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Dr. Bernd Liesenfeld
Chefredakteur

Wir müssen umdenken. Jahrelang fahndeten wir minuziös nach Folgeerkrankungen und vergaßen dabei den wichtigsten Organschaden in der Entstehung des Diabetes mellitus Typ 2: die sogenannte nichtalkoholische Fettleber (NAFLD). 70 % unserer Typ-2-Patienten haben eine solche Leberschädigung, die entgegen der Namensgebung sehr wohl mit dem Konsum von Alkohol eng zusammenhängt. Daher wurde in diesem Jahr aus Gründen der besseren Bescheibung und geringeren Stigmatisierung diese Entität in MAFLD (Metabolische Fettlebererkrankung) umbenannt.

Die Leber spielt die zentrale Rolle im Gleichgewicht des Glukosehaushalts durch Regelung der Nüchternglukose und durch Speicherung der Glukose als Glykogen nach den Mahlzeiten. Bei einem Überangebot von Kalorien werden diese in den Fettstoffwechsel eingespeist und in vielen Organen abgelagert. Die Transporter der Fette sind die Lipoproteine, welche einen entscheidenden Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen darstellen. Zu hohe Lipidablagerungen in der Leber führen zu einer besonderen Häufung von Hepatitiden, Zirrhosen und Karzinomen. In der Summe führt dies zu einem erheblichen Verlust von Lebensjahren bei den Betroffenen.

Lange Zeit als "Wohlstandskrankheit" verharmlost oder als "selbstverschuldet" etikettiert lernen wir zunehmend mehr über die genetische Prädisposition und die exogenen Trigger der Fettleber. Sind die Depots zur Lipidaufnahme am Limit, kommt es zur Einlagerung in die Organe: die Fettleber entsteht. Die unterschiedliche Kapazität des Unterhautfettgewebes zur Speicherung von überschüssigen Kalorien erklärt unter anderem, wieso Asiaten bereits ab einem BMI von 25 einen Diabetes entwickeln, Kaukasier aber oft erst ab 30 kg/m2. In nördlichen Ländern war wahrscheinlich die Kälte der Grund für das entwicklungsgeschichtlich günstige "dickere Fell".

In der Folge der Leberverfettung wirkt das körpereigene Insulin nicht mehr ausreichend: die Insulinresistenz entsteht. Dies führt dann zu erhöhten Insulinspiegeln, zunehmender Fetteinlagerung in Leber und Pankreas, sowie zu einer Störung der Betazellfunktion. Der Teufelskreis beginnt.

Die beeindruckenden Effekte einer hypokalorischen, ketogenen Kost in der DIRECT-Studie mit der bereits innerhalb von Tagen nachweisbaren Mobilisierung von Leberfett und der annähernden Normalisierung von Insulinsekretionsprofilen weist auf die zentrale Position dieses Organs in der Entstehung und Behandlung des Diabetes Typ 2 hin. Mit den GLP-Agonisten stehen potente Medikamente zur medikamentösen Leberentfettung zur Verfügung, die das bislang doch sehr limitierte Armentarium (Vitamin E, Pioglitazon) ergänzen.

Jeder Mensch mit Diabetes kann jährlich mit einfachsten Mitteln (FIB-4-Score) im Rahmen der DMP-Untersuchungen gescreent werden. Hierzu benötigen Sie lediglich drei Laborwerte (GOT/GPT, Thrombozytenzahl) und das Alter des Patienten. Sollte der Score deutlich erhöht sein, so wird der Patient zur Bestimmung einer speziellen Ultraschalluntersuchung (Elastographie) überwiesen, um eine Verhärtung (Fibrose/Zirrhose) auszuschliessen.

Eine kürzlich publizierte Studie einer diabetologischen Klinikambulanz ergab bei 38 % (!) der mit MAFLD vorgestellten Patienten bereits eine fortgeschrittene Fibrose nach Biopsie der Leber (Castera, Diabetes Care, 2023). Das individuelle Risiko kardiovaskulärer und tumoröser Erkrankungen steigt damit erheblich an. Die meisten dieser Menschen hatten keinerlei
Symptome, viele normale Leberwerte.

Konsequenz? Liegt eine fortgeschrittene Leberfibrose vor, wird der Patient in ein jährliches Screeningprogramm zur Früherkennung eines hepatozelluären Karzinomes eingeschleust, der Hepatitis-B-Impfstatus überprüft, vom Alkoholkonsum abgeraten und ein vorzugsweise lipophiles Statin zur Progressionshemmung gegeben, um die Leber gut zu "durchtränken".

Die Annahme, daß nur erhöhte Leberwerte eine fortgeschrittene Erkrankung anzeigen können, hat sich als falsch und gefährlich erwiesen. Umgekehrt sollten Statine bei nachgewiesener Fettleber mit erhöhten Leberwerten nicht abgesetzt, sondern gerade deshalb weitergegeben werden. Die Diabetestherapie sollte bevorzugt die Leberentfettung zum Ziel haben und das vorhandene Arsenal ausschöpfen.

Es ist an der Zeit zu sehen, was wir lange ignoriert haben: die Fettleber muss als echte Komplikation des Diabetes Typ 2 anerkannt und behandelt werden.


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (12) Seite 5