Seit über 15 Jahren gibt es nun durch die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) zertifizierte Fußbehandlungseinrichtungen. Ein Erfolgsmodell, das dabei hilft, Amputationen verhindern – und das durch die Kostenträger jedoch nicht gebührend honoriert wird, wie Dr. Joachim Kersken (2. Sprecher der AG Fuß der DDG) berichtet.

Die Fußbehandlungseinrichtung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) ist eine seit über 15 Jahren etablierte Struktur innerhalb der ambulanten und klinischen Medizin zur Versorgung von Menschen mit chronischer Fußerkrankung bei Diabetes mellitus: mit Neuropathie oder/und mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK), mit und ohne Wunde, mit Amputationsgefährdung und nach Amputation oder als Neuroosteoarthropathie.

Diese Krankheitsentität ist chronisch, rezidivierend, nicht heilbar, aber bei vorhandenen Versorgungsstrukturen und patientenzentriertem Ansatz durchaus gut zu versorgen. Uns sind keine anderen strukturierten ambulanten und klinischen flächendeckenden Versorgungsangebote für dieses Krankheitsbild in Deutschland bekannt, die sich zudem über Jahre in der Praxis bewährt haben und zu der in den letzten Jahren wiederholt berichteten Amputationsreduktion beigetragen haben.

Kriterien und Strukturen

Die Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß (AG Fuß) in der DDG hat hierzu Kriterien und Strukturen geschaffen und hält diese seit über 15 Jahren mit viel persönlichem Engagement jedes einzelnen Mitarbeiters in den Fußbehandlungseinrichtungen vor Ort aufrecht. Erst so entstehen Möglichkeiten, die Patienten leitliniengerecht zu versorgen. Leider haben die Kostenträger den Nutzen für die Versicherten und die Bedeutung für das Gesundheitswesen noch nicht erkannt.

Elemente der Zertifizierung

Die wesentlichen Elemente der Zertifizierung zur Fußbehandlungseinrichtung DDG sind:
  • Antragstellung, Bestätigung der Mindestkriterien durch eine Hospitantin/ einen Hospitanten,
  • aktive und passive Hospitation in einer Fußbehandlungseinrichtung,
  • 5 Kooperationsvereinbarungen wie Podologie, Orthopädieschuhmacher, Chirurg/Orthopäde/Dermatologe, Radiologe/Angiologe/Gefäßchirurg und als klinische Einrichtung mit einer ambulanten Fußbehandlungseinrichtung bzw. als ambulante Einrichtung mit einer klinischen Fußbehandlungseinrichtung,
  • Evaluation von 30 Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom (DFS) (6 Monate nach Behandlungsbeginn: Was ist aus den Patienten mit DFS geworden?),
  • Öffentliche Präsentation: eine Hospitation, die eigene Evaluation oder zwei Patientenbeispiele,
  • Mitgliedschaft in der AG Fuß.

Die Zertifizierung ist für ambulante und klinische Einrichtungen gleich. Kleine Praxen, große Ambulanzen, kleine Kliniken und Uni-Kliniken stellen sich hierbei dem gleichen Verfahren.

Neben den oben aufgelisteten Kriterien zur Zertifizierung enthält der Prozess der AG Fuß eine Patientenevaluation einer konsekutiven Zahl von 30 betreuten DFS-Patienten. Jede Einrichtung schaut nach, was aus den Patienten nach 6 Monaten geworden ist, und kann dies reflektieren.

Ärztlich geleitete Einrichtung wesentliche Voraussetzung

Antragsteller sind überwiegend Diabetologinnen/Diabetologen, von denen die Initiative ausgeht, es können aber auch Chirurgen, Orthopäden, Gefäßchirurgen oder Dermatologen sein. Da es um einen interdisziplinären Ansatz mit chronischer Langzeitbetreuung, Diagnosestellung, Einleitung diagnostischer Maßnahmen und operativen Therapien geht, Medikamente verordnet werden oder auch Patienten palliativ begleitet werden, hält die AG Fuß die ärztlich geleitete Einrichtung für eine wesentliche Voraussetzung für die strukturierte ambulante wie klinische Versorgung von Menschen mit DFS.

Medizinisch begründete Kooperationen (Netzwerkbildung) mit anderen Professionen wie Podologie, Orthopädieschuhmacher sowie aus dem Bereich Angiologie/Radiologie/Gefäßchirurgie und aus dem Bereich Chirurgie/Orthopädie/Dermatologie und mit einer klinischen spezialisierten Einrichtung sind erforderlich.

Ein weiteres wesentliches Element dieses Prozesses ist die aktive und passive Hospitation – eine Mitarbeiterin besucht kollegial eine andere Einrichtung, eine Einrichtung wird von einer anderen Einrichtung besucht. Fast alle Besuchenden und Besuchten berichten von einem Gewinn hinsichtlich Austauschs, Verständnisses und Anregung – als Mehrwert für alle.

111 Anträge im Jahr 2018

2018 wurden 111 Anträge aus ambulanten wie klinischen Einrichtungen gestellt. In den letzten 10 Jahren wurden etwa zwei Drittel der jährlichen Anträge aus ambulanten Einrichtungen und etwa ein Drittel der Anträge aus klinischen Einrichtungen gestellt. 2018 stellten 22 Antragsteller erstmals einen Antrag auf Anerkennung als Fußbehandlungseinrichtung und 89 zum wiederholten Mal. Eine Zertifizierung wird bei vollständigem Erfüllen aller Kriterien für einen Zeitraum von 3 Jahren ausgesprochen.

Aktuell (Stand: 31.12.2018) haben 298 Einrichtungen eine Zertifizierung als Fußbehandlungseinrichtung, davon 224 als ambulante und 74 als klinische Einrichtung. Leider stellt sich im ambulanten wie im klinischen Bereich die Honorierung durch die Kostenträger so dar: Nur in wenigen Regionen (u. a. Nordrhein-Westfalen, Berlin, Hamburg und auch hier jeweils nur für einzelne Krankenkassen) werden durch Sonderverträge die Fußbehandlungseinrichtungen ansatzweise honoriert.

In den meisten Regionen in Deutschland ist das jedoch nicht der Fall. Der in Leitlinien und im Disease-Management-Programm (DMP) geforderten interdisziplinären Versorgungs- und Behandlungsstruktur steht eine fehlende Honorierung gegenüber.

DMP Diabetes


Aus dem aktuellen DMP Diabetes (Bundesministerium für Gesundheit 2014) [1]

Anlage 7: zur Vereinbarung zur Optimierung der Versorgung von Typ 1- und Typ 2-Diabetikern im Rahmen strukturierter Behandlungsprogramme nach § 137 f SGB V […]

1.5.3 Das diabetische Fußsyndrom: Bei Hinweisen auf ein diabetisches Fußsyndrom (mit Epithelläsion, Verdacht auf beziehungsweise manifester Weichteil- oder Knocheninfektion bzw. Verdacht auf Osteoarthropathie) ist die Mitbehandlung in einer für die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms qualifizierten Einrichtung gemäß Überweisungsregeln nach Nummer 1.8.2 erforderlich. […]

1.8.2 Überweisung von der koordinierenden Ärztin, Arzt oder Einrichtung zur jeweils qualifizierten Fachärztin, Facharzt oder Einrichtung: Bei Vorliegen folgender Indikationen muss die koordinierende Ärztin, Arzt oder Einrichtung eine Überweisung der Patientin oder des Patienten zu anderen Fachärztinnen, Fachärzten oder Einrichtungen veranlassen, soweit die eigene Qualifikation für die Behandlung der Patientin oder des Patienten nicht ausreicht:

bei Fuß-Läsionen Wagner-Stadium 2 – 5 und/oder Armstrong-Klasse B, C oder D in eine für die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms qualifizierte Einrichtung, […]

Diese im DMP so bezeichnete "für die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms qualifizierte Einrichtung" (siehe Kasten) kann eigentlich nur die Fußbehandlungseinrichtung DDG sein. Aber exakt definiert ist das im DMP nicht. Vielleicht könnten hier DDG oder Patientenverbände darauf hinwirken, dass die verbindlichenVorgaben im DMP mit Leben gefüllt und umgesetzt werden.

Amputation besser honoriert als Prävention

In den Kliniken ist es 2019 weiter so, dass die Kostenträger eine nicht ausreichend diagnostizierte und frühzeitige Amputation ökonomisch besser honorieren (Logik der Diagnosis Related Groups [DRG] und kürzere Liegedauer), als Kliniken zu unterstützen, Amputationen zu reduzieren.

Die Kündigung ambulanter Sonderverträge zwischen Leistungserbringern (Fußbehandlungseinrichtungen) und Kostenträgern bzw. die fehlenden Neuabschlüsse von Sonderverträgen zum DFS werden in den kommenden Jahren zu schlechteren Strukturen und mehr Amputationen führen. Genau dies wurde in einer sehr interessanten Arbeit von Paisey et al. [2] untersucht und bestätigt – jedoch im Südwesten Englands.

Aber gilt das nicht auch für uns? Führt man in einer Region verlässlich leitliniengerechte Strukturen zur Behandlung des DFS ein (u. a. sind das Fußbehandlungs­einrichtungen), werden die Amputationen reduziert! Macht man dies nicht (wie in vielen Gegenden Deutschlands und Englands), bleibt die Amputationsrate hoch (Resümee der Arbeit: "Failure to improve unsatisfactory service provision resulted in continued high amputation incidence").

Kultur der öffentlichen Präsentation und des kollegialen Austausches

Ein wesentliches Element der Zertifizierung ist die öffentliche Präsentation – in sehr kollegialer und respektvoller Atmosphäre. Diese Kultur der öffentlichen Präsentation und des kollegialen Austausches unterhält die AG Fuß seit 15 Jahren. Die antragstellenden Einrichtungen sind aufgefordert, einen kurzen Bericht über die Hospitation, ihre Patientenevaluation oder zwei Patientenbeispiele darzustellen.

Dieses Jahr haben 107 Einrichtungen ihre Präsentation dargestellt. Konzentriert und in Kleingruppen präsentierten und hörten sich zu: Ärztin, Wundassistentin, Professor, Diabetesberaterin, Chirurg, Diabetologin. Jede und jeder hat seine Aufgabe ernst genommen, hat sich zum Teil erstmals öffentlich präsentiert, stand für Fragen zur Verfügung. Es waren ein respektvoller Austausch, ein Hinhören und Wahrnehmen, wie es anders möglicherweise auch geht oder wo in anderen Einrichtungen ähnliche Schwierigkeiten und Probleme bestehen wie bei einem selbst.

Danksagung

Herzlichen Dank an Professor Dr. U. A. Müller, Jena, dem der Autor diesen Artikel widmet. Wesentliche Elemente der Zertifizierung zur Fußbehandlungseinrichtung DDG gründen sich auf die jahrelangen Erfahrungen aus der Arbeitsgemeinschaft Strukturierte Diabetestherapie (ASD), gegründet von Professor Dr. Michael Berger, Düsseldorf, und über Jahre fortgeführt von Professor Müller.

Insbesondere die Elemente der aktiven und passiven Hospitation, der Patientenevaluation und der öffentlichen Präsentation gründen sich auf die Arbeiten der ASD in den 1990er-Jahren und konnten in der Zertifizierung der AG Fuß weiterentwickelt werden. Wichtige Elemente zur Qualitätssicherung und Strukturen in der Diabetologie gehen auf die Arbeiten von Professor Berger und Professor Müller zurück.

Weitere Informationen
Die Antragsunterlagen und die aktuelle Verfahrensbeschreibung zur Zertifizierung als Fußbehandlungseinrichtung DDG sind zu finden unter www.ag-fuss-ddg.de oder über die Homepage der DDG, E-Mail-Kontakt: fussbehandlung@ddg.info
Literatur
[1] Bundesministerium für Gesundheit: Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über die DMP-Anforderungen-Richtlinie: Erstfassung. Vom 20. März 2014. Veröffentlicht am Donnerstag, 26. Juni 2014. BAnz AT 26.06.2014 B3. (Zugriff: 10.05.2019)
[2] Paisey RB, Abbott A, Levenson R, Harrington A, Browne D, Moore J, Bamford M, Roe M; South-West Cardiovascular Strategic Clinical Network peer diabetic foot service review team: Diabetes-related major lower limb amputation incidence is strongly related to diabetic foot service provision and improves with enhancement of services: peer review of the South-West of England. Diabet Med 2018; 35: 53-62


Autor: Dr. Joachim Kersken
2. Sprecher der AG Fuß
Chefarzt der Klinik für Diabetologie, Klinikum Westmünsterland, Krankenhaus Maria-Hilf
Vredener Straße 58, 48703 Stadtlohn
Tel.: 0 28 63/9 12 73 00

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2019; 31 (9) Seite 22-24