Zusammenfassung
Hintergrund: Das diabetische Fußsyndrom (DFS) ist eine der schwerwiegendsten Folgekomplikationen des Diabetes mellitus. Es wird derzeit mit einer guten Blutzuckereinstellung, Schmerzmitteln, Antibiotika sowie medikamentösen und chirurgischen Maßnahmen behandelt. In späten Stadien ist häufig eine Fußamputation die einzige Möglichkeit, das Leben des Patienten zu retten.Fallbericht: Eine 56-jährige Frau, seit mehr als 40 Jahren Typ-1-Diabetes, litt an einem diabetischen Fußsyndrom mit vollständigem Verschluss der Arteria fibularis und einem nicht heilenden Fußgeschwür am linken Bein. Die Notwendigkeit einer Amputation des unteren Sprunggelenks war bereits festgestellt worden. Wir versuchten, die Gefäßsituation durch eine Reihe von intravenösen Hyaluronidase-Infusionen über einen Zeitraum von drei Wochen zu verbessern. Das Ulkus heilte innerhalb von 8 Wochen vollständig ab. Ein Angiogramm sechs Monate später bestätigte: Wiedereröffnung des zuvor verschlossenen Gefäßes sowie ein zusätzlicher kollateraler Blutfluss in den linken Fuß.
Diskussion: Die beobachtete positive Wirkung lässt sich durch die molekulare Wirkung des Enzyms auf die Glykokalix erklären. Über eine erfolgreiche Behandlung von DFS mit Hyaluronidase-Infusionen wurde bereits vor 50 Jahren berichtet, aber die Forschung zu diesem Thema wurde eingestellt, als Stents und andere scheinbar überzeugendere Methoden zur Gefäßbehandlung entdeckt wurden.
Schlussfolgerungen: Klinische Studien sind erforderlich, um den Wert von Hyaluronidase-Infusionen als Behandlungsalternative zur Amputation bei DFS zu bestätigen. Schlüsselwörter
Diabetisches Fußsyndrom, Hyaluronidase
Case report: Successful treatment of a diabetic foot syndrome with hyaluronidase infusion therapy
Summary
Background: Diabetic foot syndrome (DFS) is one of the most severe secondary complications of diabetes mellitus. It is currently treated with improvement and maintenance of good glycemic control, pain drugs, antibiotics, and drugs and surgical measures. In late stages, foot amputation is the only means to safe the patient’s life.
Case Report: A 56 year old woman with type 1 diabetes for more than 40 years, suffered from diabetic foot syndrome with complete closure of the arteria fibularis and a non-healing foot ulcer at the left leg. The need for lower ankle amputation was already determined. We tried to improve the vascular situation by means of a series of intravenous hyaluronidase infusions over a period of three weeks. The ulcer healed completely within 8 weeks. Angiogram six months later: re-opening of the previously closed vessel as well as further additional collateral blood-flow into the left foot.
Discussion: The observed beneficial impact of intravenous hyaluronidase treatment on atherosclerotic lesions can be explained by the molecular action of the enzyme on the glycocalix. Successful treatment of DFS with hyaluronidase infusions has been reported already 50 years ago but research on this topic ceased, when stents and other apparently more compelling vascular treatment methods were detected.
Conclusions: Clinical studies are required to confirm the value of hyaluronidase infusions as treatment alternative to amputation for DFS. Keywords
Diabetic foot syndrome, hyaluronidase
Diabetische Fußgeschwüre sind die häufigste Vorstufe von Amputationen und eine wichtige Ursache für Morbidität und Mortalität bei Patienten mit Diabetes (PmD) [Reiber 2001, Jeffcoate 2003]. Ein großer Teil der Gesundheitskosten im Zusammenhang mit der Diabetesbehandlung wird für Krankenhausaufenthalte im Zusammenhang mit dem diabetischen Fußsyndrom (DFS) aufgewendet [Newrick 2000]. Die Pathophysiologie des DFS umfasst vaskulopathische und neuropathische Komplikationen des Diabetes [Young 2003]. In der Literatur wird von einer Prävalenz von 3 bis 30 % bei PmD berichtet [Borssén 1990]. Zwischen 10 % und 30 % der Patienten mit DFS entwickeln Ulzera, was das Amputationsrisiko um das 8- bis 23-fache erhöht und die Sterblichkeit erheblich steigert [Boulton 2005, Apelqvist 2008, Schaper 2020]. Auch heute noch geht alle 20-30 Sekunden irgendwo auf der Welt eine untere Gliedmaße aufgrund von Diabetes verloren [Formosa 2016, Bus 2020].
Die Pathophysiologie des DFS beruht auf mehreren ätiologischen Faktoren: periphere Neuropathie, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Infektion und Trauma, z. B. verursacht durch das Tragen ungeeigneter Schuhe [Rubitschung 2021]. Neben der peripheren Neuropathie ist die periphere Arterienerkrankung ein weiterer wichtiger Risikofaktor für das diabetische Fußsyndrom. Eine periphere Arterienerkrankung führt zu einer gestörten Wundheilung und kann insbesondere in Kombination mit lokalen Infektionen eine Amputation der unteren Extremitäten erforderlich machen. Liegen beide Grundstörungen vor, kann schon ein kleines Trauma, z. B. durch ungeeignete Schuhe oder eine akute Verletzung, zu einem chronischen Geschwür führen [Bus 2020, Rubitschung 2021]. Die unter solchen Bedingungen beobachteten Fußgeschwüre können unterschiedliche Schweregrade aufweisen und eine beachtliche Größe und Tiefe erreichen [Rubitschung 2021, Santosa 2022, Won 2016, Kalinchenko 2009].
Die Behandlung des DFS umfasst Bemühungen zur Verbesserung und Aufrechterhaltung einer guten Blutzuckereinstellung [Hasan 2016] sowie klinische und chirurgische Maßnahmen, um eine Revaskularisierung zu erreichen [Hasan 2016, Ruemenapf 2022]. Wenn dies nicht möglich ist, werden Gen- und Stammzelltherapie, hyperbarer Sauerstoff, Sympathektomie, Rückenmarkstimulation, Prostanoide und andere Maßnahmen empfohlen. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass eine angemessene Wundversorgung und eine strikte Entlastung die einzige wirksame Erhaltungstherapie darstellt und dass häufig eine rechtzeitige Amputation erforderlich ist, um die Mobilisierung zu beschleunigen und die Lebensqualität zu verbessern [Ruemenapf 2022]. Eine Fußamputation ist jedoch ein einschneidendes Ereignis und hat erhebliche Auswirkungen auf das Leben der betroffenen Patienten.
Es könnte sich daher lohnen, andere Interventionen zu untersuchen, die das Potenzial haben, die Pathophysiologie von Atherosklerose und DSF positiv zu beeinflussen. Es wurde berichtet, dass die Schädigung der Glykokalix ein wichtiger pathologischer Schritt bei einer Vielzahl von klinischen Erkrankungen ist, darunter diabetische Komplikationen, Sepsis, Präeklampsie und Atherosklerose [Butler 2020]. Veränderungen der endothelialen Glykokalix (Verringerung der Dicke und der Oberflächenbedeckung) gehören zu den am frühesten nachweisbaren Gefäßveränderungen bei Diabetes mellitus [Desideri 2018]. Es darf daher spekuliert werden, dass eine Remodulation und Erneuerung der Glykokalix durch Hyaluronidase, die zu einer verbesserten Funktionalität der Hyaluronschicht führt, eine potenziell wirksame Behandlungsalternative darstellen könnte [Cabrales 2007, Wheeler 2010]. In Tierversuchen führte die Exposition von atherosklerotischem Gewebe mit Plaqueläsionen gegenüber bakterieller Hyaluronidase zu einem schnellen und wirksamen Abbau der Plaques [Ozegowski 2008]. In experimentellen Studien und anekdotischen klinischen Fällen wurde nachgewiesen, dass atherosklerotische Plaques durch die i.v. Verabreichung hoher Dosen von Hyaluronidase bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit und/oder arterieller Verschlusskrankheit reduziert oder sogar entfernt werden können, mit konsekutiver Verbesserung der Gefäßfunktion [Wheeler 2010, Ozegowski 2008, Burgard 2015, Pfützner 2021, Lumb 1960]. Bereits vor über vierzig Jahren wurde die intraarterielle Verabreichung von Hyaluronidase zur wirksamen Behandlung schwerer Fälle des diabetischen Fußsyndroms und zur Vermeidung von Amputationen eingesetzt [Elder 1980]. Die Erfindung von Stents und anderen effektiven chirurgischen Mitteln zur Re-Vaskularisierung könnte jedoch der Grund dafür gewesen sein, dass dieses Thema nicht weiter erforscht wurde.
Hier berichten wir über ein Fallbeispiel, bei der ein DFS durch eine Reihe von intravenösen Infusionen im Rahmen eines experimentellen Heilversuchs mit boviner Hyaluronidase wirksam behandelt werden konnte.
Fallbericht
Eine 56-jährige Patientin (Akademikerin) litt seit über 40 Jahren an Typ-1-Diabetes mellitus. Sie wurde seit ihrer Manifestation intensiv mit Insulin behandelt, aber aus panischer Angst vor Hypoglykämien lagen ihre Blutzuckerwerte schon immer mehrheitlich in einem hyperglykämischen Bereich (HbA1c: 10,9 %). Sie hatte seit mehr als fünf Jahren eine bekannte periphere Neuropathie, und seit mehr als zwei Jahren bestand ein nicht heilendes chronisches Geschwür unterhalb der linken Ferse (Abbildung 1A). Drei Monate vor unserer Intervention wurde in einem Angiogramm ein vollständiger Verschluss der Arteria fibularis festgestellt (Abbildung 2A). Am linken Bein waren keine Fußpulse tastbar, und mit der Laser-Doppler-Fluxmetrie konnte dort auch kein Blutfluss nachgewiesen werden. Aufgrund dieser Befunde wurde die Amputation des linken Unterschenkels als einzige verbleibende Option zur Verbesserung der Prognose der Patientin in Betracht gezogen. Als letzter Ausweg und unterstützt durch frühere (prä)klinische Ergebnisse [Ozegowski 2008, Burgard 2015] wurde versucht, den katastrophalen Zustand durch die intravenöse Anwendung von Hyaluronidase zu verbessern (experimenteller Heilversuch, Off-Label).
Das verwendete Hyaluronidase-Produkt ist in Deutschland seit mehr als zwei Jahrzehnten zugelassen (Hylase-Dessau, Riemser Pharma). Anfänglich gab es eine Zulassung auch zur i.v. Gabe, die aber aus regulatorischen Gründen vom Hersteller nicht mehr erneuert wurde. Wir behandelten die Patientin mit zehn intravenösen Infusionen (jeden zweiten Tag, 15 000 U Hyaluronidase in physiologischer Natriumchloridlösung mittels einer Infusionspumpe innerhalb von 60 Minuten). Diese Dosis ist dreimal so hoch wie die normalerweise empfohlene Menge, um die entzündungshemmende Wirkung zu verstärken. Die Patientin gab ihr ausdrückliches schriftliches Einverständnis zu dieser experimentellen Behandlung. Jede Infusion wurde durch kontinuierliche Puls- und Blutdruckmessung überwacht.
Alle einzelnen Infusionsbehandlungen wurden sehr gut vertragen, und während des gesamten Behandlungszeitraums wurde kein unerwünschtes Ereignis gemeldet. Nach der ersten Infusion berichtete die Patientin über eine allgemeine Verbesserung ihres Wohlbefindens, die während der gesamten nachfolgenden Behandlungsverfahren anhielt. Parallel dazu nahm die Patientin an einer strukturierten Diabetes-Schulung teil.
Es wird davon ausgegangen, dass die Hyaluronidase-Infusionen eine breitere Remodulation der Glykokalix bewirken, die über einen Zeitraum von mehreren Wochen und Monaten anhält und die Patientin wurde daher in der Folgezeit mehrmals wieder einbestellt. Das Ulkus heilte innerhalb der nächsten drei Monate vollständig ab (Abbildung 1B). Im Angiogramm nach 6 Monaten, das von demselben Radiologen durchgeführt wurde, der auch die vorherige Untersuchung vorgenommen hatte, wurde eine Wiedereröffnung der Arteria fibularis festgestellt (Abbildung 2B). Die Fußpulse waren tastbar, und mittels Laser-Doppler-Fluxmetrie wurde ein erheblicher Blutfluss gemessen. Die geplante Amputation wurde abgesagt, und die Patientin konnte ihr normales Leben mit besserer Blutzuckereinstellung (HbA1c nach 6 Monaten 7,5 %) und guter Hoffnung für einen langfristigen Erhalt des Beins fortsetzen (bisheriger Beobachtungszeitraum: 7 Jahre).
Diskussion
Hyaluronan (das Makromolekül der Hyaluronsäure, HA) ist ein großes, nicht sulfatiertes Glykosaminoglykan, das ubiquitär in der extrazellulären Matrix aller Wirbeltiere in hochmolekularer Form vorhanden ist. Bei Entzündungen und Gewebeschäden, z. B. bei Athero-
sklerose, werden überwiegend niedermolekulare Fragmente gebildet, die angiopathogene und entzündungsfördernde Wirkungen entfalten [Jiang 2011, Stern 2006]. Hyaluronan ist ein dynamisches Molekül und hat mit einer Umsatzrate von 5 g/Tag der im Körper vorhandenen 15 g eine hohe Metabolisierungsrate [Kashima 2013]. Der größte Teil des Hyaluronans im Gefäßsystem wird in die endotheliale Glykokalix und die extrazelluläre Matrix des darunter liegenden Gewebes eingebaut [Wheeler 2010, Fraser 1997, Gao 2010, Henry 1999]. Die Zusammensetzung der Glykokalix und der Hyaluronangehalt spielen eine wichtige Rolle für die Durchlässigkeit der Schicht. Bei Ratten erhöht die Behandlung mit Hyaluronidase nachweislich die Permeabilität in den postkapillären Venolen [Gao 2010]. Folglich könnte ein Umbau des HA-Gehalts der Glykokalix zugunsten von Isoformen mit hohem Molekulargewicht und damit auch besserer Funktionalität ein therapeutisches Ziel für die Behandlung von Atherosklerose und des diabetischen Fußsyndroms sein [Wheeler 2010].
Die Behandlung des Gefäßsystems mit intravenöser Hyaluronidase kann bei Patienten mit chronischen Entzündungen des Systems zur raschen Bildung einer neuen und weniger geschädigten Glykokalix führen, die aus hochmolekularem Hyaluronan besteht. Während der Infusionen ermöglicht die erhöhte Permeabilität nach i.v.-Verabreichung auch das Eindringen des Enzyms in die glatte vaskuläre Muskelzellschicht. Die Hyaluronidase-Moleküle können die Plaques erreichen, in denen Hyaluronan auch als einer der Hauptbestandteile des Stützgerüsts der Plaques vorhanden ist [Gouverneur 2006, Evanko 1998, Levesque 1994, Papakonstantinou 1998]. Nach der Spaltung der festen Proteoglykane wird die Plaque möglicherweise flexibler und kann durch existierende Selbstreparaturmechanismen innerhalb der Arterienwand besser erreicht und aufgelöst werden. In Tierversuchen wurde im Vergleich zu Placebo (keine Veränderungen) ein schneller und effektiver Abbau der Plaques beobachtet, nachdem atherosklerotisches Gewebe mit Plaqueläsionen mittels bakterieller Hyaluronidase behandelt wurde [Ozegowski 2008].
Wir und andere haben bei einzelnen Patienten mit koronarer Herzkrankheit und/oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit eine messbare Verringerung von atherosklerotischen Läsionen beobachtet [Burgard 2015, Pfützner 2021, Lumb 1960]. Über positive Auswirkungen einer intravenösen Hyaluronidase-Behandlung auf atherosklerotische Läsionen wurden bereits vor 40-50 Jahren berichtet [Elder 1980, Roberts 1988, Maroko 1972]. Sie lassen sich durch die molekulare Wirkung des Enzyms erklären. Es könnte sich daher lohnen, Hyaluronidase-Infusionen in Kombination mit einer verbesserten Blutzuckereinstellung als Behandlung des diabetischen Fußsyndroms im Spätstadium und als Alternative zur Amputation zu untersuchen.
Schlussfolgerungen
Die intravenöse Behandlung mit Hyaluronidase führte bei einer Patientin mit schwerem diabetischem Fußsyndrom zu einer Re-Vaskularisierung und zum Erhalt des linken Beins. Anstatt sich einer Amputation zu unterziehen, konnte die Patientin das Bein mit einer guten Prognose für die weiteren Jahre behalten. Kontrollierte klinische Studien sind erforderlich, um die kombinierte Wirkung von intravenöser Hyaluronidase und verbesserter Blutzuckereinstellung auf das diabetische Fußsyndrom zu überprüfen und zu bestätigen.
Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2023; 32 (5) Seite 240-244
