Immer mehr Menschen nutzen ein System zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGMS). Doch wer ist bei einem Klinik-Aufenthalt eigentlich für das Gerät verantwortlich – Klinik oder Patient? Hierfür müssen dringend gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, findet Diabetes-Forum-Chefredakteur Dr. Bernd Liesenfeld.

Diabetes-Forum-Editorial
Wir müssen darüber sprechen, denn es nervt! Im Krankenhaus findet sich in der Pflegekurve immer häufiger der Eintrag „Patient misst und spritzt selbst“ – ohne jegliche Dokumentation, wie die Stoffwechsellage und deren Therapie in den letzten Tagen eigentlich war. Für den selbständigen und geschulten Patienten auf der Diabetes-Schwerpunkt-Station ist das natürlich recht und billig, aber in der Regel liegen diese Patienten auf vielen nichtspezialisierten Abteilungen und sind sich bei der Glukosekontrolle oft selbst überlassen.

Natürlich ist verständlich, wenn in Zeiten zunehmenden Pflegekräftemangels Zeit gespart werden soll. Es gibt jedoch Risiken. Die Glukose ist ein sensibler Parameter, der in vielen Krankheitssituationen zur Entgleisung neigt, und dessen frühzeitige Behandlung viele Komplikationen, insbesondere perioperativ, eindämmt. Oft können nach der stationären Aufnahme bestimmte Präparate nicht mehr eingenommen werden. Die häusliche Insulindosierung ist nicht bekannt oder Insulindosierungen müssen den neuen Anforderungen angepasst werden. Damit sind viele Patienten überfordert. Die Einleitung einer stationären Insulintherapie sollte bei dauerhaft erhöhten Glukosewerten von > 180 mg/dl begonnen oder bei vorbestehender Insulintherapie angepasst werden.

Besonders problematisch ist die immer größere Zahl von Menschen, die mit einem System zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGMS) – auch ohne Pumpe – in die Klinik kommen und dieses natürlich auch weiter nutzen wollen. Oft wird die Verantwortung für die Stoffwechselregulierung während des Klinikaufenthaltes wie selbstverständlich an den Patienten abgegeben. Dadurch entsteht die schizophrene Situation, dass nicht klar ist, wer eigentlich der Betreiber des Gerätes während der Klinikphase ist – Klinik oder Patient?

Das gleiche Hilfsmittel, das in der häuslichen Versorgung tagtäglich für Therapieentscheidungen herangezogen wird, kann plötzlich in der Klinik als potentiell gefährlich eingestuft werden, da keine „Zulassung“ vorliegt? Noch komplizierter wird es, wenn ein neuer Sensor durch das Pflegepersonal gesetzt wird, um den Patienten vor den Konsequenzen stark schwankender Glukose-Werte zu schützen. Hier betreibt die Klinik eindeutig das CGMS und muss sicherstellen, dass die Pflegekräfte die Messwerte korrekt interpretieren können. Eine Mammutaufgabe, die Schulung erfordert.

Die Richtlinie für Labordiagnostik (Rili-BÄK) hilft bei der Standardisierung des Einsatzes der CGMS nicht weiter, da sie nur für Laborgeräte und Blutzuckermessgeräte gilt. Auch hier gibt es, wie jeder Anwender weiß, erhebliche Fehlerquellen bei unsachgemäßer Verwendung. Die Messgenauigkeit der CGMS nähert sich den kapillären Messsystemen an und hat in der Pandemie signifikant zur Einsparung von Materialverbrauch und personellen Ressourcen beigetragen. Immer mehr Pumpensysteme greifen auf CGMS zur Steuerung der Algorithmen der Insulinabgabe zu, ohne Kalibrierungsmessungen vorzuschreiben. Aus diesen Erfahrungen hat die amerikanische Zulassungsbehörde für medizinische Produkte (FDA) im letzten Jahr ein beschleunigtes Zulassungsverfahren zur Einführung der CGMS in Kliniken begonnen. Im Juni 2022 hat die Amerikanische Gesellschaft für Endokrinologie eine Leitlinie zum Umgang mit Diabetes in der Klinik herausgegeben und explizit die rechtlich abgesicherte Möglichkeit des Einsatzes von CGMS bei vulnerablen Menschen mit Diabetes (z.B. Hypoglykämiegefährdung) gefordert. Immer mehr klinische Studien belegen das Potential dieser Methode.

Es bedarf jetzt klarer Empfehlungen der Rahmenbedingungen zum klinischen Einsatz dieser Systeme in deutschen Kliniken und Pflegeeinrichtungen, um deren Potential zum Nutzen der Patienten zu entfalten und den Behandlern Rechtssicherheit zu geben. Einfache Protokolle in Form von Standard operating procedures (SOP) mit täglich dokumentierten Vergleichsmessungen (kapillär/Interstitiell) und Vorschriften zum Wechsel des Systems oder Verzicht aus dessen Einsatz bei Ungenauigkeit können hier Abhilfe schaffen. Pflege und Patient müssen in diesen Prozess miteinbezogen werden. Der Patient soll an seiner Behandlung soweit als möglich partizipieren. Der Verlauf muss aber jederzeit für die wechselnden Behandler nachvollziehbar sein. Das ist im Übrigen auch die Voraussetzung für jede Art der aktuell so oft gepriesenen telemedizinischen Unterstützung derjenigen Einrichtungen, die über keine spezialisierte diabetologische Betreuung verfügen. Der Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) hat die Frage der CGMS-Nutzung für die häusliche Behandlungspflege bereits 2020 so entschieden, dass der Einsatz verordnet und durch Dritte durchgeführt werden darf. Jetzt fehlt noch der gleiche Schritt in die klinische Versorgung.


Autor:
Dr. Bernd Liesenfeld
Facharzt für Innere Medizin, Nephrologie, Diabetologie, Angiologie
Oberarzt
Abteilung Innere Medizin II


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (3) Seite 5