Im Interview: Resümee und Ausblick von Prof. Dr. med. Dr. h.c. Diethelm Tschöpe
Eine Ära geht zu Ende: Prof. Dr. med. Dr. h.c. Diethelm Tschöpe verlässt zum 31. Oktober 2023 regulär das Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW). Zwei Jahrzehnte Klinikleitung liegen dann hinter ihm: eine facettenreiche Zeit, die von Aufschwung, Innovation und Begegnungen mit Menschen begleitet war. Mit Prof. Tschöpe verabschiedet sich auch ein Mediziner, der wie kein anderer das Thema Diabetes und Herz geprägt hat: national, international und über die Grenzen der Diabetologie hinaus. Vor 20 Jahren war der Fokus "Herz und Diabetes" im Zentrum Bad Oeynhausen ein Grund, den Staffelstab der Klinikleitung zu übernehmen.

Wäre es nach Ihren Eltern gegangen, dann wären Sie Manager geworden. Sie selbst hatten in Ihrer Jugend den Berufswunsch Pilot. Später gab es die Überlegung, mit einer Erfindung im Silicon Valley einzusteigen. Warum ist es letztlich Medizin geworden? Und dann auch noch ein Fach wie Diabetologie/Endokrinologie, das bis heute um Anerkennung ringt?

Prof. Dr. Dr. Diethelm Tschöpe: Ich hatte das Gefühl, dass meine naturwissenschaftlichen Interessen am besten in der klinischen Medizin aufgehoben sind, weil hier auch meine humanistisch-ethischen Überzeugungen durch den Dienst am Menschen am besten abgebildet sind: Menschliches Wohlergehen als medizinische Managementaufgabe. Dabei hat die Kleinteiligkeit von Diabetologie und Endokrinologie die Grundlage für ein systembiologisches Krankheitsverständnis gelegt, dass es mir bis heute ermöglicht hat, ganzheitliche medizinische Lösungen zu finden und die kontraproduktive Fragmentation der Medizin überwinden zu helfen.

Sie haben schon früh während Ihres Studiums mit Forschungsaktivitäten zum diabetischen Herz begonnen, erste Ergebnisse in den 1990er Jahren publiziert. Wie hat sich der Blick auf Patienten mit Zunahme von Forschungserkenntnissen verändert?

Prof. Dr. Dr. Diethelm Tschöpe: Medizin auf dem Boden gesicherter Evidenz führt durch die Poppersche Falsifikationsdynamik zu einer Evolution klinischer Entscheidungsfindungen. Idealerweise sollte der Blick auf den Patienten dabei im Wesentlichen unverändert bleiben, wenn er aus dem Winkel der Salutogenese kommt, das heißt die Dimension des individuellen Wohlergehens als oberste Maxime hat.

Im Mai 2003 haben Sie die Klinikleitung des Diabeteszentrums im HDZ NRW übernommen. Mit welchen Erwartungen sind Sie damals nach Bad Oeynhausen gekommen?

Prof. Dr. Dr. Diethelm Tschöpe: Ich hatte im Jahr 2003 die feste Überzeugung, dass ich mit der Übernahme des Ordinariats und der Klinikleitung des Diabeteszentrums in Bad Oeynhausen meine gesundheitssystemischen Strategien, wie ich sie ja auch als Vorsitzender der Stiftung DHD (Der herzkranke Diabetiker) formuliert habe, konkretisieren konnte. Diese Erwartung ist größtenteils erfüllt worden.

Nicht alles, was man in 20 Berufsjahren erlebt und erreicht hat, stimmt positiv. Es gab sicher auch Dinge, die unerfreulich waren. Welche zum Beispiel?

Prof. Dr. Dr. Diethelm Tschöpe: Vermutlich wird es nicht überraschen, wenn ich die gesundheitsökonomischen Sachzwänge als besonders negative Erfahrung aus der Sicht eines akademischen Mediziners auch am Standort HDZ NRW als besondere, nicht immer erfreuliche Herausforderung erfahren habe. Meine medizinethische Grundhaltung mit dem Primat des Patientenwohls und der Freiheit von Forschung und Lehre haben mir dabei den Weg zu vertretbaren Umsetzungslösungen gewiesen.

Fragt man Ihre Mitarbeiter nach drei Eigenschaften, die Sie als Chef beschreiben, dann antworten diese: authentisch, an Lösungen orientiert, ungeduldig. Wie würden Sie umgekehrt Ihre Mitarbeiter beschreiben? Gibt es Eigenschaften, die Ihnen besonders imponieren?

Prof. Dr. Dr. Diethelm Tschöpe: Die Transformation im Gesundheitswesen habe ich fachbedingt seit meinem Amtsantritt aktiv mitbetrieben und dabei meinen Mitarbeitern vieles abverlangt. Nicht alle konnten und wollten die damit verbundenen Veränderungen mittragen, umso mehr haben mir die imponiert, die loyal über all die Jahre zu mir gestanden sind.

Mit Ihrem Ausscheiden verlässt auch die Geschäftsstelle der Stiftung DHD (Der herzkranke Diabetiker) den Standort. Künftiger Stiftungssitz wird Düsseldorf sein. Zurück zu den Wurzeln also – in Düsseldorf begann Ihre Laufbahn als Arzt. Es gibt lustige Anekdoten aus dieser Zeit. Was fällt Ihnen dazu ein?

Prof. Dr. Dr. Diethelm Tschöpe: Wer lange im Rheinland gelebt und gearbeitet hat, lernt den Humor als Überlebensstrategie kennen. Der Humor stirbt zuletzt oder "Et hätt noch immer jot jejange".

Ruhestand ab einem kalendarischen Alter ist inzwischen eher ein Unwort, fast schon beleidigend für Menschen, die als "Macher" gelten. Gerade unter Ärzten gibt es etliche, die ihren Job erst mit 80 an den Nagel hängen. Warum Sie nicht?

Prof. Dr. Dr. Diethelm Tschöpe: Man soll gerade als "Macher" den Abschied aktiv gestalten, solange es einem in Ehren möglich ist. Nach 40 Jahren Universität, davon 20 Jahre als Chefarzt am HDZ und Ordinarius an der Ruhr-Universität geht ein Abschnitt zu Ende. Wie ich den neuen ausgestalte, kann ich heute noch nicht sagen. Die wiedergewonnene Entscheidungsautonomie schätze ich als hohes Gut ein.

Der Stiftung DHD bleiben Sie erhalten, auch der Redaktion dieser Zeitschrift und sicher auch den Themen, die Ihnen am Herzen liegen. Schmieden Sie Pläne für die Zukunft? Was haben Sie vor?

Prof. Dr. Dr. Diethelm Tschöpe: Meine Position als Lehrstuhlinhaber an der Ruhr-Universität Bochum hat eine Reihe von Funktionen und Positionen mit sich gebracht, die ich sicher auch in Zukunft weiter bekleiden werde, so z. B. der Vorstand der Medizinischen Akademie der Ärztekammer und Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe oder das Kuratorium unserer Stiftung "Der herzkranke Diabetiker". Darüber hinaus ist es nun zunächst an der Zeit, innezuhalten und sich neu zu orientieren – man wird sehen und hören.

Danke für das Gespräch und beste Wünsche für all das, was künftig kommt, Herr Professor Tschöpe.

Interview: Katrin Hertrampf


Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2023; 32 (5) Seite 256-257