Zusammenfassung

Die kontinuierliche Glukosemessung (CGM) ist für viele Menschen mit Diabetes nicht nur mit verbesserten Stoffwechselwerten verbunden, sie erleichtert auch den Umgang mit der Krankheit und deren Anforderungen im Alltag. In diesem Review der Literatur seit 2020 richtet sich der Fokus auf psychologische Folgen der Technologien und deren Bedeutung für das Empowerment, die partizipative Entscheidungsfähigkeit und die Förderung eines gesunden Lebensstils bezogen auf die wichtigsten Diabetestypen. Dabei kommt Studien, in denen die individuelle Sicht der Nutzer evaluiert wurde, eine besondere Bedeutung zu, z. B. bezogen auf Ängste, Sorgen, Zufriedenheit oder diabetesbezogenen Distress. Ein tieferes Verständnis des Erlebens Betroffener kann im klinischen Alltag helfen, ungünstige Reaktionen auf Glukosewerte und Ängste zu reduzieren und passgenau individuell zu beraten. Weiterhin kann CGM das Selbst-Management und eine partizipative Kooperation zwischen Menschen mit Diabetes und ihrem Diabetesteam verbessern. Mit der Nutzung von CGM sind aber auch Herausforderungen und Barrieren verbunden, die oft psychisch begründet sind. Diese werden durch klinische Beispiele illustriert und hilfreiche Beratungsansätze und therapeutische Interventionen dazu vorgestellt. Damit können Diabetesteams Frustration und Resignation vermeiden und faire Chancen auch für weniger technikaffine Menschen mit Diabetes zum optimalen Einsatz eines CGM-Systems eröffnen. Allein eine technische Einweisung reicht nicht immer für eine erfolgreiche CGM-Nutzung aus. Zusätzlich sollten individuelle – oft psychisch bedingte – Barrieren in der Diabetesberatung adressiert und abgebaut werden.

Schlüsselwörter
Kontinuierliche Glukosemessung, Psychologie, Empowerment, Selbstmanagement, Therapiebarrieren

Psychological aspects of continuous glucose monitoring (CGM)

Summary


Continuous glucose monitoring (CGM) is not only associated with improved metabolic control for many people with diabetes, it also facilitates the management of the disease and its demands in everyday life. In this review of the literature since 2020, the focus is on psychological consequences of the technologies and their importance for empowerment, shared-decision-making and the promotion of a healthy lifestyle related to the main types of diabetes. In this context, studies in which the individual perspective of the users was evaluated are of particular importance, e.g. in relation to anxiety, worries, satisfaction or diabetes-related distress. A deeper understanding of the experience of those affected can help in everyday clinical practice to reduce unfavourable reactions to glucose levels and anxiety and to provide individualised advice. Furthermore, CGM can improve self-management and participatory cooperation between people with diabetes and their diabetes team. However, the use of CGM is also associated with challenges and barriers that are often psychologically based. These are illustrated by clinical examples and helpful counselling approaches or therapeutic interventions. In this way, diabetes teams can avoid frustration and resignation and open up fair opportunities for less tech-savvy people with diabetes to make optimal use of a CGM system. Technical instruction alone is not always sufficient for successful CGM use. In addition, individual – often psychologically based – barriers should be addressed and reduced in diabetes counselling.

Keywords
Continuous glucose measurement, psychology, empowerment, self-management, barriers to therapy

Einleitung

Innerhalb weniger Jahre hat die kontinuierliche Glukosemessung (CGM) zu einem weitreichenden Wandel der Diabetestherapie geführt, der Betroffenen wie auch ihren Diabetesteams neue Erkenntnisse und verbesserte therapeutische Optionen eröffnet hat [Petrie 2017; Batellino 2019]. Der Einsatz von Systemen zur kontinuierlichen Glukosemessung nimmt weltweit rapide zu: Von 2017 bis 2020 stieg die CGM-Nutzung bei Patienten unter 25 Jahren in Amerika von 25 % auf 49 % (T1DX-QI Collaborative) und in Deutschland von 40 % auf 76 % (DPV-Register) [DeSalvo 2022]. Dies spiegelt sich auch in den jährlichen Umfragen des Digitalisierung- und Technologiereport Diabetes (D.U.T). Laut Angaben der befragten Diabetologen stieg im Zeitraum von 2018 bis 2021 der Anteil der Nutzer von CGM (Echtzeit-CGM [rtCGM] und intermittierendes Scan-CGM [iscCGM]) bei Menschen mit Typ-1-Diabetes in Deutschland um 109 %, so dass aktuell ca. 78,5 % ein CGM nutzen [Kulzer 2022].

Während anfänglich vor allem Kinder und Erwachsene mit Typ-1-Diabetes die Methode der kontinuierlichen Glukosemessung einsetzten, ist CGM mittlerweile auch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes oder Gestationsdiabetes eine häufig angewendete Therapieoption [Lin 2021; Peek 2021]. Bei der Umfrage des D.U.T-Report 2022 schätzten die befragten Diabetologen den Anteil der Menschen mit Typ-2-Diabetes auf immerhin 24,3 % [Kulzer 2022]. Gleichzeitig deuten immer mehr Studienergebnisse darauf hin, dass CGM auch erfolgreich zur Lebensstilintervention bei Typ-2-Diabetes [Al Hayek 2021] oder zur Prävention des Typ-2-Diabetes [Whelan 2019, 2021] eingesetzt werden kann.

Die aktuellen CGM-Systeme sind gegenüber den ersten Systemen nutzerfreundlicher und genauer geworden. Sie sind mehrheitlich bereits werkskalibriert und müssen nur bei Abweichungen von Blutzuckermessungen, Hypo- oder Hyperglykämie kalibriert werden. Alle CGM-Systeme verfügen über eine Alarmfunktion, die vor oder auch bei zu hohen oder zu niedrigen Glukosewerten warnt. Dies gibt Sicherheit und reduziert Ängste vor plötzlichen Hypoglykämien etwa beim Autofahren oder besonderen Situationen (z. B. Vorträgen, Prüfungen). Eltern von Kindern mit Diabetes schätzen die Sicherheit in der Nacht, die sie mit Beginn des CGM-Einsatzes wieder durchschlafen lässt [Ng 2022].

Neben einem persönlichen CGM, bei dem die Glukosewerte in Echtzeit angezeigt werden, wird in Studien auch ein professionelles CGM (proCGM) mit verblindeten Daten eingesetzt, bei dem die Patienten keinen Zugriff darauf haben [Besser 2022]. Mit dem Libre2 ist noch ein Gerät auf dem Markt, beim dem die Glukosewerte nicht automatisch (Echtzeit-CGM [rtCGM]) auf einem Handheld/Smartphone, sondern nach einem aktiven Scan (intermittierendes Scan-CGM [iscCGM]) zur Verfügung stehen. Fast alle Systeme verfügen über Glukosesensoren, die in der Regel für 10 – 14 Tage unter die Haut in das subkutane Gewebe gesetzt werden, um den Glukosespiegel in der interstitiellen Flüssigkeit zu messen. Außerdem ist ein CGM-System auf dem deutschen Markt mit einem Sensor erhältlich, der bis zu einem halben Jahr lang unter die Haut implantiert wird [Schlüter 2022]. Während die meisten CGM-Systeme kontinuierlich getragen werden, gibt es auch eine Reihe von Situationen (z. B. Prävention, Diagnostik, Therapieumstellung) bei denen CGM-Systeme auch intermittierend getragen werden können [Ziegler 2021].

CGM-Systeme können in Kombination mit mehreren täglichen Insulininjektionen mit einer Spritze/einem Insulin-Pen oder einer Insulinpumpe verwendet werden. Zunehmend werden rtCGM-Systeme in Kombination mit einer Insulinpumpe und einem Algorithmus zur automatischen Insulindosierung als sogenanntes AID-System genutzt. Diese Systeme haben sowohl zu eindrucksvollen Verbesserungen der Glukoseprofile [Aiello 2021] wie auch zu einer Reduktion der diabetesbezogenen Belastungen der Nutzer und ihrer Familien geführt [Gilbert 2021, Ng 2022, Ware 2022].

In der Entwicklung sind auch eine ganze Reihe anderer therapeutischer Anwendungen für Menschen mit Typ-2-Diabetes wie z. B. Patienten-Entscheidungssysteme oder Systeme, die anhand der Glukosewerte Dosierempfehlungen geben [Lee 2021].

Abkürzungen
ADA: American Diabetes Association
AGP: Ambulantes Glukose Profil
AID: Automatische Insulindosierung
CGM: Kontinuierliche Glukosemessung
DPV: Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation
D.U.T: Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes
EASD: European Association for the Study of Diabetes
GMI: Glucose Management Indicator
ICT : Intensivierte konventionelle Insulintherapie
iscCGM: intermittierendes Scan-CGM
NVL: Nationale Versorgungsleitlinie
PEF: Partizipative Entscheidungsfindung
PRO: Patient Reported Outcome
proCGM: professionelles CGM
RKI: Robert Koch Institut
rtCGM: Echtzeit-CGM
SDM: Shared Decision Making
T1DX-QI T1D: Exchange Quality Improvement Collaborative

Empowerment, Selbstmanagement

Mit einem CGM-System ist es Menschen mit Diabetes erstmals möglich, rund um die Uhr einen Überblick über ihre Glukosewerte und die Folgen ihres Verhaltens zu erhalten. Die täglich über 1 400 kontinuierlich gemessenen Glukosewerte unterstützen Menschen mit Diabetes, begründete therapeutische Entscheidungen zu treffen und neue Erkenntnisse über individuelle Reaktionen des eigenen Körpers zu gewinnen. Die ständige Verfügbarkeit des aktuellen Glukosewertes und einer Warnfunktion vor erhöhten oder erniedrigten Glukosewerten erlaubt es, auf unvorhergesehene Glukoseexkursionen zu reagieren und Unter- wie Überzuckerungen zu vermeiden.

Zudem können Nutzer eines CGM-Systems und auch deren Diabetologen Glukosewerte über mehrere Tage oder Wochen mit Hilfe einer Software analysieren und daraus therapeutische Verbesserungen ableiten. Anhand der dabei berechneten Parameter wie dem mittleren Glukosewert, dem errechneten HbA1c-Wert (GMI = Glucose Management Indicator), der Zeit im, ober- oder unterhalb des Zielbereichs, der Glukosevariabilität oder der Anzahl von Hypo- oder Hyperglykämien können sie sich ein sehr genaues Bild ihres Stoffwechselverlaufs machen, mögliche problematische Muster erkennen oder Ursachen für akute Komplikationen, wie z. B. Hypoglykämien, identifizieren.

Mit CGM haben Menschen mit Diabetes somit ein deutlich besseres Handwerkszeug als mit der bisherigen punktuellen Blutzuckermessung zur Verfügung, um selbstbestimmt und eigenverantwortlich den eigenen Diabetes zu steuern ("Hilfe zur Selbsthilfe"). Durch bessere Steuerungs- und Analysemöglichkeiten der Glukosewerte wird die Kompetenz von Menschen mit Diabetes erhöht, das eigene Leben – mit Diabetes als einer chronischen Erkrankung – selbstständig nach eigenen Zielen, Werten und Überzeugungen zu gestalten [Moser 2020, Kulzer 2022].

Zudem leistet CGM einen wichtigen Beitrag dazu, dass Personen mit Diabetes durch die Glukosewerte, Trendanzeigen, Warnfunktionen und die Analysemöglichkeiten informierter und damit entscheidungsfähiger werden, um mit ihren Behandlern über Fragen der Therapie zu sprechen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die sogenannte "partizipative Entscheidungsfindung" (PEF; englisch: "Shared Decision Making", SDM), bei der Patienten und ihre Ärzte gleichberechtigt über mögliche Behandlungsoptionen diskutieren und informierte Entscheidungen treffen. Dieser partizipative Ansatz wird in dem gemeinsamen Statement der American Diabetes Association (ADA) und der European Association for the Study of Diabetes (EASD) [Davies 2018] als Standard der modernen Diabetestherapie befürwortet und im ersten Kapitel der NVL Typ-2-Diabetes ("Partizipative Entscheidungsfindung und Teilhabe in allen relevanten Lebensbereichen") aufgegriffen [Landgraf 2021].

Vorteile von CGM

Für Menschen mit Diabetes gibt es eine Reihe von Vorteilen für das tägliche Leben, die sich zum einen ganz konkret auf die Möglichkeiten von CGM beziehen, aber auch die Behandlungszufriedenheit, die Selbstwirksamkeit, das Wohlbefinden und die Lebensqualität verbessern sowie emotionale Belastungen reduzieren können [Smith 2018] (Abb. 1).

Unblutige Glukosemessung

Ein augenscheinlicher Vorteil der CGM-Systeme besteht darin, dass zu jedem Zeitpunkt ohne Blutentnahme Informationen über den aktuellen Glukosespiegel und den zu erwartenden Trend zur Verfügung stehen. Damit reduziert sich die Zahl der täglich notwendigen Blutglukosemessungen deutlich, der Schmerz wird verringert und die Haut der Fingerkuppen kann heilen. Allein diese Vorteile und das Gefühl der Sicherheit und Kontrolle motivieren viele Menschen mit Diabetes zur Nutzung eines CGM-Systems.

Bessere glykämische Kontrolle, therapeutische Ergebnisse

Nichts ist motivierender als Erfolg. Die mit CGM verbundenen positiven Erfahrungen hinsichtlich einer verbesserten glykämischen Kontrolle, weniger Hypo- und Hyperglykämien und damit verbunden auch weniger Krankenhausaufenthalte oder eine geringere Variabilität des Glukosespiegels sind für Menschen mit Diabetes und für Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes ein zentraler Grund, ein solches System zu nutzen [Lind 2017, Mulinacci 2019, Laffel 2020, Guerci 2022, Leelarathna 2022]. Persönlich erfahrene Verbesserungen und Erfolge tragen dazu bei, die wichtigste Belastung vieler Menschen mit Diabetes, die Angst vor Folgeerkrankungen, zu reduzieren [Grulovic 2022].

Trends

Alle CGM-Systeme verfügen über eine Trendanzeige über den zukünftigen Glukoseverlauf, so dass nicht nur Informationen über den aktuellen Wert vorliegen, sondern auch darüber, ob er ansteigen oder sinken wird. Die Trends geben insbesondere in kritischen Situationen, bei Prüfungen, im Straßenverkehr oder bei hoher beruflicher Belastung zusätzliche Sicherheit und reduzieren diabetesbezogenen Stress.

Alarme

Adäquat gewählte Alarme zeigen bei CGM frühzeitig schnelle Veränderungen des Glukosespiegels in Richtung Hypo- oder Hyperglykämien an. Damit können sie Nutzer in die Lage versetzen, rechtzeitig gegenzusteuern und Stoffwechselentgleisungen zu vermeiden. Dies kann besonders nachts zu weniger Ängsten vor Unterzuckerungen, mehr Sicherheit und Vertrauen und ungestörtem Schlaf führen [Teasdale 2022; Ng 2022]. Da Ängste vor Unterzuckerungen mit den damit verbundenen negativen Gefühlen, einem Kontrollverlust und möglicher schwerwiegender negativer Konsequenzen ebenfalls zu den wesentlichen diabetesbezogenen Stressoren zählen [Grulovic 2022], kann CGM zu einer Reduktion von diabetesbezogenen Belastungen führen. Davon profitieren besonders Eltern jüngerer Kinder mit Diabetes, die ihr Kind zuvor mehrfach in der Nacht kontrolliert hatten und oft unter Schlafstörungen und Schlafmangel litten [Al‐Gadi 2022; Ng 2022; Ward 2022]. Auch für Patienten mit wiederkehrenden schweren Hypoglykämien und einer Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung ist CGM eine wertvolle Unterstützung [Serné 2022].

Besseres Verständnis der individuellen Stoffwechselsituation

Patienten mit CGM-Systemen können wie bei einem Film in Echtzeit beobachten, wie bestimmte Nahrungsmittel, verschiedene körperliche Belastungen oder Stress ihren Glukosestoffwechsel beeinflussen. Daraus können sie lernen, ihre Insulintherapie, Ernährungsgewohnheiten oder die therapeutischen Maßnahmen bei körperlicher Bewegung individuell zu optimieren, eine bessere Kontrolle und eine erhöhte Selbstwirksamkeit erfahren.

Auch diese Lernerfahrungen können zum Empowerment beitragen, d. h. zu mehr Autonomie und Selbstbestimmung bei der Diabetestherapie [Litchman 2022]. Wenn die Analyse der CGM-Daten durch adäquate Schulungen und Beratungsmaßnahmen begleitet werden, können sich deutliche Verbesserungen im Therapieverhalten ergeben, z. B. bei der Wahl eines zeitlichen Abstands zwischen Insulingabe und Mahlzeit, bei der Auswahl von Nahrungsmitteln oder der Nutzung einer temporären Basalrate [Schlüter 2021].

Feedbackfunktionen

Die einfache und gut verständliche Darstellung der Behandlungsergebnisse über einzelne Tage, eine Woche oder einen Monat kann motivieren, die Zeit im Zielbereich (Time in Range) kontinuierlich zu erhöhen.

Dies ist auch Ziel des veränderten Vorschlages von AGP-Kurven, die einfacher gestaltet, für Menschen mit Diabetes verständlicher und mit der Verwendung von Ampelfarben intuitiver werden sollen [Bergenstal 2022]. Die Relation aus Zeit im Zielbereich und Zeit unterhalb des Zielbereichs, z. B. 80 % zu 4 %, wird grafisch als grüner und roter Bereich einer Säule dargestellt und kann so bereits von Grundschulkindern interpretiert werden ("Viel Grün ist gut, rot ist schlecht") und, richtig eingesetzt, täglich motivierend wirken. Gegenüber der seltenen Rückmeldung durch das HbA1c alle drei Monate ergibt sich hier eine bessere Kontingenz zwischen Verhalten und Ergebnis, korrektes Verhalten wird umgehend belohnt und damit positiv verstärkt.

Datenmanagement

Die Übertragung, Speicherung und automatische Auswertung der CGM-Daten kann dazu beitragen, dass Menschen mit Diabetes eigenständig ihre Glukosewerte analysieren, Muster erkennen und sie bestimmten Ereignissen zuordnen können. Dies ist besonders effektiv, wenn auch der Zeitpunkt und die Menge der Insulingabe (bei ICT-Therapie), der Nahrung, körperlichen Aktivität oder besondere Sachverhalte (z. B. Krankheit, Stress) markiert bzw. dokumentiert werden. Zukünftig werden hierbei auch Auswertprogramme auf der Basis künstlicher Intelligenz Menschen mit Diabetes unterstützen [Rajeswari 2022]. Die Verfügbarkeit aller Glukosedaten der letzten Zeit und die Unterstützung der Auswertung durch Auswertprogramme können einen wichtigen Beitrag zu "mündigen Patienten" und zur Emanzipation von Menschen mit Diabetes leisten.

Im aktuellen D.U.T-Report bezeichnen Menschen mit Typ-2-Diabetes eine Software zur Analyse von Glukosedaten als das wichtigste Themenfeld der Digitalisierung. Für Menschen mit Typ-1-Diabetes steht eine solche Software nach AID-Systemen und einer besseren Interoperabilität an dritter Stelle der wichtigsten gewünschten Innovationen [Kulzer 2022].

Share-Funktion

Die meisten CGM-Systeme ermöglichen es, die Glukosedaten in Echtzeit mit anderen Personen wie auch dem Diabetesteam zu teilen. Dies ist vor allem bei Eltern mit Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes weitverbreitet und kann bei diesen das Vertrauen in das rechtzeitige Erkennen einer Hypoglykämie, das allgemeine Wohlbefinden und die Schlafqualität verbessern [Polonsky 2022].

Allerdings ist es wichtig, bei dieser Funktion darauf zu achten, dass der Gebrauch gut zwischen allen Beteiligten abgesprochen ist, und eine unerwünschte, angstgeprägte Überwachungsfunktion vermieden wird [Litchman 2019]. Aber auch für Menschen, die allein leben oder nur über eingeschränkte Fähigkeiten zum Selbstmanagement des Diabetes verfügen, kann die Share-Funktion sehr nützlich sein. Dies gilt gleichermaßen für ältere Menschen, die aufgrund dieser Möglichkeit eventuell noch länger in ihrer gewohnten Umgebung wohnen bleiben können [Allen 2022].

Selbstwirksamkeit

Unter Selbstwirksamkeit wird die Überzeugung verstanden, Handlungen aufgrund eigener Kompetenzen ausführen zu können, die zu den gewünschten Zielen führen. Das Erleben von Selbstwirksamkeit ist eine wichtige Voraussetzung für die psychische Gesundheit, umgekehrt ist eine geringe Selbstwirksamkeitserwartung ein Prädiktor für psychische Probleme, vor allem Angststörungen und Depressionen [Egger 2015].

Da Menschen mit Diabetes häufiger unter diabetesbezogen Belastungen und psychischen Komorbiditäten leiden, sind therapeutische Maßnahmen, die die Selbstwirksamkeit erhöhen, im Kontext des Diabetes wünschenswert. Studienergebnisse zeigen zum einen, dass Personen, die von CGM profitieren eher geringere diabetesbezogene Belastungen, eine positive Einstellung zu Technologien und eine erhöhte Selbstwirksamkeit [Messer 2017] und eine bessere glykämische Kontrolle aufweisen [Rasbach 2015]. Zum anderen scheint die Anwendung von CGM und die Beschäftigung mit den Ergebnissen die Selbstwirksamkeit der Nutzer zu erhöhen [Smith 2019].

Lebensqualität

In einem aktuellen Review zu dem Zusammenhang von modernen Technologien und der Lebensqualität, kamen Speight et al. [2022] zu dem Schluss, dass es Hinweise darauf gibt, dass CGM zu einer besseren Lebensqualität, einem geringeren Ausmaß an diabetesbezogenen Belastungen sowie weniger Ängsten vor Unterzuckerungen führt, wenn dazu diabetesspezifische Messinstrumente eingesetzt werden. Mit allgemeinen Messinstrumenten (Patient Reported Outcomes [PROs] zur Messung der generischen Lebensqualität, Depressivität, Schlafqualität) sind diese Effekte jedoch kaum oder nicht nachweisbar. Spezifische Elemente des CGM, wie z. B. die Warnfunktion des CGM vor Unterzuckerungen [Polonsky 2017] oder auch die Möglichkeit, sich aktiv mit den Daten auseinanderzusetzen, tragen zu dem Befund bei. So konnten Polonsky et al. [2022] zeigen, dass der Erhalt eines wöchentlichen Auswertungsberichts über den CGM-Verlauf zur Verbesserung der Lebensqualität und besseren glykämischen Kontrolle beitragen kann – insbesondere, wenn die Nutzer die Ergebnisse des Berichts aktiv prüfen und die Ergebnisse offen mit der Familie oder Freunden besprechen.

Herausforderungen, Barrieren bei CGM

Wie jede Innovation hat auch CGM nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile. Diese können es Menschen mit Diabetes erschweren, CGM zu tragen, die Daten zu nutzen oder auch zu neuen Belastungen führen.

Unrealistische Erwartungen

CGM kann dazu beitragen, die Diabetestherapie zu vereinfachen und stellt eine wichtige Basis für weitere technische Innovationen wie z. B. AID-Systeme dar. Jedoch ist es wichtig, mit den Nutzern zunächst eine realistische Erwartungshaltung zu entwickeln. Sonst sind Enttäuschungen und Resignation vorprogrammiert [Borges 2017]. Unrealistische Erwartungen (z. B. "CGM bietet 100%ige Sicherheit vor Hypoglykämien") können die Akzeptanz von Diabetestechnologie behindern oder dazu führen ("CGM ist wie Blutzuckermessung – nur unblutig"), dass das Potential von CGM nicht wahrgenommen wird. Nicht erfüllte Erwartungen sind ein Hauptgrund für den Abbruch der CGM-Nutzung [Volumens 2017]. Deshalb sollten in Schulungen zu Beginn einer CGM-Nutzung realistische Ziele definiert werden [Gehr 2017].

Sichtbarkeit

Mögliche Belastungen durch ein CGM-System ergeben sich durch den ständig zu tragenden Sensor incl. Transmitter und einem Display (Smart-Phone), das ebenfalls immer zur Verfügung stehen muss. Nicht jede Person mit Diabetes möchte zudem in der Öffentlichkeit durch einen Sensor sichtbar auf die Stoffwechselstörung hinweisen.

Körpergefühl

Da neue Technologien wie CGM oder eine Insulinpumpe ständig am Körper getragen werden müssen, ist dies für einige Menschen mit Diabetes ein Grund, diese abzulehnen oder nicht kontinuierlich zu nutzen [Verbisst 2021]. In einer Studie von Messer et al. [2021] waren neben kosten- und versicherungsbezogenen Bedenken Probleme im Zusammenhang mit dem Tragen des Geräts und die Abneigung gegen ein Gerät am Körper die wesentlichen Barrieren von neuen Technologien. Es gibt Hinweise aus der Literatur, dass das ständige Tragen von CGM oder einer Insulinpumpe am Körper sich bei einigen Personen negativ auf das Körperbild, die Partnerschaft und Sexualität auswirken kann [Kubiak 2020].

Hautreaktionen

Da der CGM-Sensor bei den üblichen CGM-Geräten über eine längere Zeit auf der Haut getragen wird, treten Hautreaktionen, insbesondere eine allergische Kontaktdermatitis, nicht selten auf und können sogar dazu führen, dass CGM nicht mehr verwendet werden kann [Cameli 2022]. Besonders bei Kindern und Jugendlichen treten Hautreaktionen oft auf, führen jedoch nur selten zu großen Einbußen in der Lebensqualität [Burgmann 2020]. Hier sind praktische Hinweise zum Schutz der Haut, zur Hautpflege und Möglichkeiten zur Prävention und Behandlung von Hautirritationen ein unverzichtbarer Bestandteil der Schulung zu Diabetestechnologien (Gehr 2017; Sherr 2022).

Probleme mit dem Sensor, Messgenauigkeit

Da der CGM-Sensor üblicherweise am Oberarm getragen wird, besteht die Möglichkeit, dass sich dieser durch ungeschickte Bewegungen oder bei Kontaktsport löst. Gravierender ist für Nutzer der Umstand, wenn der Sensor aus verschiedenen Gründen ungenau misst, z. B. durch mechanischen Druck im Schlaf oder den Kontakt zu einem Blutgefäß [Freckmann 2019]. Da eine Überprüfung der Messgenauigkeit des Sensors nur über eine Parallelmessung mit Blutzuckerteststreifen möglich ist, welche auch eine gewisse Fehlertoleranz aufweist, können die Differenzen die Nutzer verunsichern. Während die Mehrzahl der CGM-Nutzer den gemessenen Glukosewerten vertrauen, kann dies für einige Menschen, die ein gewisses Maß an Unsicherheit nur schwer ertragen können, ein Problem sein. In der Psychologie wird dies als "Ambiguitätstoleranz (auch: Unsicherheits- oder Ungewissheitstoleranz)" bezeichnet und kennzeichnet die Fähigkeit, mehrdeutige Situationen ohne erhöhten Stress oder durch Vermeidung der Situation zu ertragen. Ein geringes Ausmaß an Ambiguitätstoleranz wird mit erhöhten Stressreaktionen und einem reduzierten Wohlbefinden in Zusammenhang gebracht [Jach 2019]. Dies betrifft vor allem Menschen, die neben dem Diabetes von einer Angst- und/oder Zwangsstörung betroffen sind.

Alarmfatique

Zu häufige oder ungünstig gewählte Alarme stören im Alltag, verunsichern und machen den Diabetes für Außenstehende wahrnehmbar [Rodbart 2016; Messer 2020]. Die Vielzahl von Alarmen – besonders, wenn Voralarme mit einem relativ großen Abstand zu Hypo-, Hyperglykämien ausgewählt werden – können zu einer neuen Belastungsquelle werden und nicht zur Sicherheit, sondern zur Unsicherheit beitragen. Für einige Menschen kann die Sorge vor potentiellen Stoffwechselentgleisungen damit allgegenwärtig sein, die vorher durch eine Blutzuckermessung nur eingeschränkt erfahrbar waren. Die Häufigkeit von Alarmen kann aber auch zu einer "Alarmfatique" führen, mit der Konsequenz, dass die Alarme abgeschaltet oder ignoriert werden [Farfel 2020]. Daher ist es besonders für Kinder mit Typ-1-Diabetes wichtig, eher wenige, dafür aber passende Alarme zu wählen, so dass die Eltern sicher sein können, dass die Kinder oder Betreuer darauf reagieren. Keinesfalls sollte ein Kind hilflos ständigen Alarmen ausgesetzt sein, auf die es nicht reagieren kann.

Überforderung

Die Summe an gemessenen Glukosewerten, die auch verdeutlichen, dass die Glukosewerte ständig schwanken, kann einige Menschen kognitiv und emotional überfordern. Hier sind vor allem strukturierte Schulungs- und Behandlungsprogramme von Bedeutung, in denen Nutzer von CGM schrittweise lernen, angemessen auf Glukosewerte zu reagieren, einfache Muster zu erkennen und Sicherheit bei der Wahl der richtigen Strategien zur Verbesserung der glykämischen Kontrolle zu erlangen [Gehr 2017; Kröger 2022]. Bei weniger erfahrenen Nutzern kann die Fülle der Daten zu Überreaktionen, ständiger Überforderung, Frustration, Gefühlen der Hilflosigkeit, reduzierter Selbstwirksamkeit und Resignation führen [Hilliard 2019). Auf der anderen Seite können aber auch Vermeidungsreaktionen die Folge sein, indem Glukosewerte ignoriert werden und Personen sich so vor negativen Emotionen schützen.

Mangelnde Kenntnisse, Fähigkeiten

Während die Technik der Glukosemessung relativ einfach ist und nur wenig Fehlermöglichkeiten bestehen, ist die Beschäftigung mit den Glukosewerten intellektuell anspruchsvoller. Die Analyse und Auswertung von Glukosedaten, die Wahl geeigneter Strategien zur Verbesserung der Zeit im Zielbereich und zur Vermeidung von Zeiten im hyper- oder hypoglykämischen Bereich erfordern Kenntnisse und kognitive Fähigkeiten, die bei weitem nicht immer vorausgesetzt werden können. Zusätzlich sind praktische und organisatorische Fertigkeiten und vorausschauendes Planen erforderlich, um den korrekten Einsatz der Technologie mit den Anforderungen des Alltags zu verbinden.

Vor dem Hintergrund von hohen psychosozialen Belastungen, psychischen Erkrankungen, kognitiven Beeinträchtigungen, prekären Lebensverhältnissen oder unzureichender Gesundheitskompetenz großer Teile der deutschen Bevölkerung [RKI 2015], wird deutlich, dass ein bedeutender Anteil der Menschen mit Diabetes die oben genannten Voraussetzungen nicht erfüllen kann. Diese Gruppen sind besonders darauf angewiesen, dass Diabetesteams ihnen die neuen Technologien verständlich erklären, deren Nutzung praktisch mit ihnen üben, mit ihnen maßgeschneiderte Ziele definieren und ihnen helfen, sich in der großen Vielfalt an Daten zu orientieren. Dazu zählt auch, dass Alltagsbelastungen durch CGM realistisch angesprochen und alltagstaugliche Lösungen erarbeitet werden [Smith 2019; Messer 2020].

Dies unterstreicht die Notwendigkeit, CGM-Nutzern eine angemessene strukturierte Schulung anzubieten, in dem eine Person die notwenigen Fertigkeiten (Skills) erwerben und üben kann, um das Potential von CGM-Systemen zur Verbesserung der Therapie und Erleichterung des Diabetesmanagements ausschöpfen zu können [Kröger 2022].

Wie Kubiak [2020] richtig bemerkt, sind förderliche Bedingungen und Hindernisse im Umgang mit CGM keine getrennten und stabilen Gruppen von psychosozialen Faktoren, sondern hängen zusammen und können sich bei einer Person ändern. So können beispielsweise die CGM-Alarmfunktionen sowohl eine positive Auswirkung haben, aber auch potenziell eine Quelle von zusätzlichen Belastungen und Stress sein. Daher ist eine strukturierte CGM-Schulung sowohl sinnvoll, um den Nutzen von CGM zu verbessern, aber auch potenzielle negative Nebenwirkungen zu vermeiden bzw. zu reduzieren [Schlüter 2021]. Sie ist aber auch eine Chance, die existierende soziale Ungleichheit bezogen auf die Qualität der Stoffwechseleinstellung bei Menschen mit Diabetes und deren Belastung durch die hohen Therapieanforderungen zu reduzieren. Eine Chance zur Reduktion dieser sozialen Ungleichheit zeichnet sich durch AID-Systeme ab, die kaum noch aktive Handlungen der Nutzer erfordern. Erste Berichte zeigen, dass hier der Teufelskreis aus ständiger Hyperglykämie, Frustration, depressiven Symptomen und kognitiver Leistungsminderung bei belasteten Jugendlichen durchbrochen werden konnte [Phillip 2022].

Vermehrte Beschäftigung mit Diabetes

Die möglichen positiven, wie auch negativen Auswirkungen von CGM zeigen sich auch in der Art der Beschäftigung mit den konstant gemessenen Glukosewerten. Für die meisten CGM-Nutzer wird der Umgang mit den kontinuierlich gemessenen Werten schnell zur Routine, vergleichbar mit dem Blick auf eine Armbanduhr zur Orientierung. Im Gegensatz dazu gibt es auch Nutzer, die sich bedingt durch die CGM-Daten ständig gedanklich mit ihrem Diabetes beschäftigen. Dies geht zu Lasten anderer Aufgaben, führt zu Stress und beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität.

Zwanghafter Umgang

Für Menschen mit einer eher zwanghaften Persönlichkeit kann die ständige Verfügbarkeit von Glukosewerten zu einem Problem werden. Es fällt ihnen schwer, sich mit oft unerklärlichen Schwankungen – die vor CGM nicht sichtbar waren – zu arrangieren und diese gelassen zu akzeptieren. Die Beschäftigung mit den CGM-Werten kann zwanghafte Züge annehmen, so dass im Einzelfall ohne die Sicherheitssignale der CGM-Messung keine Aktivitäten ausgeführt werden bzw. bei schwankenden oder zu hohen, tiefen Glukosewerten ein Schon- bzw. Vermeidungsverhalten an den Tag gelegt wird.

Transparenz

Die kontinuierliche Speicherung der Glukosedaten macht die Fluktuationen des Glukosespiegels, das Therapieverhalten, aber auch bestimmte Lebensweisen nicht nur für den CGM-Nutzer, sondern auch für Außenstehende sicht- und überprüfbar. Damit gibt eine Person eventuell Verhaltensweisen preis, die sie gerne anderen Personen nicht mitteilen oder verheimlichen möchte (z. B. Ausmaß des Alkoholkonsums, das Essverhalten). Auch wird das Therapieverhalten transparent, was eventuell zu Konflikten mit anderen Personen (z. B. Eltern, Diabetesteam) führen kann [Litchman 2018]. Jugendliche, die beginnen, sich altersgemäß von ihren Eltern zu lösen und ihre Diabetesbehandlung verantwortlich zu übernehmen, können durch die CGM-Daten für ihre Eltern weiterhin völlig transparent sein. Daraus können Konflikte zwischen besorgten Eltern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes wegen unbefriedigender Glukosedaten entstehen, besonders dann, wenn Eltern Therapiefehler sanktionieren [Litchman 2018, Messer 2018].

Überwachung

Auch die Sharefunktion von CGM, die von dem Nutzer aktiv freigeben werden muss, kann zu negativen Auswirkungen führen, wenn Personen sich zwar unterstützt, gleichzeitig aber auch überwacht fühlen. Dies trifft vor allem für Jugendliche zu, die sich von ihren Eltern abnabeln möchten und daher die Möglichkeit einer lückenlosen Verfolgung oder Dokumentation ihrer CGM-Werte ablehnen [Lawton 2021]. Es gibt auch Fälle, in denen Eltern große Ängste entwickelt haben, weil sie die Werte ihrer Kinder zwar aus der Ferne überwachen, diese aber nicht erreichen können, z. B. während Klassenfahrten. Aber auch ältere Menschen können sich in ihrem Wunsch nach Autonomie und Selbstbestimmtheit durch die Möglichkeit, dass andere Personen die Glukosewerte in Echtzeit verfolgen können, eingeschränkt und überwacht fühlen. Hier sind klare Absprachen über den Umfang der Überwachung und sinnvolle und gewünschte Maßnahmen zur Unterstützung unerlässlich.

Mangelnde Nutzung der Glukosedaten

Ein wesentlicher Nutzen von CGM besteht darin, die Glukosedaten retrospektiv zu analysieren, mögliche Muster zu erkennen und gegebenenfalls Insulindosierungen anzupassen. Das Auslesen der Daten und deren systematische Analyse erfordert jedoch eine technische Ausstattung, eine kognitive Kompetenz und praktische Übung: 1) einen Computer, einen Internetzugang, 2) ein gewisses technisches Verständnis zur Umsetzung des Downloads der Glukosedaten, 3) Zeit und Motivation zum Herunterladen der Daten und 4) die Fähigkeit, die Daten systematisch zu analysieren und daraus mögliche Änderungen abzuleiten. Angesichts der Vielzahl möglicher Barrieren überrascht es nicht, dass nicht alle CGM-Nutzer ihre Daten systematisch analysieren. In der Studie von Huhn et al. [2022] berichteten 98 % der jungen CGM-Nutzer über ein besseres Wohlbefinden mit CGM im Vergleich zur früheren SMBG-Nutzung, jedoch führten davon nur 19 % regelmäßige Datenanalysen durch. Bei der Analyse der Ursachen fanden Palmer et al. [2021], dass nicht selten simple technische Barrieren die Ursache für einen fehlenden Datenexport waren. So zeigten auch von Sengbusch et al. [2020], dass viele technik-affine junge Eltern umfassende technische Unterstützung benötigten, bevor sie in der Lage waren, die Glukosedaten ihrer Kinder mit Typ-1-Diabetes in eine Cloud hochzuladen und anschließend zu analysieren. Auf der anderen Seite kennzeichnet der Download der Daten auch einen positiven Umgang mit dem Diabetes, während Menschen, denen der Umgang mit dem Diabetes eher schwerfällt, diese Möglichkeit seltener nutzen oder darauf verzichten [Arbister 2019].

Individuelle Hürden und Herausforderungen

Die vorangegangenen Abschnitte zeigen, wie stark die effektive Nutzung von CGM- und AID-Systemen von der individuellen psychischen Situation, der kognitiven Leistungsfähigkeit, den Lebensbedingungen und den oft jahrzehntelangen Erfahrungen und Routinen im Umgang mit dem Diabetes im Alltag geprägt wird. Die effektive Beratung setzt daher eine ganzheitliche Betrachtung all dieser Faktoren voraus, um ein individuell passendes System mit entsprechender Schulung auszuwählen. Wie dies praktisch gelingen kann, wird in einer Publikation mit dem Titel: "CGM-Fibel: Psychologie" von Lange et al. [2023] für Interessierte an typischen Kasuistiken praktisch dargestellt.

Fazit

Die Möglichkeit der kontinuierlichen Glukosemessung wird heute von der Majorität der Menschen mit Typ-1-Diabetes und einer wachsenden Zahl von Menschen mit Typ-2-Diabetes genutzt. Positive Effekte bezogen auf Stoffwechselparameter und Selbstmanagement sowie die Entlastung im Alltag sind belegt. Jedoch stehen der effektiven Nutzung bei einer relevanten Zahl der Nutzer auch eine Reihe psychologischer Barrieren entgegen, die sich z. B. aus der ständigen Auseinandersetzung mit den Glukosewerten, der Komplexität des Glukosestoffwechsels oder auch Spezifika der Systeme ergeben können. Diese Hürden sollten erfasst und durch entsprechende Beratungen und spezifische psychotherapeutische Hilfen im Rahmen der diabetologischen Langzeitbetreuung abgebaut werden.


Literatur
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Korrespondenzadressen
Prof. Dr. rer. nat. Karin Lange
Diplom-Psychologin / Fachpsychologin Diabetes DDG
Medizinische Hochschule Hannover
Medizinische Psychologie OE 5430
Carl Neuberg-Str. 1
30625 Hannover
Tel: 0511-532-4437
E-Mail: lange.karin@mh-hannover.de
www.karin-lange.de

Prof. Dr. Bernhard Kulzer
Forschungsinstitut Diabetes-Akademie Mergentheim (FIDAM)
Diabetes Zentrum Mergentheim
Theodor-Klotzbücher-Straße 12
97980 Bad Mergentheim
E-Mail: kulzer@fidam.de

Manuskript eingegangen: 16. Dezember 2022
Manuskript angenommen: 20. April 2023

Interessenkonflikte
KL ist wissenschaftlich beratend tätig für Abbott, Dexcom, Roche Diabetes Care, Medtronic, Sanofi-Aventis und hielt Vorträge für Astra Zeneca, BioMarin, Chiesi, Glooko, Insulet, Lilly Deutschland, Medtronic, Menarini Berlin Chemie, Merck Serono, MSD SHARP & DOHME, neubourg skin care, NovoNordisk, Roche Diabetes Care, Sanofi-Aventis. BK ist wissenschaftlich beratend tätig für Novo Nordisk, Berlin Chemie, Sanofi, embecta, Abbott, Roche, Bayer, Dexcom, Insulet und hielt Vorträge für: Novo Nordisk, Berlin Chemie, Sanofi, Abbott, embecta, Roche, diabeloop, MSD, Astra Zenica, Lilly, Dexcom, hello better, Esysta, Insulet. Die Autoren erklären, dass diese oder andere wissenschaftliche oder wirtschaftliche Interessen keinen Einfluss auf die Erstellung dieses Manuskripts hatten.

Finanzielle Unterstützung
Die Erstellung dieses Manuskriptes wurde durch Abbott Diabetes Care, Abbott GmbH unterstützt.

Danksagung
Wir danken unseren Kolleginnen und Kollegen, Susan Clever, Birgit Olesen, Dr. Stefan Gölz, Prof. Dr. Norbert Hermanns und Dr. Tobias Wiesner für wertvolle Diskussionsbeiträge bei der Vorbereitung dieses Manuskripts.


Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2023; 32 (4) Seite 180-189