Das Digital-Gesetz, das das BMG derzeit plant, sammelt als klassisches "Omnibus-Gesetz" verschiedene Regelungen, die allesamt die Versorgung moderner und besser machen sollen. Welche Änderungswünsche kommen aus der Diabetologie?
Alle begrüßen die Chancen, die die Digitalisierung für Patienten und das Gesundheitssystem bietet. Am derzeit diskutierten "Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens" gibt es aber noch von allen Seiten Änderungswünsche – wie so oft, wenn der fromme Wunsch nach einer besseren digitalen Zukunft der Gesundheitsversorgung auf die Interessen und Befürchtungen der involvierten Akteure trifft.
Am 13. Juli wurde der Referentenentwurf für das kurz Digital-Gesetz oder noch kürzer DigiG genannte Projekt vom Bundesministerium für Gesundheit veröffentlicht, am 1. August folgte die Fachanhörung im Ministerium dazu.
ePA soll allen helfen
Laut BMG soll das Digital-Gesetz den Behandlungsalltag für Ärzte und Patienten mit digitalen Lösungen vereinfachen. Zentraler Bestandteil des Gesetzes sei die Einrichtung der elektronische Patientenakte (ePA) für alle. Sie soll den Austausch und die Nutzung von Gesundheitsdaten vorantreiben und die Versorgung gezielt unterstützen. Das Ministerium nennt als wichtigste Inhalte des Digitalgesetzes:
- Die elektronische Patientenakte soll ab Anfang des Jahres 2025 für alle gesetzlich Versicherten eingerichtet werden. Wer die ePA nicht nutzen möchte, kann dem widersprechen (Opt-Out).
- Um ungewollte Wechselwirkungen von Arzneimitteln künftig besser zu vermeiden, soll die ePA in enger Verknüpfung mit dem E-Rezept für jeden Versicherten mit einer vollständigen, weitestgehend automatisiert erstellten, digitalen Medikationsübersicht befüllt werden.
- Das E-Rezept soll zum 1. Januar 2024 verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung und die Nutzung per elektronischer Gesundheitskarte und ePA-App stark vereinfacht werden.
- Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) werden stärker in die Versorgung integriert und ihr Einsatz transparent gemacht.
- Die assistierte Telemedizin soll einen niedrigschwelligen Zugang zur Versorgung bieten, insbesondere auch in schwer zu versorgenden Regionen. Außerdem wird die 30-Prozent-Begrenzung für die Telemedizin aufgehoben.
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) hat in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf die Ziele des DigiG grundsätzlich begrüßt. Sie meint, dass es im Kontext mit den Referentenentwürfen zum "Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung" (GVSG) und zum "Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten" (GDNG), die im Juni vorgelegt wurden, die Versorgung der von Diabetes betroffenen Menschen deutlich verbessern kann. Ein Grund sei, dass Kernpunkte des 2023 aktualisierten Kodex der DDG zur Digitalisierung durch die Gesetze umgesetzt werden könnten.
ePA-Zugriff für Assistenzberufe
Die Fachgesellschaft begrüßt in ihrer Stellungnahme ausdrücklich die Weiterentwicklung der ePA zu einer "Austauschplattform" und dass diese nicht allein durch Patienten, sondern auch durch Ärzte und nichtärztliche Gesundheitsfachkräfte genutzt werden soll. Bei den Zugriffsberechtigten hält die DDG eine explizite Listung der nichtärztlichen Gesundheitsfachberufe, die direkt in den medizinischen Versorgungspfad eingebunden sind, für essenziell. "Für die Diabetologie gilt dies für die Assistenz in der Diabetologie, Diabetesassistenz DDG und Diabetesberatung DDG, die integrale Bestandteile des Behandlungsteams sind", unterstreicht sie.
Die DDG warnt beim im Entwurf im Zusammenhang mit DiGAs verwendeten Begriff der "Autonomie", dass er die Gefahr einer "Abkopplung" der DiGA vom integrierten Versorgungsprozess birgt. Dies hält die Fachgesellschaft für eine interdisziplinäre, flächendeckende, bedarfs- und qualitätsorientierte Versorgungsgestaltung aus medizinischer Sicht weder für zielführend noch effektiv. Die Erweiterung der DiGA auf Medizinprodukte der Klasse IIb sei dagegen angemessen, da insbesondere Clinical Decision Support Systeme für Leistungserbringer und Betroffene von großer Hilfe sein könnten. "Wir betonen jedoch auch hier ganz deutlich, dass die DiGAs den Versorgungsprozess integrativ und nicht davon "losgelöst" ergänzen sollen", so die DDG.
Wünsche an Digital-DMPs
Die im Digital-Gesetz vorgesehene Einführung von digitalisierten Versorgungsprozessen in den strukturierte Behandlungsprogramme für Diabetes begrüßt die DDG. "Digitale DMPs sollten aus unserer Sicht in die bereits etablierten und gut evaluierten DMP-Programme integriert werden und diese nicht als mögliche "Doppel- beziehungsweise Parallelstrukturen" aushöhlen", mahnt sie. Digitalisierte Prozesse in den DMP sollten vor allem das Zusammenführen von Daten unterschiedlicher Versorgungsebenen und diverser technischer Systeme erleichtern. Dazu bedarf es laut DDG einer erheblichen Weiterentwicklung der Interoperabilität und eines strukturierten Behandlungsdatensatzes.
Eine erste sichtbare Erleichterung für alle Leistungserbringer wäre aus Sicht der DDG, wenn man in der ePA oder durch die Chipkarte der Patienten sofort und verbindlich erkennen könnte ("Pflichtfeld"), ob und in welchen DMPs ein Patient eingeschrieben ist. Zudem wäre es hilfreich, wenn die Einschreibung in ein DMP einfach und digital erfolgen könnte. Zudem sollte der Datenaustausch mit den Krankenkassen automatisiert erfolgen, die PVS-Herstellenden müssten hierzu seitens des Gesetzgebers zur Interoperabilität verpflichtet werden, dies kostenneutral für die Leistungserbringenden umzusetzen. fordert die Fachgesellschaft.
Zudem wünscht die DDG sich, dass die Daten für das DMP in aktuelle Datenformate, z.B. HL7 Version 2.0 und FHIR, seitens der KBV (MIO 42) kodiert werden. In diesem Sinne begrüßt sie ausdrücklich die im Gesetzentwurf enthaltene Maßgabe, dass man sich bei Festlegungen für die semantische und syntaktische Interoperabilität mit den "maßgeblich, fachlich betroffenen medizinischen Fachgesellschaften" in das "Benehmen" setzen muss.
Eine Digitalisierung der DMPs ermöglicht aus Sicht der DDG die Perspektive, dass DMP-Daten auch der weiteren Forschung zur Verfügung stehen und damit der Mehrwert der Daten in der Folge den Betroffenen, der weiteren Gestaltung der DMPs und künftigen Patienten zugutekommt. Zudem könnten relevante Fragen der Versorgungsforschung untersucht werden. Diese Möglichkeit sollte ergänzend bei dieser Gelegenheit gesetzlich geregelt werden, rät die DDG.
DMPs beinhalten bisher keine digitalen Elemente wie DiGAs. Entsprechende Anwendungen mit einem nachgewiesenen und publizierten Mehrwert sollten künftig nach Meinung der Fachgesellschaft in DMPs übernommen werden und mit der ePA interoperabel sein.
Der im Mai frisch gewählte BVND-Vorsitzende Toralf Schwarz weist darauf hin, dass der Gesetzentwurf auch die Möglichkeit offen lasse, neben den bestehenden DMPs, die einen behandlungsführenden Arzt voraussetzen, auch Programme zu etablieren, die zum Beispiel von Drittanbietern auf rein elektronischem Wege angeboten werden. "Ein Angriff auf die konventionellen DMP würde ganz klar die Existenzgrundlage der Diabetes-Schwerpunktpraxen gefährden, weil die auf dem DMP fußenden Diabetes-Verträge letztendlich die wirtschaftliche Grundlage der Schwerpunktpraxen sind", mahnte der in Zwenkau niedergelassene Diabetologe zur Vorsicht. "Das Interesse der Krankenkassen ist im Zweifelsfall, DMP möglichst billig zu haben", erklärte er. Bei der konkreten Ausgestaltung der Digital-DMP in entsprechenden Richtlinien und beim Gemeinsamen Bundesausschuss will der BVND daher genau hinschauen.
Schwarz kritisiert ferner, dass im Gesetzentwurf zur Interoperabilität von Medizinprodukten nichts zu finden ist. Dringend regelungsbedürftig sei der quasi bestehende Zwang der Nutzung der Hersteller-Cloud für Patienten mit CGM-System oder Insulinpumpe, um diese Gerät optimal zu nutzen. "Es ist nicht möglich, die Daten eines CGM Gerätes lokal in der Praxis auszuwerten, ohne den Umweg über die Hersteller-Clouds zu gehen – ein Ding der Unmöglichkeit!", befindet Schwarz.
Wer füllt die ePA?
Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) begrüßte in ihrer Stellungnahme, dass das BMG mit dem Referentenentwurf "die Digitalisierung im Gesundheitswesen konsequent vorantreibt und erkennbar an den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer ausrichtet." Gleichzeitig fordert die Fachgesellschaft, dass die erstmalige Befüllung ePA mit Gesundheitsdaten durch Ärzte erfolgen muss, die umfassend mit der Krankengeschichte der jeweiligen Versicherten vertraut sind. Vorgesehen ist, dass auch Befunde vorangegangener Behandlungen in die ePA eingepflegt werden sollen (ex-tunc-Befüllung). "Gerade chronisch Erkrankte mit relevanten Vorerkrankungen profitieren erheblich davon, wenn aus der ePA klar hervorgeht, wie sich ihr Gesundheitszustand entwickelt und wie bisherige Behandlungen gewirkt haben", begrüßt Prof. Dr. med. Claus Vogelmeier diese Regelung ausdrücklich. Der Vorsitzender der DGIM-Kommission Digitale Transformation spricht sich dabei aber gegen das im Entwurf skizzierte Verfahren zur Erstbefüllung der Akte durch die Krankenkassen aus. Demnach sollen Patienten ihnen vorliegende Befunde selbst an die Krankenkassen schicken, die die Dokumente einscannen und in die ePA einstellen. "Diese Regelung lehnen wir, aber auch die Kassen selbst ab, denn wie sollen die Versicherten oder die Mitarbeitenden der Krankenkassen fachlich entscheiden können, welche Befunde versorgungsrelevant sind und welche nicht?", assistiert DGIM-Generalsekretär Prof. Dr. med. Georg Ertl. Er regte an, fachliche und qualitätssichernde Mindestvorgaben zur ePA-Befüllung an die Vergütung zu koppeln und bestehende Vergütungsmechanismen so auszurichten, dass Ärzte einen Anreiz erhalten, die ePA ihren Patienten aktiv anzubieten.
Die KBV übte in ihrer Stellungnahme Grundsatzkritik: "Wir vermissen im Referentenentwurf die notwendige Unterstützung der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten", so Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner. Sie würden praxistaugliche und funktionierende Anwendungen brauchen. Für die ePA befürchtet sie, dass sie wie jetzt geplant mehr Zeit kostet. Im Entwurf würden klare Vorgaben für die Anpassung der Praxisverwaltungssysteme und für ausreichende Tests fehlen, bevor Anwendungen in den Regelbetrieb gehen. Ihr Appell an die Politik: "Stellen Sie durch Anpassungen im weiteren Gesetzgebungsprozess sicher, dass die Anwendungen mit den Diensten der Telematikinfrastruktur funktionieren und streichen Sie die Sanktionen."
Die Bundesärztekammer wertet die in dem Referentenentwurf hinterlegten Umsetzungsfristen als überwiegend unrealistisch. "Leider geht das BMG hier den Weg der Vorgängerregierung. Im Ergebnis haben zu knappe Termine zu Qualitätseinbußen bei der Reife der Anwendungen geführt", heißt es in der Stellungnahme. Dies gelte ebenso für die angedrohte Sanktion für Ärzte beim E-Rezept. Letztendlich seien nicht Sanktionen ausschlaggebend für eine schnelle Verbreitung digitaler Anwendungen – sondern deren Sinnhaftigkeit, Funktionalität und nutzergerechte Ausgestaltung, betont die BÄK.
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (9) Seite 6-8
