Einleitung
Alle Aspekte des Gesundheitswesens haben in gewisser Weise auch einen beträchtlichen ökologischen Fußabdruck, der in einer kürzlich durchgeführten globalen Bewertung auf 1 bis 5 % geschätzt wurde [Lenzen 2020]. In dieser Veröffentlichung wurden die verschiedenen Krankheiten im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt nicht gesondert betrachtet. In Anbetracht der hohen Anzahl von Patienten mit Diabetes (PmD) und all der verschiedenen Medikamente, Geräte usw., die bei der Diabetestherapie zum Einsatz kommen, kann man davon ausgehen, dass die ökologischen "Nebenwirkungen" der Diabetestherapie erheblich sind.
Die Auswirkungen des Klimawandels auf Menschen mit Diabetes wurden bereits mehrfach diskutiert; die Wechselwirkung zwischen Klimawandel und Diabetestechnologie (DT) ist allerdings ein bisher wenig beachtetes Thema [Cook 2011, Zilbermint 2020, Vallianou 2021, Cuschieri 2021, Schultz 2014, Colagiuri 2013, Dain 2012]. In den letzten Jahrzehnten haben wir Jahr für Jahr einen massiven Anstieg in der Nutzung von DT erlebt. Diese Entwicklung wird durch all die positiven Auswirkungen dieser Produkte für PmD vorangetrieben, die ihre Diabetestherapie damit sicherer und effizienter durchführen können. Dies wiederum schadet jedoch unserer Umwelt: Die Kohlenstoffemissionen, die mit der Herstellung solcher Produkte verbunden sind, und alle Probleme, die mit dem Umgang mit dem (Plastik-)Abfall zusammenhängen, können nicht mehr ignoriert werden [Heinemann 2021, Klonoff 2020]. Es ist interessant festzustellen, dass es bisher keine Veröffentlichung zu dem ökologischen Fußabdruck von DT gibt, dies wird auch daran liegen, dass die dafür notwendigen Erfassungen und Berechnungen ein anspruchsvolles Unterfangen darstellen.
CGM: Continuous Glukose Monitoring
DT: Diabetes-Technologie
PmD: Patienten mit Diabetes
SMBG: Systeme zur Selbstmessung von Blutglukose
Auswirkungen der Umwelt auf Medizinprodukte
Viele Umweltfaktoren wirken sich auf die Funktion von Medizinprodukten aus, auch auf solche, die bei der Diabetestherapie eingesetzt werden [Thomas 2022]. Während des klinischen Entwicklungsprozesses der Produkte werden die Auswirkungen von Umweltfaktoren auf die Funktion der Geräte sorgfältig untersucht. Ein solcher Faktor ist die Umgebungstemperatur. Die Funktion der für die DT verwendeten Geräte wird vom Hersteller nur für einen bestimmten Temperaturbereich garantiert, dies gilt es beim praktischen Einsatz der Produkte zu beachten.
Auswirkungen von Hitze auf die Funktion von Medizinprodukten für die Diabetestherapie
Die Anzahl der PmD, die in Ländern leben in denen der Klimawandel zu einem Anstieg der Umgebungstemperaturen/Hitzewellen führt, hat schon zugenommen und wird in den nächsten Jahrzehnten aller Voraussicht nach massiv weiter zunehmen. Aufgrund der Anfälligkeit von PmD gegenüber Hitze insgesamt stellen sie eine erhebliche Belastung für die Gesundheitssysteme dar [Westphal 2010, Winklmayr 2022]. Es gilt zu vermuten, dass die sich möglicherweise verschlechternde Funktion von Medizinprodukten, die bei der Diabetestherapie eingesetzt werden, bei erhöhten Umgebungstemperaturen zu dieser negativen Entwicklung beiträgt (s. u.). Die Auswirkungen von Hitze auf Medizinprodukte, die zu diagnostischen (= Glukosemessung) und therapeutischen Zwecken (= Insulinapplikation) eingesetzt werden, werden im Folgenden getrennt betrachtet.
Viele dieser Produkte sind aus Sicherheitsgründen mit Temperatursensoren ausgestattet. So benötigen Glukosemesssysteme Informationen über die Umgebungstemperatur, um die Messergebnisse angemessen korrigieren zu können. Es ist jedoch nicht viel darüber bekannt (= veröffentlicht), inwieweit solche Korrekturen im täglichen Leben wirklich gut funktionieren, insbesondere bei Temperaturen, die (weit) außerhalb des empfohlenen Temperaturbereichs liegen. In diesem Fall sollten die Geräte eigentlich ihre Funktion einstellen, um zu vermeiden, dass sie falsche Messergebnisse liefern, da z. B. die Enzyme, die für die Glukosemessungen verwendet werden, dann denaturieren oder ihre Form verändern, wenn sie zu hohen Temperaturen ausgesetzt werden.
Hitze wirkt sich auch auf andere Komponenten der Medizinprodukte aus, die für deren ordnungsgemäße Funktion unentbehrlich sind, z. B. können Batterien schneller als erwartet an Kapazität verlieren. Ein wichtiger praktischer Aspekt ist, dass die Klebstoffe in den Pflastern, mit denen die Geräte auf der Haut befestigt werden, versagen, was insbesondere auf verstärktes Schwitzen der Nutzer zurückzuführen ist.
Diagnostische Geräte
Systeme für die Selbstmessung von Blutglukose (SMBG)
Die Umgebungstemperatur beeinflusst die für die spezifische Glukosemessung verwendeten enzymatischen Reaktionen. Der Bluttropfen, der auf die Reaktionszone des Teststreifens aufgebracht wird, hat Körpertemperatur; wenn die Umgebungstemperatur jedoch deutlich über (oder unter) dieser Temperatur liegt, muss das Messergebnis kompensiert werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass die für die SMBG verwendeten Systeme die Messwerte richtig korrigieren, solange sich die Temperatur in einem akzeptablen Bereich befindet. Mit anderen Worten: Der vom Gerät angezeigte Glukosewert wird praktisch nicht oder nur geringfügig von der Umgebungstemperatur beeinflusst. Die für die SMBG verwendeten Systeme sollen eigentlich keine Messergebnisse liefern, wenn die Umgebungstemperaturen außerhalb des zulässigen Bereiches liegen.
Die Temperatursensoren sind in den meisten Fällen in das Gehäuse des für die SMBG-Messung verwendeten Geräts selbst eingebaut; sie messen die Temperatur im Inneren des Geräts und nicht in der Reaktionszone an der Spitze der Teststreifen. Daher kann in der Praxis die Temperatur an der Spitze der Teststreifen niedriger sein als im Inneren des Gehäuses, wenn die Messung bei niedrigen Umgebungstemperaturen durchgeführt wird und das Gerät vor der Messung an einem isolierten Ort (z. B. in einer Jackentasche) gelagert wurde. Daher können gewisse Temperaturunterschiede auftreten, die zu relevanten Messabweichungen führen können.
Zwei weitere Aspekte gilt es bei der Verwendung von SMBG-Systemen unter heißen Bedingungen zu berücksichtigen: Zum einen sollen die Teststreifen eigentlich bei Temperaturen < 30 °C gelagert werden, was in der Realität oft schwierig ist. Interessant ist, dass zumindest ein Hersteller von SMBG-Systemen angibt, dass seine Teststreifen ihre Messeigenschaften auch bei einer Lagertemperatur von etwa 50 °C beibehalten (https://diabetes.terumo.com/technology_solution_02/). Ein weiterer Aspekt ist, dass erhöhte Umgebungstemperaturen eine Dehydrierung der Nutzer bewirken können. Dies führt zu Veränderungen des Hämatokrits, die bekanntermaßen einen Einfluss auf die Glukosemessergebnisse haben, wenn der Hämatokrit außerhalb eines zulässigen Bereichs liegt, wobei die SMBG-Systeme unterschiedlich empfindlich dafür sind, wenn diese Werte oberhalb oder unterhalb dieses Bereiches liegen [Musholt 2011, Ramljak 2013, Tang 2000].
Systeme zum kontinuierlichen Glukosemonitoring (CGM)
Bei CGM-Systemen werden auch enzymatische Reaktionen für die Glukosemessung genutzt, allerdings findet diese Messung in der interstitiellen Flüssigkeit im Unterhautgewebe statt. Man kann davon ausgehen, dass die Temperatur an der Spitze des Glukosesensors mehr oder weniger auf Körpertemperatur verbleibt, solange die körpereigenen physiologischen Systeme zur Kontrolle der Körpertemperatur funktionieren. Da PmD eine eingeschränkte Fähigkeit dazu aufweisen, sie also sensibler auf Hitze reagieren als stoffwechselgesunde Menschen, gilt es dies gezielt zu evaluieren.
In diesem Zusammenhang wäre es auch von Interesse zu untersuchen, ob die Funktion des Glukosesensors beeinträchtigt wird, wenn der Nutzer Fieber hat. Hitze kann sich auch auf die Funktion von anderen Komponenten von CGM-Systemen auswirken, vor allem auf elektronische Bauteile der Glukosesensoren, die auf der Haut selbst befestigt werden. Interessant wäre eine Auswertung der Rückmeldungen, die die Hersteller von CGM-Systemen von den Nutzern beispielsweise über die Hotlines bekommen: Steigen die Ausfallraten davon bei Hitzewellen an im Vergleich zu Zeiten mit normalen Umgebungstemperaturen?
Eine erhöhte Umgebungstemperatur führt zu einem Anstieg des Blutflusses in der Haut, was wiederum die "lag time" zwischen den Veränderungen der Blutglukosekonzentration und denen in der interstitiellen Flüssigkeit verkürzen kann. Ein Faktor, den die Algorithmen, die für die Glukosemessung verwendet werden, berücksichtigen sollten. Wenn eine bei Hitze auftretende Dehydrierung der Nutzer zu Änderungen in den Flüssigkeitsvolumen an der Spitze der Glukosesensoren führt, kann dies möglicherweise auch einen Einfluss auf die Genauigkeit der Messung haben.
Therapeutische Geräte
Höhere Umgebungstemperaturen führen im Rahmen einer physiologischen Reaktion zu einer stärkeren Hautdurchblutung, damit die Körpertemperatur nicht ansteigt. Die Absorptionsrate von Insulin aus dem subkutanen Depot ins Blut wird stark durch den lokalen Blutfluss in der Haut beeinflusst [Sindelka 1994]. In Folge davon ist die Vorhersagbarkeit des zeitlichen Wirkungsverlaufes einer gegebenen Insulinformulierung erschwert [Cengiz 2014, Freckmann 2012]. Es ist davon auszugehen, dass der Wirkeintritt schneller erfolgt, während die Wirkdauer abnimmt.
Darüber hinaus kann die Variabilität der Insulinwirkung erhöht sein. Bei der Applikation von prandialem Insulin kann dies die optimale Abdeckung des mahlzeitenbedingten Insulinbedarfs erschweren, was zu präprandialen Hypoglykämien oder postprandialen Hyperglykämien führen kann. Bei Basalinsulin kann die Abdeckung des Insulinbedarfs zwischen den Mahlzeiten und während der Nacht schwieriger sein, wenn die Dauer der Insulinwirkung kürzer bzw. variabler ist.
Die Wirksamkeit von Peptidhormonen wie Insulin wird durch Wärme beeinträchtigt, sie müssen daher innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs gelagert werden. Angesichts der hohen Empfindlichkeit von Insulin (und anderen Peptiden, die für die Diabetestherapie verwendet werden) für eine Degradierung (bei Temperaturen >30 °C) stellt eine angemessene Lagerung von Insulin für viele PmD bei Hitzewellen eine Herausforderung dar. Auch die Lagerung von Insulin in Kühlschränken erfordert einige Aufmerksamkeit [Braune 2019].
Insulinpens
Wenn ein PmD einen Insulin-Pen aus dem Kühlschrank genommen hat, wird er diesen im Folgenden einige Tage mit sich herumtragen, bis der Pen leer ist. Während dieser Zeit werden die Pens Umgebungsbedingungen ausgesetzt, wobei diese – z. B. bei Hitzewellen – außerhalb des empfohlenen Bereichs liegen können. Dann besteht ein erhöhtes Risiko für eine Insulindegradierung, noch unterstützt dadurch, dass der Pen vielen Bewegungen ausgesetzt ist. Dann ist die glukosesenkende Wirkung des applizierten Insulins entweder beeinträchtigt oder geht völlig verloren. Es wurden Möglichkeiten zu einer geeigneten Lagerung von Insulin-Pens für solche Alltagsbedingungen entwickelt, diese sind aber nicht weit verbreitet.
Die meisten der herkömmlichen Insulin-Pens liefern keine Informationen über ihre Nutzung bzw. die Umweltbedingungen, denen sie ausgesetzt sind; einige der kürzlich in den Markt eingeführten "intelligenten Pens" (Smart-Pens) liefern jedoch neben Informationen zur Insulindosis etc. auch Angaben zu der Temperatur, der sie ausgesetzt sind (https://www.medtronicdiabetes.com/products/inpen-smart-insulin-pen-system, zuletzt angesehen am 22.08.2023) [Sangave 2019]. In Kombination mit Informationen von Wearables/Smartphones über Körperbewegungen der Nutzer ermöglichen solche Informationen die Abschätzung der Insulinstabilität in den Pens sowie eine geeignete Rückmeldung an die Nutzer, bevor ernsthafte Probleme auftreten.
Insulinpumpen
Konventionelle Insulinpumpen (= mit sichtbaren Insulininfusionssets) und Patch-Pumpen (= die auf der Haut aufgeklebt werden und kein sichtbares Infusionsset aufweisen) werden dicht am Körper getragen, was bedeutet, dass die Temperatur des Insulins im Reservoir bei oder nahe der Körpertemperatur liegt [Herr 2014]. Eine erhöhte Umgebungstemperatur kann zu noch höheren Insulintemperaturen darin führen, was zu einer Degradierung des Insulins führen kann. Der mit einer schnelleren Insulinabsorption aus dem subkutanen Depot verbundene Anstieg der Hautdurchblutung bei Hitze kann jedoch der relevantere Aspekt von Insulinpumpen sein, da die Vorhersagbarkeit der Insulinwirkung beeinträchtigt ist. Es wäre interessant zu wissen, ob die Funktion von Insulinpumpen (auch von Patch-Pumpen) bei Hitzewellen beeinträchtigt ist oder nicht (s. o.). Die Exposition des Insulins im Infusionsset kann bei Hitze das Risiko von Verstopfungen erhöhen, d. h. das Insulin "flockt" aus und blockiert das Lumen des Schlauches. Die Verwendung kürzerer Infusionssets kann daher bei Hitze sinnvoll sein. Bei einem Anstieg der Insulintemperatur, insbesondere wenn das Insulin direkt nach der Entnahme aus dem Kühlschrank in das Insulinreservoir umgefüllt wird, besteht die Gefahr des Auftretens von Luftblasen, die wiederum eine Auswirkung auf die Pumpenfunktion haben können (dies gilt auch für Insulin-Pens) [ Heinemann 2022].
AID-Systeme
Die verschiedenen Aspekte, die zuvor für diagnostische und therapeutische Geräte angesprochen wurden, sind für Systeme zur Automatischen Insulin-Dosierung (AID) erst Recht von Bedeutung. AID-Systeme sind anfällig für systematische Fehler (aufgrund von Temperaturextremen) bei der Glukosemessung oder Insulinabgabe, da sie die Insulinabgabe anpassen, um die Glukosekonzentration in einem bestimmten Zielbereich zu halten. Durch eine abnormale Funktion des CGM-Systems oder der Insulinpumpe bei Hitze kann es sein, dass der Algorithmus nicht wie gewohnt funktioniert.
Training der Patienten – und auch der Ärzte und Beraterinnen
Vermutlich wurde den Auswirkungen von Umweltveränderungen auf die Diabetestherapie bisher bei der Schulung von PmD keine große Aufmerksamkeit gewidmet. In Anbetracht von Sommern mit ausgeprägten Hitzeperioden sollten PmD aber zum Beispiel über die angemessene Lagerung von Insulin instruiert werden und darüber, wie Umweltfaktoren die Funktion der für die Diabetestherapie verwendeten Medizinprodukte beeinträchtigen können.
Im Falle einer Hitzewelle könnten Ärzte ihren eigenen Tagesablauf daran anpassen und ihren Patienten entsprechende Informationen zukommen lassen. Sie können auch Maßnahmen zur Vermeidung von Funktionsproblemen empfehlen, beispielsweise Systeme zur Kühlung von Insulinpens, Verwendung kürzerer Insulininfusionssets oder häufigeres Wechseln des Insulinreservoirs.
Zusammenfassung
Die Wechselwirkung zwischen DT und Umwelt geht in beide Richtungen: Die Nutzung von bei der Diabetestherapie verwendeten Medizinprodukten hat Auswirkungen auf die Umwelt (auch durch den Anfall von Müll, ein Aspekt der hier nicht weiter behandelt wurde), aber auch Umweltfaktoren wie Hitze haben einen deutlichen Einfluss auf die Funktion solcher Produkte. Es kann davon ausgegangen werden, dass DT einen beträchtlichen ökologischen Fußabdruck hat.
Die Auswirkungen von Hitzewellen auf die Funktion der verschiedenen Systeme, die bei der Glukoseüberwachung und Insulinapplikation genutzt werden, haben praktische Bedeutung. Das (wissenschaftliche) Wissen über die Auswirkungen von Hitze (und anderen Umweltfaktoren) auf die Medizinprodukte, die im täglichen Leben von PmD eingesetzt werden, ist aber bisher eher begrenzt. Klar ist jedoch, es besteht ein erheblicher Bedarf an einer angemessenen Schulung von PmD (und von den sie behandelnden Ärzten und Diabetes-Beraterinnen) über solche Aspekte.
Die Hersteller sollten PmD durch entsprechende Alarme/Warnsignale darauf aufmerksam machen, wenn ein Medizinprodukt sehr niedrigen oder hohen Temperaturen ausgesetzt ist. Im nächsten Schritt sollte die Funktion der Produkte blockiert werden (bei extremen Temperaturen), um fehlerhafte Messergebnisse oder Gerätefehlfunktionen zu vermeiden.
Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2023; 32 (5) Seite 246-250