Bei der Behandlung einer DNOAP, der diabetischen Neuroosteoarthropathie, sind unterschiedliche Hilfsmittel erforderlich. Im Mittelpunkt der orthopädietechnischen Unterstützung steht die konsequente Entlastung und Ruhigstellung des Charcot-Fußes. Wie man das am besten erreichen kann, weiß Dr. Joachim Kersken.

Die diabetische Neuroosteoarthropathie (DNOAP, Charcot-Fuß) tritt auf bei Menschen mit einem Langzeit-Diabetes und klinischer relevanter sensomotorischer Polyneuropathie. Typische Beschwerden sind: überwiegend keine Schmerzen, gelegentlich (minimales) Trauma erinnerlich, häufig jedoch nicht, Schwellung, Überwärmung des Fußes als Ausdruck eines nichtbakteriellen Entzündungsprozesses in der betroffenen Fußregion (insbesondere im Seitenvergleich) wie auch eine neu aufgetretene Fußverformung. Viele Menschen mit dieser diabetesassoziierten Folgeerkrankung am Fuß sind (deutlich) übergewichtig. Gelegentlich führt eine durch die Fußverformung hervorgerufene Wunde (Ulcus) zur ersten Arztvorstellung.

Diese Patienten sollten so früh wie möglich mit dieser Krankheitsentität diagnostiziert und behandelt werden. Das kann, frühzeitig interveniert, Wunden und progrediente Fußdeformitäten und Instabilitäten verhindern. Die Behandlung gründet sich überwiegend auf konsequente Entlastung und Ruhigstellung der betroffenen Fußregion (häufig Mittelfuß, aber auch Rückfuß/Sprunggelenk und Vorfuß können betroffen sein). Nach Abklingen der akuten Phase ist in der Regel eine stabilisierende und rezidivreduzierende orthopädische Maß-Schuhversorgung indiziert.

Akutversorgung

Zur (Akut)-Versorgung einer DNAOP stehen – auch zur Aufrechterhaltung einer Mobilität – folgende Hilfsmittel zur Verfügung:

  1. Total contact cast (tcc)
  2. Konfektionsorthese (hierzu zählt das unten vorgestellte Hilfsmittel, Abb. 3 und Abb. 4)
  3. Einschalen-Rahmen oder Zweischalenorthese (individuell angefertigt)

Kommentare zu den drei Optionen:

Ad 1: wird grundsätzlich (z.B. vom Medizinischen Dienst) als sogenannter Goldstandard bezeichnet, nur: findet in Deutschland kaum Anwendung, da kaum bzw. gar nicht honoriert. Erfordert viel Anwendererfahrung, kann bei vorhandenen Strukturen sofort und in der Regel innerhalb einer Stunde angefertigt werden; deutliche Fußdeformierungen und Achsab-weichungen sind in der Regel gut aufzufangen; zeitwendig; preiswert; kann bei korrekter Anwendung den Fuß/das OSG ausreichend ruhigstellen und entlasten. Wird getragen! Nach Abschwellung und oft wenigen Tagen ist gelegentlich eine Neuanfertigung erforderlich. Hier sind dringend Kurse und Lernangebote für interessierte Ärztinnen/Ärzte sowie WundassistentInnen in den Fußbehandlungseinrichtungen erforderlich. Es ist sicher nicht korrekt einen geschalten total contact cast als eine Zweischalenorthese anzusehen und abzurechnen.

Ad 2: in der Regel schnell verfügbar (innerhalb weniger Tage), meist sicher und ausreichend wirksam in der Regel bis zu einem Körpergewicht von etwa 100 kg, unterschiedliche Produkte zeigen eine unterschiedliche Anwenderfreundlichkeit, einige sind eher kompliziert anzulegen, Problem: Verschmutzung des Polstermaterial insbesondere bei Wunden mit bakterieller Kontamination, einige sind zeitaufwendig und fehleranfällig in der Anlage (wie kein Unterdruck, wo dieser elementar in der Stabilisierung ist), einige bieten die Option zur Einbringung einer angepassten Bettung, Cave: ungeeignet bei deutlichen Fußdeformierungen/Achsabweichungen und Gefahr lateraler Druckschädigungen bei harten Kunststoffkanten.

Ad 3: individuelle Anfertigung nach Abdruck und Vorgabe des vorhandenen Charcot-Fußes, in der Regel leicht und sicher anzulegen, insbesondere bei der Zweischalenorthese können Volumenschwankungen gut aufgefangen werden. Erfahrener Orthopädietechniker benötigt einige Tage zur Anfertigung und Auslieferung, nicht überall verfügbar, kann Fußdeformierungen und Achsabweichungen gut spiegeln und den Fuß stabilisieren, keine Grenze beim Körpergewicht. (Abb. 1 und Abb. 2)

Hier ist die Ärztin/der Arzt auf dem Boden der Erfahrung und in Kenntnis der Patientensituation gefordert ein geeignetes und ausreichendes Hilfsmittel auszuwählen und auch die Möglichkeit zu haben, einen total contact cast oder eine individuelle Maß-Orthese anzuwenden.

Der Autor hat sich nun vor dem Hintergrund langjähriger Erfahrung mit unterschiedlichen, konfektionierten und individuellen Unterschenkelorthesen mit dem unten dargestellten Hilfsmittel beschäftigt, die von der Firma vorgelegte Studie durchgesehen und Nachfragen beim deutschen Vertrieb gestellt.

Anfragen aus Reihen der Mitglieder an die AG Fuß in der DDG berichten, dass Kostenträger zur Versorgung eines Charcot-Fußes (diabetische Neuroosteoarthropathie) im akuten Stadium eine Verordnung einer individuell angefertigten Ein- oder Zwei-Schalenorthese nicht genehmigen, sondern ausschließlich konfektionierte Hilfsmittel oder den nicht honorierten und nicht überall verfügbaren total contact cast empfehlen.

Konkret wurde von einer Krankenkasse die hier besprochene Konfektionsorthese als zu verordnendes Hilfsmittel vorgeschlagen. Da diese dem Autor bislang unbekannt war, hat er sich intensiver mit dieser beschäftigt (erfahrungsbasierte Stellungnahme).

Beispiel einer konfektionierten Unterschenkel-Orthese

Ein Kostenträger (GKV) empfiehlt auf Anraten des MD (Medizinischer Dienst) die Verordnung und den Einsatz des "Charcot Conformer Boot" bei akuter DNOAP (Abb. 3 und Abb. 4).

Im Selbstversuch war die korrekte Anwendung nicht ohne Probleme: zeitaufwendig, umständlich, unsicher, es waren viele unterschiedliche Einzelteile. Sohle, seitliche Metallstangen, Schaumstoffpolster, zwei aufblasbare Luftkammern, vier Befestigungsbandagen, zwei lose Plastikverstärkungen. Nach telefonischer Auskunft der Firma gibt es hiermit langjährige Erfahrung aus den USA und Deutschland. 6 verschiedene Größen werden in Deutschland angeboten. Es besteht eine Reinigungsmöglichkeit der Schaumstoffpolsterung. Unklar bleibt das Vorgehen bei einer bakteriellen Kontamination, z.B. bei Wunden.

Respekt, wer diese konfektionierte Orthese, auch nach Instruktion und Training, problemlos anzieht. Aber möglich ist das durchaus.

Aus klinischer Erfahrung wird die Anwendung dieser Orthese viele Patienten, auch bei korrekter Indikation, überfordern und somit zu Nichtanwendung führen. Einige wenige könnten damit zurechtkommen. Diese konfektionierte Orthese ist im Vergleich zu zwei anderen, gebräuchlichen Konfektionsorthesen (Darco und Ossur) deutlich schwerer (etwa 1900 g zu 930 bzw 1500 g), wenn auch nicht unbedingt stabiler.

In der vom Hersteller zur Verfügung gestellten, einzig vorliegenden Studie aus dem Jahr 2003 (Pollo et al, Foot and ankle international, January 2003) wird bei 18 gesunden Probanden, vermutlich ohne PNP und ohne relevantes Übergewicht, im Mittel- und Vorfußberech im Vergleich zum tcc gering der plantare Druck reduziert. Eine Aussage zur Versorgung bei akuter DNOAP wird in dieser Arbeit nicht gegeben.

Diese konfektionierte Unterschenkelorthese reiht sich ein in eine Gruppe anderer Orthesen mit vergleichbaren Vor- und Nachteilen ein, ohne eindeutig von einer Version ab- oder zuraten zu können. Ohne wesentliche Patientenmobilität, ohne relevante Fußdeformierung, mit einem eher geringen Körpergewicht und vorhandener Anwendergeschicklichkeit (kann sich selber Schnürschuhe anziehen) können Konfektionsorthesen durchaus eine Option bei akuter DNOAP sein. Die Preisgestaltung im Segment der konfektionierten ist kaum zu vergleichen, kassenabhängig, verordnungsdauerabhängig – aber immer deutlich niedriger als Maß-Orthesen.

Medizinische Kriterien zur Verordnung und Auswahl einer Orthese bei DNOAP:

  1. Einfach anzulegen
  2. Überall und zeitnah verfügbar
  3. Erreicht was beabsichtigt ist
  4. Sicher (keine/wenig Kollateralschäden)
  5. Preiswert

Kurzerläuterungen zu den fünf Punkten

Ad 1: wenig Verschlüsse/Schnallen und dennoch fester und sicherer Sitz, ausreichend festes Material, waschbar (oft Wunden!), sichere und wirksame Möglichkeit zur Desinfektion des gesamten Materials, unterschiedliche Befestigungssysteme erleichtern Fehler, wie etwa parallel Schnallen, Klettverschlüsse, Vakuumkammern

Ad 2: trifft in der Regel für Konfektionsorthesen zu, der total contact cast (tcc) ist nicht überall verfügbar und erfordert sehr viel Anwendererfahrung (wie auch individuell angefertigte Orthesen)

Ad 3: bei Anwendung ausreichende und umfassende Ruhigstellung und Entlastung; zu (über)prüfen im Verlauf und durch Rückbildung der Aktivitätszeichen der DNOAP über Wochen und Monate (Temperatur, Schwellung, Wunde, Deformierung, Aktivitätszeichen im MRT), kann bestehende Deformierung und Achsabweichungen des Fußes ausreichend stabil auffangen und abstützen ohne neue Druckläsionen zu verursachen. Konfektionierte Orthesen sollten nur ohne relevante Achsabweichung, ohne relevante Fußdeformierung und nur bis zu einem Körpergewicht von etwa 100 kg eingesetzt werden.

Ad 4: je komplizierter umso mehr Fehler(möglichkeiten), cave: ortheseninduzierte Druckstellen am Fuß

Ad 5: je konfektionierter umso preiswerter; ein sehr effektives Hilfsmittel (und vom Autor über Jahre eingesetztes Hilfsmittel) wie der total contact cast wird, abgesehen von wenigen Ausnahmen, ambulant nicht bezahlt und ist stationär im DRG-System inkludiert – das führt zu weitgehender Nichtanwendung und fehlender Anwendererfahrung.

Wichtig: Ein ungeeignetes Hilfsmittel mit einem günstigen Preis darf nicht gegenüber einem ausreichenden bzw. geeigneten, jedoch teurem Hilfsmittel bevorzugt werden. Ein Hilfsmittel, welches der Patient nicht korrekt anwenden kann, ist kein Hilfsmittel in dieser Situation, bzw der Patient wird es nicht anwenden.

Aus dem Spektrum der vorhandenen und oben dargestellten Optionen zur Entlastung und Ruhigstellung muss ein/eine in dieser Versorgung erfahrene Arzt/Ärztin eine individuelle und medizinisch fundierte Auswahl (entsprechend SGB V) treffen können. Die Auswahl hat neben der korrekten medizinischen Indikation und Berücksichtigung der individuellen Patientensituation immer auch die Kosten zu berücksichtigen. Jedoch: so lange für den tcc keine Honorierung gegeben ist, wird dieser auch kaum eine Anwendung finden und ist eine Einstufung als Goldstandard sehr fragwürdig.

Eine Versorgung mit orthopädietechnischen Hilfsmitteln (wie bei der akuten DNOAP) sollte in der Regel in speziell erfahrenen ambulanten wie stationären Fußbehandlungseinrichtungen oder durch spezialisierte Orthopäden erfolgen. Wünschenswert und anzustreben sind medizinisch fundierte Abstimmungen zur Verordnung dieser in der Frequenz eher niedrigen, im Kostenfaktor jedoch erheblichen Hilfsmittel zwischen der AG Fuß in der DDG und dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen.


Autor:
Dr. Joachim Kersken
Rheine, Arzt für Innere Medizin/Diabetologie
Zentrum für Kardiologie und Diabetologie/Fußbehandlungseinrichtung DDG
48268 Greven
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (3) Seite 40-43