Vor 15 Jahren hatte das Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit in Nordrhein-Westfalen (LIGA NRW) gemeinsam mit der Stiftung Diabetes | Herz | Gefäße (DHG; ehemals "Der herzkranke Diabetiker") darauf hingewiesen, dass in der Höchstrisikogruppe von herzkranken Menschen mit Diabetes das Bewusstsein für die kardiovaskuläre Gefährdung besonders schwach ausgeprägt ist und infolgedessen die Kenntnis um die Bedeutung einzelner Risikofaktoren wie Kontrolle der Glukose-, Blutdruck- und Lipidwerte entsprechend niedrig ist. Die logische Schlussfolgerung war, durch gesundheitsedukative Maßnahmen den Kenntnisstand bei Patientinnen und Patienten zu optimieren, mit dem Ziel, auf der Ebene der Betroffenen eine Verbesserung konsentierter Zielwerte zur Prävention der gefürchteten kardiovaskulären Endpunkte wie Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erreichen.
Tatsächliches Risikoprofil weicht von subjektiver Risikowahrnehmung ab
Diese frühe Sichtweise am Beispiel herzkranker Patienten mit Diabetes wird aktuell mit dem Bericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) im Rahmen der GEDA (Gesundheit in Deutschland aktuell) 2022-Untersuchung, an der Deutsche Zentren für Gesundheitsforschung beteiligt waren, bestätigt [Thamm 2025]. Die Daten belegen eine inverse Beziehung zwischen tatsächlich vorhandenem Risikoprofil und subjektiver Wahrnehmung von Risiken. Aufgrund der Größe der Stichprobe mit mehr als 3000 Teilnehmern kann die Auswertung als epidemiologisch relevant eingeschätzt werden. Die Erhebung zeigt, dass die Rahmenbedingungen zur Gesundheitsedukation letztlich nicht zu dem gewünschten Ergebnis im Sinne der frühzeitigen Prävention gerade bei hochgefährdeten kardiovaskulären Risikopatienten geführt haben. Aus Public Health-Perspektive, aber auch aus Sicht unserer Stiftung in der direkten Vertretung von Patienteninteressen, muss dies als enttäuschend eingestuft werden.
Je mehr divergierende Risikotreiber, umso dringender das Problem
Das führt natürlich zu der Frage, ob die bisherigen Maßnahmen der Gesundheitsedukation und präventiven Angebote in der richtigen Form und Struktur konfiguriert sind. Zumindest muss hinterfragt werden, warum die medizinische Erkenntnislage in der emotional subjektiven Dimension nicht ankommt und in entsprechende Handlungsimperative umgesetzt wird. Das Problem erscheint umso dringender, je mehr divergierende Risikotreiber in einem Patienten zu finden sind. Die positive Botschaft, dass mit hinreichender Risikofaktorenkontrolle die Prognose wesentlich verbessert werden kann, wird damit auf der Therapieebene konterkariert, was im internationalen Vergleich zu schlechten Präventionsergebnissen und ökonomischer Ressourcenverschwendung führt. Erst kürzlich konnte das Global Cardiovascular Risk Consortium mit Daten von über 2 Mio. Menschen nachweisen, dass das Lebenszeitrisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und kardiovaskulär bedingtem Tod eng mit der Anzahl und Kontrolle vorhandener Risikofaktoren zusammenhängt [Global Cardiovascular Risk Consortium 2025].
Ob Incentives zur Zielwerterreichung richtig gesetzt sind, muss hinterfragt werden
Wenn man unterstellt, dass sich ergänzend auf Seiten des medizinischen Systems ein Phänomen gesellt, welches bei der Risikofaktoreneinstellung nicht die konsequente Zielwerterreichung im Auge hat ("clinical inertia") wird man sich über die bestenfalls bescheidenen Erfolge der Präventionsmedizin nicht wundern müssen. Dies ist für den Bereich der Blutdruckkontrolle, u. a. in dem von der Stiftung DHG unterstützten DIALOGUE-Register, überzeugend gezeigt worden [Schmieder 2018] und sollte auch hier zu der Frage führen, ob die Incentives zur individuellen Zielwerterreichung in der Therapiepraxis unseres Gesundheitssystems richtig gesetzt sind. Es geht um viel: für Patientinnen und Patienten um die Verbesserung ihrer Lebenszeitperspektive und die Kontrolle ihrer häufig multimorbiden chronischen Erkrankungssituation, für das Gesundheitssystem um Optimierung des Einsatzes von Ressourcen durch nachhaltige Vermeidung von Erkrankungsendpunkten. Mit Blick auf den RKI-Bericht gilt dies ganz besonders für Patienten mit einem a priori hohen bis sehr hohen prospektiven Erkrankungsrisiko, d. h. vor allem im Bereich der Sekundär- und Tertiärprävention. Die Stiftung DHG setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass die zur Verfügung stehenden Mittel neben Akutinterventionen in Maßnahmen zum Schutz vor Komplikationen auf Therapieebene gehen, um so die Bilanz zwischen Prävention und Intervention auf hohem qualitativem Niveau trotz Zunahme der Betroffenenzahlen zu stabilisieren.
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Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2025; 34 (5) Seite 294-295
