Mitarbeiter.

Schramm: Ist bei uns ähnlich.

Hatten Sie in Ihrer Praxis / Klinik schon Corona- Patienten?
Schramm:
Ich hatte bereits Kontakt zu zwei an Corona erkrankten Patienten. Ein älterer Herr mit zahlreichen Begleiterkrankungen und eine junge Frau mit Gestationsdiabetes. Für sechs Tage war ich in Hausquarantäne. Zum Glück bin ich nicht erkrankt.

Werner: Die erste am Virus erkrankte Patientin in unserer Klinik wurde wegen schlechter Blutzuckerwerte eingewiesen. Sie entwickelte nach ein paar Tagen Fieber und Husten. Obwohl sie nicht aus einem Risikogebiet kam, dachten wir auch an das Coronavirus. Wir haben sie und ihre im Zimmer befindliche Mitpatientin isoliert und getestet. Beide waren positiv. Seitdem legen wir alle Patienten in Einzelzimmer.

Waren die Patienten schwer erkrankt?
Werner:
Die erste Patientin verschlechterte sich relativ plötzlich mit der Sauerstoffsättigung. Wir haben sie zeitnah an unsere Universität in Göttingen verlegt. Ihr geht es wohl inzwischen besser. Der zweite positiv getestete Patient war symptomfrei. Also eine ziemliche Bandbreite. Mitarbeiter waren bisher nicht betroffen.

© Torsten Schramm | Telefonsprechstunde: für viele Patienten eine Alternative.

Wie reagierten die Beschäftigten auf die ersten Patienten mit COVID?
Werner:
Einige hatten Angst vor einer Ansteckung. Aus einer abstrakten Gefahr wurde ein reales Problem. Die Schutzkleidung ist begrenzt. Es gibt nicht genug Spezialmasken. Viele waren sehr professionell und hilfsbereit und haben sich sofort für die Isolationsstation einteilen lassen. Interessant, dass einige mit dem Rauchen aufgehört haben. Hoffentlich bleiben sie dabei. Am Rauchen kann man auch ohne COVID sterben.

Welche Schutzmaßnahmen für Patienten und ihre Mitarbeiter haben Sie eingeleitet?
Werner:
Unsere Neuzugänge bekommen ein Einzelzimmer. Besucher dürfen unser Haus nicht mehr betreten. Es gibt keine Gruppenschulungen mehr. Der Speisesaal ist geschlossen. Die Diagnostik und Kontaktvisiten sind auf das verantwortbare Minimum reduziert worden. Alle Mitarbeiter tragen Schutzmasken. Personal mit Kontakt zu Corona-Patienten werden je nach Infektionsrisiko für 14 Tage im häuslichen Umfeld isoliert. Jeder Mitarbeiter mit grippalen Symptomen bleibt zu Hause und soll sich auf Corona testen lassen. Alle Maßnahmen werden mit dem Gesundheitsamt koordiniert.

Schramm: In Jena besteht in öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln die Pflicht zum Tragen einer sogenannten Community-Maske. Das können selbst genähte oder auch professionelle Masken sein. Ohne solch eine Maske kommt niemand in die Praxis. Die Patienten sind da sehr diszipliniert und halten sich an diese Vorgaben.

Patienten mit Infekten melden sich telefonisch an, klingeln dann an der Praxis und werden in einen separaten Raum geschickt. Dieser ist extra für diese Fälle reserviert. Dort untersucht sie der Arzt dann in Vollschutz und macht ggf. einen Abstrich. Für die Anmeldung haben wir 2 Plexiglasschirme bauen lassen. Die Patienten stecken ihre Chipkarte selbst in das Lesegerät. Das alles sind Maßnahmen zur Minimierung von Kontakten.

Werner: So eine Plexiglasscheibe haben wir auch am Tresen der Anmeldung aufgebaut.

Suchen Sie weniger Patienten auf?
Schramm:
Da das geplante Klientel nicht in die Praxis kommt, ist diese relativ leer.

Werner: Aktuell gehen die Belegungszahlen massiv herunter. Patienten tolerieren lieber eine schlechte Stoffwechseleinstellung, um ja einen Krankenhausaufenthalt zu vermeiden. Das ist menschlich, macht aber die gesundheitliche Situation nicht besser. Wir hatten schon Fußinfektionen, die wegen verzögerter Behandlung weit fortgeschritten waren.

Müssen Mitarbeiter in Kurzarbeit gehen?
Schramm:
Für die Schwestern haben wir Kurzarbeit beantragt, wir Ärzte arbeiten wechselseitig im Homeoffice (Telefon- und Videosprechstunde).

Werner: Das klingt bei Arzt- und Pflegekräftemangelmangel zunächst widersprüchlich. Aber weniger Patienten bedeutet, dass Mitarbeiter nicht beschäftigt werden können. Bisher bauen wir Überstunden ab. Einige sind aber schon in Negativstunden. Wie es weitergeht, hängt von der Entwicklung der Krise ab.

Haben Sie noch eine Möglichkeit, Diabetesschulungen durchzuführen?
Werner:
Es gibt Einzelschulungen mit Sicherheitsabstand und unter Nutzung einer Maske.

Schramm: Gruppenschulungen sind aktuell nicht möglich. Schön wäre es, wenn man per Videokonferenz schulen könnte. Es wird sicher bald Plattformen dafür geben. Mit den jetzt positiven Erfahrungen der Videosprechstunde bin ich hier ganz zuversichtlich.

Denken Sie, dass die Coronakrise dauerhafte Auswirkungen auf die Diabtetologie hat?
Schramm:
Es ist ja schon abzusehen, dass die neuen technischen Hilfsmittel einen Entwicklungsschub bekommen. Vieles davon wird sich im Alltag sicher durchsetzen.

Werner: Das schätze ich auch so ein. Besonders im ambulanten Bereich werden hier Entwicklungen enorm beschleunigt. In den Kliniken ist der Trend zur Behandlung komplexer Gesundheitsprobleme bei Diabetikern ja schon länger zu beobachten. Dazu bedarf es eines breit aufgestellten Behandlungsteams. Netzwerke und Kooperationen bewähren sich ja gerade in dieser Krise.


Frau Dr. Cosima Schramm, Herr Dr. Thomas Werner, vielen Dank für das Interview!



Interview: Matthias Heinz
Redaktion Diabetes-Forum
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2020; 32 (5) Seite 40-42