Nadeln zur Insulininjektion sollten keinesfalls mehrmals verwendet werden. Eine Umfrage zeigt jedoch, dass dies sehr häufig geschieht. Dr. Kenneth Strauss von BD klärt über die Folgen wie Lipohypertrophien auf.

Für die Gesundheitsprobleme, die mit häufigen Injektionen verbunden sind, gibt es mehrere Ursachen. Ein viel zu wenig beachteter Auslöser ist die Wiederverwendung von Nadeln.

Es ist eine weit verbreitete Gewohnheit: Laut dem globalen Fragebogen zu Injektionstechniken (Injection Technique Questionnaire, ITQ) verwenden bis zu 56 Prozent der insulinpflichtigen Menschen mit Diabetes ihre Nadeln mehrfach. Mit dem ITQ wurde eine der umfangreichsten Befragungen zu Diabetes durchgeführt. Der Fragebogen wurde von 183 Spezialisten aus 54 Ländern im Rahmen des FITTER (Forum for Injection Technique & Therapy Expert Recommendations) erstellt und optimiert.

14 Prozent verwenden ihre Nadeln mehr als zehnmal wieder

Ein Ergebnis der Umfrage war, dass 40 Prozent der Menschen mit Diabetes ihre Nadeln drei- bis fünfmal wiederverwenden. An der Spitze dieser Skala stehen signifikante 14 Prozent (mehr als einer von zehn!), die ihre Nadel mehr als zehnmal wiederverwenden. Obwohl Pen-Nadeln nur für den Einmalgebrauch vorgesehen sind und dies auch deutlich auf der Verpackung angegeben ist, ist die Wiederverwendung für viele Insulin injizierende Menschen (41 Prozent) eine Frage der Bequemlichkeit.

Weitere Einflussfaktoren sind Kosten (23 Prozent) und Umweltbedenken (7 Prozent). Menschen, die die Kosten für ihre Nadeln teilweise oder ganz selbst tragen müssen, entscheiden sich vielleicht dafür, nicht für jede Injektion eine neue Nadel zu kaufen. Einigen Anwendern ist es unangenehm, die Nadel schon nach einer einzigen Benutzung zu entsorgen, weil sowohl die Metall- als auch die Kunststoffteile verbrannt werden müssen.

Fachgremien wie FITTER sprechen sich ganz eindeutig gegen eine Wiederverwendung von Nadeln aus und weisen auf die Zusammenhänge zwischen der Wiederverwendung von Nadeln und Lipohypertrophien sowie Schmerzen oder Blutung bei der Injektion hin: "Die Wiederverwendung von Insulinnadeln ist keine optimale Injektionspraxis, und die Patienten sollten von der Wiederverwendung abgehalten werden..."

Hersteller müssen auf der Verpackung deutlich machen, wenn ein Produkt nur für den Einmalgebrauch gedacht ist. Das ist bei Pen-Nadeln der Fall, und hier verlangen Etikettierungsvorschriften, dass sowohl das Symbol für den Einmalgebrauch als auch das Symbol für Sterilität aufgeführt werden.

Ursachen und Auswirkungen von Lipohypertrophien

Es gibt verschiedene Gründe, warum Nadeln nicht wiederverwendet werden sollten, aber das Lipo-hypertrophie-Risiko ist eines der größten Probleme bei der Wiederverwendung. Lipohypertrophien (kurz Lipos) sind eine häufige Fettgewebsstörung bei insulinpflichtigen Menschen mit Diabetes. Diese unansehnlichen Schwellungen oder Verhärtungen des Fettgewebes bilden sich, wenn ein durch wiederholte Injektionen in die gleiche Stelle verursachtes Mikrotrauma in Kombination mit Insulin zu einem verstärkten Wachstum von Fettablagerungen führen.

Das Problem: Patienten übersehen sie leicht bei der Selbstuntersuchung. Sie entstehen meistens an den bevorzugten Injektionsstellen wie Bauch oder Oberschenkel und werden für Gewichtszunahme oder Muskelentwicklung gehalten. Auch Ärzte können Lipos übersehen, wenn sie die Injektionsstellen nicht routinemäßig bei jedem Besuch untersuchen. Lipohypertrophien treten bei bis zu zwei Dritteln aller Insulinanwender auf und es gibt drei Hauptrisikofaktoren für die Bildung von Lipos: Dauer der Insulintherapie, wobei Lipos häufiger bei Langzeitanwendern auftreten, schlechte Rotationstechnik der Injektionsstellen und – sehr wichtig – die Wiederverwendung von Nadeln.

70 Prozent der Mehrfachanwender haben Lipohypertrophien

Insulinanwender, die ihre Nadeln wiederverwenden, haben viel häufiger Lipos als Insulinanwender, die ihre Nadeln nicht wiederverwenden: 70 Prozent der Mehrfachanwender haben Lipohypertrophien. Das wiederholte Injizieren in die gleiche Stelle führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Lipo-Bildung: In einer Studie von Blanco et al zeigte sich, dass 98 Prozent der Menschen mit Lipos die Injektionsstellen nicht oder nicht richtig wechseln.

Lipos sind auch mit zwei der häufigsten und belastendsten Probleme einer Insulintherapie verbunden: Hypoglykämie (Blutzuckerspiegel unter 70 mg/dl) und Blutzuckerschwankungen. In der Studie von Blanco et al war bei den Teilnehmern mit Lipos beispielsweise die Rate wiederholter, unerklärlicher Unterzuckerungen mehr als sechsmal höher (39 Prozent vs. 6 Prozent) und die Blutzuckerschwankungen waren siebenmal größer (49 Prozent vs. 7 Prozent) als empfohlen.

Solche Probleme entstehen, weil eine Injektion in Lipos die Aufnahme und damit die Wirkung des Insulins im Körper beeinflusst und damit das Behandlungsergebnis der Patienten beeinträchtigt. Wenn Insulin in die Fettablagerungen injiziert wird, wird es langsamer und mit größerer Schwankungsbreite aufgenommen. Da das Insulin weniger wirksam ist, muss der Patient immer höhere Dosen injizieren, die die Blutzuckerschwankungen verstärken. Das kann zu Gesundheitsproblemen führen, die im schlimmsten Fall Myokardinfarkt, mikrovaskuläre Komplikationen und den Tod umfassen.

Patientenschulung notwendig

Zu den besten Vorbeugungs- und Behandlungsstrategien für Lipohypertrophien zählen der Wechsel der Injektionsstelle nach jeder Injektion und der Verzicht auf die Wiederverwendung von Nadeln. Es hat sich gezeigt, dass die Anwendung geeigneter Rotationsverfahren nicht nur die Größe der Lipos verringert, sondern auch den täglichen Insulinbedarf um bis zu 50 Prozent senken kann. Die Blanco-Studie errechnete, dass ein Patient mit Lipos durchschnittlich 15 Insulineinheiten mehr pro Tag benötigt als üblich.

Die negativen Auswirkungen von Lipos auf die Insulinresorptionsraten erhöhen den Tagesbedarf von 41 Einheiten auf 56 Einheiten. Zu den beschriebenen Gesundheitsproblemen kommen die finanziellen Auswirkungen aufgrund der Kosten für das zusätzliche Insulin und die Versorgung beim Auftreten der Gesundheitsprobleme.

Wie im "Journal of Diabetes" berichtet, ist es kein seltenes Phänomen, dass Menschen mit Diabetes vergessen, was ihnen zu bestimmten Themen wie der Injektionstechnik geraten wurde. Die globalen Daten des ITQ zeigen, dass 44 Prozent der Befragten weiterhin in Lipos injizieren, darunter 17 Prozent bei jeder Injektion und 39 Prozent mindestens einmal täglich.

Da das Risiko für Lipos signifikant ansteigt, wenn Nadeln mehr als fünfmal wiederverwendet werden, und es einen Trend zur Bildung von mehr Lipos gibt, je öfter eine Nadel wiederverwendet wird, ist die Wiederverwendung von Nadeln ein Problem, das dringend angegangen werden muss. Schon nach einmaligem Gebrauch kann man unter dem Mikroskop sehen, dass die Nadelspitze stumpf wird und sich manchmal verbiegt. Dadurch werden die Haut und das Unterhautfettgewebe verletzt und die Entwicklung von Lipohypertrophien gefördert.

Die Erkenntnisse der Blanco-Studie sowie von FITTER und anderen Quellen bestätigen eindringlich die Notwendigkeit, Patienten darüber aufzuklären, wie wichtig der Einmalgebrauch von Nadeln und die Rotation der Injektionsstellen sind, um die besten Behandlungsergebnisse zu erreichen und den Diabetes in den Griff zu bekommen.

Gesundheitlicher Nutzen bei richtiger Nadelanwendung

Die gute Nachricht ist, dass bei Insulinanwendern nach einer Nachschulung zu richtigen Injektionstechniken und nach der Gewöhnung an diese neuen Techniken die Lipos oft signifikant zurückgehen, der Insulinbedarf gesenkt wird und die Gesundheit sich verbessert. In einer Studie, in der Patienten eine Nachschulung zu Injektionstechniken bekamen, nahmen die sichtbaren Lipos von 50 Prozent vor der Studie auf 33 Prozent nach der Studie ab und die tastbaren Lipos nahmen von 63 Prozent auf 42 Prozent ab. Außerdem waren die verbliebenen Lipos 50 Prozent kleiner.

Die Rate der Injektionen in Lipos ging auch deutlich zurück. Es gab signifikant weniger unerklärliche Hypoglykämien und Blutzuckerschwankungen. Patienten mit unerklärlicher Unterzuckerung nahmen um 40 Prozent ab, Patienten mit Blutzuckerschwankungen gingen um 41 Prozent zurück. Der Durchschnittswert für HbA1c fiel um mehr als 70 mg/dl (0,4 Prozent) und die tägliche Insulin-Gesamtdosis ging um 5,6 Einheiten zurück. In anderen Studien wurden Insulineinsparungen von 5,0 bis 15,0 Einheiten pro Tag beobachtet , und es wurde über eine fast 8-prozentige Reduzierung des verwendeten Insulins innerhalb von 8 Studienwochen berichtet.

Human- und Finanzkosten einer gestörten Insulinaufnahme

Natürlich sind mit solchen Ergebnissen auch finanzielle Vorteile verbunden, die die Menschen anspornen können, ihr Injektionsverhalten zu ändern und Lipos zu verringern. Die Patienten sorgen sich möglicherweise um die Kosten bei einem Einmalgebrauch von Nadeln, aber das Insulin ist mehr als neunmal so teuer wie die Nadeln.

Ausgehend von den Ergebnissen in dieser Studie schätzt man, dass das Gesundheitssystem in England und Wales über 42 Mio. £ jährlich sparen kann, wenn sich die tägliche Insulindosis nach einer Schulung um durchschnittlich fast 6 Einheiten pro Person und Tag reduziert. Hierbei wurden Kostenmodelle angewendet, die die Kosten für das Insulin pro Einheit, die Zahl der injizierenden Patienten und die durchschnittliche Insulin-Tagesgesamtdosis (total daily dose, TDD) berücksichtigten.

Diese Berechnung enthält auch die indirekten Kosteneinsparungen durch weniger Hypoglykämien und Blutzuckerschwankungen sowie zusätzliche langfristige Einsparungen durch weniger Spätfolgen des Diabetes wegen des besseren HbA1c-Wertes (durchschnittliche Glukosekonzentration im Plasma).

Die UKPDS (UK Prospective Diabetes Study) und die DCCT (Diabetes Control and Complications Trial) zeigten, dass eine Verbesserung des HbA1c-Wertes um 1 Prozentpunkt bei Menschen mit Typ-1-Diabetes oder Typ-2-Diabetes das Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen um 25 Prozent senkt. Eine weitere Studie kommt hier sogar auf 37 Prozent und berichtet außerdem über einen Rückgang der Myokardinfarkte um 14 Prozent und der durch Diabetes verursachten Todesfälle um 21 Prozent.

Fazit

Die Fakten sind unwiderlegbar: Patienten müssen von der Wiederverwendung von Nadeln abgehalten werden. Unter den insulinpflichtigen Diabetikern, die ihre Nadeln wiederverwenden, liegt die Lipohypertrophie-Rate bei 70 Prozent. Bei Patienten mit Lipohypertrophien treten Unterzuckerung und Blutzuckerschwankungen signifikant häufiger auf und damit auch die assoziierten schwerwiegenden Gesundheitsprobleme.

Studien raten eindeutig von der Wiederverwendung von Nadeln ab und zeigen, wie schnell eine Lipohypertrophie sich bei Anwendung der richtigen Injektionstechnik zurückbildet. Das ist ein klares Argument dafür, Ärzte, medizinisches Fachpersonal und Patienten darin zu schulen, Lipos zu erkennen und korrekte Injektionstechniken anzuwenden.



Autor: Dr Kenneth Strauss
Endokrinologe und Leiter Medizinsicherheit
European Medical Association
und Global Medical Director, BD

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2018; 30 (4) Seite 29-31