Deutschland sucht Fachkräfte! Dies trifft nicht nur für Wirtschaftsbetriebe zu, auch in der Medizin sind wir auf gut ausgebildete junge Menschen angewiesen. Im Interview berichten vier junge Assistenzärzte aus Syrien, Jordanien und Aserbeidschan über ihre Erfahrungen.
Im Diabeteszentrums Bad Lauterberg bewerben sich Assistenzärzte aus aller Welt. Dabei handelt es sich in der Regel um sehr motivierte Ärzte, die in Deutschland einen Ausbildungsplatz suchen. Das folgende Interview soll die Motivation aber auch die Probleme der Bewerber darstellen. Interviewt wurden Dinara Dunyamaliyeva (Aserbaidschan), Flora Kawmi (Syrien), Wasim Tarieh (Syrien) und Rami Abu-Alhuda (Jordanien).
Diabetes-Forum (DF): Sie arbeiten seit einigen Monaten im Diabeteszentrum Bad Lauterberg: Wollten Sie gezielt Diabetologe werden?
Wasim Tarieh: Ich habe bereits 2 Jahre in einem Krankenhaus in Syrien gearbeitet. Dort habe ich viele Patienten mit Diabetes mellitus betreut. So entwickelte sich mein Interesse für das Krankheitsbild.
Flora Kawmi: Ich wollte immer Internistin werden. Dazu gehört auch die Diabetologie. Bei uns haben viele Diabetiker traurige Folgekrankheiten. Deshalb fand ich die Tätigkeit in einer Spezialklinik für Diabetologie sehr interessant.
Dinara Dunyamaliyeva: Ich habe in Aserbaidschan als Assistenzärztin in der Endokrinologie angefangen. Dann arbeitete ich 2 Jahre in Russland als Assistenzärztin in der Diabetologie. Das hat mir sehr gefallen.
Rami Abu-Alhuda: Es gibt so große Unterschiede zwischen dem System hier in Deutschland und Jordanien. In meinem Heimatland gibt es nur ein Diabeteszentrum, das lediglich ambulante Behandlung für Diabetiker anbietet.
DF: Welche Unterschiede gibt es bei der diabetologischen Behandlung in Deutschland im Vergleich zu Ihrer Heimat?
Dunyamaliyeva: Der Unterschied ist groß, weil das medizinische System in Aserbaidschan ganz anders ist. Wir haben keine Krankenversicherung. Deswegen kann nicht jeder Patient die neuen, teuren Medikamente bezahlen. Das bedeutet, dass in Aserbaidschan ein Arzt weniger Therapieoptionen hat.
Abu-Alhuda: Die Therapie ist in Deutschland immer so patientenorientiert. Vieles hängt vom Patienten ab: Wie viel isst er? Welchen Diabetestyp hat er? Der Patient hat Einfluss auf die Therapie. Was ich nicht so gut finde ist, dass dies nur in Deutschland so funktioniert. Das System hier kann man nicht einfach auf andere Länder übertragen.
Kawmi: In Bad Lauterberg gibt es eine große Anzahl von Schulungskursen. Diese Schulungen haben wir in Syrien nicht, weshalb die Patienten nicht sehr viel über ihre Krankheit wissen.
Dunyamaliyeva: Hier im Diabeteszentrum Bad Lauterberg gibt es spezielle Schulungsangebote für Kinder und Jugendliche. Das ist sehr wichtig auch für die Eltern. Sie können Kenntnisse über die Erkrankung bekommen, sich mit anderen Betroffenen austauschen. Wir als Ärzte üben mit ihnen Alltagssituationen, z. B. Sport. In Aserbaidschan gibt es einen Kinderkurs für Diabetiker nur in der Hauptstadt Baku.
Tarieh: Es gibt auch sehr große Unterschiede zwischen hier und Syrien bei der Behandlung des diabetischen Fußsyndroms. Speziell hier im Diabeteszentrum Bad Lauterberg habe ich neue Möglichkeiten kennen gelernt. Für die Patienten gibt es gute Chancen, Amputationen zu vermeiden. Bei uns unterliegt die Behandlung nur den Gefäßchirurgen oder Orthopäden und die Entscheidung für eine Amputation kann man einfach treffen. Hier kämpfen wir immer gegen Amputationen und erzielen gute Ergebnisse. Bei uns liegt das Amputationsrisiko zwischen 50 bis 60 %, hier im Haus so unter 10 Prozent, was ein großer Unterschied ist.
Abu-Alhuda: Was ich hier in Deutschland als sehr positiv empfinde, ist die Weiterbehandlung nach einer Amputation. Es wird nicht einfach entlassen. Wir kümmern uns um die Schuhe oder die Versorgung durch den Pflegedienst.
DF: Sie können alle sehr gut deutsch. Wo haben Sie das so gut gelernt?
Dunyamaliyeva: Ich hatte in der Schule Englisch als Fremdsprache. Als ich hier vor 1½ Jahren hergekommen bin, konnte ich gar kein deutsch, das habe ich erst hier gelernt.
DF: Warum sind Sie nicht nach England, sondern nach Deutschland gekommen?
Dunyamaliyeva: Ich habe hier eine gute Freundin, die auch als Assistenzärztin arbeitet und sie hat so viel Werbung gemacht. Das hat mich motiviert. Deswegen habe ich mich für Deutschland entschieden.
DF: Ist es üblich, dass die Ärzte nach ihrem Studium ins Ausland gehen?
Kawmi: Ja, das ist üblich und besonders nach Deutschland. In meiner Universität gibt es viele Studenten, die seit mehr als 10 Jahren Deutsch lernen. Ich habe die Sprache im Selbststudium erlernt. In Deutschland habe ich dann einen Kurs absolviert und die Sprachprüfung bestanden.
DF: Wie sind Sie in Deutschland aufgenommen worden?
Kawmi: Für mich ist alles gut gegangenen. Ich glaube, die wichtigste Sache ist die Sprache. Wenn man die Sprache kann, ist alles o.k.. Bis jetzt habe ich kein Problem.
Abu-Alhuda: Zuerst habe ich gedacht, dass die Menschen hier mich nicht so gut akzeptieren. Ich war positiv überrascht. Alle sind nett und freundlich, insbesondere hier im Diabeteszentrum. Es ist besser als ich gedacht habe. Es gibt eine Ausnahme: meine Frau trägt Kopftuch. Das ist für viele hier ungewöhnlich.
Dunyamaliyeva: Am ersten Tag in Deutschland war ich sehr überrascht, dass die Menschen in den Geschäften und in den Aufzügen usw. sich begrüßen. In Aserbaidschan ist dies nicht üblich. Dort begrüßen sich nur Menschen, die sich kennen. Mir gefällt das hier sehr gut. Jetzt begrüße ich selber auch immer unbekannte Leute und das macht Spaß.
Tarieh: Mir gefällt die Pünktlichkeit in Deutschland, das ganze System, wie das Leben hier so läuft. Ich fühle mich einfach wohl hier.
DF: Was ist Ihre Lebensplanung? Wollen Sie hier bleiben oder nach der Ausbildung wieder zurück in Ihr Heimatland gehen?
Dunyamaliyeva: Ich würde gern wieder zurückgehen und meinem Land helfen. Leider gibt es ein großes Problem: Es gibt dort nicht so viel Ärztestellen. Mir gefällt es hier sehr gut, so dass ich mir auch vorstellen kann, hier zubleiben.
Abu-Alhuda: Ich würde zunächst gern in Deutschland noch mehr Erfahrungen sammeln. Ob ich nach Jordanien zurückgehe, hängt von sehr vielen Faktoren ab. Ich kann mir auch vorstellen, später in der Golfregion zu arbeiten.
DF: Das klingt alles sehr positiv. Gab es auch Probleme in Deutschland?
Kawmi: In jedem Bundesland gibt es andere Gesetze. Ich war zunächst in Hessen, dort benötigt man mehrere Sprachkurse. Dann war ich in Nordrhein-Westfalen, wo die Approbation erforderlich ist, erst dann durfte ich arbeiten. Es hat auch in Niedersachsen sehr lang gedauert, bis ich die Berufserlaubnis bekam. Dafür waren viele Papiere von meiner Universität erforderlich. Es war sehr schwierig, sämtliche Unterlagen zusammen zu bekommen. In Syrien ist Krieg! Ich habe dort keine Ansprechpartner mehr.
Dunyamaliyeva: Ich hatte auch Schwierigkeiten mit der Ärztekammer. Ich musste nochmals nach Aserbaidschan zurück, um spezielle Unterlagen zu besorgen. Dann gibt es noch die neue Regel, dass man unbedingt eine Fachsprachprüfung absolvieren muss. Die Wartezeit ist sehr lang. Ich habe zuerst hospitiert und kein Gehalt bekommen. Finanziell war das schwierig.
Abu-Alhuda: Das Problem kann ich bis jetzt nicht so ganz verstehen: Warum verschlechtert sich in Deutschland die Anerkennung und die Prüfung jedes Jahr? Das bedeutet immer mehr Hindernisse für die neu ins Land kommenden Ärzte. Hier in Deutschland werden doch aber viele Ärzte gebraucht. Ich verstehe das nicht. Wenn es einem so schwer gemacht wird, dann kommen keine Fachkräfte mehr.
Tarieh: Am Anfang hatten alle meine Kollegen Probleme mit den Briefen und der Dokumentation. Aber man lernt jeden Tag etwas neu, es geht Schritt für Schritt einfacher.
Abu-Alhuda: Man sollte ausländischen Ärzten eine Hospitation ermöglichen. Man muss lernen, wie das System hier in den Krankenhäusern läuft. Woher soll man die bürokratischen Abläufe in einem deutschen Krankenhaus wissen?
Tarieh: Es ist hier alles so anders als in meinem Heimatland Syrien. Dort gibt es wenige Ärzte, wenige Krankenhäuser. Man muss sehr viele Patienten betreuen und hat keine Zeit für Dokumentation. Hier in Deutschland ist alles organisiert, alles soll perfekt sein. Man muss immer alles aufschreiben. Wenn ein Patient wieder aufgenommen wird und hat einen guten Bericht dabei, macht das natürlich Sinn und erleichtert die Arbeit.
DF: Zu guter letzt eine private Frage: Haben Sie sich Deutschland schon etwas angeschaut? Was gefällt Ihnen an diesem Land ?
Abu-Alhuda: Es ist eine schöne Gegend, die Natur im Harz ist unglaublich.
Tarieh: Ich war schon in Völklingen (Saarland) und in Nordrhein-Westfalen zu Hospitationen. Die Natur ist wirklich überall sehr schön.
Dunyamaliyeva: Mir gefallen die Städte in Deutschland sehr gut. Am besten fand ich Hamburg.
Kawmi: Bad Lauerberg muss natürlich auch erwähnt werden.
DF: Vielen Dank für das Gespräch!
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2015; 27 (12) Seite 30-32
