Stephanie Bartsch-Korneffel, Diabetesberaterin DDG und seit Mitte 2000 VDBD-Mitglied, geht in der Freien Hansestadt Bremen neue Wege. Im Rahmen eines vorerst zweijährigen Modellprojekts ist sie seit März 2022 als eine von drei Gesundheitsfachkräften unterwegs in den Quartieren.

Ihre Ausbildung zur examinierten Krankenschwester schloss Stephanie Bartsch-Korneffel 1995 erfolgreich im Klinikum Bremerhaven Reinkenheide ab. Dies war aber nur der Beginn ihrer beruflichen Laufbahn. Es folgten die Weiterbildungsabschlüsse zur Praxisanleiterin in der Pflege (2004), Diabetesberaterin DDG (2006), Fachkraft für Leitungsaufgaben in der Pflege (2015) sowie Fachkraft für Ernährungstherapie/ Pflegeexpertin Ernährungsmanagement DGEM (2017). Mit ihren zusätzlichen umfangreichen Qualifizierungen veränderten sich auch ihre Aufgabebereiche im Klinikum immer wieder. Von der Krankenschwester über Diabetesassistentin DDG, Stellvertretende Stationsleiterin oder Qualitätsmanagementbeauftragten bis hin zur Stationsleiterin, Diabetesberaterin DDG, PKMS- Trainerin, Ernährungsmanagerin sowie Koordinatorin im Personaltest-und Impfzentrum während der Coronapandemie hat sich Bartsch-Korneffel immer neuen Herausforderungen gestellt.

Nun ist sie als "Gesundheitsfachkraft im Quartier" in Bremerhaven tätig, einem Projekt, das durch die Erkenntnis entstanden ist, dass sozial benachteiligte Bremer Stadtteile nachweislich stärker von der COVID-19-Pandemie betroffen waren als andere. Qualifizierte Gesundheitsfachkräfte vor Ort sollten niedrigschwellig und passgenau für die Gefahren durch SARS-CoV-2 sensibilisieren und über die Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen sowie über die Schutzimpfung gegen COVID-19 informieren. Mit der Zeit hat sich das Aufgabenspektrum der Gesundheitsfachkräfte deutlich erweitert, denn nun fungieren sie auch als Anlaufstelle für weitere gesundheitsbezogene Fragestellungen und initiieren oder unterstützen diverse Projekte und Angebote im Bereich der Gesundheitsförderung. Langfristiges Ziel ist die Stärkung der Gesundheitskompetenz der Bewohner:innen in den Quartieren und die Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit.

Wir wollten von Stephanie Bartsch-Korneffel, einer Frau, die sich engagiert, wissen, was genau sie zu diesem Schritt bewogen hat und wie ihr beruflicher Alltag nun aussieht.

Wie sind Sie Gesundheitsfachkraft im Quartier geworden?
Ich war schon länger auf der Suche nach einer Tätigkeit, in welcher ich meine Beratungskompetenzen und mein Fachwissen miteinander kombinieren kann. Bevor ich aber eine nächste Weiterbildung beginnen konnte, lief mir die Stellenanzeige für die Gesundheitsfachkraft im Quartier über den Weg und entsprach genau dem, was ich mir für meinen zukünftigen Berufsalltag wünschte. Der Fokus der Gesundheitsfachkraft liegt auf der Verhaltensänderung sowie präventiven Maßnahmen zur Stärkung der Gesundheit und ich sah für mich eine Möglichkeit, mein Beraterwissen in einem ganz neuen Setting anzuwenden und präventiv tätig zu werden.

Wie sieht Ihre Arbeit im Quartier aus?
Gesundheitsfachkraft ist eine aufsuchende Tätigkeit. Sie findet grundsätzlich erstmal dort statt, wo die Menschen sind. Das sind beispielweise Begegnungsstätten, Kindertagesstätten, Spielparks, Sprachkurse, Eltern Cafés o.ä. Im Prinzip kann man sagen, ich bin eine "Streetworkerin für Gesundheit" und es geht darum, Treffpunkte zu schaffen und Beziehungsarbeit zu leisten, um dann zu informieren und präventiv aufzuklären. Mein Einstieg z.B. begann mit einem Besuch im Arbeitsförderungszentrum. Dort gab es zwei feste Gruppen von Frauen mit Migrationshintergrund – Netzwerktreffen – und ich habe mich und meine Arbeit vorgestellt und nachgefragt, was es denn für gesundheitliche Punkte und Fragestellungen geben könnte. Die Gruppen haben sich daraufhin Gedanken gemacht und sind mit Themen wie gesunde Ernährung, Gewichtsabnahme, Kinderimpfung u.ä. auf mich zurückgekommen. Auf diese Themen habe ich mich vorbereitet, Termine vereinbart und die Menschen anschließend dazu beraten. An dieser Stelle möchte ich auch nochmal erwähnen, dass wir "nur" beratend und nicht therapeutisch tätig sind. Der Fokus liegt auf Hilfe zur Selbsthilfe. Für die damit administrativ anfallenden Tätigkeiten haben wir Bürozugangsmöglichkeiten, die es uns erlauben, Maßnahmen oder Projekte zu planen, Informationen zu recherchieren und aufzubereiten und uns untereinander auszutauschen. Dazu gehört beispielsweise, Informationsmaterial auch mehrsprachig aufzubereiten.

Wie viele Gesundheitsfachkräfte gibt es derzeit in Ihrer Region?
Gesundheitsfachkräfte im Quartier ist ein Projekt, welches derzeit auf Bremen und Bremerhaven begrenzt ist. Momentan sind wir insgesamt 15 Gesundheitsfachkräfte, die sich alle kennen und regelmäßig austauschen.

Wie finanziert sich dieses Konzept?
Das Projekt wird durch die Bremer Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz finanziert und ganz aktuell bis Ende Dezember 2024 verlängert.

Was gilt als "Quartier"?
Als Quartier definieren wie eine kleinräumige Einheit innerhalb eines Stadtteils. Das können einige Straßenzüge oder Wohnblocks sein, aber auch ein großflächiges Gebiet umfassen. Eingesetzt sind die Gesundheitsfachkräfte ausschließlich in sozial benachteiligten Quartieren, da die Bewohner:innen dort altersgruppenübergreifend größere gesundheitliche Bedarfe haben als Bewohner:innen in privilegierten Stadtteilen. Grundlage für die Auswahl der Quartiere war der Armuts- und Reichtumsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales 2021, mithilfe dessen man die sozial benachteiligten Stadtteile in Bremen und Bremerhaven identifizieren konnte.

Wie hat sich das Aufgabenspektrum seit Beginn verändert?
Der Auslöser für das Projekt der Gesundheitsfachkräfte im Quartier war die Coronapandemie und die damit verbundene Aufklärung vor Ort. Aber die Schwerpunkte haben sich nun in Richtung Ernährung, Bewegungsförderung oder auch Medienkompetenz verschoben. Des Weiteren haben wir gemerkt, dass auch der Bedarf für die seelischen Erkrankungen mittlerweile so stark gestiegen ist, dass jetzt zusätzlich ein Schnittstellenprojekt "Regionale Fachkräfte für psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen" ins Leben gerufen wurde. Davon gibt es in Bremerhaven zwei Teams bestehend aus je einer gesundheitswissenschaftlichen und einer therapeutischen Person, die als Tandem zusammenarbeiten und die ich bei Bedarf hinzuziehen kann.

Was sind das für Menschen, die zu Ihnen kommen und welche Themen haben sie?
Grundsätzlich gehe ich erst einmal zu den Menschen, um einen Erstkontakt herzustellen. Es geht vornehmlich darum, Vertrauen aufzubauen und Hürden abzubauen. Meist handelt es sich dabei um Menschen mit Migrationshintergrund oder von Armut bedrohte Familien sowie Kinder und Jugendliche, aber auch Senioren, die in den einzelnen Quartieren leben. Es geht darum, diesen Menschen die Angebote, welche schon vorhanden sind, näher zu bringen und sie zu motivieren, diese auch anzunehmen. Das kann zum Beispiel ein gemeinsamer Spaziergang mit Frauen mit Migrationshintergrund mit einem Abstecher in den Sportverein sein, um in einem geschützten Raum und mit Zeit das dortige Angebot zu eruieren und die Menschen kennenzulernen. Wichtig dabei ist auch eine ausreichend hohe Kultursensibilität, um die unterschiedlichen Kulturkreise und deren Besonderheiten entsprechend berücksichtigen zu können.

Sie sind Diabetesberaterin. Inwieweit ist Diabetes ein Thema?
Die Themen gesunde Ernährung und Gewichtsabnahme sind immer von Belang, unabhängig von meiner Weiterbildung als Diabetesberaterin. Allerdings kommen durchaus Fragen zu Diabetes auf, z.B. wenn es um die Vorsorge geht und jemand einen Diabetespass besitzt. Dann kann ich im Vorfeld erklären, welche Untersuchungen notwendig sind und warum diese gemacht werden sollten. Diabetes ist in allen Institutionen oft ein Thema, zu dem ich informiere, aber auch Referent:innen einlade oder die örtliche Apotheke mit Informationsmaterial einbinde, um Ansprechpartner:innen für die Menschen zu vermitteln.

Arbeiten Sie mit speziellen Ärzt:innen/Praxen zusammen?
Es gibt derzeit Gesundheitsnetzwerke und Arbeitskreise in den Stadtteilen, die gerne mit Ärzt:innen kooperieren. So hole ich mir Ärzt:innen aus den Quartieren immer gerne als Referent:innen dazu, wenn es um spezielle Fragestellungen geht. Die Ärzt:innen wissen von uns Gesundheitsfachkräften im Quartier und sind über unsere Tätigkeiten informiert. Oft legen wir Informations- und Schulungsmaterial oder Veranstaltungsflyer in den Praxen aus. So gibt es derzeit z.B. eine Initiative der Notaufnahme: "Wann rufe ich den Bereitschaftsdienst? Wann gehe ich zum Hausarzt? Wann gehe ich in die Klinik?" und dieses mehrsprachige Material ist dann auch in den Praxen zu finden. Die Praxen sind in gewisser Weise ein wichtiger Multiplikator für uns. Außerdem existiert bei uns eine Liste der Ärzt:innen im Quartier inkl. der einzelnen Schwerpunkte und den vorhanden Sprachkompetenzen in den Praxen, damit die Menschen wissen, wohin sie sich bei Bedarf wenden können.

Wo liegt der Erfolg Ihrer Tätigkeit als Gesundheitsfachkraft?
Erfolg in meinem Fall ist aufgebautes Vertrauen und das ich gesehen werde. Das zeigt sich z.B. darin, dass Menschen mittlerweile proaktiv auf mich zukommen und mich ansprechen oder fragen, ob ich zu dem einen oder anderen Thema eine Veranstaltung machen kann oder Informationen habe. Ich kann somit erkennen, dass die Menschen nach und nach ein besseres Bewusstsein für die eigene Gesundheit entwickeln und sich Lebensumstände durch gezielte Maßnahmen und Informationen verbessern.

Man fungiert aber auch immer mehr als Brücke zwischen den Bewohner:innen im Quartier und Veranstaltungen in den Stadtteilen. So gab es z.B. kürzlich ein neu entwickeltes Seniorenkonzept von der Stadt Bremerhaven und wir Gesundheitsfachkräfte wurden dazu eingeladen, weil wir einen anderen Blickwinkel haben. Da ging es u.a. darum, was es bedarf, Senioren mit Migrationshintergrund in einem deutschem Seniorentreff zu integrieren. Ob es um Fragen vom Gesundheitsamt oder dem Seniorenkonzept der Stadt geht, man wird zu Rate gezogen, um die Gegebenheiten und Bedürfnisse aus den Quartieren mit einzubringen. Man kann sagen, es geht darum, Verständnis zwischen verschiedenen Lebenswelten zu fördern und wenn das gelingt, haben wir sehr viel gewonnen. Das ist mein Erfolg.

Glauben Sie, dass ein derartiges Konzept einer Verlängerung bzw. Ausweitung bedarf?
Ich habe gerade heute die Nachricht bekommen, dass der Senat der Freien Hansestadt Bremen der Verlängerung des Projekts um vorerst ein weiteres Jahr, also bis Ende 2024, zugestimmt hat. Das gibt uns die Möglichkeit und die Zeit, dafür zu sorgen, dass mehr Zahlen, Daten und Fakten gesammelt werden können, um zukünftig eine fundierte Evaluation zu ermöglichen. Einen Fachbericht mit vielen O-Tönen von Kooperationspartner:innen und Erfolgsgeschichten meiner Kolleg:innen haben wir schon geschrieben. Ich möchte hier an dieser Stelle nochmal deutlich machen, dass die Menschen, die die vorhandenen Angebote, Informationen, Kurse u.ä. am meisten benötigen, diese oft aber am wenigsten kennen und nutzen. Damit sind viele von ihnen kaum in der Lage, ein Gesundheitsbewusstsein zu entwickeln. Darum ist diese aufsuchende Arbeit, welche wir Gesundheitsfachkräfte im Quartier leisten, enorm wichtig.

Frau Bartsch-Korneffel, wir bedanken uns herzlich für dieses aufschlussreiche Interview und haben großen Respekt vor dem, was Sie tagtäglich an der "Basis" leisten.

Sie wollen mehr über die Gesundheitsfachkräfte im Quartier Bremen und Bremerhaven erfahren? www.gesundheitsfachkraefte-im-quartier.de

Autorin:
Ria Grosse
Referentin der Geschäftsführung
Redakteurin Online/Print
Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD)


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (3) Seite 44-46