Befragung: Bei der Prävention und Therapie von Diabetes mellitus Typ 2 werden Gesundheits-Apps mit großem Potenzial verbunden, insbesondere wenn es um eine nachhaltige Lebensstiländerung geht. Lesen Sie hier die Ergebnisse einer Befragung unter Allgemeinmediziner:innen und Internist:innen.

Weltweit gehört Diabetes mellitus zu den größten und kontinuierlich zunehmenden Herausforderungen für Gesundheit und Lebensqualität (1, 2). In Deutschland stieg der Anteil der Betroffenen zwischen 2009 und 2015 von 8,9% auf 9,8%, darunter mehr als 95% Typ-2-Diabetiker (3-5).

Im Rahmen eines effektiven Managements ist es möglich, mithilfe einer konsequenten Lebensstiländerung und Selbstkontrolle positiv auf eine festgestellte Diabeteserkrankung einzuwirken oder den Ausbruch eines Prädiabetes zu verhindern (6-8). Insbesondere Gesundheits-Apps versprechen Patient:innen vielseitige Unterstützung im Umgang mit der Erkrankung (Selbstmanagement) sowie eine Optimierung der Behandlung (8-10).

Mit Blick auf die Präventionsarbeit sowie Diagnostik und Therapie bei Diabetes mellitus Typ 2 (z.B. Screening der Nüchternblutzuckerwerte, Gewichtsnormalisierung) ist das Anwendungsgebiet für Apps groß (10-12). Entsprechend existieren zahlreiche Programme zum Thema Lifestyle in den Android- und iOS-Stores (14). Diese Anwendungen zählen zu den gängigen, nicht konkret an einen medizinischen Zweck gebundenen Gesundheits-Apps und zielen auf den Erhalt der Fitness sowie die Förderung eines gesundheitsförderlichen Lebensstils ab (12).

Passende Unterstützung in ihrer Therapie und Krankheitsbewältigung erhalten Patient:innen durch genuine Medizin-Apps (12). Ihr Einsatz ist besonders für Ärzt:innen zur Begleitung und zum Monitoring von chronisch erkrankten Typ-2-Diabetes-Patient:innen interessant (8, 10, 11). Eingesetzt werden diese Medizin-Apps u.a. zur Erinnerung an regelmäßige Blutzuckerkontrollen und der Einnahme von Medikamenten, als Dosierungshilfe bei der Gabe von Insulin oder auch zu Dokumentationszwecken von therapierelevanten Daten (z.B. Blutzucker, Kohlenhydrateinheiten (KHE), Gewicht, körperliche Aktivität) als Alternative zu oft unzureichend ausgefüllten Diabetestagebüchern (8, 10).

Ein weiterer Vorzug wird in der Kopplung von Apps mit Systemen der kontinuierlichen Glukosemessung gesehen (10). Nach Erhebung der Glukosedaten werden diese automatisch auf einem Smartphone gespeichert und zusammen mit weiteren therapierelevanten Daten (z. B. Gewicht, Blutdruck, zurückgelegte Schritte, Trinkmengen, Ernährung) über ein Online-Portal den behandelten Ärzt:innen zur Verfügung gestellt. So können Apps den Austausch zwischen Patient:innen und Ärzt:innen erleichtern (10).

Obwohl bislang die Wirksamkeit solcher Anwendungen nur wenig untersucht wurde, werden Apps durchaus Potenziale im Bereich der Unterstützung von chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2 zugesprochen (12). Diese werden allem voran in einem Empowerment und einer Motivation von Patient:innen hin zu einem gesundheitsbewussten Verhalten gesehen (12, 13-15). Weiteres Potenzial wird in einer effektiveren Gestaltung von Arztkontakten gesehen (16). Risiken sowie Komplikationen und Folgeerkrankungen können so früher identifiziert und die Therapietreue erhöht werden (17).

Im Rahmen einer von der Abteilung Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Mainz durchgeführten Studie wurden Einstellungen, Akzeptanz und Erfahrungswerte von diabetologisch spezialisierten Ärzt:innen hinsichtlich des Nutzungspotenzials von Gesundheits-Apps für Diagnostik, Therapie und Prävention bei Diabetes mellitus Typ 2 mittels einer Befragung untersucht. Postalisch angeschrieben wurden hierzu sämtliche 291 Allgemeinmediziner:innen sowie Internist:innen der diabetologischen Schwerpunktpraxen in Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen und dem Saarland. Letztlich teilgenommen haben 88 Ärzt:innen.

Ärzt:innen sprechen über Diabetes-Apps und machen Empfehlungen

49% der Befragten sehen Gesundheits-Apps positiv, während 26% eher skeptisch sind (25% unentschieden). Dabei begegnen Ärzt:innen in urbanen Ballungsräumen solchen mHealth-Tools deutlich aufgeschlossener als Landärzt:innen.

51% der Diabetolog:innen geben an, häufig oder gelegentlich von den eigenen Patient:innen auf Gesundheits-Apps zur Prävention und/oder Therapie von Diabetes mellitus Typ 2 angesprochen zu werden. 44% der Ärzt:innen sprechen Patient:innen häufig oder gelegentlich von sich aus auf Apps zur Prävention und/oder Therapie des Typ-2-Diabetes an. Jede/r Zweite gibt an, den Patient:innen häufiger oder ab und zu konkrete Apps zum Diabetes-Management oder zur Vorsorge zu empfehlen. Häufig genannt wurden Programme wie mySugr App, FreeStyle Libre App oder Dexcom G6 App.

Wenn es darum geht, bestimmte Apps für eine Empfehlung auszuwählen, geben die entsprechenden Ärzt:innen an, dass für sie – jenseits einer nachgewiesenen Wirksamkeit – besonders die Kriterien ‚leichte Bedienbarkeit‘, ‚leichte Integration in den Alltag‘, ‚Beachtung des Datenschutzes‘ sowie ‚Motivationsförderlichkeit/Gamification‘ wichtig sind.

Unter den Ärzt:innen, die Apps empfehlen, informiert sich eine Mehrheit auf den Seiten der deutschen Diabetesgesellschaft (71%) über mHealth-Anwendungen, gefolgt von Portalen wie z.B. HealthOn oder die Plattform Zentrum der Telemedizin im Gesundheitswesen (ZTG).

31% der Befragten geben an, Patient:innen zu haben, die ihre über Gesundheits-Apps erhobenen Gesundheitsdaten (z. B. Blutzuckertagebuch) gelegentlich in digitaler Form an die Praxis schicken. Viele oder einige solcher Patienten, die auf digitalem Weg ihre Gesundheitsdaten mit der Praxis austauschen, finden sich häufiger in urbanen Praxen.

Gefragt nach dem Beitrag, den Gesundheits-Apps in Bezug auf Prävention, Diagnostik und Therapie bei Patient:innen mit Diabetes mellitus Typ 2 leisten können, geht die Mehrheit der Befragten (55%) von einem sehr oder eher großen Beitrag aus (43% eher gering). Eine Nachfrage zeigt, dass der Nutzen in einzelnen Anwendungsfeldern deutlich über den Kreis derjenigen Ärzt:innen hinausgeht, die Gesundheits-Apps in den vorangegangen Fragen positiv bewertet haben. 89% halten es für sehr oder eher sinnvoll, wenn Gesundheits-Apps zu Zwecken der Prävention (z.B. zur Selbstkontrolle von Risikofaktoren) eingesetzt werden. 85% halten es für sinnvoll, wenn Apps zur Einhaltung eines gesundheitsförderlichen Lebensstils (z.B. körperliche Aktivität, Ernährung) genutzt werden. 84% begrüßen es, wenn Apps beim Gesundheitsmanagement von Typ-2-Diabetes-Patient:innen helfen (z.B. Erinnerung an Einnahme von Medikamenten oder an Impf- und Vorsorgetermine). 68% sind der Ansicht, dass Monitoring und Therapie von chronischen Erkrankungen ein sinnvoller Einsatzbereich ist. Wie eine Itembatterie zeigt, bringen die Befragten die Anwendung von Gesundheits-Apps bei der Versorgung von Typ-2-Diabetes-Patient:innen sowohl mit Chancen als auch mit Risiken in Verbindung. So betrachtet eine Mehrheit die Stärkung der Motivation von Patient:innen zu gesundheitsförderlichen Handlungsweisen als besonders positiv. Jedoch bestehen auch Sorgen, dass eine Anwendung von Apps zu kompliziert sein und daher zu Folgeproblematiken führen könnte. Eine Mehrheit zeigt sich unzufrieden mit dem zurzeit von den meisten Apps gebotenen Datenschutz.

Nach allgemeiner Eischätzung der Befragten setzen die eigenen Patient:innen mit Typ-2-Diabetes Gesundheits-Apps am ehesten zu Präventionszwecken (80%) und zur Einhaltung eines gesundheitsförderlichen Lebensstils (77%) ein, gefolgt von Monitoring- und therapeutischen Funktionen (z.B. Dokumentation von Verlaufsparametern; 57%) sowie Erinnerungsfunktionen (49%).

Gefragt nach dem Beitrag, den Gesundheits-Apps zur schnelleren Erkennung bzw. Diagnostik leisten können, sehen die Befragten das Potenzial, mithilfe von solchen Tools eine Erkrankung in ihrem Schwerpunktspektrum schneller zu erkennen. Eine Nachfrage zeigt, dass der Großteil der Befragten ihrer Erfahrung nach eine Hypoglykämie rascher und effektiver durch den Einsatz von Apps aufdecken konnte (64%). 32% sehen aus ihrer Erfahrung durch den App-Einsatz eine frühzeitigere Erkennung des metabolischen Syndroms, 18% ein hyperosmolares Koma und jeweils 16% diabetisches Fußsyndrom bzw. diabetische Neuropathie.

Die Befragte berichten von verschiedenen positiven Effekten für den Gesundheitszustand ihrer Patient:innen, die mit einem funktionierenden App-Einsatz in Verbindung bringen. Neben der Steigerung der Compliance wird als Ergebnis der App-Nutzung eine Verringerung von Komplikationen wie z.B. Hypoglykämien geschildert, ebenfalls eine Gewichtsreduktion (z.B. BMI, Bauchumfang, Taillenumfang).

App-Einsatz hat seine Tücken

Eher zurückhaltend schätzen die meisten Befragten ihr eigenes Wissen bzw. ihre Kompetenz ein, wenn es darum geht, das Angebot an verfügbaren Gesundheits-Apps zur Prävention und/oder Therapie von Diabetes mellitus Typ 2 zu überblicken. Demgegenüber schätzen deutlich mehr Ärzt:innen ihren Kenntnisstand als eher gut ein, wenn es darum geht, gute von schlechten Gesundheits-Apps zur Prävention und/oder Therapie von Diabetes mellitus Typ 2 zu unterscheiden.

Um Gesundheits-Apps für das Anwendungsfeld Diabetes mellitus Typ 2 attraktiver zu machen, wünscht sich die deutliche Mehrheit der Befragten eine Definition und Durchsetzung verbindlicher Datenschutz- und Qualitätsstandards. Ebenfalls eine Mehrheit regt eine verpflichtende Zertifizierung neuer Apps an. Zudem wird die Honorierung von ärztlichen Leistungen aufgeworfen, die im Zusammenhang mit Gesundheits-Apps erbracht werden (z.B. spezielle Beratungsziffer). Ferner wird die Klärung rechtlicher Fragestellungen bei der Implementierung von Apps in die Versorgung gefordert.

Unter der Voraussetzung, dass die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) gezielt auf die Verwendung von Gesundheits-Apps zur Prävention, Monitoring und Therapie des Typ-2-Diabetes eingeht, wären 76% der Ärzt:innen dazu bereit, solche Anwendungen längerfristig deutlich oder etwas stärker als bislang in ihrer Patientenversorgung einzusetzen.

Chancen auf eine optimierte Versorgung durch Apps

Die große Zahl an Verbrau-cher:innen, die Gesundheits-Apps nutzen, bietet Ärzt:innen mit diabetologischem Schwerpunkt neue Möglichkeiten im Hinblick auf die Versorgung ihrer Patient:innen. Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass die Mehrheit der einbezogenen Ärzt:innen gegenüber Apps im betrachteten Anwendungsfeld grundsätzlich aufgeschlossen ist und bereits positive Erfahrungen gemacht
hat.

Für die Befragten können Apps die Compliance, das Empowerment und die Motivation zu einem gesundheitsbewussten Verhalten effektiv stärken. Der Einsatz von Gesundheits-Apps in der Prävention, zu Erinnerungszwecken oder zur Einhaltung eines gesundheitsförderlichen Lebensstils sind Potenziale, die den Befragten bewusst sind. Zudem konnte ein schnelleres Aufdecken von akuten Komplikationen und Begleiterkrankungen sowie positive Effekte in der Therapie durch den Einsatz von Gesundheits-Apps beobachtet werden.

Dennoch hat ein beträchtlicher Teil der befragten Diabetolog:innen Bedenken, solche mHealth-Programme in ganzer Breite einzusetzen. Dies hängt u.a. damit zusammen, dass die Sicherheit und Anwendungsfreundlichkeit nicht immer antizipierbar ist und Evidenznachweise häufig fehlen. Unsicherheiten, inwiefern eine App qualitativ hochwertig ist und den Datenschutz wahrt, kommen neben einem schwer zu überblickenden, schnelllebigen App-Markt als Herausforderungen hinzu.

Bereits in der CHARISMA-Metastudie wurden verschiedene Maßnahmen zur Optimierung von Gesundheits-Apps zusammengetragen (12). Dazu zählen u.a. die Orientierung von App-Herstellern an Qualitätskriterien, allgemeine Qualitätskontrollen sowie die Etablierung klarer Kriterien zur Zweckbestimmung von Apps. Durch die von der Bundesregierung geschaffene Möglichkeit, Gesundheits-Apps unter bestimmten Voraussetzungen als verordnungsfähiges Medizinprodukt einzustufen, könnte sich das Erreichen von Qualitätsstandards für Hersteller zukünftig anspruchsvoller gestalten. Dies könnte zu einer positiven Umgestaltung des App-Marktes führen, die eine Orientierung für Ärzt:innen deutlich vereinfacht (18). Überdies sollten rechtliche Fragestellungen, die mit einem konsequenten App-Einsatz im Praxisalltag einhergehen, geklärt werden. Auch verstärkte Schulungen für Ärzt:innen, die über Chancen und Risiken des App-Einsatzes aufklären, sollte nachgedacht werden.

Erst wenn vonseiten diabetologischer Ärzt:innen ein ausgeprägtes Zutrauen in die breite Verwendung von Apps im Versorgungskontext besteht, werden Gesundheits-Apps ihre zweifellos vorhandenen positiven Potenziale hinsichtlich der Unterstützung von Typ-2-Diabetes-Patient:innen voll entfalten können.

Literatur über die Redaktion.


Autoren:
Dr. Julian Wangler (Foto)
Prof. Dr. Michael Jansky
Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie, Unviversitätsmedizin Mainz, Am Pulverturm 13, 55131 Mainz
Telefon +49 (0) 6131 17-8712


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (6) Seite 36-39