8500 schwer kranke Menschen stehen aktuell auf der Warteliste für eine Transplantation, 700 Betroffene warten auf ein Spenderherz. Wie weit oben man in der Dringlichkeit für eine Organspende gelistet wird, hängt unter anderem von der Schwere der Erkrankung ab. Die meisten Patienten haben neben der Angst, dass ihr Leben am seidenen Faden hängt, einen langen Leidensweg hinter sich.
So wie Anna R. aus Bonn, die im Mai 2021 nach fast einem Jahr Wartezeit den erlösenden Anruf vom Transplantationsteam in Bad Oeynhausen bekam, dass ein Spenderherz für sie gefunden wurde. Neun Jahre zuvor erhielt die inzwischen 60-Jährige die Diagnose Herzmuskelerkrankung mit Vergrößerung der Ventrikel und verminderter Auswurfleistung des Herzens. Dieses Krankheitsbild wird in der Medizin dilatative Kardiomyopathie (DCM) genannt. Dabei ist das Herz zu schwach, den Körper mit genügend sauerstoffreichem Blut zu versorgen. Bei Anna R. lag die Auswurfleistung des Herzens, die Ejektionsfraktion (EF), bei 20 Prozent. Bei gesunden Menschen liegt die EF bei 50 bis 60 Prozent. Die Herzleistung von Anna R. konnte längere Zeit mit Medikamenten unterstützt werden. Damit war ein Leben ohne größere Einschränkungen im Alltag möglich. Im Juni 2020 verschlechterte sich ihr Zustand. Die Herzschwäche war so weit fortgeschritten, dass eine Versorgung mit einem künstlichen System zur Herzunterstützung notwendig wurde.
Unterstützung durch Technik bis zur Herztransplantation
Die Implantation solcher Kunstherzsysteme kommt im Regelfall erst infrage, wenn es ohne technische Hilfe nicht mehr geht, also bei drohendem terminalen Organversagen. Mittlerweile sind die Systeme zur Unterstützung des Herzens kleiner und geräuschärmer als früher. Anna R. erhielt ein System zur Unterstützung des linken Herzventrikels, ein LVAD (Left Ventricular Assist Device)-System. Das Kunstherz benötigt eine Stromquelle. Die Energiezufuhr dafür kommt über ein durch die Bauchdecke gelegtes Kabel, eine Driveline. Das Kabel ist mit einer Steuereinheit und Batterien verbunden. Ein dauerhafter Anschluss zur Steuereinheit, dem Controller, ist erforderlich. Die Kommunikation zwischen dem Patienten und dem Gerät, beispielsweise über den Füllstand der Batterie, zur Driveline-Diagnostik und zur Alarmhistorie findet über die Steuereinheit statt. Es gibt auch Ventricular Assist Device (VAD)-Systeme, die nicht implantiert, sondern außen am Körper befestigt werden und die Herzleistung unterstützen (Abb. 1). Mit einem solchen unterstützenden System kann die Zeit bis zu einer Herztransplantation überbrückt werden. Die Patienten bleiben aber herzkrank und sind auf Medikamente angewiesen. Eine eigenständige Erholung des Herzens ist nur in sehr seltenen Fällen möglich. Die einzige Option, von solch einem Kunstherz wieder los zu kommen, ist die Listung für eine Transplantation.
Aussicht auf Erfolg der Transplantation wichtig
Bis man aber überhaupt auf die Warteliste für eine Herztransplantation kommt, sind eine Reihe von Untersuchungen und Gespräche notwendig. Im Vorfeld muss ausgeschlossen werden, ob andere Erkrankungen die Transplantation negativ beeinflussen können oder eine Kontraindikation vorliegt. Im Transplantationsgesetz (TPG) ist festgelegt, dass eine Herztransplantation in dafür spezialisierten Zentren je nach Aussicht auf Erfolg durchgeführt werden soll: Wer profitiert am ehesten und längsten von einer Transplantation? Bei einigen Faktoren können Patienten selbst etwas tun, um ihre Chance auf ein Spenderherz zu erhöhen. Mit Diabetes als Vorerkrankung sollten die Glukosewerte optimal eingestellt sein. Auch Nierenwerte sowie Blutdruck müssen im Blick behalten und Tabletten regelmäßig eingenommen werden. Weitere Fragen, die vor der Listung beantwortet werden müssen, sind: Ist mein Zahnstatus in Ordnung? Wann war die letzte Kontrolle beim Hautarzt? Versuche ich, mich im Rahmen meiner Möglichkeiten so fit wie möglich zu halten (Spaziergänge, leichte Gartenarbeit, Fahrradfahren)? Lebe ich gesund, rauche ich nicht und trinke nicht exzessiv Alkohol? Liegt bei mir kein massives Übergewicht vor? All das sind Kriterien, die mit darüber entscheiden, ob man für eine Herztransplantation gelistet wird.
Team entscheidet bei jedem Einzelfall gemeinsam
Eine offizielle Altersgrenze, ein Spenderherz zu erhalten, gibt es nicht. Jedes Transplantationszentrum entscheidet eigenständig, ob ein Patient für die Organspende geeignet ist. Bei älteren Menschen ist das Risiko für Komplikationen durch Narkose und Operation höher als bei jüngeren Patienten, allerdings sollte immer das biologische Alter geprüft werden, nicht allein das kalendarische.
Kommt ein Betroffener in die engere Auswahl für eine Transplantation, wird ein Screening mit zahlreichen Untersuchungen in der Klinik durchgeführt. Fünf Tage stationärer Aufenthalt müssen dafür eingeplant werden. In dieser Zeit finden auch Gespräche mit dem Patienten durch Psychologen, Transplantationsberater und Transplantationskoordinator statt. Anschließend wird jeder Einzelfall in der Transplantationskonferenz diskutiert. Die Entscheidung, ob ein Patient auf die Warteliste genommen werden kann, wird gemeinsam im Team mit mehreren Experten getroffen. Neben dem Arzt, der den Einzelfall vorstellt, gehören Psychologen, Herzchirurgen, Internisten, Labormediziner und Anästhesisten zu diesem Team.
Nur Antrag auf hohe Dringlichkeit möglich
Die Anmeldung für eine Herztransplantation erfolgt bei Eurotransplant (ET), einer Stiftung mit Sitz in Leiden (Niederlande). Alle Organempfänger und Organspender, die zum Eurotransplant-Raum gehören, werden dort gemeldet und registriert. Deutschland, Belgien, Holland, Luxemburg, Österreich, Slowenien, Kroatien und Ungarn gehören aktuell dazu. Eurotransplant führt eine Warteliste mit allen Patienten, deshalb kann die elektronische Anmeldung nur über ein Zentrum erfolgen. Jeder Patient erhält eine ET-Nummer, die ein Leben lang gilt. Nach der Anmeldung wird man schriftlich darüber informiert.
Zurück zu Anna R.: Vor ihrer Transplantation ging es der Patientin mit dem LVAD-System noch so gut, dass sie die Wartezeit zu Hause verbringen konnte. Sie wurde bei Eurotransplant im Status T (transplantabel) geführt. In diesem Status befinden sich etwa 90 Prozent aller gelisteten Patienten. Anders ist es bei Patienten, die sich im Status HU (high urgency, hohe Dringlichkeit) befinden. Diese Patienten sind so schwer krank, dass sie die Wartezeit in der Klinik verbringen müssen. Ein Transplantationszentrum kann Patienten nicht eigenmächtig HU listen oder gar selbst entscheiden, ob ein Patient mit hoher Dringlichkeit gelistet wird. Es ist nur möglich, bei Eurotransplant einen entsprechenden HU-Antrag zu stellen, da Richtlinien erfüllt sein müssen. Diese werden in einem Antrag zusammengefasst, an Eurotransplant geschickt und von unabhängigen Auditoren geprüft, die letztlich ein Votum abgeben. Die meisten Patienten, die transplantiert werden, befinden sich im HU-Status. In Bad Oeynhausen werden, verglichen mit anderen Zentren, relativ viele Herzen transplantiert. Hier lag der Anteil von Patienten, die im Status T ein Spenderherz erhielten, im letzten Jahr bei ca. 25 Prozent.
Schnelle Erreichbarkeit sollte gegeben sein
Patienten, die auf der Warteliste für eine Herztransplantation stehen, müssen gut und vor allem jederzeit erreichbar sein. Nicht selten kommt der Anruf, dass ein passendes Spenderherz gefunden ist, mitten in der Nacht. Das Herz wird gekühlt bei etwa 2 bis 6 Grad Celsius transportiert und kann bis zu 4 Stunden konserviert werden, bis es transplantiert ist.
Die Erreichbarkeit des potentiellen Empfängers rund um die Uhr ist im Zeitalter von Smartphones besser als früher. Im Idealfall wird mehr als nur eine Telefonnummer in der Klinik hinterlegt, von Angehörigen wie Lebenspartner, Kindern und Eltern. Bei längerer Abwesenheit vom Wohnort, zum Beispiel im Fall einer Urlaubsreise, sollte das Transplantationsteam informiert werden. Auch notfallmäßige Einlieferungen in andere Krankenhäuser, die Änderung einer Wohnadresse oder neue Kontaktdaten sollten dem Zentrum, das die Herztransplantation bei verfügbarem Organ vornehmen wird, bekannt sein.
Bei Anruf vorbereitet sein
Kommt der Anruf mit einem Angebot für den möglichen Empfänger aus dem Transplantationszentrum, muss es im Regelfall ziemlich schnell gehen. Am besten ist es, man hat den für den Klinikaufenthalt gepackten Koffer griffbereit schon zu Hause stehen und ist vorbereitet. Der Transport zur Klinik erfolgt mit dem Rettungswagen, Angehörige können selbstständig nachkommen. Im Zentrum trifft das Transplantationsteam derweil schon alle Vorbereitungen für die bevorstehende Operation. Ist der der Patient eingetroffen, erhält er eine Ganzkörper-Rasur und desinfizierende Waschung. Blut wird abgenommen und erste Medikamente werden eingenommen. Der zuständige Koordinator, der angerufen hat, ist vor Ort und bespricht mit dem Patienten den genauen zeitlichen Ablauf. Anna R. formulierte es so schön: Auf den Anruf, dass ein Organ gefunden wurde, könne man sich nicht wirklich vorbereiten. Man rechne bei jedem Anruf aus dem Zentrum während der Wartezeit mit dieser Nachricht. Man denke immer, man sei es. Wenn der Anruf dann tatsächlich komme, sei man überrascht, es fehlten einem erst einmal die Worte. Wirklich glauben könne man es erst, wenn der Krankenwagen wirklich vor der Tür stehe und einen einsammele.
Berlin Heart
Das Berlin Heart ist ein extrakorporales System, d. h. die Pumpkammer liegt außerhalb des Körpers. Dadurch besteht die Möglichkeit, beide Herzkammern oder jede separat zu unterstützen. Die externen Herzpumpen sind in unterschiedlichen Größen erhältlich und somit auch für Kinder geeignet.
Das System HeartMate 3 liegt im Körper (intrakorporal). Es hat die Größe eines Herzschrittmachers und wiegt ca. 200 Gramm. Es wird direkt am Herzen vernäht. Das System arbeitet mit Zentrifugalkraft, dreht sich permanent durch einen elektromagnetischen Motor, welcher vollständig durch Magnetschwebetechnik unterstützt wird. Die Pumpe kann einen künstlichen Puls erzeugen. Dazu wird alle zwei Sekunden die Drehzahl der Pumpe reduziert und wieder beschleunigt.
HeartMate 3
Überwachung der Vitalparameter nach Transplantation
Nach der Transplantation verbringt der Patient zwei bis drei Tage auf der Intensivstation. Die Vitalparameter und der Verlauf nach Operation werden via Monitor überwacht. Anschließend erfolgt die Verlegung auf Normalstation. Bei Patienten mit Diabetes ist wichtig, dass die Glukosewerte nicht nach oben oder unten entgleisen. Über- und Unterzuckerungen (Hyper- und Hypoglykämien) sollten vermieden werden, um Komplikationen vorzubeugen. Sind die Werte zu hoch, kann es zum Beispiel länger dauern, bis die Operationsnarbe abheilt. Die Steuerung der Diabeteseinstellung während der Transplantation läuft meist über Insulin-Infusion (Perfuser).
Behandlung mit Immunsuppressiva nach Transplantation
Im Zentrum Bad Oeynhausen gibt es eine eigene Station für Patienten, die entweder noch auf ein Spenderorgan warten, oder bereits transplantiert sind. Oft beträgt die Wartezeit von Patienten mit hoher Dringlichkeit viele Monate. Nicht ungewöhnlich ist, dass es nach einer Transplantation bis zu sechs oder acht Wochen dauern kann, bevor eine Entlassung nach Hause oder in die Anschlussheil-behandlung (AHB) möglich ist. Dabei beginnen ersten Maßnahmen zur Rehabilitation schon im Klinikum. Die Physiotherapie des Zentrums hilft bei der Mobilmachung des Patienten, damit er wieder auf die Beine kommt. In dieser Zeit werden auch alle Medikamente eingestellt. Nach der Herztransplantation muss der Patient Immunsuppressiva einnehmen, die verhindern sollen, dass das Spenderorgan abgestoßen wird. Zusätzlich wird der Patient entsprechend beraten und aufgeklärt. Transplantierte Patienten müssen in puncto Ernährung, Hygiene, Alltag, Haustier, Pflanzen und vieles andere einige Regeln beachten.
Unserer Patientin Anna R. geht es im zweiten Jahr nach Herztransplantation gut. Bislang hat es keine Komplikationen gegeben. Anna R. ist sehr dankbar, dass ein Spenderorgan für sie gefunden wurde. Die Lebensqualität habe sich gebessert, der Alltag sei viel sorgenfreier geworden. Zum gesundheitlichen Check nach Bad Oeynhausen muss die 60-Jährige auch nicht mehr wie anfangs alle drei Monate, inzwischen reicht die Kontrolle in der Transplantationsambulanz zweimal im Jahr.
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