Das Arbeitsleben in den BVKD-Kliniken hat sich in Zeiten der Corona-Pandemie erheblich verändert. Professor Diethelm Dr. med. Dr. h.c. Diethelm Tschöpe berichtet aus Bad Oeynhausen.

Diabetes mellitus begründet generell eine Anfälligkeit für Infekte, besonders auch der Atemwege. Die Evidenz hierfür reicht von experimentellen Befunden einer reduzierten Aktivität der Immunantwort auf infektiöse Noxen (unspezifisch und spezifisch), die offenkundig direkt durch die Qualität der Blutzuckereinstellung beeinflusst wird, bis zu klinischen Daten aus der primärärztlichen Praxis, die erst in jüngerer Zeit erhoben wurden und eine etwa 30-prozentig gesteigerte Infektionsgefährdung des Respirationstraktes zeigen [1].

Diese Daten wurden zwar für Typ-2-Diabetes erhoben, allerdings wird eine Immunkompromittierung für den Status "diabeticus" grundsätzlich angenommen, auch wenn für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 vergleichbare epidemiologische Befunde spärlich sind. Bei normnaher glykämischer Kontrolle geht man sogar von einem neutralisierten Infektrisiko aus.

Herzkranke Diabetiker als Höchstrisikogruppe charakterisiert

Aktuell hat sich die Aufmerksamkeit auf Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 gerichtet, da die klinisch epidemiologischen Befunde zur SARS-CoV-2-Infektion, der sogenannten Covid-Pandemie, analog erhöhte Betroffenheitsraten für Typ-2-Diabetes und Assoziationen zu schweren, häufig letalen Verläufen gezeigt haben. Damit bestätigen sich Erfahrungen aus der SARS- und der MERS-CoV-Infektionswelle in den Jahren 2003 und 2012. Erneut ist ein Fehlen entsprechender Daten zu Typ-1-Diabetes festzustellen.

Allerdings scheint ein Risikogradient der konditionalen Faktoren "Diabetes", "Hypertonie" und "kardiovaskuläre Erkrankung" zu bestehen. Damit ist der "herzkranke Diabetiker" epidemiologisch als Höchstrisikogruppe charakterisiert. Die "Public Health"-Dimension dieses Befundes ergibt sich aus der Erkrankungsdynamik der pandemischen SARS-CoV-2-Infektion mit der epidemischen Diabetesprävalenz in der Bevölkerung (ca. 10 Prozent).

Legt man die Komorbidität mit Herzkrankheiten zugrunde wurde auf der letztjährigen Pressekonferenz der Stiftung DHD (Der herzkranke Diabetiker) die Anzahl entsprechender Höchstrisikopatienten auf fast 2 Millionen geschätzt. Diese Ausgangslage lässt verstehen, dass in kürzester Zeit Übersichten und Handlungsanweisungen zum präventiven und therapeutischen Umgang mit dieser Patientengruppe im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion publiziert wurden [2].

Konsequenzen für Behandlung ambulant und stationär

Besonders für die oben beschriebene Patientengruppe der herzkranken Diabetiker ist der präventive Infektionsschutz dringlich. Konsequente Beachtung der allgemein empfohlenen Maßnahmen etwa der Händehygiene, des Mundschutzes und der Distanzregeln setzt allerdings eine notwendige Sensibilisierung der Betroffenen voraus. Hierzu gehört aber auch das Erreichen einer euglykämen Stoffwechselführung als Voraussetzung einer hinreichenden Immunkompetenz.

Hier wird häufig die ärztliche Lotsenfunktion sowie die Unterstützung durch geschultes Assistenzpersonal erforderlich, woraus ein Zielkonflikt mit den Distanzmaßnahmen entsteht, der häufig zu einer Peripheralisierung von "Chronikern" im Medizinsystem führt. Die Folge besteht in einer systematischen Verschlechterung der Einstellungsqualität über das gesamte Komorbidiätspektrum und daraus abgeleitet einer erhöhten Infektanfälligkeit. Hier könnten telemedizinische Leistungsangebote zusammen mit modernen Glukosemonitoring-Systemen einen sinnvollen Beitrag leisten, der die Infektionsrisiken in der Präsenzmedizin vermeiden hilft.

Bei gesicherter SARS-CoV-2-Infektion bestehende Medikation überprüfen

Im Falle einer bestätigten Infektion mit SARS-CoV-2 ergibt sich ein erweitertes Behandlungstemplate. Dabei gilt es zunächst zu überprüfen, inwieweit die Infektion nach klinischer Einschätzung moderat verläuft. Bei Menschen mit kardiovaskulären Erkrankungen ohne Diabetes muss immer daran gedacht werden, dass die ß-Zytotropie des SARS-CoV-2-Erregers die Manifestation eines Diabetes mellitus begünstigen kann, ein Glukose-/HbA1c-Screening folglich zur Basisdiagnostik gehören sollte.

Bei Menschen mit bekanntem Diabetes sollte geprüft werden, ob unter bestehender Medikation eine ausreichende glykämische Kontrolle erreichbar bleibt (<180mg/dl) oder ob die Medikation erweitert oder umgesetzt werden muss. Hier sei auf das spezifische Nebenwirkungsspektrum der verfügbaren antidiabetischen Medikamente verwiesen, etwa der Ketoazidose bei SGLT-2-Inhibitoren oder der Laktatazidose bei Metformin.

Je nach Schwere des klinischen Verlaufs kann eine vorübergehende Umstellung auf eine Insulinbehandlung erforderlich werden, was bereits in dieser Klientel häufig die Notwendigkeit einer stationären Behandlung zur Dosisfeststellung und Hypoglykämievermeidung markiert. Im Übrigen muss sichergestellt sein, dass die Behandlung kardiovaskulärer Komplikationen leitliniengerecht ist und bleibt (Aspirin, Statine), um den Spin-off in schwerere klinische Verläufe oder den Trigger für akute Komplikation wie Herzinfarkt oder Schlaganfall zu verhindern.

Dies gilt besonders auch für die Fortsetzung einer Behandlung mit Medikamenten, die das RAS (Renin-Angiotensin-System) blockieren (ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptor-Blocker). Eine experimentell vermutete Begünstigung der SARS-CoV-2- Infektion konnte klinisch nicht bestätigt werden. Umgekehrt kann davon ausgegangen werden, dass die kardiovaskuläre Protektion dieser Medikamente besonders für Diabetiker wichtig ist, die regelhaft ein aktiviertes RAS-System aufweisen.

Wegen Interferenz von Covid-Erreger mit RAS auf Elektrolytbalance achten

Komplizierte Erkrankungsverläufe erfordern unverzüglich eine stationäre Behandlung vor allem von Diabetespatienten mit kardiovaskulären Manifestationen, die von schwereren Verläufen mit einer erhöhten Mortalität bedroht sind. Hier ist eine intensivere Betreuungsdichte erforderlich. Dies betrifft das gesamte Spektrum intensivmedizinischer Maßnahmen wie Beatmung, pharmakologische Kreislaufunterstützung mit Katecholaminen, Steroiden, Antiinfektiva etc.. Aufgrund der Interferenz des Covid-Erregers mit dem RAS erfordert die Elektrolytbalance besondere Aufmerksamkeit.

Hypokaliämische Zustände sind häufig und werden durch die Notwendigkeit parenteraler Insulingaben verstärkt. Auffällig ist ein sehr hoher Insulinbedarf, der sich erkrankungsbegleitend einstellt, wobei ß-zytotrope Sekretionsstörung und periphere Insulinresistenz nicht sicher differenziert werden können. In der Regel erfordert dies die frühzeitige Umstellung der antidiabetischen Therapie auf intravenöse Insulingaben und die Beendigung von Metformin oder SGLT-2-Inhibitor-Therapien, die mit Störungen des Säure-Basen-Haushaltes oder der Flüssigkeitsbilanz einhergehen können.

Unter diesen Bedingungen kann sich auch die Flüssigkeitsbilanzierung bzw. das Volumenmanagement als schwierig erweisen, wenn einerseits ein hoher Turnover für die metabolische Clearance benötigt wird, andererseits eine Volumenbelastung das Risiko für eine pulmonale Dysfunkion durch Bildung vor allem interstitieller Ödeme als Folge der entzündlichen Schrankenstörung erhöht.

Glukosemonitoring und Steuerung der antidiabetischen Therapie entscheidend

In einer retrospektiven Auswertung von chinesischen Daten aus Wuhan konnte die Mortalitätsprognose im Wesentlichen auf die Patienten mit Blutzuckerwerten über 180mg/dl multifaktoriell eingegrenzt werden [3]. Daher kommen dem engmaschigen Glukosemonitoring und der entsprechenden Steuerung der antidiabetischen Therapie (i.d.R. Insulin) herausragende Bedeutung für die klinische Prognose dieser Patienten zu.

Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit der Stoffwechselüberprüfung (und ggf. Therapie) von Covid-19-Patienten, bei denen bisher keine diabetische Stoffwechsellage bekannt war. Dies gilt in besonderer Weise für Posttransplant- Patienten (Herz, Leber, Niere), die durch ihre begleitende immunsuppressive Behandlung generell von einer Diabeteskonversion bedroht sind, aber auch wieder in besonderer Weise von einer SARS-CoV-2-Infektion betroffen werden können.

Aufmerksamkeit erfordert auch die Interaktion von Therapeutika gegen SARS-CoV-2- Infektion bzw. ihrer Folgen und dem Glukosestoffwechsel. Auch wenn es bisher lediglich um die Anwendung von Substanzen im individuellen Heilversuch geht, sollte doch auf die hypoglykämisierende Wirkung von Chloroquin bzw. die hyperglykämisierende Wirkung von Steroiden oder antiviralen Substanzen hingewiesen werden, was die Notwendigkeit eines Glukosemonitorings in der Therapieführung unterstreicht.

Pandemie macht prognostische Bedeutung zielwertgerechter metabolischer Kontrolle sichtbar

Das klinische Bild der SARS-CoV-2-Infektion imponiert bunt und begünstigt durch die paraentzündliche Thrombophilie mit Mikro- und Makrozirkulationsstörung akute Komplikationen wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder die Entwicklung eines Multiorganversagens. Man könnte die Covid-Erkrankung auch als Trigger der Komplikationen betrachten, die die Höchstrisikogruppe der herzkranken Diabetiker prognostisch gefährdet. Es ist daher unangemessen, diesen Patienten unter Hinweis auf fehlende Akuität die notwendige Behandlung vorzuenthalten -weder ambulant noch stationär-.

Dies unterstreicht aber auch die Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit im Krankenhaus, damit die oben genannten Zusammenhänge berücksichtigt werden. Die Pandemie macht sichtbar, welche prognostische Bedeutung der zielwertgerechten metabolischen Komorbiditätskontrolle zukommt- aufgrund des Beobachtungszeitraffers vielleicht erstmals auch im härtesten Outcome-Kriterium "Mortalität".


Autor: Prof. Dr. med. Dr. h.c. Diethelm Tschöpe
Direktor Diabeteszentrum am Herz- und Diabeteszentrum NRW,
Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum (UK RUB),
Kuratoriumsvorsitzender Stiftung "Der herzkranke Diabetiker" (DHD),
Georgstr. 11, 32545 Bad Oeynhausen,
E-Mail: diethelm.tschoepe@ruhr-uni-bochum.de


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2020; 32 (6) Seite 44-46