Kurz vor Jahresende ist die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) „Strukturierte Schulungsprogramme” erschienen – ein Meilenstein. Denn in der NVL wird klar dokumentiert, dass die strukturierte Schulung eine unverzichtbare, evidenzbasierte Therapiemaßnahme bei Diabetes ist.
Über 6 Jahre hat es gedauert, bis die Autoren der NVL die gesamte Literatur zum Thema "Schulung bei Diabetes" gesichtet und daraus Empfehlungen für die klinische Praxis abgeleitet haben. Der Entwicklungsprozess wurde durch das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) zwischen Januar 2006 und Mai 2012 organisiert.
Im Sommer 2011 stand die Leitlinie drei Monate zur öffentlichen Diskussion, so dass jeder die Möglichkeit hatte, Kommentare abzugeben oder auf bislang nicht berücksichtigte Literaturstellen hinzuweisen. Nach den Versorgungsleitlinien zu Fuß-, Netzhaut-, Nieren- und Nervenkomplikationen bei Diabetes ist die NVL Schulung die 5. NVL-Leitlinie, die nicht alleine von der DDG, sondern einer ganzen Reihe unterschiedlicher Institutionen erarbeitet wurde (Tab. 1). Die NVL zur Therapieplanung bei Typ 2 wird derzeit abschließend diskutiert und überarbeitet.
Bestandteil der Therapie
Ein Blick in die internationalen Leitlinien anderer Verbände und Organisationen zeigt, dass die Schulung weltweit eine anerkannte, unverzichtbare Therapiemaßnahme bei Menschen mit Diabetes darstellt und eine wesentliche Grundvoraussetzung für den eigenverantwortlichen Umgang mit dem Diabetes ist. Hier stimmen alle internationalen Leitlinien überein, auch mit der im Jahr 2012 in einer überarbeiteten Fassung herausgegebenen internationalen Leitlinie des IDF (Tab. 2). Auch besteht eine hohe Übereinstimmung mit dem Kapitel "Psychoedukation" der "Psychosozialen Leitlinien" der DDG, die im Moment in einer ebenfalls überarbeiteten Version zur Diskussion stehen und 2013 veröffentlicht werden.
Definition von Schulung
Die Schulung von Menschen mit Diabetes wird als ein systematischer und zielorientierter Prozess definiert, in dem eine Person durch den Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten über die Erkrankung und deren Behandlung in die Lage versetzt werden soll, auf der Basis eigener Entscheidungen den Diabetes bestmöglich in das eigene Leben zu integrieren, akute oder langfristige negative Konsequenzen des Diabetes zu vermeiden und die Lebensqualität zu erhalten.
Im Gegensatz zur Beratung zeichnet sich die Schulung durch eine nachvollziehbare, zielorientierte Struktur in der Vermittlung der Schulungsinhalte aus. In der Regel bedeutet dies, dass die wesentlichen Inhalte, Ziele, Methodik und Didaktik in einem Curriculum beschrieben werden und entsprechende Unterlagen und Arbeitsmaterialien für den Schulenden und den Geschulten zur Verfügung stehen.
Selbstmanagement fördern
Obwohl sich international der Begriff der "Diabetes Self-Management-Education" (kurz DSME) durchgesetzt hat, der vor allem das Ziel der Schulung "Förderung des Selbstmanagements" ausdrückt, konnten sich die Autoren der Leitlinie nicht dazu durchringen, den Begriff Schulung durch "Diabetes-Selbstmanagement-Schulung" oder "Diabetes-Empowerment-Schulung" zu ersetzen.
Dieser Begriff lässt sich nur schwer ins Deutsche übersetzen, die Übersetzung "Selbstermächtigung" weckt zudem historisch nicht gewünschte negative Assoziationen ("Ermächtigungsgesetz" von 1933). Zudem sind beide Begriffe nicht für alle Menschen verständlich. Übernommen haben die Autoren den Begriff der "Strukturierten Schulungs- und Behandlungsprogramme", der von der ehemaligen Arbeitsgruppe von Berger, Mühlhauser, Jörgens und Grüßer vorgeschlagen wurde. Er drückt sehr gut aus, dass die Schulung ein integrativer Bestandteil der Diabetestherapie sein muss.
Schulung nur im Kontext
Die Frage, inwieweit die Schulung im Kontext der Diabetestherapie erfolgen sollte, war ebenfalls Gegenstand langer Diskussionen. Da die strukturierte Schulungs- und Behandlungsprogramme einen integralen Bestandteil der Diabetestherapie darstellen sollen sie durch speziell weitergebildete Schulungskräfte in einer ärztlich geleiteten Einrichtung oder in enger Kooperation mit einer ärztlichen Einrichtung angeboten werden, in der die ärztliche Betreuung der Menschen mit Diabetes erfolgt. Nicht darunter fallen somit Schulungsmaßnahmen bei Krankenkassen, Volkshochschulen, Apotheken etc., sofern diese nicht im engen Kontakt mit der ärztlichen Einrichtung des Patienten erfolgt. Dieser wechselseitige Prozess wird wie folgt beschrieben:
- - Die ärztliche Einrichtung sollte vor Beginn des Schulungs- und Behandlungsprogramms die folgenden Informationen an die Diabetesberater weiterleiten:
- Therapie sowie aktuelle Diabetesmedikation;
- Schulungsgrund;
- mit den Patienten vereinbarte Therapieziele;
- Folge- und Begleiterkrankungen;
- letzter HbA1c-Wert:
- weitere Besonderheiten, welche die Therapie beeinflussen können (z. B. Suchtprobleme, psychische Störungen).
- - Die Diabetesberaterinnen sollten nach Beendigung des Schulungs- und Behandlungsprogramms die folgenden Informationen an die behandelnde ärztliche Einrichtung weiterleiten:
- Inhalte der besuchten Schulungseinheiten;
- Einschätzung der Fähigkeit der Therapieumsetzung der Patientin/des Patienten im Alltag;
- Darstellung eventueller im Rahmen der Schulung aufgedeckter Probleme (z. B. mit der Diabetestherapie, der Krankheitsbewältigung). Je nach Schweregrad sollte hier bereits vor Beendigung der Schulung Kontakt mit der ärztlichen Einrichtung aufgenommen werden.
Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten
Eine strukturierte Schulung hat neben der Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten im Zusammenhang mit der Erkrankung das übergeordnete Ziel, Menschen mit Diabetes in die Lage zu versetzen, auf der Basis eigener Entscheidungen den Diabetes bestmöglich in das eigene Leben zu integrieren und negative körperliche, psychische oder soziale Konsequenzen der Erkrankung zu vermeiden. Es wird angestrebt, dass die Patienten eine aktive Rolle im Behandlungsprozess einnehmen. Sie sollen motiviert werden, persönliche Behandlungsziele zu formulieren. Im Verlauf der Schulung sollen angemessene Hilfestellungen angeboten werden, um diese Ziele erreichen zu können.
Dieses moderne Verständnis von Schulung – welche eine Abkehr von Programmen, die primär auf eine Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten im Zusammenhang mit dem Diabetes abzielen – wird auch explizit in den internationalen Diabetesleitlinien Typ-2-Diabetes hervorgehoben: "Die Ziele der Diabetesschulung haben sich in den letzte Jahren stark verändert und sich von einem eher didaktischen Konzept ("Compliance-Modell") zu einem eher patientenzentrierten und theoriegeleitenden Modell gewandelt. Zeitgemäße Schulungskonzepte sollten auf die positive Veränderung von Gesundheitsverhalten abzielen und sich dabei bewusst sein, dass die Vermittlung von Wissen alleine keine ausreichende Basis für eine Veränderung von Verhalten und eine verbesserte Prognose von Menschen mit Diabetes darstellt" (IDF, 2012).
Neben Information über den Diabetes, mögliche Begleiterkrankungen, Komplikationen, geeignete Therapiemaßnahmen sowie dem Einüben von Fertigkeiten zur Umsetzung der Therapie und Selbstbehandlung im Alltag sollen bei zeitgemäßen Schulungskonzepten daher die Motivierung zu einem gesundheitsförderlichem Lebensstil sowie die Förderung von sozialer Kompetenz, Bewältigungsfertigkeiten und Strategien zum Erhalt der Lebensqualität im Vordergrund stehen.Da viele Patientinnen/Patienten Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Therapiemaßnahmen haben, sollte die Unterstützung bei Problemen im Zusammenhang mit dem Diabetes einen breiten Raum in der Schulung einnehmen und gemeinsam mit den Patientinnen/Patienten adäquate Hilfestellungen erarbeitet werden (z. B. soziale Unterstützung, Selbsthilfegruppen).
Unterschiedliche Ziele
Die Ziele einer zeitgemäßen Schulung umfassen somit unterschiedliche kognitive, emotionale und verhaltensbezogene Ziele:
- Information und Aufklärung über die Krankheit Diabetes, mögliche Begleiterkrankungen und Komplikationen;
- Hilfestellung zur Krankheitsakzeptanz, Aufbau einer adäquaten Behandlungsmotivation und Unterstützung zum eigenverantwortlichem Umgang mit dem Diabetes;
- Förderung einer aktiven, selbstbestimmten Rolle der Patientinnen/Patienten im Therapieprozess, Unterstützung der eigenständigen Entscheidungsfähigkeit;
- Förderung der alltagsrelevanten unterstützenden Maßnahmen (Ernährung, Bewegung);
- Unterstützung bei der Formulierung von Behandlungszielen;
- Vermittlung von Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten zur aktiven Umsetzung von geeigneten Maßnahmen zur Behandlung des Diabetes, von Begleiterkrankungen und Komplikationen;
- Vermeidung von Akut- und Folgekomplikationen des Diabetes;
- Förderung von sozialer Kompetenz, Bewältigungsfertigkeiten und Strategien zum Erhalt der Lebensqualität;
- Überprüfung der Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten im Zusammenhang mit dem Selbstbehandlungsverhalten der Patientinnen/Patienten;
- Hilfestellung zur Inanspruchnahme von sozialer Unterstützung im Zusammenhang mit der Erkrankung (z.B. Familienangehörige, Selbsthilfegruppen);
- Praxisrelevante Unterstützung bei Problemen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Diabetestherapie;
- Vermeidung negativer sozialer Konsequenzen, Diskriminierung aufgrund der Erkrankung.
Mit einem einzigen Schulungsprogramm sind die verschiedenen Ziele der Schulung nicht zu erreichen. Daher müssen bei der Auswahl der geeigneten Schulungsform in angemessener Weise der Diabetestyp, das Risikoprofil (z. B. Alter- und Begleiterkrankungen) die Prognose der Erkrankung, die Therapieform, der bisherige Kenntnis- und Schulungsstand, motivationale, kognitive, verhaltensbezogene, psychische und besondere kulturelle Voraussetzungen der Patientinnen/Patienten sowie spezielle Problemsituationen im Zusammenhang Berücksichtigung finden.
Nach Möglichkeit soll eine Gruppenschulung angeboten werden. In einem systematischen Cochrane Review untersuchten Duke et al. die Wirksamkeit der Einzelschulung (sechs randomisierte Studien) im Vergleich zur Routineberatung bzw. im Vergleich zur strukturierten Gruppenschulung (drei randomisierte Studien). Bis auf die Subgruppe der primär sehr schlecht eingestellten Patientinnen/Patienten ergab sich kein Wirksamkeitsbeleg der Einzelschulung im Vergleich zur Routinebehandlung. Die Einzelschulung war auch nicht der strukturierten Gruppenschulung überlegen.
- Neu: NVL „Strukturierte Schulungsprogramme”
- Schnittstellen für die Schulung
- Evidenz der Diabetesschulung
- Licht und Schatten bei der Schulung
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2013; 25 (1/2) Seite 11-13
