Abgrenzung von Diabetesschulungs- und Behandlungsprogrammen von technischen Einweisungen: In einer Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft vom 16. 06. 2023 wird die technische Einweisung bei neuen Diabetestechnologien gegenüber der strukturierten Schulung in der Diabetologie am Beispiel der Leistungen für die Nutzung von rtCGM definiert und abgegrenzt. Diese Stellungnahme wurde von der Arbeitsgruppe Roundtable Schulung innerhalb der AG Diabetes & Technologie initiiert und wird von diabetesDE, VDBD, AGPD, DGKED, DGPAED, BDSN, BVND, VNDN, AG Diabetes und Psychologie und weiteren an Diabetesschulung beteiligten Gruppen unterstützt.

Ziel

Das vorliegende Manuskript soll zwei verschiedene Formen der Information und therapeutischen Langzeitbetreuung von Patienten mit Diabetes abgrenzen und deren Inhalte und Verantwortlichkeiten definieren.

Zielgruppe

Das Manuskript richtet sich an alle Personen und Institutionen, die an der Erbringung dieser Leistungen und deren Finanzierung/Honorierung verantwortlich beteiligt sind.

Hintergrund:

  • In der letzten Dekade wurde die Diabetologie durch eindrucksvolle Fortschritte und Erfolge geprägt, die unter anderem auf technische Neuentwicklungen vor allem beim kontinuierlichen Glukosemonitoring (CGM) zurückzuführen sind. Diverse internationale Studien (RCT), aber auch Beobachtungen unter Versorgungsbedingungen und nationale Register konnten klinisch relevante positive Effekte bezogen auf zentrale Stoffwechselparameter (HbA1c, Zeit im Zielbereich), die Zahl akuter Komplikationen wie auch die Therapiezufriedenheit, die gesundheitsbezogene Lebensqualität und das seelische Wohlbefinden von Menschen mit Diabetes, so genannte Patient Reported Outcomes (PROs), nachweisen (2, 3, 11, 14, 16).
  • Es wurde aber auch vielfach deutlich, dass allein eine technische Einweisung in den bestimmungsgemäßen Gebrauch der Systeme keine positiven Effekte zeigt, sondern eher zu schlechteren Stoffwechselergebnissen in allen genannten Bereichen führte und mit einer hohen Abbruchrate (ca. 30 %) verbunden war (1, 5, 9, 20, 24, 25). In diesem Sinne ist aus unserer Sicht auch die unstrukturierte Anleitung eines Patienten und/oder einer Bezugsperson zur Selbstanwendung eines rtCGM gemäß § 3 Nr. 3 der Nr. 20 der Anlage I einzuordnen (Beschluss vom 01.04.2017 durch Bewertungsausschuss der KBV) (4, 10).

Damit fordert der G-BA umfassende Schulungen bei Diabetes durch das diabetologisch qualifizierte Team, die weit über eine Technische Einweisung und Anleitung zur Selbstanwendung bei Medizinprodukten hinausgehen.

Technische Einweisung von Medizinprodukten (MP) ist charakterisiert durch…

  • … die Anpassung, Erprobung, Sicherheitstechnische Kontrolle (STK) sowie eine umfassende Einweisung des Produktempfängers und der Betreuungsperson zum sachgerechten Gebrauch, jedoch ohne die individuelle Nutzung der Daten zur Optimierung der Diabetestherapie durch die Nutzer (Personen mit Diabetes);
  • … die Einweisung erfolgt durch den Hersteller, bzw. durch von ihm beauftragte Personen (welche i.d.R. keine durch den G-BA normierte diabetologische Qualifikation haben);
  • … die Vergütung dieser Leistung ist mit dem vereinbarten Vertragspreis für das Hilfsmittel/ Medizinprodukt abgegolten.

Anleitung zur Selbstanwendung rtCGM umfasst …

  • … die Anleitung eines Patienten und/oder einer Bezugsperson zur Selbstanwendung eines rtCGM (4, 10) (s. § 3 Nr. 3 der Nr. 20 der Anlage I: Anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden), d. h. die medizinisch korrekte Anlage des Sensors am Patienten durch qualifiziertes diabetologisches Fachpersonal.

Schulung von Personen mit Diabetes ist demgegenüber charakterisiert durch:

  • Strukturierte, qualitätsgesicherte Schulungen für Patienten beziehen sich auf Programme, deren Wirksamkeit durch Evaluation belegt und vom BAS (Bundesamt für Soziale Sicherung) für verwendungsfähig im Rahmen der DMP Diabetes erklärt wurden oder die nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V anerkannt sind (15).
  • Die Programme haben über die Vermittlung von Kenntnissen hinaus die Ziele, dass Selbstmanagement der Betroffenen mit Diabetes zu fördern, die sichere Umsetzung der mit den Diabetologen abgestimmten Therapien zu ermöglichen und die Therapieadhärenz durch verhaltensmedizinische Konzepte individualisiert zu fördern.
  • Diese Schulungen sind obligat vor der erstmaligen Nutzung eines CGM-Systems, aber auch in der Folge erforderlich, wenn es zu relevanten Anpassungen an neue Therapieprinzipien (z. B. AID-Systeme), neue Lebensumstände (z. B. zunehmende Selbständigkeit von Kindern) oder Komorbiditäten (z. B. Folgeerkrankungen, Onkologie) kommt (12, 13, 17, 19, 21).
  • Die Schulung erfolgt durch dafür in Train-the-Trainer-Seminaren ausgebildeten Mitgliedern des multiprofessionellen behandelnden Diabetesteams (Diabetologen, Diabetesberater, Diätassistenten, Psychologen). Sie ist integraler Bestandteil der Langzeittherapie, d. h. sie ist nicht unabhängig von der diabetologischen Therapie zu trennen (12, 20).
  • Die Kosten der anerkannten Schulungen und der Unterlagen für die Patienten werden durch die GKV übernommen.
  • Es liegen für die Schulung zu CGM evaluierte und publizierte strukturierte Programme vor, z. B. SPECTRUM (Versionen für Erwachsene, Jugendliche, Eltern von Kindern mit einer Insulintherapie) (6, 7, 8, 18, 23). SPECTRUM umfasst sechs Module á 90 Minuten, die für geschlossene Kleingruppen angeboten werden.

Fazit

Eine technische Einweisung durch die Hersteller bzw. Lieferanten ist für die Nutzung von CGM-Systemen notwendig, aber nicht hinreichend für eine erfolgreiche Therapie durch die Nutzer. Gleiches gilt für die Anleitung zur Selbstanwendung rtCGM (4, 10).

Erst die daran anschließende strukturierte und evaluierte CGM-Schulung durch die dafür qualifizierten Mitglieder des behandelnden Diabetesteams bildet die unverzichtbare Grundlage für die effektive Nutzung und das Selbstmanagement der Patienten mit Diabetes im Alltag.

Beschluss des G-BA
Entsprechend der vorliegenden Evidenz forderte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in seinem Beschluss zu rtCGM unter § 3.3 eine rtCGM-spezifische Schulung der Patienten vor Nutzung dieser Technologie (s. Kasten (4)). Diese Regelung ist am 07.09.2016 in Kraft getreten: § 3 Vorgaben zur Qualitätssicherung
  • (1) Im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung darf die Kontinuierliche interstitielle Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten (rtCGM) nur bei Erfüllung der in den folgenden Absätzen aufgeführten Qualitätssicherungsvorgaben durchgeführt werden:
  • (2) Zur Durchführung der Methode rtCGM im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt sind:

  1. Fachärzte für Innere Medizin und Endokrinologie und Diabetologie oder
  2. Fachärzte für Innere Medizin, für Allgemeinmedizin oder für Kinder- und Jugendmedizin jeweils mit der Anerkennung "Diabetologie" oder "Diabetologe Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)" bzw. mit vergleichbarer Qualifikation oder
  3. Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin mit der Anerkennung "Kinder-Endokrinologie und -Diabetologie". Die in der Richtlinie verwendeten Facharzt-, Schwerpunkt- und Zusatzbezeichnungen richten sich nach der (Muster-) Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer und schließen auch diejenigen Ärzte ein, welche eine entsprechende Bezeichnung nach altem Recht führen.

  • (3) Die Patientin oder der Patient muss zeitnah im Zuge der Verordnung und vor der ersten Anwendung des rtCGM über die Schulungsinhalte zur intensivierten Insulintherapie (ICT und gegebenenfalls zur Insulinpumpe) hinausgehend, hinsichtlich der sicheren Anwendung des Gerätes, insbesondere der Bedeutung der Blutglukose-Selbstmessung und der durch das Gerät zur Verfügung gestellten Trends unter Berücksichtigung des individuellen Bedarfs und eventuell vorhandener Vorkenntnisse geschult werden.


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Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2023; 32 (5) Seite 260-262