Komplex: Eine Diabeteserkrankung stellt sich in der klinischen Praxis meist als komplex dar. Neben der Behandlung der Stoffwechselstörung spielen auch Erkrankungen wie Depressionen oder Essstörungen eine erhebliche Rolle. Wie die psychosoziale Unterstützung im Diabeteszentrum Bad Lauterberg aussieht, lesen Sie hier.
Der Stellenwert psychischer Erkrankungen wie Depressionen und Ängste, Alkoholabhängigkeit und Essstörungen, Belastungen im Zusammenhang mit der Diabetesbewältigung ist hoch. Aber auch sozialrechtlicher Aspekte wie Schwerbehinderung oder der Umgang mit dem Führerschein sind allgemein anerkannte Probleme bei Diabetikern und haben Eingang in die Empfehlungen der Deutschen Diabetesgesellschaft für Behandlung- und Beratungsprozesse gefunden. Die Behandlungsleitlinie Diabetes und Soziales stellt auf Basis wissenschaftlicher Studien und Expert:innen-Konsens wichtige Bereiche mit entsprechenden Behandlungsempfehlungen dar: Patientenschulung, Psychische Erkrankungen und Diabetes mellitus sowie psychische Faktoren und Verhaltenseinflüsse bei Diabetes mellitus.
Gemäß dieser und weiterer Leitlinien erhalten stationäre Patient:innen im Diabeteszentrum Bad Lauterberg ein passendes Behandlungsangebot, bei dem die Vielzahl psychosozialer Anliegen und Probleme berücksichtigt wird. Die Erfassung dieser Aspekte ist bei allen Patient::innen obligatorisch. Schon im Vorfeld der stationären Aufnahme (z.B. Krankenhauseinweisung, Formular zu den Gründen der stationären Einweisung) und in den ärztlichen und pflegerischen Anamnesen werden Informationen dazu erhoben, um den Patient::innen ein komplexes und individuelles Behandlungsangebot anbieten zu können.
Wie die psychologische Unterstützung im Einzelfall aussieht, hängt von den jeweils individuellen Gegebenheiten ab: Besteht der Wunsch/die Bereitschaft zu einer Unterstützung? Wie ausgeprägt sind der Schweregrad der Problematik und der Leidensdruck? An welche Ressourcen lässt sich anknüpfen? Welche Ziele sind im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes erreichbar?
Psychologische Unterstützungsanlässe während des Aufenthaltes
Um die Bedeutung und Vielfalt psychosozialer Aspekte in der stationären Therapie von Diabetikern konkreter zu veranschaulichen, wurde die Dokumentation der Behandlung von Patient::innen untersucht, welche während eines Beobachtungszeitraums von vier Wochen im Jahr 2022 psychologisch im Diabeteszentrum Bad Lauterberg betreut wurden.
Insgesamt 41 Patient::innen nahmen während des Zeitraums das Angebot psychologischer Einzelgespräche wahr, was ungefähr einem Viertel aller stationären Patient::innen entsprach. Bewältigung des Diabetes und/oder weiterer gesundheitlicher Einschränkungen war bei 15 Patient::innen (36 %) maßgebliches Thema für die psychologische Unterstützung. Bei neun Patient::innen (21 %) stand entweder eine bereits diagnostizierte psychischen Erkrankung im Vordergrund oder es gab deutliche Hinweise auf das Vorliegen einer solchen Problematik. Die Gespräche bei zehn Patient::innen (24 %) beschäftigten sich mit sozialrechtlichen Fragen und berufsbezogenen Problemen, bei denen es häufig einen Bezug zum Diabetes gab. Vier Patient:innen (9 %) wünschten eine Beratung im Rahmen ihrer Diabetesmanifestation. Für die Bewältigung schwerer Lebensereignisse wie Todesfälle und Trennungen nutzten vier Patient::innen (10 %) das psychologische Beratungsangebot.
In der Beratung von Patient:innen mit dem Schwerpunkt Diabetes- und Krankheitsbewältigung wurden vor allem Elemente aus der Akzeptanz- und Commitmenttherapie eingesetzt, bei der ausgehend vom persönlichen Wertesystem spezifische, messbare, attraktive, realistische und terminierbare (Veränderungs-) Ziele formuliert und angestrebt werden. Diese Patient:innen konnten auch ein (Gruppen-) Schulungsmodul zu diesem Thema absolvieren. Zur Differenzierung der Diabetesbezogenen Belastungen bot sich auch die Verwendung des PAID-Fragebogens an (Problem Areas in Diabetes Survey; Seite 46), durch welchen emotionale Belastungen im Zusammenhang mit dem Diabetes erfasst werden können. In dieser Patient:innengruppe erwiesen sich im Einzelfall auch die Nachschulung in der Insulintherapie, die Organisation eines Pflegedienstes für zu Hause oder eines ambulant betreuten Wohnens als hilfreich.
Bei den Patient:innen mit einer bereits diagnostizierten psychischen Erkrankung war vor allem zu überprüfen, ob diese bereits eine ausreichende psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung erhielten. War dies nicht der Fall, nahm deren Organisation oft einen zentralen Teil der Beratung ein. In besonders schweren Fällen war auch die Verlegung in ein psychiatrisches Krankenhaus notwendig. Solche Patient:innen benötigten oft auch mehrere stabilisierende psychologische Gespräche, um die stationäre Behandlung zu bewältigen. Ähnlich war die Hilfestellung für Patient:innen mit dem Verdacht auf eine psychische Erkrankung.
Der Umgang mit Nachteilen im Erwerbsleben war das hauptsächliche Anliegen für die Patient:innen mit sozialrechtlichen Fragen. Eine Beratung zum Schwerbehindertenrecht und Informationen zu Integrationsmöglichkeiten am Arbeitsplatz, teilweise aber auch die konkrete Unterstützung beim Ausfüllen eines Antrages auf Feststellung des Grades der Behinderung waren hier häufig Inhalt der Betreuung.
Bei den Patient:innen mit Diabetesmanifestation zeigte sich neben dem Bedürfnis, die ersten Erfahrungen mit der Erkrankung mitzuteilen, das Anliegen, gerade wenn die Diagnose Diabetes als starker Einbruch in das eigene Lebenskonzept erlebt wurde, Entwicklungs- und Bewältigungsmöglichkeiten nachgehen zu können. Hilfreich in der psychologischen Beratung ist dabei häufig die Betonung und Förderung des eigenen Selbstwirksamkeitserlebens. Dies kann sich z.B. schon durch das Erlernen und die selbständige Umsetzung des Diabetesmanagements steigern.
Trennungen oder Todesfälle waren Lebenskrisen, aufgrund dessen Patient:innen des Diabetezentrums psychologische Gespräche während ihrer stationären Behandlung nutzten. Unterstützung bei der Trauerarbeit und beim (vorsichtigen) Entwickeln von Gegenwarts- und Zukunftsperspektiven waren hier Ansätze in der Beratung. Für diese Patient:innen war der stationäre Aufenthalt oft eine große Entlastung von Alltagsanforderungen, die aktuell nur noch schwer zu bewältigen waren.
Auswirkungen der Coronapandemie auf die Beratung
Wenn über Belastungserleben von Menschen mit Diabetes gesprochen wird, sollte die Bedeutung der Corona-Pandemie in den letzten Jahren nicht übergangen werden. In der psychologischen Betreuung wurde häufig, gerade von älteren Menschen, der Wegfall sozialer Ressourcen, wie z.B. der wöchentlichen Kaffeerunde unter Freunden, berichtet. Außerdem konnten Bewegungsangebote, etwa Wassergymnastik und Bewegungsgruppen, nicht mehr wahrgenommen werden. Immer wieder berichteten diese auch davon, als Menschen mit höherem Risiko für schwerere Covid-Verläufen, sich stärker im eigenen zu Hause zu isolieren. Außerdem wurden die finanziellen Auswirkungen der Kurzarbeit und die Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes, nicht nur in den Gesprächen mit beruflichem Anliegen, thematisiert. Patient:innen mit psychischen Erkrankungen gaben an, dass es für sie vor allem schwieriger geworden sei, stationäre psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu erhalten.

Martin Janert
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (1/2) Seite 44-46