Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät seit langem, nach der Entbindung Neugeborene zu stillen; denn davon profitierten Mütter und ihre Babys gleichermaßen. Auch bei Frauen mit Diabetes mellitus Typ 1 oder Gestationsdiabetes wirkt sich das Stillen günstig auf die Stoffwechsellage aus, erklärten Expert:innen des VDBD anlässlich der Weltstillwoche Anfang August 2023.
Die gesundheitlichen Vorteile des Stillens für Mutter und Kind sind wissenschaftlich belegt.1 Für Frauen sinkt das Risiko für bestimmte Krebserkrankungen wie Brust- und Eierstockkrebs sowie für Stoffwechselerkrankungen wie Osteoporose oder Diabetes mellitus. Stillkinder entwickeln eine bessere Immunabwehr und sind so effektiver gegen Infektionen der Luftwege, der Harnwege, des Magen-Darm-Trakts sowie Mittelohrentzündungen geschützt. Sie haben zudem ein geringeres Risiko im Verlauf ihres Lebens übergewichtig zu werden und im Laufe ihres Lebens einen Diabetes zu entwickeln "Diese Vorteile sollten auch Frauen mit Diabetes Typ 1 oder Schwangerschaftsdiabetes und ihren Kindern zugutekommen", so Dr. Lars Hecht, Vorstandsmitglied des VDBD. Zwar hat sich die Aufklärung der Mütter mit Diabetes in den letzten Jahren deutlich verbessert, doch ein Diabetes Typ 1 kann das Stillen von Anfang an erheblich erschweren: Häufig ist der Milcheinschuss verzögert oder es ist die Zufütterung aufgrund einer nachgeburtlichen Unterzuckerung des Kindes geboten. Zudem werden die Mutter und ihr Baby manchmal auch wegen einer notwendigen Verlegung des Neugeborenen in eine Kinderklinik getrennt und das Stillen dadurch erschwert.
Gestationsdiabetes
Jährlich erhält jede zehnte Schwangere – also rund 70 000 Frauen – die Diagnose "Gestationsdiabetes". Das ist eine erstmalig in der der Schwangerschaft auftretende Störung der Blutzuckerverarbeitung. Doch häufig manifestiert sich in den Folgejahren eine Diabeteserkrankung: Fast zwei Drittel der insulinpflichtigen Frauen mit Gestationsdiabetes entwickeln innerhalb von drei Jahren nach der Entbindung einen Typ-2-Diabetes – innerhalb von 15 Jahren sogar mehr als 90 Prozent. Übergewichtige Frauen sind besonders gefährdet. "Untersuchungen zeigen, dass diese Frauen ihre Stoffwechsellage verbessern, wenn sie nach der Geburt ihr Kind stillen", erklärt Hecht. Je länger sie mit Muttermilch versorgen, desto deutlicher sinkt das Risiko für einen manifesten Diabetes mellitus Typ 2. Das Diabetesrisiko kann bei stillenden Frauen mit Gestationsdiabetes um mehr als 40 Prozent gesenkt werden und damit die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes um 10 Jahre verzögern.2 Ein Grund dafür ist, dass die Milchproduktion und die damit verbundene Serotoninfreigabe das schnelle Wachstum von Beta-Zellen stimuliert und so die Insulinproduktion anregt. So haben Frauen mit Diabetes, die ihre Babys stillen, niedrigere Blutzuckerkonzentrationen im Blut als nicht-stillende Diabetespatientinnen. Zudem verbraucht Stillen Energie und fördert daher die mütterliche Gewichtsnormaliserung nach der Entbindung.
Verringerter Insulinbedarf
Gleiches gilt für Frauen mit Diabetes Typ 1, was bei ihnen jedoch die Angst vor nächtlichen Unterzuckerungen schürt. Häufig meiden sie das Stillen, da sie die Notwendigkeit für nächtliche Mahlzeiten fürchten. "Dass eine zusätzliche Kohlenhydratversorgung in der Nacht notwendig ist, ist inzwischen widerlegt2", betont Professor Dr. med. Ute Schäfer-Graf, Leiterin des Diabeteszentrums für Schwangere am St. Joseph Krankenhaus in Berlin. "Wichtig ist jedoch, dass stillende Mütter mit Diabetes Typ 1 den aktuellen Insulinbedarf anpassen und berücksichtigen, dass der Insulinbedarf beim Stillen sinkt. Sie müssen daher regelmäßig den Blutzucker messen und die Gesamtmenge der Kohlehydrataufnahme im Blick behalten". Für das Kind sinkt durch das Stillen die Gefahr deutlich, selbst an Typ-1-Diabetes zu erkranken.
Insulin nach Geburt anpassen
Schäfer-Graf rät Frauen mit insulinpflichtigem Diabetes das Basalinsulin nach der Geburt anzupassen. "In der Regel beträgt die nötige Insulindosis nur die Hälfte des vorgeburtlichen Bedarfs", rechnet die Fachärztin für Gynäkologie und Diabetologin DDG, vor. Auch während des Stillens reduziert sich der Insulinbedarf dauerhaft: So benötigen die Frauen in der Regel rund 25 Prozent weniger Insulin. "Die Angst, das Baby könne das Insulin über die Muttermilch zu sich nehmen, ist unbegründet. Insulinmoleküle können nicht in die Muttermilch gelangen", gibt Schäfer-Graf Entwarnung.
Eine optimale Stoffwechseleinstellung erreichen Frauen am besten durch regelmäßige Blutglukosekontrollen, ausgewogene Ernährung und regelmäßige Bewegung. Ebenfalls wichtig: Viel Trinken, um den gestiegenen Flüssigkeitshaushalt zu gewährleisten – insbesondere in warmen Monaten.
Der VDBD rät Frauen mit Diabetes Typ 1 und 2 oder Schwangerschaftsdiabetes, bereits während ihrer Schwangerschaft multiprofessionelle Diabetesambulanzen aufzusuchen. Dort können sie sich mit dem Thema Stillen vertraut machen und sich ausgiebig beraten lassen.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (9) Seite 40-41
