Minimalinvasive Sensoren zur kontinuierlichen Glukoseüberwachung (Continous Glucosemonitoring, CGM) werden bei Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes immer beliebter. Mit ihrer Anwendung in der täglichen Praxis wurde das Konzept der "Zeit im Normbereich" (Time in Range, TIR) als neuer Wirksamkeitsparameter für die Diabetesversorgung eingeführt [Camerlingo 2022, Advani 2020, Maiorino 2020]. Durch den Einsatz von CGM konnte die Häufigkeit von Hypoglykämien und Hyperglykämien reduziert werden, was zu einer allgemeinen Verbesserung des Blutzuckermanagements [Beck 2017a, Heinemann 2018, Bolinder 2016, Beck 2017b, Lind 2017, Aleppo 2017] und einer höheren Lebensqualität und Behandlungszufriedenheit führt [Charleer 2020, Charleer 2018, Fokkert 2019]. Zwei der populärsten CGM-Systeme sind Abbott FreeStyle Libre 2 (L2) und Dexcom G6 (G6), die beide Glukoseoxidase(GOD)-basierte amperometrische Technologien verwenden und sich durch eine Gebrauchsdauer von 14 Tagen (L2) und 10 Tagen (G6) auszeichnen. Während L2 vom Hersteller werkseitig kalibriert wird, wird G6 nach einer kurzen Konditionierungsphase vom Benutzer kalibriert. Beide Systeme verwenden eine automatische drahtlose Datenübertragung an ein Auslesegerät oder eine Smartphone-App [Almurashi 2023, Klonoff 2024].
Zusammenfassung
CGM-Sensoren bieten bei der Diabetestherapie wesentliche Vorteile. Sie finden daher zunehmend Einsatz, u. a. zur Steuerung von Insulinpumpen bei der AID-Therapie. Gerade hier ist eine umfassende Kenntnis des Interferenzprofils der Sensoren essenziell. Es sind aber nur wenige Informationen zu dieser Thematik in der Literatur verfügbar. Wir haben eine in-vitro-Testmethode für kontinuierliche und dynamische CGM-Interferenztests entwickelt und die Empfindlichkeit der Sensoren Abbott FreeStyle Libre 2 (L2) und Dexcom G6 (G6) für 68 einzelne Substanzen untersucht. In jedem Interferenzversuch wurden je drei Sensoren (L2/G6) Substanzgradienten von Null bis zu supraphysiologischen Konzentrationen bei einer stabilen Glukosekonzentration von 200 mg/dl ausgesetzt. Der YSI Stat 2300 Plus wurde als Glukose-Referenzmethode verwendet. Von Interferenz wurde ausgegangen, wenn die CGM-Sensoren eine mittlere Abweichung von mindestens ± 10 % vom Ausgangswert aufwiesen. Beide Sensoren (L2/G6) zeigten Interferenzen mit Dithiothreitol, Galaktose, Mannose und N-Acetylcystein. Zusätzlich nur bei L2: Ascorbinsäure, Ibuprofen, Ikodextrin, Methyldopa, Rotwein und Xylose. Zusätzlich nur bei G6: Acetaminophen, Ethylalkohol, Gentisinsäure, Hydroxylharnstoff, L-Cystein, L-Dopa und Harnsäure. Darüber hinaus konnten die G6-Sensoren nach der Einwirkung von Dithiothreitol, Gentisinsäure, L-Cystein und Mesalazin nicht mehr für einen weiteren Einsatz kalibriert werden (Sensor-Fouling). Klinische Studien sind nun notwendig, um zu untersuchen, ob unsere Ergebnisse in der Routineversorgung von Bedeutung sind.
Schlüsselwörter
Kontinuierliche Glukosemessung, CGM, Sensor-Interferenz, Testmethode
Previously unknown interference of commercially available glucose sensors during dynamic interference testing in the laboratory
Summary
CGM sensors offer significant advantages in diabetes therapy. They are being used more frequently to control insulin pumps in AID therapy. Comprehensive knowledge of the interference profile of the sensors is essential for this. However, there is little information available on this topic in the literature. We have developed an in vitro test method for continuous and dynamic CGM interference tests and have now investigated the sensitivity of the Abbott FreeStyle Libre2 (L2) and Dexcom G6 (G6) sensors for 68 substances. In each interference test, the L2 and G6 sensors were exposed in triplicate to substance gradients from zero to supraphysiologic concentrations at a stable glucose concentration of 200 mg/dl. The YSI Stat 2300 Plus was used as the glucose reference method. Interference was assumed if the CGM sensors showed an average deviation of at least ± 10 % from the baseline value for a tested substance. Both the L2 and G6 sensors showed interference with dithiothreitol, galactose, mannose and N-acetylcysteine. Further L2 interferences: ascorbic acid, ibuprofen, icodextrin, methyldopa, red wine, xylose. Other G6 interferences: acetaminophen, ethyl alcohol, gentisic acid, hydroxylurea, L-cysteine, L-dopa, uric acid. In addition, the G6 sensors could no longer be calibrated for further use after exposure to dithiothreitol, gentisic acid, L-cysteine, mesalazine (sensor fouling). Clinical studies are now needed to investigate whether our results are relevant in routine care.
Keywords
Continuous glucose monitoring, CGM, sensor interference, test method
In der täglichen Routineversorgung sind jedoch regelmäßig klinisch nicht direkt erklärbare Abweichungen zwischen den Messwerten des L2 oder G6 Sensors und den vom Blutzuckermessgerät des Patienten ermittelten Blutzuckerkonzentrationen zu beobachten [Shapiro 2017a, Shapiro 2017b]. Für diese Abweichungen gibt es mehrere mögliche Gründe. Erstens messen CGMs die Glukose in der Zwischenzellflüssigkeit (ISF), und es gibt bekannte und gut charakterisierte Glukosedynamiken zwischen ISF und Blut [Lock 2002, Koschinsky 2003]. Bei schnellen Glukoseänderungen können erhebliche Unterschiede zwischen Blut- und ISF-Glukose auftreten, die bei Patienten mit Mikrozirkulationsstörungen besonders ausgeprägt sein können [Forst 1998]. Zweitens kann das Blutzuckermessgerät des Patienten ungenaue Messwerte anzeigen, und zwar aufgrund von Verfahrensfehlern des Patienten, falsch gelagerten Teststreifen, veralteter Technologie oder durch Interferenzen, die durch die Beeinflussung der Teststreifentechnologie durch Hämatokrit oder andere störende Substanzen in der Blutprobe entstehen [Ginsberg 2009, Pfützner 2013, Demircik 2015]. Drittens kann die werkseitige Kalibrierung von L2 nicht mit dem physiologischen Zustand des Patienten übereinstimmen, was zu einer Unter- oder Überschätzung des ISF-Glukosespiegels im Vergleich zu den kapillaren Blutzuckermessungen des Patienten führen kann. Ein vierter, noch nicht ganz geklärter Grund für Diskrepanzen zwischen ISF- und Blutzuckermesswerten könnte eine mögliche Reaktion der CGM-Sensoren auf Störsubstanzen sein, die im ISF in Konzentrationen vorhanden sind, die die Sensortechnologie erheblich beeinflussen können. Eine solche Reaktion würde erklären, warum vorübergehende Abweichungen zwischen CGM- und Blutzuckermesswerten beobachtet werden können und warum die CGM-Sensoren manchmal vorzeitig ausfallen und ersetzt werden müssen [Joubert 2012, Breton 2010]. In jüngster Zeit haben führende Vertreter des Gesundheitswesens und Patientenvertreter von den Herstellern von CGM-Systemen mehr Anstrengungen gefordert, um die Auswirkungen von Nahrungsbestandteilen, Nahrungsergänzungsmitteln, Medikamenten und körpereigenen Stoffen auf die Leistung von CGM-Sensoren zu untersuchen [Shapiro 2017b, Heinemann 2022].
Abb. 1: Prinzipieller Versuchsaufbau für den standardisierten dynamischen Interferenztest von CGM-Sensoren [Pfützner 2024].
Die veröffentlichte Literatur über mögliche Störungen der Sensoren L2 und G6 ist nicht sehr umfangreich. Über die Empfindlichkeit dieser Systeme gegenüber anderen Substanzen als Glukose ist wenig bekannt. Dies könnte zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass es keine etablierten In-vitro-Screening-Testmethoden für aussagekräftige Interferenztests von CGM-Sensoren gibt, was dazu führt, dass ressourcenintensive klinische Studien durchgeführt werden müssen, um die Relevanz dieses Problems zu untersuchen.
Um die Forschung in diesem Bereich zu unterstützen, haben wir ein Prüfstands-System und Protokolle für dynamische In-vitro-Leistungstests von CGM-Sensoren entwickelt, die die Möglichkeit eines kosteneffizienten, groß angelegten In-vitro-Substanz-Screenings bieten [Pfützner 2024a]. Diese Methode ermöglicht die Suche nach potenziell störenden Substanzen (einzeln oder in Kombination), die CGM-Sensoren in einem klinisch relevanten Ausmaß beeinträchtigen könnten. Sie kann auch dazu beitragen, Substanzen mit minimalem oder vernachlässigbarem Störverhalten auszuschließen, die dann möglicherweise keine weiteren Untersuchungen in klinischen Studien erfordern.
Hier berichten wir über die Ergebnisse einer umfassenden Bewertung der Sensoren Abbott FreeStyle Libre 2 und Dexcom G6 mit einer Reihe von einzelnen Nahrungsbestandteilen, Nahrungsergänzungsmitteln, Medikamenten und körpereigenen Substanzen, die bei Menschen mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes vorkommen können.
CGM: kontinuierliche Glukosemessung
CLSI: Clinical and Laboratory Standards Institute
FDA: Food and Drug Administration
G6: Dexcom G6-Sensor
HPLC: Hochdruck-Flüssigkeitschromatographie
ICC: Interferenz-Cut-off-Konzentration
ISF: Zwischenzellflüssigkeit
L2: Abbott FreeStyle Libre 2-Sensor
PBS: phosphatgepufferte Kochsalzlösung
TIR: Zeit im Normbereich
Methoden
Wir haben ein standardisiertes dynamisches Interferenz-Testprotokoll verwendet [Pfützner 2024a], um Substanzen zu identifizieren, die das Potenzial haben, die Messwerte der L2- oder G6-Sensoren zu beeinflussen. In Kürze: ein speziell entwickelter 3D-gedruckter Prüfstand (PSA-Block: 15 cm x 15 cm x 4 cm; mit einem eingravierten makrofluidischen Kanal: 2 mm x 10 mm x 500 mm) wurde mit je drei L2- und G6-Sensoren ausgestattet. Eine Pumpe, die normalerweise für den Betrieb eines Hochdruck-Flüssigkeitschromatographen (HPLC) verwendet wird (Waters 2695, Waters, Eschborn, Deutschland), füllte den Kanal mit einem kontinuierlichen Fluss von phosphatgepufferter Kochsalzlösung (PBS; 18 g NaCl, 0,20 g KCl, 0,20 g KH2PO4, 1,15 g Na2(HPO4)2 H2O in 1000 ml H2O, pH 7,2; Carl Roth, Karlsruhe, Deutschland), die 200 mg/dl Glukose enthielt (Flussrate von 1 ml/min). Zusätzliche HPLC-Pumpen wurden verwendet, um dynamisch wechselnde Konzentrationen von Kandidatenstoffen für Interferenztests einzubringen. Bei jedem Versuchsdurchlauf wurden am Ende des Kanals in regelmäßigen Zeitabständen Proben für die Glukosemessung mit einer Referenzmethode (YSI Stat 2300 Plus, YSI, Yellow Springs, Ohio) entnommen. Da die Temperatur und der Sauerstoffpartialdruck einen erheblichen Einfluss auf die Leistung der auf GOD-basierten Sensoren haben [Collier 2015, Kausaite-Minkstimiene 2024], wurden alle Experimente in einer Heizkammer mit einer konstanten Flüssigkeitstemperatur von 37 °C und bei stabilem Sauerstoffpartialdruck durchgeführt. Fotos unseres Versuchsaufbaus sind in Abbildung 1 zu sehen.
Tab. 1: Ergebnisse für alle getesteten Substanzen (Cmax: maximale getestete Substanzkonzentration; BOB: maximale Differenz zum Basiswert; ICC: Interference Cut-off Concentration = niedrigste Konzentration bei der eine Differenz von 10 % beobachtet wurde).
Gemäß dem Standardprotokoll wurde der Glukosespiegel auf 200 mg/dl gehalten, um einen Basislinien-Sensormesswert zu erzeugen, und nach 30 Minuten wurde die Testsubstanz (gelöst in Glukose-PBS-Puffer) über eine zweite HPLC-Pumpe zugegeben. In einem ersten Schritt wurde die Konzentration der Prüfsubstanz dynamisch und linear über 60 Minuten auf 100 % der maximal geplanten Konzentration erhöht und dann für die nächsten 30 Minuten auf diesem Niveau gehalten. In einem zweiten Schritt wurde die Konzentration der Prüfsubstanz linear wieder auf Null gesenkt und für weitere 30 Minuten gehalten. Dieses Protokoll mit ansteigenden und abfallenden Substanzkonzentrationen ist sehr effizient für die Identifizierung einzelner Substanzen, die das Sensorsignal stören können, und bei der Ermittlung des Schwellenwerts, bei dem eine Störung auftritt (mindestens ± 10 % Abweichung von der Basislinie; BOB). Für die Analyse wurde der Mittelwert der Sensormesswerte der drei parallel getesteten Sensoren berechnet und mit der Basislinie verglichen. Der prozentuale BOB-Wert wurde als Maß für den Grad der Störung durch eine bestimmte Substanz und als Benchmark-Parameter berechnet, um einen späteren Vergleich mit anderen Sensoren zu ermöglichen.
L2-Sensoren werden werkseitig für den In-vivo-Einsatz kalibriert; in unserem In-vitro-System lagen die angezeigten L2-Messwerte 40 % – 50 % unter der verwendeten Glukosekonzentration, was anschließend durch die Referenzwerte bestätigt wurde [Pfützner 2024a]. Da es keine Standards für die Analyse von CGM-Interferenzen gibt, haben wir den Standard EP07-A2 des Clinical and Laboratory Standards Institute (CLSI), seine Ergänzung EP37 und die Definition für Interferenzen der Food and Drug Administration (FDA) bei Blutzuckerteststreifen (d. h. eine Abweichung von > ± 10 % zwischen dem Sensormesswert und der Kontrollbedingung) [CLSI 2018b, CLSI 2018a, Krouwer 2012, FDA 2018] als Richtschnur für die Bestimmung von Interferenzen verwendet. Falls zutreffend, berechneten wir auch die Konzentration, bei der eine Substanz unsere Interferenzdefinition erreichte (Interferenz-Cut-off-Konzentration, ICC). Wenn Informationen über die physiologische oder pharmakologische Konzentration der Substanz in der interstitiellen Flüssigkeit nach oraler oder parenteraler Verabreichung vorliegen, kann damit die mögliche klinische Relevanz der beobachteten Befunde abgeschätzt werden.
Ergebnisse
Wir haben ein Panel von 68 Einzelsubstanzen mit den Sensoren Abbott FreeStyle Libre 2 und Dexcom G6 getestet, die in Tabelle 1 aufgeführt sind. Die Substanzen wurden dahingehend ausgewählt, dass sie exemplarisch ein möglichst breites und umfangreiches, aber auch praxisnahes Spektrum an möglichen Medikamenten, Nahrungsergänzungsmitteln und Lebensmitteln darstellen, die Menschen mit Diabetes mellitus täglich zu sich nehmen. So wurde für die zur Verfügung stehenden Antidiabetika jeweils eine Substanz stellvertretend für die anderen Medikamente der gleichen Klasse getestet (z. B. Glimepirid für die Sulfonylharnstoffe). Für L2 wurden erhebliche Interferenzen (BOB mindestens ± 10 %) mit den folgenden zehn Substanzen festgestellt: Ascorbinsäure (BOB: +48 %), Dithiothreitol (+46 %), Galaktose (> +100 %), Ibuprofen (+14 %), Ikodextrin (+10 %), Mannose (> +100 %), Methyldopa (+16 %), N-Acetylcystein (+11 %), Rotwein (+12 %) und Xylose (> +100 %), während bei den übrigen Substanzen keine BOB von mehr als ± 10 % beobachtet wurde. Bei G6 fanden wir elf störende Substanzen, von denen vier dieselben waren wie bei L2: Dithiothreitol (-18 %), Galaktose (+17 %), Mannose (+20 %) und N-Acetylcystein (+18 %). Interferenzen nur für G6 wurden bei Acetaminophen (> +100 %), Ethylalkohol (+12 %), Gentisinsäure (+18 %), Hydroxylharnstoff (> +100 %), L-Cystein (-25 %), L-Dopa (+11 %) und Harnsäure (+33 %) beobachtet.
In Abbildung 2 finden sich beispielhaft je zwei graphische Darstellungen von Substanzen, die entweder nur mit dem L2 (Xylose) oder nur mit dem G6 (Harnsäure) Interferenzen zeigten. Einige der Substanzen führten zu einem Phänomen, das mit einem Abfall der Sensorleistung einhergeht. Wir beobachteten, dass die G6-Sensoren ein dauerhaft abnehmendes Signal zeigten, nachdem sie einer höheren Konzentration bestimmter Substanzen ausgesetzt waren (z. B. Dithiothreitol), sodass die Sensoren in der Folgezeit nicht mehr für ein erneutes Experiment kalibriert werden konnten. Infolgedessen mussten die Sensoren nach der Exposition gegenüber solchen Substanzen verworfen und ersetzt werden. Dieses Phänomen wurde bei Dithiothreitol, Gentisinsäure, L-Cystein und Mesalazin beobachtet. Der Verdacht auf "Sensor-Fouling", d. h., dass die Sensoren nach der Exposition gegenüber einer Substanz nicht mehr funktionierten, wurde auch bei L2 in Gegenwart von Mesalazin beobachtet.
Abb. 2: Graphische Beispiele für Testergebnisse: A. Keiner der beiden Sensoren zeigt Interferenzen mit Xylit (Maximale Konzentration (Cmax): 0,09 mg/dl); B. Harnsäure interferiert mit G6 aber nicht mit L2 (Cmax: 23,5 mg/dl), C. Xylose interferiert mit L2 aber nicht mit G6 (Cmax: 600 mg/dl), D. Beide Sensoren zeigen Interferenz mit Galaktose (Cmax: 300 mg/dl).
Die Ergebnisse für jede Störsubstanz sowie die Grenzkonzentration (ICC; Schwellenwert, bei dem mindestens ± 10 % Abweichung vom Ausgangswert auftreten) sind in Tabelle 1 extra aufgeführt, zusammen mit den Substanzen und Höchstkonzentrationen, die nach unseren BOB-Kriterien keine Interferenz aufwiesen. Die Abbildung 3 enthält grafische Darstellungen der Ergebnisse, die mit den 18 identifizierten interferierenden Substanzen erzielt wurden.
Abb. 3: Maximale Abweichung vom Basiswert bei den Substanzen, die das Interferenzkriterium bei einem oder beiden der getesteten Sensortypen erfüllten.
Diskussion
Im Gegensatz zu bestehenden Leitlinien und empfohlenen Protokollen für die Interferenzprüfung von Blutzuckerteststreifen und -messgeräten [FDA 2018], gibt es keine standardisierten Verfahren für die Interferenzprüfung von CGM-Geräten. Für eine ordnungsgemäße Messung benötigen die Sensorelektroden eine quasi-stabile lokale Flüssigkeitsumgebung, die zwar in vitro schwer zu erreichen ist, aber eine Voraussetzung für die genaue Prüfung der dynamischen kontinuierlichen Glukosemessung darstellt. Um die Erkennung von Substanzinterferenzen mit CGM-Sensoren durch ein wirtschaftliches und groß angelegtes Screening zu erleichtern, haben wir einen neuen In-vitro-Aufbau für dynamische Interferenztests entwickelt und untersucht [Pfützner 2024a]. Unser Versuchsprotokoll verwendet eine stabile Glukosekonzentration, während mehrere Sensoren gleichzeitig steigenden und fallenden Konzentrationen einer potenziell störenden Substanz ausgesetzt werden. Folglich sind Änderungen im Sensorsignal nicht auf Glukoseänderungen zurückzuführen, sondern auf den Einfluss der getesteten Substanz. Wie in Abbildung 2 dargestellt, führt eine Substanz, die eine positive Interferenz verursacht, zu einer zunehmenden Abweichung vom Glukose-Basissignal, die sich auflöst, sobald die Konzentration der interferierenden Substanz wieder auf Null gesunken ist (außer in Fällen von Sensor-Fouling). Diese Überlegung ist besonders bedeutsam, da wir bei dieser Vorgehensweise auch potenzielle Synergien zwischen verschiedenen Substanzen untersuchen können, die als Einzelsubstanz evtl. nicht das Interferenzkriterium erreichen.
Ein Vorteil unserer dynamischen CGM-Prüfstand-Methodik ist die Möglichkeit, eine Substanzkonzentration (die ICC) zu bestimmen, die im ISF erreicht werden muss, um zu einer Abweichung von mindestens ± 10 % vom Ausgangswert zu führen. Dies kann Klinikern helfen, unsere In-vitro-Ergebnisse im Lichte der klinischen Situation zu interpretieren. Wenn Informationen über die ISF-Konzentration einer Substanz nach Aufnahme von üblichen Mengen oder Dosen verfügbar sind, kann die potenzielle klinische Relevanz der experimentellen Ergebnisse bestimmt werden. Ein Beispiel ist unser Ergebnis mit Ascorbinsäure und L2, bei dem wir die ICC für Ascorbinsäure mit 2,5 mg/dl ermittelten. Aktuelle Daten zur absoluten Bioverfügbarkeit von Vitamin C im Steady-State beziehen sich auf Ascorbinsäure-Dosen von 15 – 1250 mg pro Tag und ergaben z. B. Konzentrationen von etwa 11 mg/dl im Plasma bei einer Tagesdosis von 1000 mg pro Tag [Padayatty 2016, Graumlich 1997]. Es ist allgemein bekannt, dass die Ascorbinsäurekonzentrationen in den Geweben und im Liquor viel höher sind als im Plasma (z. B. 24 mg/dl im Liquor gegenüber 11 mg/dl im Plasma [Padayatty 2016]). Daher ist die Interferenz mit Ascorbinsäure von klinischer Relevanz, und sie wird in der L2-Gebrauchsanweisung auch als Störfaktor aufgeführt. Während die Situation in Bezug auf Ascorbinsäure klar zu sein scheint, wurde keine der anderen Substanzen, die wir bei unserer Laborauswertung als Interferenzen mit dem L2-Sensor identifiziert haben, vom Hersteller entweder als bekannter Störfaktor oder als nicht klinisch relevant eingestuft.
Mit unserem In-vitro-Protokoll haben wir auch die zuvor veröffentlichten und klinisch beobachteten Auswirkungen von Hydroxylharnstoff und Paracetamol auf die G6-Sensorleistung bestätigt [Maahs 2015, Basu 2018, Basu 2017, Calhoun 2018, Denham 2021, Dexcom 2021, Tellez 2021]. In unserem Screening haben wir außerdem neun weitere Substanzen identifiziert, die das G6-Signal in vitro stören. Drei von ihnen scheinen eine irreversible Veränderung des Sensors hervorzurufen.
Unserer Meinung nach ist die wichtigste Frage, die in den nächsten klinischen Studien zu klären ist, welche Konzentrationen der identifizierten In-vitro-Störsubstanzen im ISF nach regelmäßiger und/oder empfohlener Substanzverabreichung zu erwarten sind. Wenn diese Konzentrationen die experimentell ermittelten ICCs erreichen oder überschreiten, ist es wahrscheinlich, dass Interferenzen auch in einer klinischen Umgebung zu beobachten sein werden. Wenn die Dynamik der Substanzkonzentrationen zwischen Blut und ISF der bekannten Dynamik für Glukose folgt [Lock 2002, Koschinsky 2003, Forst 1998], dann können etwa 60 % oder mehr der im Blut gemessenen Konzentrationen im ISF gefunden werden.
Beunruhigend ist, dass es zahlreiche klinische Szenarien gibt, in denen ein unbekannter oder unerkannter Störfaktor, der das Sensorsignal beeinflusst, dem Patienten Schaden zufügen kann. So kann ein Störfaktor, der einen falschen Anstieg des Glukosewertes verursacht, dazu führen, dass der Patient eine unnötige Korrekturbehandlung mit Insulin vornimmt, was zu einer Hypoglykämie führen kann (z. B. nach Aufnahme von Mannose und/oder Galaktose aus der Nahrung). Umgekehrt kann eine Unterschätzung des Blutzuckerspiegels wiederum zu einer Unterbehandlung der Hyperglykämie führen. Alkohol oder topische Medikamente, die in der Nähe der Sensorstelle aufgetragen werden, können die Sensorleistung verändern, was zu falschen Glukoseschwankungen oder einem Mangel an zuverlässigen Daten führen kann. Elektrochemische Interferenzen durch Medikamente wie N-Acetylcystein oder hohe endogene Harnsäurespiegel können die Zuverlässigkeit der Glukosedaten verringern, was zu einem Vertrauensverlust in das CGM-Gerät und folglich zur Einstellung der Verwendung dieser nützlichen Technologie führt. Eine Sensorkalibrierung, die bei Vorhandensein eines Störfaktors erfolgt, der einen falsch erhöhten Glukosewert verursacht, kann in der Folge zu falsch niedrigen Sensor-Glukosewerten führen, wenn der Störfaktor nicht mehr vorhanden ist, und in der Folge zu längeren Perioden der Hyperglykämie, wenn der Anwender versucht, mit Unterstützung des CGMs Glukosewerte im gewünschten Zielbereich zu erzielen. Jede dieser Situationen könnte dazu führen, dass Entscheidungen auf der Grundlage ungenauer Daten getroffen werden, was zu schlechten Ergebnissen führt.
Unserer Meinung nach ist es unerlässlich, das Interferenzmuster von CGM-Sensoren weiter zu evaluieren und zu klären, bevor sie in automatische Insulinverabreichungsgeräte integriert werden, und wir empfehlen dies dringend. Ein besseres Verständnis der Sensorinterferenzen wird auch Strategien zur Abschwächung der Interferenzen ermöglichen, wie z. B. die Auswahl von CGM-Geräten auf der Grundlage der individuellen Patientensituation, die Aufklärung der Patienten über potenziell störende Substanzen und die Förderung regelmäßiger Gegenkontrollen mit Blutzuckermessungen im Kapillarblut, insbesondere bei unerwarteten abnormalen CGM-Messwerten. Die Berücksichtigung dieser Faktoren ist entscheidend für die Zuverlässigkeit und Sicherheit von CGM in der klinischen Versorgung. Die vorliegenden Ergebnisse wurden mit Sensoren ermittelt, für die heute bereits Nachfolgeversionen zur Verfügung stehen. Nach unseren aktuellen Untersuchungen unterscheiden sich auch die neuen Versionen der Sensoren (Libre 3 und Dexcom G7) hinsichtlich des Interferenzprofils nicht von Ihren Vorgängern [Pfützner 2024b, Pfützner 2024c]. Hierüber werden wir in einer Folgepublikation berichten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei der Anwendung unseres standardisierten dynamischen Interferenztestprotokolls mehrere ernährungsbedingte, pharmazeutische und körpereigene Substanzen gefunden wurden, die die Signale des Abbott FreeStyle Libre 2 und des Dexcom G6 in vitro beeinflussen. Sollten sich diese Interferenzen in klinischen Studien bestätigen, müssen sie bei Behandlungsentscheidungen im Rahmen der täglichen Routineversorgung mit diesen Sensoren berücksichtigt werden.
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Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2025; 34 (2) Seite 63-70