Das Ziel dieses Kommentars ist die Einordnung der Ergebnisse der BPROAD-Studie [Bi 2025] in den Kontext bisheriger Leitlinien und Studienergebnisse zur optimalen Blutdruckeinstellung bei Patienten mit Diabetes mellitus und erhöhtem kardiovaskulärem Risiko.
Leitlinien und Studien zur Blutdrucksenkung im Zeitraffer
Die von nationalen wie internationalen Leitlinien zur Behandlung des hohen Blutdrucks empfohlenen Zielblutdruckwerte haben sich über die letzten Dekaden immer wieder stark verändert. Vereinfacht kann man sagen: bis circa 2009 wurde von den meisten Hochdruckleitlinien "je niedriger desto besser" propagiert. Diese Sichtweise wurde dann zu Beginn dieser Dekade korrigiert und im Vergleich zu früheren Leitlinien gingen die europäischen Richtlinien zur Behandlung des hohen Blutdrucks von 2009 und von 2013 von etwas höheren Zielblutdruckwerten für Risikokollektive aus (nicht < 130 mmHg systolisch [Mancia 2009, Mancia 2013]). Auch die 2014 publizierten US-amerikanischen JNC8-Leitlinien (Joint National Committee N°8) korrigierten die Blutdruckzielwerte, insbesondere für Ältere, Menschen mit Diabetes und Patienten mit koronarer Herzerkrankung, nach oben [James 2014]. Die Anhebung der Zielblutdrücke erfolgte hauptsächlich aus zwei Gründen: der Feststellung einer fehlenden Evidenz für den Vorteil tieferer Blutdrucksenkung und aufkommenden Signalen für mehr unterwünschte Nebenwirkungen bei tieferer Blutdrucksenkung, wie z. B. Nierenversagen oder auch Sturzereignisse, insbesondere bei älteren Patienten [Cushman 2010].
Eine neuerliche Wende brachte die 2015 publizierte SPRINT-Studie [Wright 2015], die zum Schluss kam, dass doch tiefere Blutdrucksenkung (< 120 mmHg systolisch) bei Risikopatienten kardiovaskuläre Ereignisse verhindern könne, inklusive bei über 70-Jährigen. Dies gab der Diskussion neuen Schwung, zumal Stürze mit Verletzungen eindeutig nicht vermehrt waren bei Zielblutdruck < 120 mmHg im Vergleich zu < 140 mmHg, und die Demenzentwicklung eher geringer war. So korrigierten in Folge z. B. die kanadischen Leitlinien 2016 die Zielblutdrücke wieder nach unten [Leung 2016], was im September 2017 auch die Deutsche Hochdruckliga in ihren Empfehlungen für Risikopatienten übernahm.
Weitere Studien zum Zielblutdruck beziehungsweise zur tiefen Blutdrucksenkung wurden so interpretiert, dass es nicht einen Zielblutdruckwert für alle Patientengruppen gibt. Während die SPRINT-Studie in einem bestimmten Kollektiv, das z. B. Menschen mit Diabetes ausschloss, Argumente für eine tiefe Blutdrucksenkung (< 120/80 mmHg) lieferte [Wright 2015], ließ sich das in anderen Studien wie z. B. der HOPE-3-Studie, die Blutdrucksenkung bei einem mäßig risikobehafteten Klientel ohne bekannte Herzerkrankung untersuchte, nicht bestätigen [Lonn 2016]. Andere Studien weisen auf die erhöhte Rate unerwünschter Ereignisse bei intensiver Blutdrucksenkung hin, wie z. B. eine Post-hoc-Analyse der ONTARGET- und TRANSCENT-Studien [Bohm 2017]. Auch in der SPRINT-Studie wurde die Senkung kardiovaskulärer Ereignisse und der Sterblichkeit um den Preis einer moderat höheren Nebenwirkungsrate erkauft, nämlich mit Synkopen, hypotensiven Episoden und akuten Nierenversagen.
Bedeutung der Methode der Blutdruckmessung
Bemerkenswert in der Diskussion ist insbesondere, dass mittlerweile der Methode der Blutdruckmessung erheblich größere Aufmerksamkeit gewidmet wird. So wird nun von allen relevanten Fachgremien und Fachgesellschaften [Cheung 2023] empfohlen, von der Routineblutdruckmessung in der Praxis abzurücken, stattdessen werden entweder eine standardisierte Praxismessung, oder besser noch ambulante Langzeitmessungen oder andere Formen des häuslichen Blutdruckmonitorings propagiert. Tatsächlich wird ja die Routinemessung oder Gelegenheitsmessung in jeder Praxis/Klinik anders durchgeführt, wogegen alle großen Hochdruckstudien ausschliesslich die standardisierte Praxismessung benutzten (Abbildung 1). Auch in der SPRINT-Studie hatten alle Patienten eine dreifache Blutdruckmessung nach einer fünfminütigen Ruhepause. Es wurde dann automatisch gemessen und die erhaltenen Blutdruckwerte aufsummiert. In einer sorgfältigen Studie sind Mahe und Mitarbeiter das Thema der angemessenen Blutdruckmessung angegangen [Mahe 2017]. Die Untersucher analysierten fast 200 Patienten und nahmen unterschiedliche Blutdruckmessungen vor. Sie konnten zeigen, dass nach fünf Minuten Ruhezeit der systolische Blutdruck immer noch deutlich erhöht ist. Nach 25 Minuten hatten 90 % der Patienten einen stabilen Blutdruck erzielt, welcher sich auch bei längerer Ruhezeit nicht mehr änderte. Diese Studie unterstreicht noch einmal, dass unsere althergebrachte Methode der Blutdruckmessung am Schreibtisch fragwürdig geworden ist.
Es ist aber auch klar, dass mit standardisierter Praxismessung oder ambulanter Langzeitmessung zumeist niedrigere Blutdruckwerte gemessen werden als zum Beispiel in einer hektischen Arztpraxis.
Wenn also in den neueren Leitlinien als Zielblutdruck systolisch < 120 mmHg angegeben wird, dann wird davon ausgegangen, dass der Blutdruck tatsächlich nach einer definierten Ruhephase mehrfach gemessen wird (siehe Abbildung 1, Empfehlungen der European Society of Hypertension ESH 2023 [Mancia 2023]):
- Patienten sollten vor Beginn der Blutdruckmessung bequem und in ruhiger Umgebung für mindestens fünf Minuten sitzen.
- Drei Blutdruckmessungen sollten im Abstand von ein bis zwei Minuten aufgezeichnet werden; zusätzliche Messungen, wenn die ersten zwei Messungen um mehr als 10 mmHg abweichen. Der Mittelwert der letzten zwei Messungen soll notiert werden.
- Zusätzliche Messungen können z. B. bei Patienten mit Arrhythmien notwendig werden (bei solchen Patienten ist die manuelle Messmethode zu bevorzugen).
Abb. 1: Empfehlungen der European Society of Hypertension ESH 2023 zur Messung des Blutdrucks [nach ESH Guidelines for the management of arterial hypertension 2023].
Die BPROAD-Studie
Ende 2024 wurde die BPROAD-Studie "Intensive Blood-Pressure Control in Patients with Type 2 Diabetes" publiziert [Bi 2025]. Diese chinesische Studie untersuchte, ob intensive Behandlung des Blutdrucks auf Werte von < 120 mmHg systolisch das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse effektiver als Standardbehandlung mit dem Ziel eines systolischen Blutdrucks von < 140 mmHg bei Patienten mit Typ-2-Diabetes reduziert. In 145 chinesischen Zentren wurden Patienten im Alter > 50 Lebensjahre mit Typ-2-Diabetes, erhöhtem systolischen Blutdruck und erhöhtem kardiovaskulären Risiko identifiziert und einem intensivierten oder standardmäßigen Behandlungsarm über einen Zeitraum von fünf Jahren zugeteilt. Im intensivierten Behandlungsarm sollte ein systolischer Blutdruck < 120 mmHg erreicht werden, im standardmäßigen Behandlungsarm < 140 mmHg. Der primäre zusammengesetzte Endpunkt bestand aus nicht-tödlichem Schlaganfall, nicht-tödlichem Myokardinfarkt, Behandlung oder Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz oder kardiovaskulärem Tod.
12 821 Patienten (6414 im intensivierten Behandlungsarm und 6407 im standardmäßigen Behandlungsarm) wurden zwischen Februar 2019 und Dezember 2021 eingeschlossen (45,3 % waren Frauen), das mittlere Alter (± SD) war 63,8 ± 7,5 Jahre.
Nach einem Jahr lag der mittlere systolische Blutdruck im intensivierten Behandlungsarm bei 121,6 mmHg (Median 118,3 mmHg), und im standardmäßigen Behandlungsarm bei 133,2 mmHg (Median 135,0 mmHg). Während des mittleren Follow-up von 4,2 Jahren traten bei 393 Patienten im intensivierten Behandlungsarm primäre Endpunktereignisse auf (1,65 Ereignisse pro 100 Personenjahre), und bei 492 Patienten im standardmäßigen Behandlungsarm (2,09 Ereignisse pro 100 Personenjahre) (Abbildung 3; Hazard Ratio 0,79; 95 %-Konfidenzintervall 0,69 – 0,90; p < 0,001). Wiewohl die Inzidenz ernsthafter Nebenwirkungen in beiden Gruppen gleich war, traten symptomatische Hypotonie und Hyperkaliämie häufiger im intensivierten Behandlungsarm auf.
Wie lässt sich die BPROAD-Studie nun vergleichen und einordnen? Zunächst einmal ein Blick auf die Methode der Blutdruckmessung und Behandlung: der im Appendix publizierte Algorithmus entspricht im Wesentlichen dem der oben erwähnten SPRINT-Studie. Tatsächlich ähneln sich die Kurven der erreichten systolischen Blutdruckwerte in beiden Studien sehr, wie hier in Abbildung 2 zu sehen ist.
Abb. 2: Systolischer Blutdruck in der BPROAD Studie (oben [nach Bi 2025]) und in der SPRINT Studie (unten [nach Wright 2015]).
In dieser Hinsicht sind die beiden Studien also sehr gut vergleichbar, allerdings wurde in der SPRINT-Studie eine höhere Anzahl an Antihypertensiva zur Erreichung des Zielblutdrucks benötigt als in der BPROAD-Studie (Abbildung 2). Ein möglicher Grund hierfür ist das unterschiedliche Patientenklientel: die BPROAD-Studie behandelte Menschen mit Diabetes, welche von der SPRINT-Studie ausgeschlossen waren.
Auch im Hinblick auf den primären Endpunkt (bei SPRINT: der primäre zusammengesetzte Endpunkt bestand aus Myokardinfarkt, akutem Koronarsyndrom, Schlaganfall, Herzversagen oder kardivaskulärem Tod) ähnelten sich beide Studien sehr und kamen zu einem verblüffend ähnlichen Ergebnis (Abbildung 3).
Abb. 3: Kaplan-Meier Kurven des primären zusammengesetzten Endpunkts in der BPROAD-Studie (oben [nach Bi 2025]) und in der SPRINT Studie (unten [nach Wright 2015]).
Somit unterstützt die BPROAD-Studie die Schlussfolgerung aus der SPRINT-Studie, dass doch tiefere Blutdrucksenkung (< 120 mmHg systolisch) bei Risikopatienten kardiovaskuläre Ereignisse verhindern kann, diesmal nun auch bei Patienten mit Diabetes mellitus. Dies erweitert erheblich den Kenntnisstand aus der älteren Studie zur intensivierten Blutdrucksenkung bei Menschen mit Diabetes, der ACCORD-Studie [Cushman 2010]. Denn die ACCORD-Studie war wohl "underpowered" in Bezug auf die Blutdruckunterschiede. Nach einem Jahr zeigte sich in ACCORD ein mittlerer Blutdruck von 119,3/64,4 mmHg in der "Intensivtherapie"-Gruppe und von 133,5/70,5 mmHg in der "Standardtherapie"-Gruppe. Auffällig ist auch, dass die mittlere Zahl der eingesetzten Substanzen 3,4 in der "Intensivtherapie"-Gruppe und 2,1 in der Standardtherapiegruppe betrug, was deutlich mehr war als in der BPROAD-Studie (Abbildung 2). Aus meiner Perspektive ist daher die BPROAD-Studie sehr viel besser vergleichbar mit der SPRINT-Studie und kommt zu einem ähnlichen Ergebnis, was die Wertigkeit unterstreicht.
Aus China liegen zwei weitere Studien vor, die intensivierte Blutdrucksenkung mit Standardtherapie verglichen, die STEP-Studie an älteren Patienten aus 2021 [Zhang 2021] und die ESPRIT-Studie aus 2024 [Liu 2024], eine weitere große Hypertoniestudie mit 11 000 Teilnehmern (4500 mit Typ-2-Diabetes), die zu o. a. Zielwerten randomisiert wurden. Primärer Endpunkt war erneut die Kombination aus Schlaganfall, Herzinfarkt, kardiovaskulärem Tod, Herzinsuffizienz oder Revaskularisierung, vergleichbar mit den Endpunkten bei BPROAD und SPRINT. Nach einem mittleren Verlauf von 3,5 Jahren in der ESPRIT-Studie wurde der Endpunkt bei 9,7 % vs. 11,1 % erreicht, ein signifikanter Vorteil für den Zielblutdruck von < 120 mmHg. Die Ergebnisse waren bei Personen mit/ohne Typ-2-Diabetes kongruent, und alle Komponenten des primären Endpunktes trugen zu den Ergebnissen bei. Synkopen wurden vermehrt beobachtet, 24 vs. acht Fälle, aber Stürze mit Frakturen oder akutes Nierenversagen wurden nicht vermehrt beobachtet bei dem Zielblutdruck < 120 mmHg.
Nebenwirkungen und zu Beachtendes der intensivierten Blutdrucksenkung
Insgesamt wird die tiefere, intensivierte Blutdrucksenkung auf Werte < 120 mmHg systolisch mit etwas mehr Nebenwirkungen erkauft. Wiewohl in der BPROAD-Studie ernsthafte Nebenwirkungen in beiden Gruppen gleich häufig waren, trat z. B. symptomatische Hypotonie und Hyperkaliämie häufiger im intensivierten Behandlungsarm auf. Auch in der SPRINT-Studie wurden bei tieferer Blutdrucksenkung mehr unerwünschte Ereignisse beobachtet, z. B. Hypotonie, Synkopen, akutes Nierenversagen oder Elektrolyt-Abnormalitäten.
Conclusio
Gemäß der ESH 2023 Leitlininie bleibt ein Blutdruck von 140/90 mmHg die Grenze, ab der von arterieller Hypertonie gesprochen wird. Zusammengenommen kann man feststellen, dass die Ergebnisse von BPROAD, STEP, ESPRIT und SPRINT suggerieren, dass ein Zielblutdruck von 120 mmHg durchaus erreichbar ist, ohne Patienten zu gefährden. D. h. für Patientengruppen mit hohem kardiovaskulären Risiko werden niedrigere Werte angestrebt, und die BPROAD-Studie liefert nun Evidenz für eine niedrigere Blutdruckeinstellung auch bei Menschen mit Diabetes. Wichtig ist, dass die Therapiemaßnahmen individuell so angepasst sind, dass sie vom Patienten gut vertragen werden, und dass auf eine standardisierte Blutdruckmessung geachtet wird. Dabei ist die individuell validierte häusliche Messung zu bevorzugen. Die Routinemessung in der Praxis, vielleicht sogar mit nicht-automatischen Geräten, liefert völlig unzuverlässige Werte.
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Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2025; 34 (5) Seite 284-288
