Mäßiger Alkoholkonsum wird häufig mit einem geringeren Risiko eines Typ-2-Diabetes in Verbindung gebracht. Dies beruht zum Teil auf Beobachtungsstudien, in denen Personengruppen mit unterschiedlichem Alkoholkonsum über längere Zeiträume untersucht wurden. Aber welche Rolle spielt dabei die häufig gewählte Referenzgruppe der Nicht-Konsumenten? Sind alle alkoholischen Getränke gleich zu bewerten? Und ist es egal, ob Alkohol zu oder außerhalb von Mahlzeiten getrunken wird?
Alkoholkonsum und Diabetesrisiko in prospektiven Studien
Mäßiger Alkoholkonsum (1–3 Getränke/Tag) wird konsistent mit einer geringeren Inzidenz des Typ-2-Diabetes in Verbindung gebracht. Die meisten Studien haben einen U-förmigen Zusammenhang beobachtet, bei dem ein erhöhtes Risiko für gesundheitsschädliche Folgen bei Abstinenzlern und starken Alkoholkonsumenten beobachtet wird. Eine große Anzahl prospektiver Beobachtungsstudien, die sich mit Alkoholkonsum und Diabetesrisiko befassten, wurde in Meta-Analysen zusammengefasst. So berücksichtigte die Meta-Analyse von Knott et al. insgesamt 38 Kohortenstudien mit fast 2 Millionen Teilnehmern [Knott et al. 2015]. Das geringste Risiko lag dabei bei 10–14 g Ethanol je Tag und war ca. 18 % niedriger, als das Erkrankungsrisiko von Abstinenzlern (Abbildung 1). Bemerkenswert ist, dass diese Beziehung unterschiedlich zwischen Männern und Frauen sein könnte. Laut einer Meta-Analyse im Rahmen der Global Burden of Disease Study [GBD 2018] ist ein vermindertes Risiko für einen moderaten Alkoholkonsum im Vergleich zur Abstinenz nur für Frauen zu beobachten, aber nicht für Männer.
Welche Rolle spielt die Referenzgruppe für Vergleiche?
Zu beachten bei der Interpretation dieser Ergebnisse ist auch, dass in den meisten Studien gegenwärtige Abstinenzler als Referenzgruppe verwendet wurden. Allerdings setzt sich die Gruppe von Personen, die in Beobachtungsstudien angeben, keinen Alkohol zu konsumieren, aus lebenslangen Abstinenzlern, Personen, die z. B. aufgrund von Vorerkrankungen keinen Alkohol mehr trinken und Personen, die Falschangaben machen (Misreporting), zusammen. Das erhöhte Risiko bei Alkoholabstinenzlern im Vergleich zu mäßigen Trinkern ist aufgrund dieser Heterogenität mit Vorsicht zu interpretieren – es könnte auch die höhere Krankheitslast von ehemaligen Konsumenten (s.g. "sick quitter") reflektieren. Wird in Studien die Referenzgruppe auf lebenslange Abstinenzler beschränkt, lässt sich tatsächlich für moderate Konsumenten kein vermindertes Risiko mehr beobachten [Knott 2015]. Auch können in Beobachtungsstudien Assoziationen durch andere Charakteristika der verglichenen Gruppen erklärbar sein, auch wenn zumeist für Störgrößen (Confounder) statistisch kontrolliert wird. Unterschiede scheinen hier besonders stark ausgeprägt zwischen Abstinenzlern und Alkoholkonsumenten, weniger stark dagegen zwischen unterschiedlichen Gruppen der Konsumenten. So hatten Frauen, die keinen Alkohol konsumieren, in der EPIC-InterAct Studie im Durchschnitt einen höheren Body Mass Index, einen geringeren Bildungsgrad und berichteten deutlich weniger Kaffee, aber deutlich mehr Obst und Gemüse zu konsumieren, als alkoholtrinkende Frauen [Beulens 2012] (Tabelle 1).
Lassen sich Informationen zum Alkoholkonsum für eine Risikovorhersage nutzen?
Potentiell sind Faktoren, die Zusammenhänge mit Erkrankungen zeigen, auch für deren Vorhersage nutzbar. Am Deutschen Institut für Ernährungsforschung wurde 2007 der Deutsche Diabetes-Risiko-Test entwickelt, der eine Risikovorhersage für einzelne Personen anhand verschiedener Eigenschaften bietet [Schulze 2007]. Dazu wurden auch Fragen zum Alkoholkonsum im Test integriert – die Bewertung folgte dabei dem in der EPIC-Potsdam Studie und anderswo beobachtetem Zusammenhang (geringstes Risiko bei moderatem Konsum). Allerdings hat diese Bewertung Unsicherheiten bei Testnutzern bewirkt, welche Ergebnisse teilweise so interpretierten, dass bei gegenwärtiger Abstinenz ein zumindest moderater Konsum für eine Risikosenkung empfehlenswert ist. Obwohl Begleitinformationen des Tests eindeutig gegen eine solche Interpretation sprachen, wurden Informationen zum Alkoholkonsum in zukünftigen Testversionen nicht mehr berücksichtigt. Der aktuelle Test lässt eine präzise Vorhersage des Erkrankungsrisikos auch ohne diese Informationen zu [Schiborn 2022].
Rolle unterschiedlicher alkoholischer Getränke und des Mahlzeitenkontextes
Die Frage, ob Alkohol das Diabetesrisiko beeinflusst, sollte auch im Kontext der Konsumgewohnheiten bewertet werden. Studien haben hier z. B. verglichen, ob unterschiedliche alkoholische Getränke das Risiko gleichermaßen beeinflussen. In der EPIC-InterAct Studie konnte zwar eine Risikosenkung bei moderatem Konsum alkoholischer Getränke beobachtet werden, diese galt allerdings bei Männern nicht für den Konsum von Bier, sondern nur von Wein [Beulens 2012]. In der UK Biobank wurden Teilnehmende gefragt, ob sie alkoholische Getränke normalerweise mit Mahlzeiten konsumieren. Personen, die dies bejahten, hatten ein vermindertes Diabetesrisiko im Vergleich zu Personen, die dies verneinten (Relatives Risiko: 0,88, 95 % Konfidenzintervall: 0,83-0,93) – eine Beziehung, die auch unabhängig von der Menge und Häufigkeit des konsumierten Alkohols bestand. Auch in der UK Biobank wurde ein Unterschied zwischen Bier und Wein beobachtet, aber zusätzlich auch Abhängigkeiten vom Mahlzeitenkontext. So war eine Risikominderung nur bei denjenigen Teilnehmern zu beobachten, die Wein tranken und diesen zumeist zu Mahlzeiten konsumierten [Ma 2022]. Biertrinker und Personen, die Wein normalerweise nicht zu Mahlzeiten trinken, schienen dagegen kein vermindertes Risiko für Typ-2-Diabetes zu haben.
Untersuchungen zur Kausalität
In Beobachtungsstudien sind kausale Effekte schwer nachzuweisen. Deshalb bedient man sich auch genetischer Analysen – s.g. Mendelsche Randomisierung, in welcher Genvarianten als Instrumente des Alkoholkonsums genutzt werden können (Abbildung 2). Genvarianten sollten unabhängig von anderen Eigenschaften von Personen sein, die als Confounder Untersuchungserbnisse verzerren können. Mehrere solcher Analysen wurden bislang durchgeführt, zeigen allerdings keine Hinweise auf ein vermindertes Risiko mit Alkoholkonsum, sondern eher gegensätzlich eine Risikoerhöhung [van de Luitgaarden 2022]. Allerdings ist die Aussagekraft solcher Analysen gerade zur Rolle des Alkoholkonsums eingeschränkt. Zum einen ist die in Kohortenstudien beobachtete Beziehung nicht linear (das geringste Risiko wird bei moderatem Konsum beobachtet) – die bislang verwendeten Modelle gehen aber dagegen von einer linearen Beziehung aus. Eine Risikosenkung, der nur auf einen moderaten Konsumbereich beschränkt ist, lässt sich so schwer nachweisen. Zudem sind Genvarianten, die in Studien mit dem Konsum von Alkohol assoziiert sind, zumeist maßgeblich in dessen Metablismus involviert. So trinken Personen, die genetisch bedingt Alkohol langsamer verstoffwechseln (z. B. durch Varianten im Aldehyddehydrogenase-2-Gen), weniger Alkohol. Der Effekt der Genvariante auf den Konsum ist entsprechend als sekundär zu bewerten. Die Genvariante ist dann zwar mit einem geringeren Konsum assoziiert, allerdings nicht zwangsläufig mit einer niedrigeren Alkoholexposition im Körper. Dies macht es schwierig, Ergebnisse Mendelscher Randomisierungen hinsichtlich der Auswirkung des Alkoholkonsums korrekt zu interpretieren.
Hilfreich für kausale Betrachtungen sind randomisierte Studien. Confounder können durch eine Randomisierung als Erklärung beobachteter Risikobeziehungen deutlich besser kontrolliert werden, als dies in Beobachtungsstudien möglich ist. Randomisierte Interventionsstudien bestehen bislang allerdings nicht zum Erkrankungsrisiko für Typ-2-Diabetes. Hinweise können aber auch Interventionsstudien zu potentiellen Risikomarkern der Erkrankung liefern. So zeigen Meta-Analysen von randomisierten Interventionsstudien, dass der Konsum von Alkohol das LDL-Cholesterol (24 Studien in der Meta-Analyse), Nüchtern-Insulin (8 Studien) und HbA1c (3 Studien) senken kann und dagegen HDL-Cholesterol (33 Studien) und Adiponectin (4 Studien) erhöht [Brien 2011, Schrieks 2015]. Auswirkungen auf andere Parameter, wie Triglyceride (31 Studien), CRP (5 Studien) oder eine gemessene Insulinsensitivität (10 Studien), scheinen dagegen eher neutral zu sein. Insgesamt unterstützen diese Beobachtungen zu Risikomarkern einen möglichen Benefit eines Alkoholkonsums im Vergleich zur Abstinenz. Ob diese tatsächlich zu einer Risikosenkung für die Erkrankung Diabetes führen, kann aber nicht geschlossen werden. Es ist momentan nicht zu erwarten, dass in den nächsten Jahren sich die Erkenntnislage grundsätzlich ändern wird – es bleibt sehr wahrscheinlich bei Erkenntnissen aus prospektiven Beobachtungsstudien zu Diabeteserkrankungen. Eine große Interventionsstudie (Moderate Alcohol and Cardiovascular Health Trial), in welcher ein moderater Konsum mit Abstinenz hinsichtlich des Erkrankungsrisikos für Typ-2-Diabetes verglichen werden sollte (Spiegelmann 2020), wurde kurz nach ihrem Start aufgrund von möglichen Interessenkonflikten gestoppt [de Jong 2021].
Alkohol und Krankheitslast
Die Frage, ob Alkoholkonsum potentiell helfen kann, einer Diabeteserkrankung vorzubeugen, kann nicht unabhängig von anderen Alkohol-assoziierten Erkrankungen beantwortet werden. Laut der Global Burden of Disease Study ist Alkoholkonsum der weltweit 7. wichtigste Risikofaktor für Todesfälle und verlorene gesunde Lebensjahre (Disability-adjusted life years, DALY) [GBD 2018]. Für den Altersbereich der 15 – 49-Jährigen ist es gar der wichtigste Risikofaktor. Wenn alle mit dem Alkoholkonsum verbundenen Gesundheitsrisiken gemeinsam betrachtet werden, dann ist die Menge, welche das Gesamtrisiko minimiert, gleich Null.
Schlussfolgerung
Aufgrund der o.g. Argumente kann aus den vorliegenden Studien nicht geschlossen werden, dass ein Alkoholkonsum tatsächlich das Risiko einer Diabeteserkrankung verringern hilft. Personen, die keinen Alkohol konsumieren, sollte deshalb nicht empfohlen werden, diesen zukünftig zur Prävention zu sich zu nehmen. Das steigende Risiko mit höherem Konsum spricht dagegen dafür, übermäßigen Alkoholkonsum zu reduzieren. Da Alkohol insgesamt negative Auswirkungen auf die Krankheitslast in Bevölkerungen hat, sollte der Konsum generell eingeschränkt werden.
Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2023; 32 (5) Seite 252-255
